Wenn politisch Gemachtes zum Trend erklärt wird – Anmerkungen zu Eppler und Koehnen

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

In der letzten Woche erschienenen zwei in der Methodik ihrer Argumentation ähnlich gelagerte Beiträge in der Frankfurter Rundschau. Von Erhard Eppler “Markt und Staat ins Lot bringen” und von Volker Koehnen, verdi-Hessen, “Eine Gefahr für die Demokratie”. Beide Beiträge sind insofern ähnlich, als sie die neoliberale Behauptung, es habe sich in den letzten Jahren Grundlegendes geändert, übernehmen. Eppler zum Beispiel behauptet, der Nationalstaat sei reichlich hilflos; Koehnen forderte die Umgestaltung des Sozialstaats jenseits der Erwerbsarbeit. Wir setzen zu beiden Beiträgen einen Link, weil man an ihnen sehen und demonstrieren kann, wie absonderlich gedacht wird und wie sich intelligente Leute dazu hergeben, die gängigen Parolen als begründet erscheinen zu lassen. Als Anstoß hier noch Hinweise zu einzelnen Passagen der beiden Beiträgen.

Zunächst zu Erhard Eppler, ich zitiere und kommentiere:

Wozu wählt man, wenn die Regierung doch nichts machen kann? Das war doch einmal anders, als in Deutschland Plüsch und Plumm die Wirtschaft so gründlich in Schwung brachten, dass die Regierung Brandt bremsen musste. Da funktionierten die Rezepte des Mr. Keynes noch. Warum tun sie es nicht mehr?

Jetzt schreibt die Kommission in Brüssel den Finanzministern vor, was sie zu tun und zu lassen haben. Sie dürfen nicht zu viele Schulden machen. Woher sie ihre Steuern bekommen, interessiert die Kommission nicht. Dafür ist der Rat zuständig. Der kann in solchen Fragen nur einstimmig entscheiden. Also geschieht nichts. Der Wettbewerb um die niedrigsten Unternehmenssteuern ruiniert die nationalen Haushalte. Ein Kompromiss über die Finanzierung der EU scheint unerreichbar.

Kommentar:
Finden Sie in dem zweiten Absatz irgend eine stichhaltige Begründung dafür, dass die Rezepte des Nationalökonomen Keynes nicht mehr funktionieren?
Erstens hat Hans Eichel mit seinem restriktiven Kurs effektiv ja überhaupt nicht gespart, sondern noch mehr Schulden gemacht. Wer in eine Krise hinein spart, der spart nicht und baut Schulden auch nicht ab.
Zweitens stimmt es ja überhaupt nicht, dass der Rat der Europäischen Union für unsere Steuern zuständig ist. Uns hat der Wettbewerb um die niedrigsten Unternehmenssteuern weder gezwungen, die Gewerbekapitalssteuer zu streichen, noch die Vermögensteuer zu streichen, noch den Spitzensteuersatz auf 42% abzusenken, noch den Verkauf von Unternehmen von der Besteuerung des dabei gemachten Gewinns freizustellen; niemand hat uns zu dieser besonderen Einladung an die „Heuschrecken”, hierzulande steuerfrei zu fleddern, gezwungen. Auch zur permanenten Absenkung der Körperschaftsteuer waren wir nicht verpflichtet. Länder wie Dänemark und Schweden, die mit einem weit höheren Steueranteil arbeiten, zeigen, dass es auch anders geht, und dass man erfolgreich sein kann, wenn der Staat für die Steuern etwas bietet: eine gute Infrastruktur, ein gutes Bildungswesen, und auch die Überwindung einer Konjunkturschwäche zum Beispiel..

Diese Kommentierung gilt auch für die folgende Passage:

Soziologen drücken dies so aus: Die Werkzeuge, mit denen man auf Wirtschaft und Märkte einwirken kann, sind den Nationalstaaten abhanden gekommen, übrigens mehr durch die Globalisierung als durch die EU. Aber diese Europäische Union kann, so wie sie konstruiert ist, nicht übernehmen, was die Einzelstaaten verlieren. Sie ist konzipiert als gemeinsamer Markt, nicht als gemeinsamer Staat. Sie kann die Nationalstaaten nicht schützen vor Launen und Pressionen eines global agierenden Kapitals. Sie kann nicht einmal verhindern, dass dieses Kapital die europäischen Staaten gegeneinander ausspielt. So werden Regierungen zu Spielbällen derer, die investieren können – oder auch nicht. Regierungen geben dies nicht gerne zu.

Weiter dazu anzumerken ist: wenn es so wäre, wie Eppler behauptet, dann muss man erst einmal erklären, wieso andere Länder, die in gleicher Weise der Globalisierung ausgesetzt sind, besser abschneiden.

Eppler unterschlägt auch, dass wir, wenn wir zum Beispiel mit Frankreich, den Niederlanden, Belgien und Italien unsere Konjunkturförderungspolitik abstimmen würden, dann würden wir zusätzlich zu dem großen Batzen unseres Binnenmarktes noch 30% unserer Exporte durch diese Koordination positiv beeinflussen; wenn die Koordination innerhalb der früheren EU-15 erreicht würde hätten wir schon ungefähr 55% unserer Exporte mitbeeinflusst.
Auch wenn Eppler dieses Ammenmärchen von der mangelnden Handlungsfähigkeit des Nationalstaates immer und überall wiederholt, es wird dadurch nicht richtiger.

