Oskar (Negt) ist eine tragische Figur
In der gestrigen ZEIT erschien ein Interview mit Oskar Negt mit der Überschrift “Lafontaine ist eine tragische Figur”.
Wir sind nicht dazu da, Oskar Lafontaine zu verteidigen. Mich interessiert die seit langem erkennbare Tendenz unter Intellektuellen, die gängigen Glaubenssätze der bürgerlichen Welt nachzuplappern. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf meinen Beitrag im „Freitag“ vom 31. Januar 2003.
An Oskar Negt wären noch einige andere Fragen zu richten beziehungsweise Anmerkungen zu machen:
Erstens: Wenn ihm die Kalkulierbarkeit so wichtig ist, warum hat er sich dann nicht zu Wort gemeldet, als 1999 mit dem Wechsel von Lafontaine zu Eichel und dann vollends mit der Agenda 2010 im Winter/Frühjahr 2003 das Wahlprogramm der SPD verlassen und auf den Kopf gestellt wurde. Die Gewerkschaften, denen sich Oskar Negt verbunden fühlt, sind um ihre Sympathie und Unterstützung für Kanzler Schröder im Wahlkampf 2002 massiv betrogen worden. Wo war damals die Stimme Oskar Negts?
Zweitens: Oskar Negt geht auch auf den von Lafontaine gebrauchten Begriff des „Fremdarbeiters“ ein und deutet es wie üblich als Anbiederung an die Rechtsradikalen. Ich habe es als Abgeordneter mehrmals erlebt, dass Bauarbeiter, die schon anfangs der neunziger Jahre unter Druck der Konkurrenz von Niedriglohn-Anbietern kamen, massiv und wenn man so will mit rechtsradikalem Gehabe, eine politische Lösung ihres Problems forderten. Das ist eine andere Welt als jene eines wohl bestallten Professors oder eines Abgeordneten oder eines Lehrers. Sie vor allem sind unter dem Druck neuer Arbeitskräfte aus den Beitrittsländern.
Drittens: Dann redet Negt von der Notwendigkeit, die „Probleme der Arbeitsgesellschaft in ihrer grundsätzlichen Dimension zu sehen“ und er meint, durch „einfache technische oder juristische Eingriffe und markttechnische Lösungen“ seien diese Probleme nicht zu lösen. Wie denn dann? Das System selbst müsse reformiert werden, so Negt. Wie denn? Kein Wort dazu. – So sind sie, unsere Pseudo-Linken. Sie träumen von einem anderen System, legen die Hände in den Schoß und nehmen deshalb die tatsächlich stattfindende Systemänderung weg von der Sozialstaatlichkeit untätig hin. – Wenn Oskar Negt seinem Freund Gerhard Schröder rechtzeitig signalisiert hätte, mit ihm sei die Agenda 2010 und Hartz I-IV nicht zu machen, dann hätte sich dies Schröder jedenfalls noch einmal etwas genauer überlegt. So hatte er ja mit Oskar Negt immer seinen Vorzeigeintellektuellen.
Dann viertens der lobende Hinweis, Ralf Dahrendorf würde heute kritische Fragen an das System stellen. Gute Nacht. Bei einem solchen Hinweis kann ich nur dazu raten, den letzten Beitrag von Ralf Dahrendorf in der Frankfurter Rundschau vom 21.6. oder seine Einleitung in der Broschüre der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft zur Vorstellung der „Vision D“ nachzulesen.
Mein Fazit: unsere so genannten Intellektuellen versagen – mit wenigen Ausnahmen – rundum. Sie sind unfähig zur kritischen Begleitung des Geschehens in unserem Land, sie regen nicht zum kritischen Denken und zum Zweifeln an. Dieses Versagen der Intellektuellen ist eines unserer großen Probleme und ein Angriff auf den Nerv unserer Demokratie.