Am vergangenen Freitag kumulierte die Aggression gegen die Demonstrationen. Es begann morgens mit dem Campact-Rundbrief und endete abends mit der Heute Show und Aspekte. Am Tag der Demonstration selbst, am 16. Mai, ging die Aggression inklusive massiver Manipulationen in Medien, zum Beispiel bei der Frankfurter Rundschau. Dann am Sonntagabend bei Anne Will und am Montagabend bei ARD Corona-Extra. Wir präsentieren Ihnen einen Ausschnitt dieser Kampagne. Mit Belegen. Und wir konfrontieren das mit mehreren Berichten und mit dem Hinweis auf besondere Eigenheiten der laufenden Kampagne. Albrecht Müller.
Vorweg eine persönliche Anmerkung zum Umgang mit den jetzigen Demonstration im Vergleich zum Umgang mit den 68ern:
Da ich beides erlebt habe und erlebe, kann ich recht gut vergleichen. Ich tue das selektiv: Im März 1968 trafen sich die Sozialdemokraten in Nürnberg zu einem wichtigen Parteitag (Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze). Gleichzeitig wurde in Berlin und in Nürnberg selbst demonstriert, unter anderem gegen die Notstandsgesetze. Dem SPD-Politiker Herbert Wehner wurde beim Betreten der Parteitagshalle die Pfeife aus dem Mund geschlagen. Die Aggression gegen die Demonstranten war bei einigen der Versammelten so groß, dass sie vom Vorsitzenden Willy Brandt eine Entschuldigung für die Aggression der Demonstranten gegenüber Herbert Wehner forderten – eine Entschuldigung deshalb, weil Willy Brandts Sohn Peter in Berlin mitdemonstrierte und die Familie Brandt in Sippenhaft für den Pfeifen-Anschlag auf Herbert Wehner genommen wurde. Willy Brandt entschuldigte sich nicht, auch deshalb nicht, weil er wie eine Reihe anderer Zeitzeugen und Beobachter des Geschehens durchaus Verständnis für die aufmüpfigen jungen Leute hatte. Das galt auch für viele Journalistinnen und Journalisten.
Einige von diesen lernte ich im weiteren Verlauf des Jahres 1968 in Bonn kennen. Viele hatten eine Grundsympathie für die Studentenbewegung und ihre Demonstrationen. In den Redaktionen der damals noch linksliberalen Medien wie Stern, Spiegel, Frankfurter Rundschau, Zeit, WDR und NDR, Abendzeitung aus München und Kölner Stadtanzeiger fanden sich reihenweise Sympathisanten der demonstrierenden Studenten.
Willy Brandt sorgte übrigens dafür, dass eine größere Zahl von Demonstranten in seiner Partei aktiv wurde. Dies wiederum war ein wesentlicher Grund dafür, dass andere, zum Beispiel Wehner, Schmidt und auch die heutige Vorsitzende der Grundwertekommission der SPD, Gesine Schwan, ihn, Brandt, verachteten – bis hin zum erzwungenen Rücktritt in der Guillaume-Affäre.
Auch gegenüber späteren Demonstrationen, zum Beispiel den Friedensdemonstrationen im Bonner Hofgarten anfangs der Achtzigerjahre, war ein großer Teil der Journalistinnen und Journalisten positiv eingestellt, jedenfalls offen und unbeackert in ihrem Urteil. Typisch dafür der Hauptstadtkorrespondent der ARD und spätere Intendant des Westdeutschen Rundfunks, Friedrich Nowottny. Mit ihm, anderen Journalisten und Demonstranten trafen wir uns damals nach der Demo zum Plausch und Wein – friedlich, diskutierend, sympathisierend, jedenfalls offen. Ich war damals Leiter der Planungsabteilung im Bundeskanzleramt. Ach, wäre das schön, wenn der heutige Chef des Bundeskanzleramtes mal etwas Nettes über die Demonstrationen sagen würde.
Eine veränderte Welt, eine Welt voll übler Kampagnen. Eine Welt ohne kritischen Journalismus. Mit ganz wenigen Ausnahmen, die man mit der Lupe suchen muss.
