In seinem Restaurant haben Angela Merkel und Vladimir Putin einmal von einem gemeinsamen Teller gegessen: Franz Keller, ehemaliger Sternekoch, kennt sich aus mit dem Essen. Er weiß: Gemeinsames Essen verbindet. Seine Sterne hat er vor einiger Zeit aufgegeben, um sich ganz der nachhaltigen Küche zu widmen. Im NachDenkSeiten-Interview geht Keller hart mit unseren Ernährungsgewohnheiten ins Gericht. „So ziemlich alles“ laufe falsch. Er plädiert dafür, dass Ernährung und Kochen zum Hauptfach an unseren Schulen wird. Ein Interview über richtiges Essen, falsche Ernährungseinstellungen und eine Politik, die anstelle einer „echten Agrarwende“ ein „falsches System zementiert“. Von Marcus Klöckner.
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Herr Keller, Sie haben mal für Angela Merkel und Vladimir Putin gekocht. In Ihrem neuen Buch erzählen Sie, dass die beiden fünf Stunden bei Ihnen im Restaurant saßen und sogar gemeinsam von einem Teller gegessen haben. Was lehrt uns diese Beobachtung?
Gemeinsam ein gutes Essen zu genießen, ist doch die beste Voraussetzung für ein gutes Gespräch. Nicht nur wenn Politiker sich zum Essen treffen. An einem Tisch zu sitzen und nicht nur eine Mahlzeit zu teilen, sondern auch Ideen und Gedanken auszutauschen oder Probleme zu besprechen, das schafft eine andere Gesprächsatmosphäre und funktioniert auch ganz wunderbar, wenn man sich mit der Familie oder Freunden zum Essen trifft. Nicht ohne Grund ist der Tisch in vielen Häusern und Wohnungen ein Mittelpunkt.
Wann fand diese Begegnung denn statt?
Ich glaube, das war im Oktober 2007 in meiner Adler Wirtschaft in Hattenheim.
Schon damals, so schreiben Sie, sei das Klima zwischen Deutschland und Russland „eher frostig“ gewesen. Wenn man bedenkt, wie die Spannungen zwischen den NATO-Staaten und Russland seit der Ukraine-Krise aussehen, wäre es da nicht angebracht, dass so manche Politiker sich mal in Ruhe treffen und lange und ausgiebig miteinander essen?
Die beiden können gerne mal wieder bei mir vorbeischauen, wenn es hilft, die Welt ein wenig friedlicher zu machen. Mich braucht man von der sozialen Funktion eines guten Essens nicht zu überzeugen. Ich bin seit mehr als fünfzig Jahren Koch, gemeinsam zu essen, ist der soziale Kitt sowohl für die Familie als auch für die Gesellschaft. Das ist ja mein großes Anliegen: Fangt wieder selber an zu kochen, setzt euch an einen Tisch und genießt die gemeinsame Zeit.
Essen verbindet jedenfalls Menschen. Aber gilt das auch, wenn die Nahrungsaufnahme nur noch aus Tiefkühlpizza und anderen Fertigprodukten besteht?
Das ist ein großes Problem unserer Zeit. Wir haben unser Essen, unsere Ernährung in den letzten Jahrzehnten aus der Hand gegeben und quasi wegrationalisiert. Effizient, fast und „to go“ muss Essen heute sein. Gruselig. Was wir uns da an Fast- und Fertigfutter genehmigen, ist den vielen Menschen offensichtlich egal. Hauptsache schnell und satt, scheint die Devise zu sein. Doch das ist keine gute Ernährungsgrundlage, ganz im Gegenteil: Das macht uns krank. In meinen Augen sind die industriell produzierten Lebensmittel in weiten Teilen echte Sterbemittel.
In Ihrem Buch schreiben Sie, dass es in der Küche, beim Kochen, um das Wesentliche geht, nämlich um „unser Leben“. Wie ist das gemeint?
Muss man das wirklich erklären? Das Essen, das wir täglich zu uns nehmen, soll unseren Körper und unseren Geist möglichst optimal mit Nährstoffen und Energie versorgen. Essen ist also eine ganz zentrale, wenn nicht die wichtigste Aufgabe für jedes Lebewesen. Gleichzeitig ist falsche Ernährung heute aber die Todesursache Nummer eins – das ist doch pervers. Auf der einen Seite leiden noch immer Millionen Menschen auf dieser Welt an Hunger, und wir fressen uns zu Tode. An der Tankstelle darf der Liter Öl fürs Auto gerne mal 45 Euro pro Liter kosten, aber das Öl, das wir für unseren Motor, also unseren Körper brauchen, kaufen wir dann für 7 Euro. Das Beispiel zeigt ganz gut, dass wir auf einem völlig falschen Dampfer unterwegs sind.
Was läuft bei unserer Ernährung falsch?
Krass gesagt, so ziemlich alles. Ein Beispiel: In unseren Mastfabriken produzieren wir hochsubventioniertes Billigfleisch in miserabler Qualität und mit hohem Antibiotika-Einsatz. Für das Futter importieren wir Soja, das in Südamerika in riesigen Monokulturen angebaut wird, auf einer Fläche, die der addierten Größe von Hessen und dem Saarland entspricht und für die auch weiterhin der Regenwald gerodet wird. Die Gülle, die aus diesen gigantischen Futtermengen entsteht, landet dann auf unseren Äckern und verursacht ein massives Nitratproblem, nur damit wir unser Billigfleisch dann wieder in andere Länder exportieren, wo wir die landwirtschaftlichen Strukturen zerstören. Das ist ein völlig perverser Kreislauf, der die Menschen krank macht und unseren Planeten zerstört. Wir brauchen deshalb dringend eine radikale Agrar- und Ernährungswende – und die kann jeder auch für sich persönlich einleiten. Mein Plädoyer heißt deshalb: Ab in die Küche! Fangt bitte wieder an, möglichst jeden Tag selber zu kochen. Mit authentischen und unverarbeiteten Lebensmitteln, denn nur so können wir die Kontrolle über unsere Ernährung zurückgewinnen.
