Hinweise des Tages (heute wegen technischer Probleme leider erst am Nachmittag)

Ein Artikel von:

Hier finden Sie einen Überblick über interessante Beiträge aus anderen Medien und Veröffentlichungen. Wenn Sie auf “weiterlesen” klicken, öffnet sich das Angebot und Sie können sich aussuchen, was Sie lesen wollen. (CR/JB)

Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:

  1. Kein Wort über die Rote Armee
  2. Der Markt wird es nicht regeln
  3. Coronavirus in Schlachthöfen – Das unsichtbare Leiden der Niedriglöhner
  4. Wir retten Menschenleben mit Menschenleben, ohne darüber zu verhandeln
  5. Mitarbeiter im Bundesinnenministerium kritisiert Corona-Maßnahmen
  6. „Wer die App hat, soll zuerst wieder ins Restaurant dürfen“
  7. Studie zur Coronakrise – 2,1 Millionen Deutsche in ihrer Existenz bedroht
  8. EU-Verfahren gegen Deutschland? – Der Schaden ist längst angerichtet
  9. Zittern um Europas letzten großen Antibiotika-Betrieb in Tirol
  10. Zeichen der Anerkennung
  11. Warum Corona für Arme so gefährlich ist
  12. Demenzkranke wegen Corona isoliert und an Stuhl gefesselt
  13. Warum Corona die Ungleichheit verstärken könnte
  14. Positionspapier: „Regulatorische Kooperation“ in Handelsabkommen
  15. USA vs. China und Russland
  16. UKE-Studie: Corona-Patienten sterben häufig an Blutgerinnseln
  17. Corona-Daten unter Verschluss: RKI bremst Diskurs aus
  18. „Die SPD verspielt das Vertrauen in ihre Regierungsfähigkeit“

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Kein Wort über die Rote Armee
    Seit der Krim-Krise wird die Rolle der sowjetischen Befreier nicht mehr erwähnt. Bundespräsident Steinmeier reihte sich mit seiner Rede in diese falsche Tradition ein.
    Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat eine eindrucksvolle Rede zum 8. Mai gehalten. Sein Aufruf zur Selbstbefreiung von der Versuchung eines neuen Nationalismus und der Faszination des Autoritären richtet das Gedenken hochaktuell in die Gegenwart und Zukunft. Und doch hat diese Rede eine große, eine fast skandalöse Schwäche. Wer in Berlin an das Kriegsende vor 75 Jahren, das mit der Befreiung der deutschen Hauptstadt einherging, erinnert, kann von den Befreiern, kann von der Roten Armee nicht schweigen. Das aber tat Steinmeier und folgte damit einer seit einiger Zeit geübten Praxis, kein gutes Wort mehr über die Sowjetunion und ihren Erben Russland zu verlieren.
    Quelle: Berliner Zeitung

    Anmerkung Christian Reimann: Bitte lesen dazu auch:

    1. Wie Russland den 75. Jahrestag des Kriegsendes feiert
    2. Musik und Frieden – Linderung für Corona-Isolation und antirussische Konfrontation
    3. Mit den Gedanken noch immer im Krieg. Geschichten von Menschen aus verschiedenen Generationen … und Ländern

    Zur Begründung des Schweigens wird die „Annexion“ der Krim durch Russland genannt. Lesen Sie dazu bitte auch Kühle Ironie der Geschichte und Der Jurist und Autor Wolfgang Bittner zur „Annexion“ der Krim. Anmerkungen zu einem Dauerbrenner.

  2. Der Markt wird es nicht regeln
    Die Krise ist eine Chance, unsere Wirtschaft zum Wohle aller umzubauen. Es gilt mehr denn je, diese Welt zu retten – nicht ihre Zerstörer.
    „Bitte nicht wiederbeleben!“ Dieses Etikett sollte an der Öl-, Flug- und Autoindustrie angebracht werden. Stattdessen sollten Regierungen die Mitarbeiter dieser Unternehmen finanziell unterstützen, während sie die Ökonomie umbauen, um neue Arbeitsplätze in anderen Wirtschaftssektoren zu schaffen. Gefördert werden sollten vor allem Bereiche, die dabei helfen, das Überleben der Menschheit und der restlichen lebenden Welt zu sichern. (…)
    Die Coronakrise ist schon unsere zweite große Chance, die Dinge anders zumachen. Es könnte unsere letzte sein. Die erste Chance, im Jahr 2008, wurde spektakulär in den Sand gesetzt. Unmengen Steuergelder wurden dafür ausgegeben, die dreckige alte Wirtschaft wieder aufzubauen, und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass der Reichtum ja in den Händen der Reichen bleibt. Und auch heute scheinen viele Regierungen wild entschlossen, diesen katastrophalen Fehler zu wiederholen. (…)
    Die Bank von England hat beschlossen, die Schulden von Ölkonzernen wie BP, Shell und Total zu kaufen. Die britische Regierung hat EasyJet einen Kredit in Höhe von an die 700 Millionen Euro zu gegeben, obwohl das Unternehmen erst vor ein paar Wochen fast 200 Millionen für Dividenden verschleudert hat: Profit wird privatisiert, die Risiken dagegen der Gesellschaft aufgebürdet. In den USA beinhaltete das erste Rettungspaket rund 23 Milliarden Euro für Fluggesellschaften. Insgesamt ging es bei der Rettungsaktion darum, soviel Öl wie möglich in strategische Erdölreserven zu lenken sowie Umweltschutzgesetze vom Tisch zu fegen und gleichzeitig die erneuerbaren Energien einzufrieren. Mehrere europäische Länder, darunter auch und vor allem Deutschland, wollen ihre Airlines und Autohersteller retten.
    Quelle: George Monbiot im Freitag
  3. Coronavirus in Schlachthöfen – Das unsichtbare Leiden der Niedriglöhner
    In einer Fleischfabrik in Coesfeld wächst die Zahl der mit dem Coronavirus infizierten Arbeiter rasant. Auch in anderen deutschen Schlachthöfen häufen sich die Infektionen. Wird jetzt überall getestet?
    “Moderne Sklaverei beenden!”, hat der Pastor mit roter Farbe auf das Holzschild geschrieben. Jetzt hält er es hoch vor dem Schlachthof.
    Samstagmorgen in Coesfeld/Westfalen: Peter Kossen, 51, kurzgeschorenes graues Haar, hellblaue Mund-Nase-Maske, schwarze Soutane, steht vor dem Westfleisch-Werk: der Fleischfabrik, unter deren 1200 Beschäftigten schon mehr 200 Coronavirus-Infektionen festgestellt wurden. Neben Kossen zeigt ein Mitstreiter ein zweites Schild: “Würde und Gerechtigkeit statt Ausbeutung”.
    Kossen ist zu einer Mahnwache hergekommen. Seit Jahren setzt sich der katholische Sozialpfarrer aus dem nahe gelegenen Ort Lengerich für Arbeitsmigranten in der Fleischindustrie ein. Wie “Wegwerfmenschen” würden diese Leiharbeiter von vielen Großschlachtereien behandelt, sagt Kossen später im Gespräch mit dem SPIEGEL. “Sie werden verschlissen und beliebig ausgetauscht. Was wir jetzt hier in Coesfeld oder in Oer-Erkenschwick oder in Schleswig-Holstein erleben, ist eine Katastrophe mit Ansage.”
    Corona deckt eine dunkle Seite der Branche auf
    Kaum eine Branche ist so skandalumwittert wie die Fleischindustrie. Ob BSE, Gammel- und Pferdefleisch oder Listerien in der Wilke-Wurst – all das haben die Unternehmen ausgesessen und ihre Produkte weiter an die Verbraucher gebracht. Doch nun deckt das Virus eine zweite, dunkle Seite des Sektors auf, über die Politiker, Behörden und Konsumenten großzügig hinweg gesehen haben: die Behandlung der Arbeitsmigranten aus Rumänien oder Bulgarien.
    Ohne die geht seit der EU-Osterweiterung nichts mehr in vielen deutschen Schlachthöfen. Mehr als 600 Beschäftigte in der Fleischindustrie sind nach SPIEGEL-Recherchen bereits positiv auf das Coronavirus getestet worden. In beengten Unterkünften und beim Transport in Bullis zur Arbeit können sich die Niedriglöhner kaum schützen vor dem Virus.
    Am Freitag ist die vorerst letzte Schicht bei Westfleisch Coesfeld zu Ende gegangen. Nun steht die Schlachtfabrik erst einmal still: so hat es der Landrat des Kreises Coesfeld angeordnet. Christian Schulze Pellengahr (CDU) musste die Notbremse ziehen. Noch am Donnerstag hatte es geheißen, der Betrieb, in dem jährlich mehr als 2,5 Millionen Schweine zerlegt werden, sei “systemrelevant”.
    Quelle: SPIEGEL