- Das Ziel der Kampagne ist schnell zu erkennen
Die Demonstrationen sollen als die Aktionen von Spinnern, Verschwörungstheoretikern und Rechtsradikalen erscheinen. Der Vorwurf Verschwörungstheorie wird dabei so oft und so ohne Fragezeichen und deshalb ohne An- und Abführung verwandt, dass dieses Etikett als fraglose Bezeichnung vieler Menschen in die Debatten eingeht. Damit soll erreicht werden, dass normale Bürger und Bürgerinnen nicht mehr demonstrieren, dass sie die Stigmatisierung scheuen und zuhause bleiben.
Es wird nebenbei noch erreicht, dass sich die Reihen um die Bundesregierung und vor allem um die CDU/CSU-geführten Landesregierungen schließen. Insofern ist die jetzige Kampagne auch eine Vorbereitung für die nächste Bundestagswahl und für einzelne Landtagswahlen.
Dieses Ziel zu erreichen, wird auch dadurch erleichtert, dass oppositionelle Parteien wie auch kritische Medien ausfallen, sie sind in die Kampagne integriert.
- Die Kampagne dargestellt an ein paar einzelnen Beispielen vom 15. Mai bis heute
- Auf Campact hatten wir schon hingewiesen. Siehe hier: 18. Mai 2020 Campact warnt vor Demonstrationen. Dass Campact schon lange kein vertrauenswürdiges Projekt mehr ist, hat man gut versteckt
- Die Heute Show vom vergangenen Freitag startet mit einem langen Stück zum Thema, insgesamt 13 Minuten lang. Wenn Sie sehen wollen, wie man so etwas macht und wie man dieses TV-Format herunterwirtschaften kann, dann opfern Sie diese 13 Minuten.
- Unmittelbar nach der Heute Show kam Aspekte vom 15. Mai. Das Stück zum Thema dauert 6 Minuten. Auch das lohnt sich anzusehen, einfach um die Machart dieser Agitation kennen zu lernen. Hier noch der offizielle ZDF-Begleittext:
Verschwörungstheorien in Coronazeiten
Kein Zurück zur Normalität?Krisen wie der weltweite Corona-Ausbruch bringen gesellschaftliche Veränderungen mit sich. Was bedeutet dies angesichts der aktuellen Proteste? Bundesweit gehen Menschen gegen die Regierungspolitik auf die Straße – von Corona genervte Bürger, Rechtsextreme, Linksalternative, Impfgegner und andere Verschwörungstheoretiker. Was treibt sie an? Wo endet eine demokratisch sinnvolle Auseinandersetzung über die Maßnahmen und Gefahren der Pandemie und wann driftet ziviler Ungehorsam ins extremistische Spektrum? Wir sprechen darüber mit der Autorin Sophie Passmann, dem Soziologen Heinz Bude, dem Autor und Zukunftsforscher Matthias Horx und der Psychologin und Autorin Pia Lamberty.
Zunächst werden in dem Stück die Verschwörer vorgestellt, entsprechend verkürzt, und dann kommen die Aufgeklärten, eine Frau Passmann und eine Autorin mit dem Namen Lamberty und dann auch noch der unsägliche Soziologe Heinz Bude. Den kennen wir doch schon von der Vorbereitung der Agenda 2010 zu Gerhard Schröders Zeiten. Er sagt ähnlich wie der Verfassungsschutz-Präsident voraus, dass sich die Rechtsradikalen breitmachen. Das ist eine der üblichen Botschaften zur Charakterisierung der Demonstrationen.
Das sind sozusagen alles Zeugen der Anklage, die wir in vielen Medienprodukten, die sich am Kampf gegen die Demonstrationen beteiligen, erleben.
Die Sendung Aspekte brachte dann im weiteren Verlauf ein interessantes Interview mit der Autorin Jutta Allmendinger. So passiert das häufig. In den etablierten Medien gibt es eine Menge guter Stücke und diese machen miese Stücke wie die ersten 6 Minuten bei Aspekte glaubwürdiger. Einfach schade.
- Julia Weiss aus Frankfurt hat am Tag der Demonstrationen, am 16. Mai, den Frankfurter Rundschau Ticker verfolgt und besuchte eine der Demonstrationen, von der die Frankfurter Rundschau berichtet hat. Sie schreibt:
Berichte von Demonstrationen werden schamlos verfälscht
Ich habe aus dem „Live-Ticker“ in der fr-online vom Samstag, dem 16.5.20 herausgeschrieben und rot eingefärbt, was sich in dem dortigen Text auf die Kundgebung auf dem Rossmarkt, bei der ich selber war, bezieht und dem meine Wahrnehmung derselben Vorgänge in Blau gegenübergestellt.