Noch ein Zitat:

Gemeinsame Steuerpolitik, etwa eine Mindeststeuer für Unternehmen, ist Sache des Rates, und der einigt sich nicht. So kam vor 35 Jahren noch jede fünfte Mark an Steuern von Unternehmen, heute nähert sich der Ertrag aus Unternehmenssteuern dem von Bagatellsteuern. So lange die EU den Finanzministern nicht hilft, zu ihren Steuern zu kommen, sperren sie sich, wenn es um die Finanzierung der Gemeinschaft geht.

Dazu gilt ähnliches wie oben. Die Verschiebungen von Unternehmenssteuern weg und hin zu den Lohnsteuern und Mehrwertsteuern ist gemacht. Das ist nicht vom Himmel gefallen. Außerdem ist ja von der deutschen Regierung nie eine offensive Debatte um die Besteuerung in Europa geführt worden. Wenn die deutsche Bundesregierung offensiv eine höhere Unternehmensbesteuerung gefordert hätte, wenn sie offensiv die Schließung der Steuerschlupflöcher in Europa gefordert hätte, dann wären wir auch weitergekommen. Es ist nie ernsthafte Versuch gemacht worden, sich gegen das Steuerdumping Irlands oder der Slowakei zu wehren.

Nun zu Volker Koehnen:

Keine Reform geht tief genug – notwendig wäre die Umgestaltung des Sozialstaats jenseits der Erwerbsarbeit“ so die Subheadline und dann behauptet er: „Die Parteien in Berlin übersehen das Ende der Erwerbsgesellschaft und propagieren stattdessen ihre Wiederbelebung…

und weiter:

Ein epochaler Umbruch
Nun bricht sich aber seit damals ein epochaler ökonomischer und sozialer Umbruch Bahn: zunehmende internationale Verflechtung der Märkte und technologisch-digitale Revolution hat die Form des Wirtschaftens von Grund auf verändert: die lebendige menschliche Arbeitskraft schwindet in nennenswertem Ausmaß. Pro Tag gehen ca. 1500 sozialversicherungspflichtige Jobs verloren, weil Unternehmen zur Erwirtschaftung hoher Profite eben immer weniger auf menschliche Arbeitskraft angewiesen sind. Diese – quasi naturwüchsige, weil in der Dynamik des Kapitalismus liegende – unaufhaltsame Jobvernichtung ist der eigentliche Kern der gegenwärtigen Krise, und nicht etwa “schlechte Wettbewerbsbedingungen der Unternehmen” oder “zu hohe Löhne”. Folge ist der Kollaps der auf Vollbeschäftigung angelegten Sozialkassen durch erodierende Beitragseinnahmen und durch expandierende Ausgaben durch Massenarbeitslosigkeit. Die eigentliche Lösung wäre der Abschied vom Modell der Vollbeschäftigung und der daraus resultierenden Sozialsysteme. Es käme jetzt auf eine Umgestaltung des Sozialstaates jenseits der Erwerbsarbeit an.

Kommentar:
Koehnens Argumentation lebt alleine von der Übertreibung und davon dass er die Folgen anderer politischer Entscheidungen zum Trend erklärt: technischen Fortschritt hatten wir in den letzten Jahrzehnten immer, auch die „technologisch-digitale Revolution“ ist qualitativ nichts Neues. Dass pro Tag 1500 sozialversicherungspflichtige Jobs verloren gehen, hat viel damit zu tun, dass politisch bedingt mit Ein-Euro-Jobs und anderen Maßnahmen zur Förderung von Niedriglöhnen sozialversicherungspflichtige Stellen ersetzt werden. Wenn ein Verdi-Funktionär aus diesen politischen Untaten einen Trend konstruiert, dann liest sich mir der Sinn zweimal nicht. Und wenn ein Gewerkschafter sich vom Ziel der Vollbeschäftigung verabschieden will, dann kann er seinen Beruf gleich aufgeben. Denn wenn es nicht gelingt, das Marktungleichgewicht auf dem Arbeitsmarkt durch eine aktive Vollbeschäftigungspolitik zu beseitigen, dann kommen Gewerkschaften und Arbeitnehmer nie mehr vom kürzeren Hebel weg. Dann werden sie weiter entmachtet, dann sind die erkämpften Rechte nicht mehr viel wert und die Löhne werden auch nicht besser.
Außerdem, auch die Behauptung vom Ende der Erwerbsgesellschaft wird ja nicht dadurch richtiger, da sie immer wieder wiederholt wird. Das ist modisches Zeug von Soziologen, Besonders klassisch formuliert im letzten Absatz des Autors Koehnen:

IV. Was ist also tun? Zunächst: Man sollte die Menschen nicht für dumm verkaufen. Sie ahnen den grundlegenden Wandel, der unsere Gesellschaft erschüttert. Und sie brauchen dringender denn je jemanden, der Ross und Reiter nennt, der eine Vision vermittelt, wo es hingehen soll, und wie die Wege dorthin aussehen. Und schließlich: die Menschen wollen bei diesem Prozess beteiligt und “mitgenommen” werden. Es ist hohe Zeit dafür, sich der Realität zu stellen und damit anzufangen, Ideen für ein nachindustrielles politisches System jenseits der Erwerbsarbeitszentrierung und der Vollbeschäftigung zu entwickeln. Das Neue entsteht nicht dadurch, dass wir versuchen, das Alte zu reparieren.

Dies kommentierend nur noch eine Frage: Wie sieht denn das neue aus? Hat Herr Koehnen einen Goldesel zuhause, dessen Dukaten uns ernähren, wenn wir nichts mehr erwerben, und der uns vor den Risiken des Lebens wenigstens finanziell absichert?