Venezuela – „Operation Gideon“, oder das gescheiterte „Outsourcing“ von Donald Trumps Überfallplänen

Venezuela – „Operation Gideon“, oder das gescheiterte „Outsourcing“ von Donald Trumps Überfallplänen

Venezuela – „Operation Gideon“, oder das gescheiterte „Outsourcing“ von Donald Trumps Überfallplänen

Frederico Füllgraf
Ein Artikel von Frederico Füllgraf

Kinofilmreife Szene vom Sonntag, den 3. Mai. Beim Versuch einer amphibischen Landung auf der Halbinsel Chuao im zentralvenezolanischen Bundesstaat Aragua werden zwei ehemalige Soldaten der US-Spezialeinheiten und acht desertierte, ehemalige venezolanische Polizisten und Militärs von venezolanischen Truppen und dem Geheimdienst SEBIN überrascht, die bestens über die geplante Landung informiert waren und auf der Lauer lagen. Von Frederico Füllgraf.

Die Festnahme erfolgte nach dem vergeblichen Widerstandsversuch der Söldner, die acht ihrer Männer im Feuerhagel verlieren. Die Videoaufnahmen zeigen Luke Denman (34) und Airan Barry (41), die mit vorgehaltener Waffe in der Hafenstadt La Guaira an Land gebracht und gezwungen werden, sich mit sechs weiteren Überlebenden in Handschellen bäuchlings auf den Boden zu legen.

Das gescheiterte Unternehmen war angeblich die Speerspitze eines erweiterten Einfalls auf venezolanisches Staatsgebiet mit 300 Söldnern, die seit 2019 in Kolumbien rekrutiert und ausgebildet wurden. Wie bereits im NachDenkSeiten-Artikel vom 8. April berichtet, flog Ende März ein Plan zum militärischen Überfall auf Venezuela auf. In einem explosiven Interview mit dem kolumbianischen Sender Radio W bestätigte der seit 2017 ins kolumbianische Barranquilla exilierte, ehemalige Chávez-Vertraute und Maduro-Feind General Cliver Alcalá, mit Juan Guaidó einen Vertrag (O-Ton Alcalá: „Ich habe den Vertrag hier vor mir liegen!“) in Höhe mehrerer hundert Millionen Dollar zur Aufstellung von Söldner-Kommandos und Einschleusung von Kriegswaffen nach Venezuela unterzeichnet zu haben.

Wegen der Corona-Quarantäne flog der Waffentransport jedoch zufällig auf, als ein mit Waffen beladener LKW von den kolumbianischen Gesundheits- und Sicherheitsbehörden angehalten wurde. Kurze Zeit darauf ergab sich Alcalá freiwillig den kolumbianischen Behörden, die ihn wegen der Anklage des Drogenschmuggels an die USA auslieferten. Alcalá, dessen dubiose Beziehung zur Regierung Donald Trump noch Gegenstand gründlicher journalistischer Recherchen zu werden verspricht, hatte jedoch verschiedentlich zugegeben, US-Söldner in seinem Dienst zu haben.

Unter den sechs ebenso verhafteten, schwer bewaffneten Venezolanern befanden sich Hauptmann Antonio José Sequea – seines Zeichens Deserteur, der am gescheiterten Putsch vom 30. April 2019 teilgenommen hatte und als einer der Anführer der Operation agierte – und Josnars Adolfo Baduel, ein ehemaliger Hauptmann der Nationalgarde und Sohn des ehemaligen Verteidigungsministers Raul Baduel, der 2009 wegen Korruptionsvorwürfen zu acht Jahren Haft verurteilt und später der Verschwörung zum Sturz der Regierung beschuldigt wurde.

Der Befehl: Nicolás Maduro entführen und in die USA ausfliegen

Von dem neuen militärischen Überfallversuch auf Venezuela erfuhr die Welt zunächst durch eine Fernsehansprache des potenziellen Hauptopfers des Anschlags: Präsident Nicolás Maduro. In der am vergangenen 4. Mai ausgestrahlten Sendung zeigte der Staatschef die Ausweise Luke Denmans und Airan Barrys, die angeheuert worden waren, um nach seinem Leben zu trachten. Genauer, ihn zu entführen, notfalls zu ermorden und in die USA auszufliegen, wie einer der beiden US-Amerikaner dem venezolanischen Geheimdienst bestätigte.

So lauteten die Instruktionen der ersten Umsetzungsetappe von „Unternehmen Gideon“. Der usurpierte, alttestamentarische Name sollte an die biblische Figur des Gideon („der Richter“) erinnern und so Maduros eventuelle Hinrichtung mit dem Schein der gesegneten Vergeltung heiligen. Der venezolanische Präsident versicherte, es lägen einwandfreie Beweise gegen den Oppositionsführer Juan Guaidó und seinen politischen Berater Juan José Rendón als Auftraggeber der Söldner vor, beschuldigte jedoch gleichzeitig die Administration Donald Trump und die kolumbianische Iván-Duque-Regierung.