Die Rossmarkt-Kundgebung ist eine von drei Veranstaltungen, die am Samstag, den 16.5., in Frankfurt stattgefunden haben.
Hier ist der Bericht von Julia Weiss als PDF. Er endet mit der Feststellung:
„Man fragt sich wirklich, wie Journalisten so grenzenlos benutzbar werden können.“
- Anne Will vom 17.5.2020
auch am Sonntag Abend ging es zum Thema und zur Sache. Hier das gestellte Thema, der Link und die Einführung des Senders:
Corona-Einschränkungen – waren und sind die Grundrechtseingriffe verhältnismäßig?
„Auch wenn laut ARD-DeutschlandTrend immer noch eine Mehrheit der Deutschen den Corona-Einschränkungen zustimmt, wächst die Kritik an den Maßnahmen. Zu weitreichend und unverhältnismäßig seien die Eingriffe in die Grund- und Freiheitsrechte, daran scheinen auch die derzeitigen Lockerungen nichts zu ändern. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier verteidigt eine “nachfragende Kritik”, appelliert aber zugleich, dass “Tatsachen und Fakten” hierbei nicht ignoriert werden dürften. Unter den Protest mischen sich zunehmend Personen aus dem rechtsextremen Spektrum und Anhängerinnen und Anhänger von Verschwörungsideologien. Wie verhältnismäßig waren und sind die Maßnahmen? Warum sind Verschwörungsideologien so populär? Verschärft die Corona-Politik die soziale Ungleichheit?“
Auch hier wieder die gleiche Botschaft wie in vielen Sendungen: Die Demonstrationen werden von Rechtsextremen und Verschwörungsideologen unterwandert. In der Sendung mit dem Gesundheitsexperten der SPD Karl Lauterbach, der bayrischen Verfassungsrichterin Leutheusser-Schnarrenberger, Sahra Wagenknecht, dem Medienwissenschaftler Pörksen und dem als „Investigativ-Reporter beim rbb“ vorgestellten Olaf Sundermeyer.
Obwohl als Thema gesetzt war: „Corona-Einschränkungen – waren und sind die Grundrechtseingriffe verhältnismäßig?“, war niemand in der Runde, die oder der die Verhältnismäßigkeit ernsthaft bezweifelte. Jemand, der die Schwere der Bedrohung durch das Virus bezweifelte, sowieso nicht.
Man besprach und bewertete die Demonstrationen, aber es war niemand in der Runde, der oder die eine Demonstration besucht oder dort geredet hatte. Sundermeyer könnte eine Ausnahme davon sein, aber seine Meinung erschien als deutlich festgelegt. Insofern wertlos.
Die Runde hat über die Medien im Netz geredet. Aber auch diese waren nicht vertreten. Warum scheut Frau Will die Möglichkeit, einen Vertreter zum Beispiel der NachDenkSeiten einzuladen? Um Himmels willen! Verschwörungstheoretiker auch noch in der Sendung!
Es gab auch sonst einige bemerkenswerte Besonderheiten:
Lauterbach droht mal wieder, schwadroniert mal wieder mit der 2. Welle.
Die Kamera zeigte unentwegt, auch wenn er nicht dran war, sein interessantes Gesicht und seine etwas kurz geratenen Hosenbeine. Vermutlich hat er die Regie der Kameraführung bestochen.
Olaf Sundermeyer spielte in dem Gespräch eine besonders traurige Rolle. Er war sozusagen als Experte für rechtsradikale Umtriebe in die Sendung eingebaut, erwies sich aber nicht als besonders standhaft. Er war aber erkennbar gut für die Tendenzen der Sendung. Die Lockerungen hätten zu mehr Demonstrationen geführt. Donnerwetter, darauf muss man erst mal kommen. Politische Aktivisten seien am Wirken, die versuchen, eine Protestkulisse aufzubauen. Angetrieben von Leuten, die Protest haben wollen. Viele sind organisierte Rechtsextremisten. Die Benachteiligten des Lockdown seien nicht auf der Straße – die Taxifahrer nicht, die Kellner nicht, Populisten versuchten die Demonstrationen zu nutzen. Kein geläufiges Stichwort durfte fehlen.
