und unendlich viele „Löcher“ bei Menschen und ihren Beziehungen; es gibt Gewalt, vermutlich auch Totschlag in vom Lockdown gebeutelten Familien; es gibt Existenznöte bei Arbeitern und Angestellten, bei Künstlern, Handwerkern, Gewerbetreibenden; es gibt Tote, weil Menschen mit anderen Krankheiten nicht mehr zum Arzt gegangen sind oder ihre Behandlung verschoben wurde. Bei Anfeindungen, die die NachDenkSeiten auch von Seiten bisheriger Sympathisanten treffen, fällt immer wieder auf, dass diese Kritiker vorwiegend die beträchtlichen Gefahren des Virus sehen und nicht die verheerenden Wirkungen des Lockdown. Alleine die Löcher im Staatshaushalt und die daraus folgenden Streichorgien werden gerade im Sozialbereich bei Geringverdienern verheerende Folgen haben. Albrecht Müller.
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Das wird auch deshalb so sein, weil die neoliberal geprägten politischen Kräfte mit der Bundeskanzlerin an der Spitze politisch gestärkt aus dieser Krise hervorgehen werden. Sie sind auch deshalb gestärkt, weil gerade auch sogenannte Linke unter jenen sind, die die Risiken und Nebenwirkungen übersehen haben und den Lockdown in jeder Form, auch in der übertriebenen Form, unterstützt und verteidigt haben. Zu glauben, dass man dann hinterher mit geschwächtem eigenen „Bizeps“ und gestärkter Macht der Regierenden für eine soziale Gestaltung des Nachher sorgen kann, ist eine Illusion.
Übrigens: Bei unserem Nachbarn Österreich wird offen darüber berichtet, welches auf Seiten der Regierenden das Motiv für den harten Lockdown und damit für den Mangel an Verhältnismäßigkeit des Regierungshandelns und die gravierenden Folgeschäden sein könnte: Leichter regieren, wenn die Bürgerinnen und Bürger in Angst versetzt sind. Davon unten mehr.
Die NachDenkSeiten haben immer wieder auf die Nebenwirkungen aufmerksam gemacht. Viele Leserinnen und Leser haben das für richtig gehalten, manche Kritiker nicht:
In diesem Text vom 26. März zum Beispiel werden die möglichen Folgen angesprochen:
Wir haben bisher versucht, verschiedene Seiten und Aspekte der Pandemie und der getroffenen politischen Entscheidungen zu beschreiben und zu kommentieren: Wir blicken voller Sorge nach Italien, nach Spanien und ins Elsass. Viele NachDenkSeiten- Leser schätzen die Information über verschiedene Seiten des Geschehens, andere reagieren anders, teilweise hart. Ein Linker aus München beklagt sich, weil wir uns zu wenig an Wodarg etc. orientieren. Ein Linker aus Berlin beklagt sich darüber, dass wir die fatale Situation in Italien zu wenig ernst und Wodarg zu ernst nähmen. Warum man in dieser Situation quasi mit dem Messer aufeinander losgehen muss, verstehe ich nicht. Die NachDenkSeiten werden weiter die großen Risiken der Pandemie beschreiben und wir werden weiter die Folgen beschreiben. Letztere sind aus meiner Sicht nicht ausreichend im Blick. Die maßgebliche veröffentlichte Meinung ist anders orientiert. Dort will man nicht gerne wahrnehmen, was einer unserer unten zitierten Autoren schreibt: „Nach der Pandemie wird die Welt noch grausamer sein“.
Hier, am 7. April, ging es ausdrücklich um das Thema Einseitigkeit und Eigenständigkeit: Über die Engstirnigkeit politischer Entscheidungen und ihre Popularität. Ein Essay aus Anlass der Entscheidungen zu Corona.
Auch hier am 29. April 2020 Corona – Was mich umtreibt, was viele umtreibt: Ein andauerndes Chaos haben die NachDenkSeiten versucht, einer differenzierteren und umfassenderen Sicht zum Durchbruch zu verhelfen.