    Anmerkung unseres Lesers J.A.: Das Elend der zu Niedrigstlöhnen ausgebeuteten osteuropäischen Schlachtarbeiter ist seit vielen Jahren bekannt – ohne Corona wäre es einfach unbeachtet weiter gegangen. “Unsichtbar” ist das Leiden nur, weil die Mainstreammedien fast nie darüber berichten (wollen?). Die Politik hat bis heute nichts gegen diese moderne Lohnsklaverei unternommen; im Gegenteil, die Hartz-IV-Parteien haben sie nach Kräften gefördert. Dass diese Menschen in Mehrbettzimmern und heruntergekommenen Schrottimmobilien leben (müssen), ist doch fundamental den unterirdischen Löhnen (noch unter dem viel zu niedrigen deutschen Mindestlohn) geschuldet. Hoffnung, dass die Corona-Katastrophe ein Umdenken in der Politik auslöst, sollte man nicht haben. Und wenn man lesen muss, “Ohne die [Arbeitsmigranten aus Rumänien oder Bulgarien] geht seit der EU-Osterweiterung nichts mehr in vielen deutschen Schlachthöfen.”: was für ein wirtschaftsliberaler Unsinn. Soweit ich mich erinnern kann, wurde auch vor der EU-Osterweiterung in Deutschland geschlachtet, und natürlich wäre es auch ohne Osteuropäer weiter gegangen. Die Rumänen und Bulgaren wurden nur “gebraucht” im Sinne von “benutzt”, um die Löhne gegen Null zu drücken.

    dazu: Kein Platz für Abstand und Hygiene?
    Angesichts Hunderter Corona-Fälle unter Schlachthaus-Mitarbeitern erwägen Fachpolitiker in der SPD-Bundestagsfraktion eine Verschärfung der Arbeitsschutzgesetze. “Wir haben 2017 zusätzliche gesetzliche Standards für die Fleischwirtschaft definiert – wenn das nicht reicht, müssen wir auch gesetzlich nochmal ran”, sagte die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Katja Mast. Es liege auf der Hand, “dass die Wohnverhältnisse der Beschäftigten und das Infektionsgeschehen zusammenhängen”.
    Im Jahr 2017 hatte der Bundestag das “Gesetz zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten in der Fleischwirtschaft” verabschiedet. Es sieht unter anderem vor, dass der Arbeitgeber die Zahlung von Sozialbeiträgen für die oft aus dem Ausland stammenden Mitarbeiter gewährleisten muss und ihnen Arbeitsmittel, Schutzkleidung und persönliche Schutzausrüstung zur Verfügung stellen muss.
    Quelle: tagesschau.de

    Anmerkung unseres Lesers H.M.: Also, “liebe” Politiker (…),

    mit solchen Krokodilstränen kommt Ihr nicht davon. Diese Masche funktioniert hier nicht! Alle, aber wirklich alle (!!!) haben davon gewusst oder es geahnt, wie die Menschen, die in Schlachthöfen für wenig Geld schuften, seit Jahren untergebracht werden. Und wie brutal geschlachtet wird. Nicht nur in Coesfeld, auch bei Tönnies, und auch bei Spargelstechern. Vom Bundestagsabgeordneten bis zum Kreispolitiker, und (fast alle) drücken seit Jahren die Augen fest zu – einschließlich der Hühneraugen…. Wirksame Kontrollen, meist Fehlanzeige, durch Kumpanei zwischen Politik und Wirtschaft vor Ort?

    Vielleicht hilft jetzt ein kleines Virus…oder bald gerät alles wieder in Vergessenheit!

    Auch das ist lange bekannt: Doch um das Elend vieler Tiere, die während ihres kurzen Lebens in engen, teilweise dunklen Käfigen gequält werden, kümmert sich kaum eine Sau. (…) Am wenigsten die dafür zuständige Ministerin, die lächelt solche Probleme gern weg….

    Anmerkung Christian Reimann: Bitte lesen Sie dazu auch Corona-Ausbruch: Westfleisch macht weiter und Spargelbauern und Corona: Wie viele rumänische Erntehelfer ausgebeutet werden.

    passend dazu: Revolte auf dem Spargelhof
    Wegen Corona durften viele Erntehelfer aus Rumänien und Polen nicht einreisen. Dabei wird ihre Arbeitskraft dringend gebraucht. Das wissen viele zu nutzen. (…)
    Doch dieses Jahr hat sich die Machtverteilung zugunsten der Saisonarbeiter verlagert. Sie sind ein „knappes Gut“ auf dem Arbeitsmarkt. Ihr Preis steigt. Bauern, die mehr Lohn bezahlen können, versuchen, anderen Höfen die Helfer abspenstig zu machen. Immer wieder mit Erfolg, wie das Beispiel aus Darmstadt zeigt. Zurück bleiben Frust und Misstrauen – und Spargel, der nicht geerntet wird. Eine üble Kombination im ohnehin schwierigen Erntejahr 2020.
    Quelle: Frankfurter Allgemeine

