Sie stellen Anträge auf Nichtentlastung des Bayer-Vorstands und spüren Gefahren, die von dem milliardenschweren Unternehmen ausgehen, nach: Die Mitglieder des kritischen Netzwerkes „Coordination gegen BAYER-Gefahren“ (CBG) nehmen den Chemiekonzern genau unter die Lupe. Im NachDenkSeiten-Interview erzählt Marius Stelzmann, der Geschäftsführer des CBG, warum er und seine Mitstreiter sich auf BAYER fokussieren, und führt aus, dass er einen Besuch des BAYER-Vorstands in Auschwitz für dringend angebracht hält. Von Marcus Klöckner.
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Für die Bayer-Hauptversammlung am 28. April hat die „Coordination gegen BAYER-Gefahren“(CBG) einen Antrag auf Nichtentlastung des Vorstands gestellt. Warum?
Die Coordination stellt jedes Jahr Gegenanträge zur Nichtentlastung des Vorstands und des Aufsichtsrates. Unsere Gegenanträge greifen stets die anstößigsten Geschäftspraktiken des vergangenen Geschäftsjahres auf. In diesem konkreten Gegenantrag geht es um die Rolle des krebserregenden Agrargiftes Glyphosat. Bayer hat 2018 die Übernahme des US-amerikanischen Agrar-Konzerns Monsanto vollendet. Dadurch gelangte auch das Herbizid Roundup mit seinem Wirkstoff Glyphosat ins Sortiment. Dieses Mittel stand schon zu diesem Zeitpunkt massiv in der Kritik. Die Weltgesundheitsorganisation der Vereinten Nationen (WHO) hatte es bereits im März 2015 als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft. Trotzdem steht der Vorstand in Treue fest zu Glyphosat und streitet das Gefährdungspotenzial schlicht ab. Dieses verantwortungslose Handeln hat uns dazu bewogen, einen Gegenantrag einzureichen.
Gibt es weitere Gründe?
In den USA sind zehntausende Verfahren wegen der gesundheitlichen Folgen von Glyphosat anhängig. Bayer strebt in den juristischen Auseinandersetzungen nun Vergleiche an. Diese sollen allerdings an die Bedingung geknüpft sein, dass Anwälte nicht weiter dafür werben dürfen, Glyphosat-Geschädigte vor Gericht zu vertreten. Auch werden Vergleiche üblicherweise ohne Anerkennung der Schuld geschlossen. Das bedeutet, dass entscheidende Fragen der Haftung unangetastet bleiben. Bayer kann das Glyphosat zudem auch nach dem Abschluss der Vergleiche weiter vertreiben – und so weiteres Unheil anrichten. All das wollen wir mit unserem Gegenantrag deutlich machen.
Hat Ihr Antrag überhaupt Aussicht auf Erfolg?
Obgleich uns mehrere Hundert Aktionäre ihre Stimmrechte übertragen haben, kommen wir damit nicht gegen Großaktionäre wie BlackRock & Co. an. Aber es gelingt uns zumindest immer, zusätzlich noch Kleinaktionäre im Saal davon zu überzeugen, für uns zu votieren. Und im letzten Jahr kam es – natürlich aus anderen Gründen – ja tatsächlich zu einer Nicht-Entlastung des Vorstands. Man darf also gespannt sein. Zudem können wir mit unseren Gegenanträgen Öffentlichkeit herstellen und damit sogar Bayers Website in Beschlag nehmen. Der Konzern ist nämlich dazu verpflichtet, sie publik zu machen. Die Gegenanträge sind dabei aber nur ein Teil unseres breiten Spektrums an Gegenaktivitäten zur Bayer-Hauptversammlung. Wir organisieren überdies noch eine Protestkundgebung und ermöglichen es Betroffenen der Konzernpolitik und Aktivisten aus aller Welt, auf der Hauptversammlung selbst das Wort zu ergreifen und den Vorstand direkt mit ihrer Kritik zu konfrontieren.
Die CBG beobachtet das Tun von Bayer seit vielen Jahren genau. Würden Sie bitte unseren Leser kurz erklären: Wie ist die CBG entstanden? Was macht die CBG?
Die Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) existiert seit 1978. Sie ist aus einer lokalen Bürgerinitiative hervorgegangen, die sich nach zwei gravierenden Störfällen im Wuppertaler Werk gegründet hat. Ziel unserer Arbeit ist es, „Bayer-Gefahren“ rund um den Globus nachzuspüren; Missstände aufzudecken; den Betroffenen zu helfen, Widerstand zu organisieren; Verbesserungen zu erkämpfen und Alternativen zu erarbeiten; Umweltschutz, Menschenrechte und soziale Sicherheit bei BAYER durchzusetzen. Dazu kooperiert die CBG mit Konzern-Kritikern und Betroffenen in mehr als 40 Ländern. Unser größtes Aktionsfeld sind dabei die alljährlichen Hauptversammlungen des Unternehmens. Grundlage unserer Arbeit sind beharrliche Recherchen über einen langen Zeitraum hinweg. Wir bleiben auch dran, wenn der jeweils aktuelle Skandal aus den Schlagzeilen verschwunden ist, und veröffentlichen alles vierteljährlich in unserer Zeitschrift „Stichwort BAYER“(SWB). Darin berichten wir über alles, was in Sachen „Bayer“ so anfällt und über unseren Widerstand gegen den Konzern.
Wenn man sich auf Ihrer Internetseite umschaut, hat man den Eindruck, man kann Bayer gar nicht genug kritisieren.
Wie würden Sie dieses Milliardenunternehmen beschreiben?