Wahrscheinlich wissen viele Menschen durchaus, dass die Ravioli aus der Büchse nicht optimal sind. Nur: Wenn man morgens um 8 Uhr aus dem Haus geht und abends erst nach Hause kommt, dann kann man schon mal das Waschen von ein paar Tomaten oder eines Salats als zu viel empfinden. Oder sehen Sie das anders? Wie kann eine gesunde Ernährung selbst bei einem sehr stressigen Arbeitsleben gelingen?
Kochen ist ein Abfolgeprozess. Je öfter wir es tun und je vorausschauender wir dabei planen, desto einfacher und schneller wird es. Und mir kann keiner erzählen, dass es dafür keine Zeit gibt. Der durchschnittliche Konsum audiovisueller Medien liegt heute schon bei rund 10,5 Stunden. Eine Stunde weniger glotzen oder daddeln und dafür etwas Gutes kochen – das kann sich jeder einrichten. Klar müssen wir auch raus aus unserer Bequemlichkeit. Kochen und Essen müssen wieder ein Ritual werden, das wir ganz bewusst in unseren Alltag einbauen. Zeit ist doch auch das, wofür wir sie uns nehmen. Und wenn wir uns den Stellenwert einer guten und ausgewogenen Ernährung für unser eigenes Wohlbefinden wieder bewusst machen, ist Selberkochen keine Zeitverschwendung oder Arbeit, sondern ein echtes Vergnügen.
Ein anderes Beispiel. Wer in der Mittagspause rasch etwas Warmes essen möchte, hat es oft nicht leicht, etwas zu finden, dass rasch zubereitet, einigermaßen günstig, sättigend und auch noch gesund ist. Zugespitzt bleibt oft nur die Wahl zwischen Schnitzel mit Pommes oder einem Salat. Sehen Sie auch, dass hier Restaurants ihre Speisekarten optimieren sollten?
Ich sehe da beide Seiten in der Pflicht. Köche sollten die Vorreiter und Vorbilder für eine gute und gesunde Ernährung sein. Doch leider hat auch in der Alltagsgastronomie die Convenience-Seuche extremen Einzug gehalten, also das Arbeiten mit fertigen oder halbfertigen Zutaten. Auf der anderen Seite sind insbesondere die Deutschen echte Sparfüchse beim Thema Essen. Gutes Essen aber hat seinen Preis und den sollten wir auch im Restaurant bezahlen, wenn wir eine gute Mahlzeit mit entsprechendem Service genießen wollen. Aber ich halte das auch für eine gute und richtige Investition, vor allem in die Gesunderhaltung unseres Körpers.
Sie sagen, Ernährung müsste zum Hauptfach in der Schule werden. Warum? Und: Wie würde so ein Fach aussehen?
Wenn wir uns die dramatischen Zahlen zu extrem übergewichtigen oder von Diabetes betroffenen Jugendlichen anschauen, ist einfach dringender Handlungsbedarf geboten. Für die Ernährung ihrer Kinder sind selbstverständlich an erster Stelle die Eltern gefordert. Aber wenn rund 40 Prozent der Deutschen nicht mehr oder vielleicht einmal, zweimal die Woche kochen – wo sollen es die Kinder dann lernen? Viele bringen doch heute schon nicht mehr das Schnitzel, dass sie in Folie verschweißt kaufen, mit dem Tier in Verbindung, von dem es stammt. Eine umfassende Bildung und vor allem Selberkochen, das stellt diese Verbindung zur Natur, von der wir leben, wieder her. Kochen und Ernährung sollten deshalb zum Hauptfach an allen Schulen werden.
Das war die individuelle Ebene. Wie sieht es mit der Politik aus, wenn es um unsere Nahrung geht? Sind Sie mit den aktuellen Weichenstellungen der Landwirtschaftsministerin zufrieden?
Wir als Konsumenten müssen den Druck auf die Politik erhöhen. Diese Macht haben wir und wir sollten sie nutzen. Die Bauern sind ja nun gerade zum ersten Mal seit Jahren auf die Straße gegangen, und um sie ruhigzustellen, wurde von der Groko eine „Bauernmilliarde“ spendiert, von der sich jetzt sogar die Landwirte fragen: Was soll das? Statt eine echte Agrarwende einzuleiten, wird ein erwiesenermaßen falsches System weiter zementiert. Mit der Kohle sollen sich die Bauern jetzt größere Auffanggruben für die Gülle bauen, statt die Überdüngung der Felder und damit die Nitratbelastung des Grundwassers nachhaltig zu regulieren. Statt mit der ganzen EU-Kohle weiterhin nach Fläche zu subventionieren, sollten wir kleinere Betriebe und regionale Strukturen fördern, für eine gesunde Ernährung wie für den Klimaschutz.
Lesetipp: Franz Keller: „Ab in die Küche! Wie wir die Kontrolle über unsere Ernährung zurückgewinnen“, 224 Seiten mit zahlreichen Fotos, Westend Verlag, 2.3.2020