    Anmerkung unseres Lesers J.A.: Nein. Doch. Ach. Oh. Die FAZ beschwert sich (im Namen der Bäuerin, die hier die Zeilen vollweinen darf) über die Marktmacht von Arbeitnehmern, die einem höheren Lohn hinterher ziehen? Ist das denn nicht genau das Wesen des homo oeconomicus? Findet die FAZ, die angebliche Verfechterin einer möglichst freien Marktwirtschaft, Marktwirtschaft plötzlich ganz blöd, wenn die Arbeitnehmer ein kleines bißchen mehr Macht haben als sonst? Und kann es eventuell möglicherweise sein, daß die Anwerbung von immer mehr osteuropäischen Arbeitskräften für diese harte und eine hohe Qualifikation erfordernde Arbeit, wie die FAZ selber schreibt, ausschließlich dazu dient, die Löhne zu drücken? Fragen über Fragen, die alle mit “Ja” beantwortet werden müssen. Und die FAZ entblödet sich nicht, das Abwandern der Arbeitskräfte eine “Revolte” zu nennen…

  4. Wir retten Menschenleben mit Menschenleben, ohne darüber zu verhandeln
    In der Corona-Berichterstattung werden von Anfang an Meinungen mit Fakten verwechselt. Deshalb war eine demokratische Diskussion sinnvoller oder notwendiger Maßnahmen nie möglich. Kommentar
    Es gibt tatsächlich eine Corona-Lüge, die uns von Anfang an begleitet, und die von den Medien bereitwillig als Faktum genommen wurde, nicht aus Demagogie heraus, sondern schlicht mangels Recherche. Die Lüge – oder ohne unterstellten Vorsatz: die falsche Behauptung – lautet: Wir müssen alles tun, um Erkrankungen mit dem Corona-Virus zu vermeiden, und wir müssen alles tun, um Erkrankten zu helfen.
    Diese Behauptung gibt es in zig Variationen, und sie ist die Grundlage sowohl für den staatlichen Infektionsschutz als auch für die bürgerliche Empörung über jeden, der irgendwo einen kritischen Gedanken, gar nur eine Frage kundtut: Wer nicht bereit ist, dem Schutz des Lebens alles andere unterzuordnen, ist ein “Mörder”. Oder wenigstens ein gemeingefährlicher Egoist.
    Einen Höhepunkt erlebt dieses Credo gerade mit der Erregung über Boris Palmer, der es wagte, ein Nachdenken darüber anzuregen, was der Corona-Schutz weit außerhalb der Pandemie bedeuten könnte, so rein vom Überleben her.
    Diese falsche Behauptung gibt es keineswegs erst seit der “Corona-Krise”. Ob Jungpolitiker etwas Kritisches zur Gesundheitspflege im Alter sagen oder jemand fragt, welche Flüchtlingspolitik unterm Strich am humansten ist: mit der Behauptung, der Lebensschutz sei nicht nur oberste, sondern auch im Ausmaß unverhandelbare Staatsaufgabe, wird jeder Zweifel als menschenverachtend geächtet (und zwar durchaus wörtlich, wenn wir uns anschauen, mit welcher verbalen Energie die zu Menschenfeinden erklärten Menschen von Menschenfreunden bekämpft werden).
    Doch stimmt die Grundannahme überhaupt, die Behauptung, “der Staat” oder “die Gesellschaft” müssten alles tun, was irgendwie möglich ist, um Menschen vor einer Virusinfektion zu schützen?
    Quelle: Telepolis

    Anmerkung CW: Sehr lesenswert!

  5. Mitarbeiter im Bundesinnenministerium kritisiert Corona-Maßnahmen
    Ein Referent des Bundesinnenministeriums verfasst ein Papier zur Coronakrise, in dem von einem “Fehlalarm” die Rede ist und das Virus verharmlost wird. Nun wurde er von seinen Dienstpflichten entbunden.
    Das gut 80 Seiten umfassende Papier soll er nach SPIEGEL-Informationen sowohl intern wie extern an einen großen Verteiler verschickt haben. Am Wochenende landete es dann auf der rechtskonservativen Seite “Tichys Einblick” – wo der Referent als eine Art Whistleblower dargestellt wird.
    Seiner Ansicht nach handele es sich beim Umgang mit Covid-19 um einen “globalen Fehlalarm”, behauptet der Ministeriumsmitarbeiter dort. Die Gefahr des neuartigen Coronavirus sei “nicht größer als die vieler anderer Viren”. Die von den Behörden angeordneten Maßnahmen richteten mehr Schäden an als Nutzen, glaubt er. Seine Ausarbeitung gipfelt in einer steilen Behauptung: Der Staat müsse sich in der Coronakrise womöglich den Vorwurf gefallen lassen, “einer der größten Fake-News-Produzenten” gewesen zu sein. […]
    In Seehofers Ministerium ist der Unmut über das auf eigene Faust verfasste Papier groß. Dort bezeichnet man die Thesen als “private Meinungsäußerung”. Für die Zusammenstellung habe er “weder einen Auftrag noch eine Autorisierung” gehabt, sie sei auch “außerhalb der sachlichen Zuständigkeit des Verfassers” erfolgt.
    Quelle: SPIEGEL Online
  6. „Wer die App hat, soll zuerst wieder ins Restaurant dürfen“
    Axel Voss will Anreize schaffen, damit sich viele Bürger auf digitale Kontaktverfolgung einlassen. Auch Reisen will der Europaabgeordnete an die App knüpfen – und an digitale Immunitätsnachweise. (…)
    Die Briten wollen die Kontaktdaten zentral speichern, Österreicher und Deutsche dezentral. Welcher Weg ist besser?
    Mir ist die Debatte darüber viel zu ideologisch. Ich verstehe auch, dass die Bundesregierung sich für den Weg des geringsten Widerstands entschieden hat. Natürlich muss der Datenschutz gewährleistet sein, nach Ansicht des europäischen Datenschutzbeauftragten ist das aber auch bei zentralen Systemen möglich. Absolut dürfen wir den Datenschutz nicht setzen – dafür sind die Einschnitte, die die Pandemie schon jetzt mit sich bringt, einfach zu groß. Die Frage muss sein: Welche Lösung trägt am meisten dazu bei, dass wir wieder mehr persönliche Freiheiten genießen können? Das wäre eine zentrale Datenspeicherung in den Mitgliedstaaten, bei der die Behörden ganze Infektionsketten nachverfolgen können und nicht bloß einzelne Fälle. Doch diese Entscheidung wird nicht auf europäischer Ebene getroffen.Was halten Sie von einem digitalen Impfpass oder einem digitalen Immunitätsausweis?
    Das ist eine sinnvolle Lösung, um Geimpften oder Genesenen Reisen wieder zu ermöglichen. Wir brauchen auch da eine europäische Herangehensweise, damit das Vertrauen in solche Zertifikate hoch ist. Der belgische Grenzbeamte sollte auf eine Datenbank zugreifen können, um zu sehen, ob der Deutsche an der Grenze geimpft oder immun ist. Natürlich muss der Zugang eng beschränkt sein und die Daten müssen sich auf das Nötigste beschränken.
    Quelle: Frankfurter Allgemeine