Dass Anne Will diesen als Gesprächspartner eingeladen hatte, ist sehr verdienstvoll. Denn an Sundermeyer konnte man sehen, welche „Qualität“ die Mitarbeiter der öffentlich-rechtlichen Medien, im konkreten Fall des RBB, haben. Wenig.
Typisch auch, dass Anne Will und der Sender als Zeugen und Experten für die Behauptung der rechtsradikalen Tendenzen bei den Demonstrationen den Chef des Verfassungsschutzes und den Präsidenten des Bundeskriminalamtes aufrufen. Das ist wirklich witzig. Die Verfassungsschützer haben wegen ihres Umgangs mit den NSU-Morden ja eine besondere Glaubwürdigkeit bei der Beurteilung von rechtsradikalen Umtrieben.
Alle fanden richtig, was die Bundesregierung tut. Zehntausende (!) verdankten den von der Bundesregierung und den Länderregierungen erlassenen Regeln ihr Leben. Wie oft bei solchen Gelegenheiten wurden Umfragen zur Bestätigung der eigenen Meinung über die insgesamt gute Politik der Regierungen zitiert.
Wichtig: Die am gleichen Abend um 20:00 Uhr in der Tagesschau zitierten Ergebnisse der Recherchen des Bayerischen Rundfunks über das Verschlafen des Virus durch die deutsche Regierung und insbesondere den Gesundheitsminister Spahn spielten in der Talkrunde keinerlei Rolle, auch nicht für die Bewertung des Wirkens der Bundesregierung. Ungetrübte Bewunderung, offensichtlich bei allen Teilnehmern.
- ARD Corona extra am Montag, den 18. Mai
Auch hier geht es um die Demonstrationen: „Tausende haben am Wochenende gegen die Corona-Maßnahmen protestiert. Wen trifft man hier – Impfgegner, Neonazis oder ganz normale Bürger?“
Hier wird wenigstens ein bisschen umfassend vom Protest berichtet. Aber auch wieder das Zitat einer Umfrage, die die Bundesregierung bestätigt und die Berufung auf den Präsidenten des Verfassungsschutzes mit dem Hinweis auf die Gefahr der Rechtsunterwanderung. Und auch hier wieder eine sogenannte Expertin, die die Demonstrationen auf ihre Weise bewertet.
- Südwestpresse von heute als weiteres Beispiel und zusätzlich der Kommentar einer Leserin, die uns den Artikel aus der Südwestpresse geschickt hat. Überall im Land wird verbreitet, Verschwörungstheoretiker seien unterwegs. Man kann davon ausgehen, dass dieses Etikett lange kleben wird:
Sehr geehrte Damen und Herren,
Ich bin erschüttert wie die Presse schreibt.
Und das ist nicht nur von einem Journalisten.
Jeden Tag lese ich Berichte und Kommentare dieser Art.
Wo ist unsere kritische Presse hin?
Ich habe schon so viele Briefe ( Leserbriefe) geschrieben.
Es kommt nichts mehr an.
Ich habe das Abo gekündigt.
Armes Deutschland.Mit freundlichen Grüßen
Beate P.
- Die wiederkehrende Besonderheiten:
- Das Auftreten von Experten
- Die Demonstranten werden in der Regel nicht in die Sendungen eingeladen
- Nutzung von Umfragen zur Verstärkung der gewollten Botschaft
- Der Chef des Bundeskriminalamtes und des Verfassungsschutzes werden als objektive Zeugen für die Bewertung der Vorgänge herangezogen.
- Neue brisante Informationen wie etwa die, dass es interne Papiere der Bundesregierung gibt, in denen beschrieben wird, dass die Bundesregierung 78 Tage lang den Anwuchs des Virus und seine Verbreitung verschlafen hat.
- Nicht berichtet oder nicht korrekt berichtet wird über die massiv störenden Gegendemonstrationen und ihre Hintermänner und -frauen/Antifa
- Als Gegenstück einfach mal eine Rede, im konkreten Fall die Rede eines Münchner Kinderarztes, der 30 Jahre praktiziert.