Wenn die Regierenden ein bisschen differenzierter analysiert hätten, dann wären die Maßnahmen zur Eindämmung der Gefahren des Virus differenzierter und weniger hart ausgefallen. Und das hätte viele jetzt und noch lange eintretende Schäden vermeiden helfen.
Die getroffenen Entscheidungen waren teilweise ausgesprochen unvernünftig.
Erinnern Sie sich noch an die Entscheidung der Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern, einem Land, in dem die Verbreitung des Virus nachweisbar unterdurchschnittlich ist, den Menschen zu verbieten, zur Erholung an die Ostsee zu fahren?
Auch die Gefahren in Hotels und Gaststätten hätten viel differenzierter vermindert werden können. Die undifferenzierten Maßnahmen haben die Betreiber von Hotels und Gaststätten und die dort beschäftigten Menschen hart getroffen.
Die 800-m²-Regelung beim Einzelhandel klang gut. Es wurde der Eindruck erweckt, als würde man sich um die kleinen Gewerbetreibenden sorgen. Stattdessen sind vor allem die Beschäftigten im flächenmäßig größeren Einzelhandel getroffen worden.
Mit den Hygiene-Maßnahmen hätte man die meisten Gefahren vermindern können. Ohne Totschlag-Lockdown.
Die Bundesregierung hat die Grenzen gesperrt. Im konkreten Fall meiner Region, der Südpfalz, und ähnlich im Badischen und im Saarland, hat die deutsche Seite 50-70 Jahre Aufbauarbeit am guten Verhältnis von Franzosen und Deutschen beschädigt und brachliegende Feindseligkeiten hervorgekitzelt.
Die Südpfalz hat ca. 280.000 Einwohner. Bei 367 Personen sind Infektionen nachgewiesen worden, 331 sind wieder gesundet, 9 sind gestorben. Zurzeit gibt es noch 27 Infizierte und seit gestern keine Neuinfektion. Bei 27 infizierten Personen von 280.000 Einwohnern insgesamt ist die Grenze zum Elsass nach wie vor gesperrt bzw. kann nur kontrolliert und mit Genehmigung passiert werden. Dabei muss man wissen, dass die beiden Regionen eng verflochten sind: Viele Franzosen arbeiten in Deutschland, viele Deutsche leben im Elsass, es gibt Familien und Paare mit beiden Nationalitäten, es wird normalerweise hüben und drüben eingekauft. Das ist alles stillgelegt oder ausgesprochen kompliziert, verbunden mit langen Anfahrtswegen für die Arbeiter und Angestellten, auch deshalb, weil ein in der Mitte liegender Grenzübergang total geschlossen ist.
Wo ist die Vernunft des Beschlusses, die Grenzen dicht zu machen? Einen sachlichen Grund gibt es nicht. Der deutsche Innenminister hat trotz massiver Forderung zum Beispiel des Luxemburger Außenministers vom 9. Mai, die Grenze nach Luxemburg und nach Frankreich wieder zu öffnen, ausgesprochen schwerhörig reagiert. Nur die Grenze nach Luxemburg wurde nach einigem Zögern geöffnet. Warum besteht die Bundesregierung und der Bundesinnenminister auf dem weiteren Vollzug dieses von Anfang an unsinnigen Beschlusses? Möglicherweise jetzt deshalb, weil die Franzosen genauso unsinnig verfahren.
Die wahren Motive für die Grenzschließung liegen im Dunkeln. Sachliche Gründe sind es nicht.