    Dazu: Fri May 8 2020
    [l] Kurze Durchsage von Axel “Artikel 13” Voss:
    Gerade im grenznahen Bereich sollten App-Nutzer wieder reisen dürfen. Wer eine solche App hat, sollte auch zuerst wieder ins Restaurant, ins Kino, ins Theater und ins Freibad dürfen.
    Der muss sich halt um sein Markenzeichen kümmern. Wer sein Markenzeichen nicht verteidigt, der verliert es. Sein Markenzeichen ist die brutalstmögliche Breitband-Inkompetenz.
    Ich muss mit meiner deutschen App natürlich auch in einen Mitgliedstaat fahren können, der eine andere App hat. Die unterschiedlichen Protokolle für dezentrale und zentrale Datenspeicherung sind miteinander kompatibel, sagen die Programmierer.
    Oh, klar, Herr Voss. Die Programmierer sagen das. Natürlich, natürlich. *tätschel*
    Ich glaube ja eher, dass Ihre Handler ihnen das gesagt haben, damit sie sich nicht aufregen und am Ende unüberlegte Dinge tun wie … Interviews geben.
    Man muss da mit der CDU Verständnis haben. Die haben bestimmt erst kompetente Handler probiert. Aber welcher kompetente Mensch hält es in der Nähe von Axel Voss aus? Daher jetzt halt … die anderen Wärter.
    Inhaltlich ist das natürlich Bullshit, klar. Muss ich euch sicher nicht erklären. Eine dezentrale App hat die Daten gar nicht, die sie bräuchte, um einer zentralen App gegenüber ein sinnvolles Handshake durchführen zu können. Das ist ja gerade der Punkt bei der Dezentralität. Das ist übrigens auch bei Datenschutzt der Punkt. Die Daten gar nicht erst haben, dann können sie auch nicht wegkommen. Auch nicht wenn ein freidrehender Axel Voss es nachträglich möchte.
    Update: Falls ihr die Schmerzen nicht ausgehalten und den Scheiß nicht zuende gelesen habt, habt ihr den Teil nicht mitgekriegt, in dem er die Blockchain empfiehlt, damit man wieder in die USA und nach Australien fliegen kann.
    Quelle: Fefes Blog

  7. Studie zur Coronakrise – 2,1 Millionen Deutsche in ihrer Existenz bedroht
    Es gibt diverse Hilfsprogramme für Opfer der Coronakrise – doch viele fallen durchs Raster. Einer Umfrage zufolge sind die finanziellen Engpässe für Millionen Menschen existenzbedrohend.
    Hunderttausende Deutsche fallen in der Coronakrise offenbar durch das Raster der staatlichen Hilfen. 2,6 Prozent der Deutschen erleiden dadurch existenzbedrohende finanzielle Verluste, also rund 2,1 Millionen Bürger, wie die “Welt am Sonntag” unter Berufung auf eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Kantar im Auftrag der Postbank berichtete.
    Weitere 4,2 Prozent oder 3,5 Millionen Deutsche verzeichnen dem Bericht zufolge erhebliche finanzielle Einbußen, 14,4 Prozent leichte Kürzungen. Insgesamt müsse damit mehr als ein Fünftel der Bevölkerung mit weniger Geld auskommen als vor der Krise.
    Überdurchschnittlich häufig müssen demnach Familien sowie Menschen in der Altersgruppe zwischen 30 und 39 Jahren Einbußen verkraften. Unter den Haushalten mit drei Personen sei fast jeder Dritte betroffen (30,4 Prozent). Bei den 30- bis 39-Jährigen seien sogar 37 Prozent betroffen. Für 6,8 Prozent aus dieser Gruppe sei der finanzielle Ausfall existenzbedrohend.
    Zu denen, die von der Krise besonders hart getroffen sind, gehören Künstlerinnen und Künstler. Kanzlerin Angela Merkel hatte in ihrer wöchentlichen Videobotschaft gesagt, man wolle sie “so gut, wie es geht” durch Hilfsprogramme unterstützen, “aber auch dadurch, dass wir sagen, wie wichtig sie für uns sind”.
    Der Bundesverband Bildender Künstlerinnen und Künstler hatte zuvor kritisiert, dass die von den Corona-Auflagen besonders betroffenen Künstler von staatlicher Unterstützung nur unzureichend erreicht würden. Die Vorsitzende Dagmar Schmidt sagte der “Rheinischen Post”: “Die Soforthilfen greifen in den meisten Bundesländern nur bedingt.”
    Auch zahlreiche Filmschaffende haben sich mit einem Hilferuf an die Politik gewandt. In einem offenen Brief fordern sie, in Zeiten der Coronakrise das deutsche Kino zu unterstützen.
    Quelle: SPIEGEL
  8. EU-Verfahren gegen Deutschland? – Der Schaden ist längst angerichtet
    Mit ihrer Entscheidung zu den Anleihenkäufen der EZB haben sich die Bundesverfassungsrichter gegen das höchste EU-Gericht gestellt. Die polnische Regierung jubelt, Experten warnen vor verheerenden Folgen.
    Ein fatales Signal nennt es die SPD-Europapolitikerin Katarina Barley. Der Europarechtler Franz Mayer spricht von einer “Atombombe”, die das Bundesverfassungsgericht gezündet habe. Mit ihrem Urteil zu den milliardenschweren Staatsanleihenkäufen der Europäischen Zentralbank (EZB) haben sich die Karlsruher Richter zum ersten Mal über eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) hinweggesetzt – und damit Schockwellen in Europa ausgesendet. Bröckelt nun die Autorität des höchsten EU-Gerichts – in einer Zeit, in der die Europäische Union ohnehin zunehmend mit Nationalismus zu kämpfen hat? EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen ist alarmiert.
    Die deutschen Richter dürften das Beben vorhergesehen haben. Das Urteil könne “auf den ersten Blick irritierend wirken”, schickt Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle am 5. Mai der Verkündung voraus. Dem Senat sei bewusst, “dass Entscheidungen des EuGH nur in absoluten Ausnahmefällen die Gefolgschaft versagt bleiben darf”.
    Widersprüche waren zu befürchten
    Der Konflikt liegt in der Natur der Sache: Auf der einen Seite das mächtige Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, das über die deutschen Grundrechte wacht. Auf der anderen Seite das oberste EU-Gericht in Luxemburg, das die europäischen Verträge auslegt und damit die Union zusammenhält. Was, wenn das zu Widersprüchen führt?
    In der Tendenz hat sich Karlsruhe seit den 1970er Jahren mehr und mehr zurückgenommen. Mit zwei Ausnahmen: Die Richter behalten sich vor, einzugreifen, wenn sie den innersten Kern des Grundgesetzes verletzt sehen. Und wenn ein EU-Organ sich Kompetenzen herausnimmt, die ihm der Bundestag als Vertretung der Wähler nie übertragen hat.
    Quelle: T-Online