Da wir feststellen müssen, dass bei vielen Berichten als gegeben und bewiesen behauptet wird, die Demonstrationen seien von Verschwörungstheoretikern und Rechtsradikalen bestimmt, macht es Sinn, einfach mal diese Rede zu lesen, die auf einer der Demonstrationen vom vergangenen Samstag gehalten wurden:
Man muss nicht alles, was er auf der Demonstration in München gesagt hat, richtig finden. Eines aber kann man mit Sicherheit feststellen. Wer so redet, ist weder ein Verschwörungstheoretiker noch ein Rechtsradikaler. Das gilt für viele andere Sprecher auf den verschiedenen Demonstrationen. Es gilt für Stuttgart. Es gilt für Aachen. Es gilt für Frankfurt usw.
- Berichte aus verschiedenen Regionen:
Göttingen
Sehr verehrte Redaktion,
ich schreibe als Zeuge und Beteiligter eines Vorgangs auf dem Marktplatz in Göttingen.
Diese Schilderung halte ich für sehr wichtig, weil hier deutlich zu erkennen ist, wie der Demokratie zielstrebig massiver Schaden hinzugefügt wird:
Am heutigen Nachmittag fand eine angemeldete Demonstration statt. Diese betrachtete den derzeitigen Zustand in der Gesellschaft und die Einschränkungen kritisch.
Die Teilnehmer hielten Abstand, wenn auch, wie allgemein in den Städten zu beobachten, eine gewisse Lockerheit mit Distanzen zu sehen war.
Als ich um 15.45h den Marktplatz betrat, sprach ein Redner über die Aspekte der Globalisierung und nannte Firmen wie Monsanto und Nestlé. Er leitete dann zu Pharmaunternehmen über. Weder Ton noch Inhalt waren scharf. Leider war er schwer zu verstehen, weil gleichzeitig Musik lief.
Am Rand, außerhalb der bewilligten Zone des Marktplatzes selbst, standen Vertreter der Antifa. Diese beschallten die Veranstaltung mit Musik als Störquelle.
Darauf angesprochen nannten sie das auch als Ziel. Es waren an der Box aber Leute, die ich vom Stil sofort eher in den Bereich Burschenschaften/ Verbindungen einordnen würde, auch wenn sie da ein Eigenkonstrukt mit Antifalogo in dunklem blau (oder ähnlich) hatten. Die Haare waren bei mehreren kurz, akkurat und szeneuntypisch, ebenso wie die Kleidung und Sonnenbrillen.
Ich habe sie gefragt, ob das ihr Verständnis von Demokratie sei. Sie gingen darüber hinweg, die üblichen Schmähbegriffe wie Nazi, Verschwörungstheoretiker fielen.
Es gab keinerlei Möglichkeit sie zu erreichen, einem sagte ich, daß ich durch die laute Musik seine Argumente gar nicht verstehen kann.
Im Weggang habe ich die Tatsache bedauert, daß dieses Land von Menschen wie den Störern abhängt.
Nachdem ich das abgebrochen hatte, fragte ich eine Polizistin, ob da nichts zu machen sei, da Menschen in der Ausübung ihrer Rechte gehindert werden.
Sie sagte, daß da nichts zu machen sei. Die zwei dazukommenden Kollegen bestätigten dies. Alle verbreiteten den Eindruck, daß sie den Antifa-Auftritt für dämlich hielten.
Rollende Augen und hochgezogene Augenbrauen sind auch mit Masken klar zu erkennen, Kopfschütteln auch.
– Ein Stück weit kann ich die Zurückhaltung der Polizei insgesamt verstehen. Eine Wegnahme der Lautsprecherbox hätte am Samstagnachmittag mit vielen Innenstadtbesuchern schnell eine unbeherrschbare Lage schaffen können. So hat die Antifa hier in Göttingen eine große Basis, deren Knotenpunkt seit Jahrzehnten das sogenannte “Juzi” (Jugendzentrum Innenstadt, sowas wie die rote Flora in Hamburg) ist.
Anschließend ging ich um den Markplatz herum, um fern der Box zuzuhören. Sämtliche Beiträge waren absolut im Rahmen aller möglichen Gesetze.