Es gab am 12. Mai einen Artikel im österreichischen „Falter“, auf den RT Deutsch aufmerksam gemacht hat und sinnigerweise nicht ein etabliertes deutsches Medium. In diesem Artikel des Falter wird erläutert, dass der österreichische Bundeskanzler Kurz nicht den Ratschlägen der Experten und der Spitzenbeamten gefolgt ist, sondern ganz andere Motive für die harten Maßnahmen seiner Regierung ausschlaggebend waren: Strategie „Gehorsam durch Angst“. Siehe hier den Link und den Auszug aus dem Falter:
„Schon vor zwei Wochen sorgte ein an die Medien gelangtes geleaktes Gesprächsprotokoll aus dem Beraterstab von Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) für Schlagzeilen. Darin fand sich belegt, was politische Beobachter seit Wochen kritisieren: dass Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) bei der Implementierung der Maßnahmen auf die Strategie „Gehorsam durch Angst“ statt auf Aufklärung und Hausverstand setzte und dem Volk am Ende auch Einkommensverluste, wirtschaftlichen Schaden und Arbeitslosigkeit zumutete.
Mit den neuen, dem Falter vorliegenden Dokumenten lässt sich nun dokumentieren, wie umstritten Kurz’ Corona-Strategie innerhalb der Expertenschaft, die die Regierung berät, war. Sie decken die sicherheitspolitische Sorglosigkeit auf, die seit Jahren das nationale Krisenmanagement prägt. Sie dokumentieren die daraus folgende Hektik und Improvisation nach der Vollbremsung des öffentlichen Lebens am 16. März.
Und sie machen nachvollziehbar, wie die Regierungsspitze in diesen traumatischen, von den schrecklichen Bildern aus norditalienischen Spitälern dominierten Tagen im März die Ratschläge ihres eigenen Netzwerkes der Expertise der wissenschaftlichen Berater und Beamtenschaft vorzog.
Kanzler Kurz etwa hörte auf den israelischen Premier Benjamin Netanjahu. Erst eine Telefonkonferenz mit ihm und mehreren EU-Premiers am 9. März habe ihn „wachgerüttelt“ und den Ernst der Corona-Krise erkennen lassen. Netanjahu und sechs weitere Premiers sind es auch, mit denen Kurz sich jetzt als „Smart Movers“ in Sachen Corona inszeniert.“
Auf Deutsch heißt das:
Die harten Maßnahmen und die damit erwirkten Schäden bis hin zu den enorm hohen Steuerausfällen und den bei herrschender Lehre daraus folgenden Sparmaßnahmen gerade im sozialen Bereich sind Teil einer PR-Strategie.
In Österreich wie in Deutschland sollten die harten Maßnahmen erstens verdecken, dass die Regierung nicht einmal für die Mindestausstattung mit Masken und Atemgeräten usw. gesorgt hatte. Die harte Maßnahme überlagerte eine potentielle Debatte um dieses Versagen. Außerdem haben die Regierungen in Österreich wie in Deutschland auf Herrschaft durch Angst gesetzt. Wie wir wissen, funktioniert das.
Die Beharrung auf der Grenzschließung hat im Falle Bayerns noch die Funktion, emotional, also ohne rationale Begründung, das Argument des bayerischen Ministerpräsidenten Söder zu stützen, die besonders hohe Betroffenheit Bayerns durch das Virus läge an der Nachbarschaft zu Österreich und insbesondere zu Tirol. Damit wird vergessen gemacht, dass die bayerische Staatsregierung den Fasching wie auch Starkbierfeste und Kommunalwahlen hat weiterlaufen lassen, obwohl zu diesem Zeitpunkt die Gefahr von Corona schon bekannt war.
Das Fazit aus dem Ganzen: Der Lockdown in Deutschland (wie in anderen Ländern) ist auch deshalb so hart, undifferenziert und ohne Rücksicht auf die Nebenwirkungen verfügt worden, weil damit 1. Vorsorgeversäumnisse überlagert werden konnten und damit 2. Angst geschürt werden kann. Diese wiederum ist die Grundlage der Hinwendung zu den Regierenden. Das erleben wir tagaus tagein. Und wer dagegen aufmuckt, wird als Verschwörungstheoretiker unter Beifall aus der Gemeinschaft ausgeschlossen.
Titelbild: Handelsblatt Morning Briefing