    Anmerkung unsers Lesers J.A.: Das Urteil des BVerfG mag aus ökonomischer Sicht schräg oder falsch sein – aus juristischer und politischer Sicht ist es eindeutig richtig (siehe z. B. auch hier). Solange die deutsche Bevölkerung das Grundgesetz mit Art. 146 GG nicht durch eine neue Verfassung ersetzt hat, hat die EU – und damit der EuGH – keine Verfassungsgewalt in Deutschland. Das BVerfG bleibt das höchste für Deutschland zuständige Gericht. Dass es bisherigen Entscheidungen des EuGH bisher immer (ggf. mit kleinen Einschränkungen) zugestimmt hat, ist seiner Konzilianz und der grundsätzlich EU-freundlichen Haltung geschuldet, hat aber keine wirkliche rechtliche Basis. Das BVerfG kann, muss aber nicht die EuGH-Entscheidungen akzeptieren. Eigentlich war klar, dass der latent schwelende Konflikt zwischen EuGH und BVerfG, welches Gericht letztzuständig sein, irgendwann aufbrechen musste. Der undemokratischen Art, in der die Staaten, auch die Bundesrepublik Deutschland, immer mehr Kompetenzen an die EU abgetreten hat, ohne für deren demokratische Rückkopplung zu sorgen, liegt im Kern des Konflikts. Und wer soll denn der Beklagte sein in einem möglichen EU-Verfahren gegen Deutschland sein? Soll die Bundesregierung im Endergebnis das BVerfG an die Kandare nehmen, obwohl das BVerfG gemäß der Gewaltenteilung *über* Bundestag und Bundesregierung steht? Dann hätten wir in Deutschland eine ganz katastrophale Verfassungskrise. All das hängt mit der undemokratischen Bildung der EU zusammen.

  9. Zittern um Europas letzten großen Antibiotika-Betrieb in Tirol
    Die Penicillin-Herstellung von Novartis in Kundl dürfte wackeln. Der Wirkstoff koste am Markt weniger als Kaugummi, sagt der Österreich-Chef des Pharmariesen (…)
    Doch so weit ist es noch nicht. Novartis-Österreich-Chef Michael Kocher will die Pläne weder bestätigen noch dementieren: “Es ist eine Tatsache, dass die kostendeckende Produktion von Penicillin extrem herausfordernd ist. Daher kaufen auch wir einige Wirkstoffe bereits aus China zu, und es ist nicht auszuschließen, dass dies in den kommenden Jahren noch weiter zunimmt.” Kocher unterstreicht den Preisdruck: “Ein Kilogramm Penicillin kostet am Weltmarkt 20 Dollar, das ist weniger als für Kaugummi.” Obwohl ein Abzug des Bereichs nicht verneint wird, hält der Manager fest, dass es “ein volles Commitment zu Tirol” gebe. (…)
    Die Ministerin soll sich bereits in Gesprächen mit Novartis befinden, um eine Schließung des wichtigen Produktionsteils in Kundl zu verhindern.
    Offiziell will das Ministerium die Aktivitäten hinter den Kulissen nicht kommentieren, doch laut STANDARD-Informationen bringt Wien einige Verbesserungen für den Schweizer Pharmariesen auf das Tapet. Dazu zählt die Einbindung der Arzneimittelherstellung in das EU-Rahmenprogramm IPCEI (Important Projects of Common European Interest), mit dem die Wettbewerbsfähigkeit wichtiger Branchen beflügelt werden soll. Batterien- und Halbleiterproduktion sind bereits Teil des Programms. Werden die IPCEI-Kriterien erfüllt, können umfangreiche staatliche Zuschüsse bewilligt werden.
    Quelle: der Standard

    Anmerkung unseres Lesers S.N.: Tja, wie schützt man wohl seine kritische Industrie in der EU vor der bösen Konkurrenz aus dem Ausland? Vielleicht mit Zöllen oder mit staatlichen Beihilfen? Anstatt Milliarden für die Abwrackprämie rauszuwerfen und damit Jojo-Effekte zu produzieren (siehe hier), sollten sich alle EU-Staaten zusammentun und das EU-Beihilferecht oder den Zollkodex reformieren, um kritischen Industriebetrieben die heimische Produktion zu ermöglichen. Die Pharmazeutika aus Asien sind ja nur deswegen so billig, weil sie auf Kosten von Umwelt und Arbeitnehmern hergestellt werden.