Die Polizei begann derweil mit den etwa zehn VW-Bussen, die sie vor Ort hatten (es waren etwa 30 Polizisten in normaler, kurzärmliger Streifen-Uniform vor Ort), die bewilligte Fläche abzugrenzen, indem sie die Fahrzeuge dicht in einer Reihe hintereinander parkten.
Jetzt begann die Störergruppe nun selbst zu reden. Um besser zu verstehen bin ich hinter die Störer der Antifa gegangen, hinter der dann etwa 25 Personen standen, die auch wirklich nach Antifa aussahen.
Der Inhalt war eine Perlenkette von Vorwürfen, ohne daß nur ein Argument genannt wurde.
In einer kurzen Pause stieß ich einen lauten Buhruf aus, der mir die Aufmerksamkeit von etwa fünf Personen brachte.
Ich habe gefragt, ob das ihr Verständnis von Demokratie sei.
Die Antwort war, da sind Nazis zwischen. Daß sie wissen, daß das ein Blödsinn ist, war meine Antwort.
Nun sprang ein kräftiger Herr mit Kutte, Kappe und Brille herbei.
Ich solle aufhören, weil ich störe.
Dazu meinte ich: “Ach, wenn einer mit Euch das macht, was ihr mit anderen macht, dann ist das auf einmal falsch. Merkt ihr nicht, was ihr da tut?”
Dazu habe ich gesagt, daß wir die Zeit schon einmal hatten, in der auf Menschen gezeigt wurde, währen ein Schmähbegriff genannt wurde. Das ist für mich Nazi, das macht die Demokratie kaputt.
Jetzt wurde ich gebeten weiterzugehen, was ich mit Hinweis auf meine Rechte abgelehnt habe.
Zu einer Gardinen-Haarschnitt-Linken habe ich gesagt, daß sie es echt nicht merkt, wofür sie eingespannt wird. Sie konnte es nicht erfassen.
Kurz darauf ergriff eine Dame, die ihren Migrationshintergrund betonte das Mikro. (Nazis, ja?)
Es war anstrengend, in dieser Situation die hohe innere Energie sauber zu halten, weswegen ich den Standort in eine Ecke verlegt habe, in der nur drei Polizisten standen.
In der Zwischenzeit war die Wagenkette fertig geparkt, die Box ergoß sich wie in den letzten 20 Minuten mit irgendeinem Gedudel, aber hinter den VW-Bussen als Schallbarriere.
Darauf angesprochen, bestätigte mir ein Beamter, daß dies zu Trennung und Verbesserung der Demonstrationsmöglichkeit gedacht ist.
Ich habe mich bei den Beamten, die alle sehr entspannt waren, bedankt, daß sie eine so feinfühlige Idee umgesetzt haben. Nach einer ersten Irritation konnten sie die Freude annehmen, vielleicht auch, weil ich meinte, daß sie damit die Demokratie schützen.
Direkt nach dem kurzen Wortwechsel habe ich um etwa 16.30h die Demonstration verlassen.
Fazit: Es sieht nach einer neuen Strategie vor Ort aus. Da die üblichen Schmähbegriffe nicht beliebig hochdosiert werden können, muß nun zu anderen Mitteln gegriffen werden.
So etwas direkt erlebt zu haben, ist ein denkwürdiger Augenblick. Direkt erleben zu müssen, wie dünn die Decke der Zivilisation ist, schockiert.
Es ist so falsch.
Liebe Grüße
S. B.München 16.5.2020:
Meine Frau war grade dort. Die Theresienwiese war fast leer, sozusagen. Die Menschen drängten sich aussen herum in den „Wäldern“. Gute Idee von den Münchner Administrativen, so sieht man nicht, welche Massen dort anwesend waren. Die Festwiese war weiträumig abgesperrt, tausende Menschen standen in den Stichstrassen. Viele ältere Menschen. Viele zwischen 30-70. Auffällig wenige unter 30, ausser Kindern, die mit ihren Eltern gekommen sind. Wenn man nachfragte, explizit Demonstranten und keine Schaulustigen. Meine Frau konnte keine Rechtsradikalen oder Antisemiten ausmachen. Das vorletzte Bild zeigt typische anwesende Klientel. Das unterste Bild sind zivile Polizisten, die sich gerade absprechen (Knopf im Ohr, wen man zoomt).
Beste Grüsse, Florian L.