Wie alle Großunternehmen im Kapitalismus wirtschaftet Bayer ausschließlich, um Profite zu erzielen und zu maximieren. Es geht nicht um eine Bedürfnisbefriedigung der Menschen. Bei einem Unternehmen wie Bayer aber wirkt sich das besonders fatal aus, weil der Konzern keine Allerweltswaren herstellt, sondern chemische, biologische, gentechnische und pharmazeutische Produkte. Das sind Hochrisiko-Produkte, die allzu oft mit einer potenziell ebenso gefährlichen Produktion einhergehen. Und wenn da die Sicherheitsaspekte der Rendite-Jagd geopfert werden, haben wir das, mit dem wir uns immer rumschlagen müssen: Störfälle, CO2-Emissionen en masse, Pestizid-Vergiftungen, Umweltverschmutzung, Arzneien mit mehr Neben- als Hauptwirkungen – die Liste ließe sich beliebig erweitern. Regierungen und Behörden schauen oftmals weg oder beugen sich dem Druck der Lobbyisten. Die Coordination geht in ihrer Arbeit davon aus, dass den großen multinationalen Konzernen eine entscheidende Verantwortung für die ökologischen, sozialen, ethischen und politischen Probleme auf der Welt zukommt. Wobei wir Bayer dabei als einen der Schrittmacher im Lager der chemischen Industrie und der Global Player insgesamt ansehen. Deshalb setzen wir mit unserer Arbeit bei diesem Unternehmen an. Am Beispiel Bayers wollen wir die Probleme der chemischen Großproduktion im Kapitalismus aufzeigen.
Ende des vergangenen Jahres wurde eine Verbindung zwischen Bayer und dem US-amerikanischen Verband Foreign Press Association (FPA) bekannt. Was hat sich zugetragen?
Bayer hat laut Medienberichten durch finanzielle Zuwendungen versucht, Einfluss auf die US-amerikanische „Foreign Press Association (FPA)“ zu nehmen. Der Konzern trachtete danach, diese Non-Profit-Organisation, die hauptsächlich Auslandskorrespondenten, andere Journalisten und PR-Fachleute zu ihren Mitgliedern zählt, dazu zu nutzen, das angeschlagene Image des Konzerns aufzupolieren.
Aber die Sache kam raus?
Recherchen der britischen Tageszeitung „The Guardian“ haben den Skandal aufgedeckt. Die Journalistin Carey Gilliam, die wegen ihrer kritischen Berichterstattung in der Vergangenheit bereits Zielscheibe einer Schmutz-Kampagne der nunmehrigen Bayer-Tochter Monsanto geworden war, beschrieb detailliert, auf welch umfassende Weise der Global Player den Presseverband für seine Zwecke zu instrumentalisieren beabsichtigte. Carey Gilliam ist übrigens auch einer unserer Gäste auf der diesjährigen Hauptversammlung. Sie wird dort von der Kampagne berichten, die Monsanto gegen sie initiiert hatte.
Was hat es mit diesen Einflussversuchen auf sich?
Zwei Manager der US-amerikanischen Bayer-Dependance hatten mit dem FPA-Geschäftsführer Thanos Dimadis Absprachen getroffen. In diesen wurde Bayer ein Sitz im Beirat der FPA zugesichert – natürlich gegen Geld. Zudem erkaufte sich das Unternehmen die Möglichkeit des Agenda-Settings für die Foren, die die FPA für ihre Mitglieder anbietet. Auch stand das gemeinsame Ausrichten einer Konferenz zum Thema „Fake News“ zur Debatte. Darüber hinaus plante Dimadis „Hintergrund-Briefings“ mit nationalen und internationalen Journalisten zu „Themen, die in Bayers Kommunikationsprioritäten und strategische Ziele passen“, wie er in einer Mail an den Konzern schrieb. Außerdem ließ Dimadis Bayer im September 2018 auch noch eine Liste mit über 300 Auslandskorrespondenten zur freien Auswahl zukommen: Der Konzern konnte sich daraus diejenigen Personen aussuchen, die er „an sich binden“ wollte.
In einer Pressemitteilung zur 75. Jahrestag der Auschwitz-Befreiung fordern Sie, dass „Bayer sich zu seiner historischen Schuld bekennen“ muss.
Was hat es damit auf sich?
Die historische Verantwortung Bayers im NS ist eines unserer wichtigsten Themen. Es begleitet uns bereits seit langer Zeit. Der Konzern wirkte als Gründungsmitglied und wesentlicher Teil der IG Farben an der Tötungsmaschinerie mit. Die IG unterhielt in Auschwitz ein eigenes KZ, ließ sich von der SS mit Zwangsarbeitern versorgen und führte Menschenversuche durch. Zu dem, was Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in seiner Yad-Vashem-Rede als industriellen Massenmord beschrieb, lieferte das Unternehmen den Rohstoff: Zyklon B. Bis heute entzieht sich der Bayer-Konzern konsequent seiner historischen Verantwortung und ist nicht bereit, sich bei den Zwangsarbeitern bzw. deren Nachkommen zu entschuldigen. Im vergangenen Dezember ist Kanzlerin Angela Merkel das erste Mal nach Auschwitz gereist, um den Opfern ihren Respekt zu erweisen. Es wäre an der Zeit für den Vorstand von BAYER, es ihr gleichzutun.
Wie finanziert die CBG ihre Arbeit?
Die Coordination finanziert sich über Mitgliedsbeiträge. Darüber hinaus ist sie auf Spenden angewiesen, da sie wegen ihrer konsequent konzern-kritischen Haltung keine offizielle Förderung erhält.
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