  10. Zeichen der Anerkennung
    Die Lufthansa möchte 10 Milliarden Euro vom Staat, aber nur als stille Einlage. Dem sonst so mitsprachefreudigen Verkehrsminister gefällt das, was aber auch nicht wirklich überrascht. Die Autobauer wollen Kaufprämien und weiterhin Dividenden und Boni zahlen. Das sei miteinander vereinbar, meint die Präsidentin des Lobbyverbandes VDA, Hildegard Müller. Der Autogipfel im Kanzleramt ist diese Woche zwar ohne eine Entscheidung vertagt worden, aber mit dem Ziel, eine Regelung bis Anfang Juni zu finden. Ein Erfolg für die Konzerne ist das daher trotzdem, da sie auf staatliche Hilfen unter dem Deckmantel eines Konjunkturprogramms weiter hoffen dürfen. (…)
    Wer soll also die Autos kaufen? 10 Millionen Kurzarbeiter in Deutschland, die mit einer Erhöhung ihrer stark reduzierten Einkommen erst nach dem vierten Monat mit Kurzarbeitergeld rechnen können? Die 30 Millionen Arbeitslosen in den USA vielleicht, die ihre Kreditkartenrechnungen nicht mehr bedienen können und Geld für einen Arztbesuch brauchen? Oder die Pflegekräfte, die durch die zahlreichen Dankesworte und einen Pflegebonus inzwischen so reich geworden sind, dass sie nur noch eine Umweltprämie benötigen, um sich endlich einen Plugin-Hybrid kaufen zu können. Mit dem können sie dann nach über 60 Wochenstunden im Dienst, die durch eine Lockerung des Arbeitszeitgesetzes ja mittlerweile ebenso locker möglich sind, in den Sonnenuntergang cruisen.
    Das klingt zynisch, ist aber durchaus eine passende Antwort auf die Unverschämtheit einer Automobilindustrie, die sich nicht zuletzt durch massenhaften Betrug an ihren Kunden einen Namen gemacht hat. Aber trotz zahlreicher Klagen und Vergleiche haben die Hersteller in den letzten fünf Jahren einen Gewinn von über 100 Milliarden Euro gemacht. Volkswagen verfügt laut Angaben des Handelsblatts über rund 25 Milliarden Euro an liquiden Mitteln, Daimler über 18 Milliarden und BMW über mindestens zwölf Milliarden. Trotzdem ist für zehntausende Beschäftigte Kurzarbeitergeld beantragt worden. Im Topf der Bundesagentur befinden sich übrigens Reserven von 26 Milliarden Euro, die aber für aktuell 10 Millionen Menschen in Kurzarbeit reichen müssen.
    Quelle: TauBlog
  11. Warum Corona für Arme so gefährlich ist
    Wer ist von der Corona-Pandemie besonders bedroht? Übergewichtige Menschen gelten als Risikogruppe. Dabei darf man nicht vergessen, was Ursache ungesunder Ernährung ist: Armut. […]
    Ein großer Risikofaktor für Übergewicht ist Armut. In ihr sehen zunehmend auch amerikanische Diskussionen über die Frage, warum in den Vereinigten Staaten unter anderem Schwarze im Fall einer Infektion mit dem neuen Coronavirus ein erhöhtes Sterberisiko haben, einen entscheidenden Faktor. Armut ist nicht nur ein ökonomischer Zustand, sie zeichnet Menschen, psychisch und physisch.
    Es ist bekannt, dass ärmere Menschen häufiger als finanziell bessergestellte (schwer) erkranken und eine geringere Lebenserwartung haben. Was die Ernährung betrifft: Wer, um seine Miete zu bezahlen und seine Familie zu ernähren, zwei Jobs erledigen muss, der hat weder die Zeit noch das Geld, um im Bio-Supermarkt einzukaufen und abends eine ausgewogene Mahlzeit zu kochen, der greift lieber, um überhaupt noch ein paar Stunden schlafen zu können, bevor die nächste Schicht anbricht, auf Fertiggerichte zurück, die von der Nahrungsmittelchemie im Auftrag der Industrie häufig mit Zucker, Salz, Fett und anderen Inhaltsstoffen versetzt werden, deren Nährwert geringer ist als ihr Effekt auf den Appetit und damit die Mengen, die der Hersteller von einem Produkt absetzen kann. Gesunde Ernährung ist immer auch eine Frage des persönlichen Spielraums, und die Größe dieses Spielraums hat nicht allein mit Geld, sondern vor allem auch mit Zeit und mit Bildung zu tun.
    Quelle: FAZ
  12. Demenzkranke wegen Corona isoliert und an Stuhl gefesselt
    Brigitte B. ist selber nicht von Sars-CoV-2 angesteckt. Doch ihr Ehemann dürfe sie nicht mehr betreuen, verordnet ein Pflegeheim. (…)
    Doch seit dem 16. März, als der Bundesrat Besuchseinschränkungen in Pflegeheimen anordnete, ist alles anders. Paul Bossert durfte seine Ehefrau im Alters- und Pflegeheim Schlossacker in Binningen BL nicht mehr besuchen und betreuen.
    Als er sie drei Wochen später, am 4. April, entgegen dem Willen des Pflegeheims, in die gemeinsame Wohnung in Basel holte, um sie während zehn Tagen bis nach Ostern zu Hause zu pflegen und zu betreuen, fand er eine Frau vor, die «mit meiner Frau nicht mehr viel Gemeinsames» hatte. Den traurigen Anblick werde er nicht so schnell vergessen (siehe sein Bild).
    Brigitte Bossert «bestand praktisch nur noch aus Haut und Knochen, war dehydriert, hatte 5 Kilo abgenommen und wog noch 49,9 Kilo». Am 25. März hatte sie bei einem Sturz ein Hämatom erlitten, am 2. April war sie um 21.45 Uhr erneut gestürzt, wurde aber erst nach ein Uhr nachts verarztet. (…)
    Paul Bossert musste feststellen, dass seine Frau Brigitte im Pflegeheim Schlossacker mehrfach an den Rollstuhl gefesselt worden war. Sie machte zuweilen einen sedierten Eindruck.
    «Ich weiss, dass diese Massnahme nur dazu dient, die Betreuung zu minimieren», berichtet Bossert aus früheren Erfahrungen mit seiner Ehefrau. Es werde zwar immer behauptet, dass das Klemmbrett, sprich der Schwedenstuhl, nur zur Sicherheit der Bewohner angewendet werde, ohne zu bedenken, dass damit das kognitive Verhalten der Bewohner gemindert werde.
    Die sogenannte «Fixierung» von Patientinnen und Patienten wird in Deutschland als strafbare Freiheitsberaubung geahndet, sofern die Fixierung nicht von einem Gericht angeordnet wird.
    In der Schweiz erlaubt das Zivilrecht «Einschränkungen der Bewegungsfreiheit» von Erwachsenen nur dann, wenn sie
    eine «ernsthafte Gefahr für das Leben oder die körperliche Integrität der betroffenen Person oder Dritter abwenden»; oder
    eine «schwerwiegende Störung des Gemeinschaftslebens beseitigen».
    Über erfolgte Fixierungen und die Gründe dafür müssen Pflegeheime ein Protokoll führen. Eine richterliche Anordnung des Freiheitsentzugs, auch eine nachträgliche, braucht es in der Schweiz nicht. Rekursinstanzen gibt es nur innerhalb der Verwaltungen, welche häufig auch Besitzerinnen der Pflegeheime sind. (…)
    Am 29. April gab Bossert seine Ehefrau Brigitte um 11.00 Uhr wieder im Pflegeheim ab, in der Hoffnung, dass die Rückkehr ins Pflegeheim «unter moderaten Verhältnissen» geschehen würde. Nach dem Aufenthalt im Spital war Brigitte Bossert wieder recht gut zu Fuss und machte in Begleitung noch einen kurzen Spaziergang.
    Doch Paul Bossers Enttäuschung war schmerzhaft, als er seine Frau drei Tage später, am Samstag, 2. Mai, in den vereinbarten Wochenendurlaub abholte: «Sie war festgebunden im Rollstuhl und nicht mehr in der Lage, selber zu gehen. Obwohl meine Ehefrau hochdement ist, verfügt sie noch über ausreichend viel Emotionen. Vor dem Einschlafen bei mir zu Hause hat sie noch stundenlang geweint!»
    Quelle: Infosperber
  13. Warum Corona die Ungleichheit verstärken könnte
    Das Coronavirus schweißt die Gesellschaft zusammen. Oder es spaltet sie. Denn während kurzfristig die Bereitschaft steigt, anderen zu helfen, könnte langfristig die Schere zwischen Arm und Reich durch die Krise weiter auseinandergehen. Zwar schützt Geld nicht vor Corona – auch Prinzen, Staatschefs, Wirtschaftsbosse stecken sich an. Doch wer vermögend ist, kommt sehr viel leichter durch diese Zeit. Er kann sich eher isolieren, sitzt im Garten statt in der beengten Zwei-Zimmer-Wohnung. Und er kann von Zuhause aus arbeiten – während gerade viele Menschen mit niedrigem Einkommen ihren Job verlieren oder in Kurzarbeit geschickt werden.
    Wie weit die Kluft in der Gesellschaft auseinandergeht, zeichnen Forscher der Universität Mannheim nach. Sie befragen jede Woche 3500 Menschen dazu, wie sich ihr Leben durch die Pandemie verändert. Ein erstes Ergebnis: Je niedriger der Schulabschluss, desto seltener können Angestellte ins Homeoffice wechseln. So haben zuletzt 40 Prozent der Deutschen mit einem hohen Schulabschluss von Zuhause aus gearbeitet, während das unter denjenigen mit einem niedrigen Abschluss gerade einmal sechs Prozent möglich war. Das lege den Schluss nahe, dass die Coronakrise die soziale Ungleichheit im Land weiter verstärkt, schreiben die Forscher.
    Folgen hat das sowohl für die Gesundheit als auch für die finanzielle Situation der Menschen. „Die Risiken der Pandemie sind ungleich verteilt“, schreiben die Wissenschaftler. „Untere Einkommensgruppen haben aufgrund ihrer Arbeit vor Ort vermutlich ein größeres Risiko sich mit dem Coronavirus anzustecken.“
    Quelle: Der Tagesspiegel
  14. Positionspapier: „Regulatorische Kooperation“ in Handelsabkommen
    Gefährdete Demokratie durch TTIP 2.0 und Co. (…)
    Regulatorische Kooperation zementiert Machtungleichgewichte, schadet der Demokratie und ist eine Gefahr für das Gemeinwohl. Lobbyist:innen dürfen kein weiteres Instrument erhalten, das die Interessen von Wirtschaft und Industrie systematisch denen von Bürger:innen, der Umwelt oder des Klimas überordnet. Deshalb fordern wir: Raus damit aus Handelsabkommen oder strenge demokratische Kontrolle von regulatorischer Kooperation.
    Wir fordern deshalb:
    Demokratische Kontrolle!
    Dort, wo regulatorische Kooperation bereits Teil von Verträgen ist, muss die Handelskommission als absolutes Minimum ihre transparente und demokratische Kontrolle gewährleisten! Es darf keine Sondergremien geben, in denen Bürokrat:innen und Industrieverbände unter Ausschluss der Öffentlichkeit darüber entscheiden, welche Schutzstandards für uns gelten dürfen. Das bedeutet: Umfassende Informationen für Bürgerinnen und Bürger und uneingeschränkte Kontrollrechte für das Parlament!
    Dominanz der Handelspolitik aufbrechen!
    Die für Verhandlungen zuständige DG Trade darf Verträge, die regulatorische Kooperation beinhalten, nicht unter Ausschluss anderer Ressorts und abgeschnitten von jeder öffentlichen Kontrolle verhandeln. Wenn Vertragsabschnitte Wirkungen über den Handel hinaus haben, wie es in der Regel der Fall ist, muss die Einbeziehung der entsprechenden Kommissionsressorts verpflichtend sein.
    Betroffene einbinden!
    Über Gremien zur regulatorischen Kooperation, wie Handelsabkommen sie aktuell festschreiben, können Lobbyist:innen frühzeitig auf Gesetze Einfluss nehmen. Diese einseitige Einflussnahme dürfen wir nicht hinnehmen. Die Kommission und die zuständigen Beamt:innen müssen alle Interessengruppen einbeziehen – und nicht nur die Lobbyverbände der mächtigsten Industrien und Konzerne. Keine weiteren Entscheidungen gemäß dem Motto: „Handel und Wirtschaft über alles“!
    Keine regulatorische Kooperation ohne Legitimation!
    Es ist absolut inakzeptabel, dass die Kommission europäische Standards unkontrolliert und ohne dafür Rechenschaft ablegen zu müssen auf dem Altar des Freihandels opfert. Neuerdings setzt sie sich dafür sogar über die Grenzen ihrer Verhandlungsmandate hinweg, wie jüngst im Fall TTIP 2.0. Wir brauchen neue Regeln für die Kommission und mehr Macht für die gewählten Abgeordneten im Parlament – für echte Demokratie in Europa!
    Hier klicken zum vollständigen Positionspapier
    Quelle: LobbyControl
  15. USA vs. China und Russland
    Das fatale Aggressionsbündnis soll erweitert werden.
    Von der Corona-Krise überlagert und in den Medien nur beiläufig erwähnt, hat sich die Rivalität zwischen den USA und China in den vergangenen Wochen unter Einbeziehung Europas erneut gefährlich zugespitzt. Nach einem Bericht des chinesischen Geheimdienstes könnte es sogar zu einer militärischen Auseinandersetzung kommen, wie der Berliner Tagesspiegel am 5. Mai 2020 berichtete. (1) Und es sieht danach aus, dass den Europäern eine gravierende Entscheidung aufgezwungen werden soll: USA oder China, das ist das erpresserische Entweder-Oder, das die Führung der USA – wer immer dahinter steht – Deutschland und Europa zumuten will.
    Dazu gab der Vorstandsvorsitzende der Axel Springer Verlagsgruppe, zu der Bild und Welt gehören, Matthias Döpfner, die Parole aus: Europa müsse die wirtschaftliche Kooperation mit China beenden und sich eindeutig gegen die Volksrepublik auf Seiten der USA positionieren. Döpfner, der Mitglied der Atlantik-Brücke und des US-Thinktanks Council on Foreign Relations ist, sagte: „Wenn die Corona-Krise überstanden ist, müssen sich die Europäer in der Bündnisfrage entscheiden: Amerika oder China? Ein Dazwischen gibt es nicht mehr.“ (2) Wirtschaftliche Verflechtungen mit China führten unweigerlich zu politischer Abhängigkeit, so Döpfner. Daraus ergebe sich, dass die Freiheit Europas und die langjährige transatlantische Partnerschaft bei einer Weiterführung der Beziehungen zu China auf dem Spiel stehe.
    Ein existenzbedrohendes Szenario mitten in der schwierigsten Krisensituation seit Ende des Zweiten Weltkriegs: Um sich wirtschaftliche und strategische Autonomie zu erhalten, müsste sich Europa jetzt endlich dazu aufraffen, den monopolaren Machtansprüchen der USA entgegenzutreten. Dazu bedürfte es jedoch einer gemeinsamen geopolitischen Linie, die derzeit nicht erkennbar ist. Die Situation ist in jeder Hinsicht bedrückend. Zu hoffen ist immer noch, dass ein Krieg, der schnell sehr groß werden würde, vermieden werden kann. Die Welt steht wirklich auf dem Kopf.
    Quelle: Wolfgang Bittner in KenFM
  16. UKE-Studie: Corona-Patienten sterben häufig an Blutgerinnseln
    Bei vielen gestorbenen Covid-19-Patienten können Thrombosen und Embolien festgestellt werden. Das ist das Ergebnis einer Studie am Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE), wie Stefan Kluge, Direktor der UKE-Intensivmedizin am Freitag in Hamburg sagte. Demnach seien bei Obduktionen von zwölf Covid-19-Patienten in sieben Fällen verstärkt Thrombosen – also Gerinnselbildungen – in den Gefäßen der unteren Extremitäten festgestellt worden. Vier Patienten seien an einer Lungenembolie gestorben, ohne dass es vor ihrem Tod entsprechende Anzeichen gegeben habe.
    Die Ergebnisse der Studie hätten sich auch bei weiteren Obduktionen wiedergefunden, sagte der Direktor des Instituts für Rechtsmedizin, Klaus Püschel. Insgesamt seien in seinem Institut bisher 190 gestorbene Covid-19-Patienten untersucht worden. (…)
    Ein weiteres Ergebnis sind häufig festgestellte Nebenerkankungen bei verstorbenen Covid-19-Patienten an Lunge und Herz oder Krankheiten wie Parkinson und Demenz. Übergewicht und Zuckerkrankheit scheinen laut Sperhake ein Risikofaktor zu sein. Insgesamt weisen die Ärzte aber darauf hin, dass weitere Folgeuntersuchungen für ein besseres Bild nötig sind.
    Quelle: NDR
  17. Corona-Daten unter Verschluss: RKI bremst Diskurs aus
    Die derzeit wichtigste Maßzahl dafür, ob Einschränkungen gelockert oder verschärft werden, sind die aktuellen Neuerkrankungen mit Covid-19. Doch zeitnahe Daten für die Bundesländer, denen die Bundeskanzlerin gerade die Verantwortung für die Kontrolle über das Virus zugesprochen hat, gibt es beim RKI nicht. (…)
    Das Institut veröffentlicht zwar täglich die von den regionalen Gesundheitsbehörden nach Berlin gemeldeten Fälle. Doch bis das RKI diese herausgibt, liegt der eigentlich Erkrankungsbeginn schon bis zu zwei Wochen oder mehr zurück. Kommt es zu einem neuen Ausbruch, wird er erst spät erkannt. (…)
    Diese Gründe sind fadenscheinig. Der Datenschutz ist mangels Personenbezug entweder überhaupt nicht betroffen oder die Daten ließen sich leicht datenschutzkonform zusammenfassen. Und Schätzungen gibt es in der Welt der amtlichen Daten zuhauf. Mit diesem Argument dürfte keine einzige Wirtschafts- oder Bevölkerungsprognose veröffentlicht werden. In Berlin sieht man sich als Hüter der Datenschätze, an deren Deutungshoheit man sich klammert. Die Behörde gibt Teile der Daten, mit denen sich die Details der Epidemie analysieren und Maßzahlen nachrechnen ließen, nicht heraus. So entzieht sie sich – und damit den Staat – zumindest teilweise der Kontrolle durch Öffentlichkeit und Medien.
    Quelle: NDR

    Dazu: Über die Heinsberg-Studie kann man auch neutral informieren (mit Nachträgen zu ähnlichen Studien und RKI-Daten als Verschlusssache)
    Wissenschaftler der Uni Bonn haben auf eigene Initiative das getan, was die für die Epidemiebekämpfung Verantwortlichen schon lange in größerem Maßstab hätten tun müssen, sich aber weigerten zu tun: Dafür werden sie jetzt Anfeindungen und Schmähungen aus dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk und anderen Medien ausgesetzt.
    Die Wissenschaftler testeten im besonders betroffenen Ort Gangelt im Kreis Heinsberg 919 Bewohner auf das Corona-Virus um hochzurechnen, wie viele Menschen in dem Ort infiziert waren und von dieser Zahl aus eine Sterberate der Infizierten zu berechnen.
    Will man einschätzen, wie gefährlich ein Virus ist, zum Beispiel, wie viele Menschen sterben würden, wenn man nichts täte, geht nichts ohne eine Schätzung der Sterberate. Bundesregierung und Robert-Koch-Institut (RKI) berechneten jedoch lediglich (viel höhere) Sterberaten in Bezug auf die positive Getesteten, ohne die hohe Dunkelziffer der nicht getesteten Infizierten zu berücksichtigen. Das ist irgend etwas zwischen Quacksalberei und Irreführung der Öffentlichkeit.
    RKI-Chef Wieler gab bis zuletzt fadenscheinige Gründe an, warum er dagegen sei, repräsentative Untersuchungen zur Ermittlung der Durchseuchung durchzuführen. Das ist schwer zu verstehen. Die feindseligen Reaktionen auf die Heinsberg-Studie legen den Verdacht nahe, dass RKI und Regierung nicht an der Veröffentlichung einer niedrigen Sterberate gelegen war, vielleicht weil man fürchtete, dass in einer korrekt informierten Bevölkerung die Bereitschaft zur Hinnahme und Beachtung der für notwendig erachteten Maßnahmen schwächer sein würde als in einer von hohen Zahlen erschreckten. (…)
    Nachträge (9. 05. 2020): Hier ein Link zu einer Übersicht von internationalen Studien zur Durchseuchung von Populationen und der sich ergebenden Todesrate. Die Ergebnisse für die Todesrate scheint sich recht gleichmäßig zwischen Werten von 0,1 und 1,0 Prozent (norditalienische Stadt) zu verteilen.
    Dass das RKI nun einen Gutteil seiner Daten wie eine Geheimsache behandelt, mit fadenscheinigen Rechtfertigungen, wie der NDR schreibt, ist auch nicht gerade eine vertrauensbildende Maßnahme.
    Quelle: Norbert Häring

  18. „Die SPD verspielt das Vertrauen in ihre Regierungsfähigkeit“
    Der SPD-Fraktionsvorsitzende Mützenich will keine US-Atomwaffen mehr in Deutschland. Das ist nicht zu Ende gedacht, meint Sigmar Gabriel. Ein Gastbeitrag. (…)
    Es gibt gute Gründe, erneut auf die Gefahren atomarer Aufrüstung hinzuweisen. Nur gehen diese Gefährdungen aktuell gerade nicht von Europa aus, sondern von der weltweiten Weiterverbreitung von Technologien zur Herstellung von Nuklearwaffen außerhalb unseres Kontinents. Der Vertrag über die Nichtweiterverbreitung von Nuklearwaffen ist zu einem Papiertiger geworden. (…)
    Die beiden alten Atommächte wollen sich von ihren vertraglichen Bindungen befreien, um bei der weltweiten Aufrüstung im Wettbewerb mit der neuen Atommacht China keinerlei Beschränkungen mehr unterworfen zu sein. Die Aufgabe Deutschlands und Europas sollte deshalb darin bestehen, dieser realen Gefahr der Weiterverbreitung von Nuklearwaffen entgegen zu treten. Natürlich durch den Versuch, die USA, China und Russland an einen Tisch zu bekommen, aber auch dadurch, dass Europa selbst zu massiven Wirtschaftssanktionen gegen die Staaten greift, die sich verbotenerweise an der Weiterverbreitung von Nuklearwaffen beteiligen.
    Quelle: Sigmar Gabriel in Der Tagesspiegel

    Anmerkung Christian Reimann: Hier spricht eindeutig der Vorsitzende der Atlantik Brücke. Die früheren Tätigkeiten (Außenminister a.D. und ehemaliger Vorsitzender der SPD) haben wohl eher die Funktion eines wohlklingenden Schmucks. Diese Accessoires sollen wohl seinen Einsatz für US-Interessen verschleiern.

Rubriken:

Hinweise des Tages

Schlagwörter:

Die NachDenkSeiten sind für eine kritische Meinungsbildung wichtig, das sagen uns sehr, sehr viele - aber sie kosten auch Geld und deshalb bitten wir Sie, liebe Leser, um Ihre Unterstützung.
Herzlichen Dank!