Héctor Schamis, ein in den USA ansässiger argentinischer Lehrbeauftragter an der erzkonservativen Georgetown-Universität, Israel-Lobbyist und seit Jahren gegen den venezolanischen Bolivarismus medial aktiv, unterstellte in einem Interview mit der mexikanischen CNN-Kommentatorin Carmen Aristegui, „Operation Gideon“ habe die „Verwundbarkeit Maduros“ zur Schau gestellt.

Die Unterstellung mag eher einem Wunschdenken Schamis‘ zuzuordnen zu sein, denn das Scheitern der Operation scheint das Gegenteil anzudeuten. Nämlich die Effizienz der venezolanischen Spionage, die bei der vereitelten Söldner-Landung offenbar auch mit der Expertise der russischen Spezialeinheit „Spetsnaz GRU“ bei der Patrouillierung der Küste und der Suche nach weiteren Söldnern rechnen konnte, die Kolumbien mit mehreren Schnellbooten verließen.

Hinzu kommt eine weitere Pointe. Die venezolanische Journalistin Camila Valdés León erinnerte auf Twitter daran, dass Duque sich am 2. März im Weißen Haus mit Donald Trump getroffen hatte, und zitierte die Behauptung Präsident Maduros, das Thema des Treffens sei die Planung des Anschlags auf Venezuela gewesen. Maduro regte an, der US-Kongress solle die Verschlusssachen zu den Gesprächen zwischen Duque und Trump verlangen. Der Unterton dieser Aufforderung stimmt allerdings jeden aufmerksamen Beobachter hellhörig: Sollte etwa die venezolanische Regierung im Besitz einer geheimen Tonaufzeichnung dieses Gesprächs sein?

US-Regierung bestreitet Beteiligung, aber war der Einsatzleiter ein Bodyguard Donald Trumps?

Militärischer Ausbilder der Söldner ist der US-amerikanische Militärveteran Jordan Goudreau, Besitzer der in Florida ansässigen Sicherheits- und Söldnerrekrutierungsfirma Silvercorp. Goudreau scheute sich nicht, als Organisator der Invasion aufzutreten und bestätigte die Teilnahme Barrys und Denmans. „Sie arbeiten mit mir. Das sind meine Leute“, erklärte das mit mehreren Verdienstmedaillen ausgezeichnete, ehemalige Mitglied der Special Forces im US-amerikanischen Krieg gegen Afghanistan und den Irak in Gesprächen mit US-amerikanischen Medien.

Das US-Außenministerium Mike Pompeos äußerte sich nicht sofort zu den Festnahmen, bestritt jedoch nachdrücklich jegliche Beteiligung der US-Regierung an dem Überfall. Die Deutsche Welle beeilte sich mit der Versicherung, „USA: Keine Beteiligung an Invasion in Venezuela“, hielt es jedoch nicht für notwendig, der Frage nachzugehen, wieso einer der beiden US-Söldner im Besitz eines im deutschen Schweinfurt ausgestellten Führerscheins war. Genauer: Was trieben die US-Söldner in Deutschland?

Goudreau brüstete sich wiederum damit, hochrangige Regierungskontakte zu pflegen und 2018 zum Sicherheitspersonal Präsident Trumps während einer seiner politischen Kundgebungen in North Carolina gehört zu haben. Als Bestätigung postete Silvercorp auf Instagram Fotos, die während der politischen Kundgebung Trumps am 26. Oktober 2018 in Charlotte, North Carolina, hinter den Kulissen aufgenommen worden zu sein scheinen. „Schutz unserer besten Vermögenswerte“, heißt es im Titel, worunter ein Sicherheitsagent erkennbar ist, der Goudreau ähnlich sieht.

In einem Werbevideo auf der Silvercorp-Website ist Goudreau bei der gleichen Trump-Rallye in North Carolina mit einem drahtlosen Headset bei der Abschirmung Trumps zu sehen, der an einem Podium vor einer großen Menschenmenge spricht. Andere Silvercorp-Bilder zeigen Goudreau in Houston mit Trump-Anhängern sowie beim Gang in Richtung eines Privatjets, der angeblich zu Trumps Bodyguards gehört, usw. Nachdem die Bilder breite Verbreitung in den Medien fanden, wurden sie jedoch auf Instagram gelöscht.

„Der Secret Service setzt keine vertraglich vereinbarten Sicherheitsorganisationen oder Mitarbeiter ein, um Schutzmaßnahmen durchzuführen … Diese Person ist kein Angestellter oder Auftragnehmer des Geheimdienstes“, erklärte ein Geheimdienstler gegenüber dem privaten US-TV-Sender Univision, fügte jedoch hinzu, es sei bei Veranstaltern üblich, dass der Präsident Unternehmen und Einzelpersonen anstellt, um den Zugang der Öffentlichkeit zum Ort zu erleichtern.

Kontroverse: Pentagon und CIA aus Überfall zurückgezogen?

Ein Tweet des ehemaligen Rangers und Special-Forces-Veterans Jack Murphy deutet allerdings eine überstürzte „Spontanität“ Goudreaus und der venezolanischen Deserteure an, die Pentagon, CIA und selbst Juan Guaidós Umfeld offenbar für zu gewagt empfanden. Murphy kommentierte: „Veteranen der 10. Special Forces Group wurden verhaftet, weil sie angeblich am Putschversuch in Venezuela teilgenommen hatten. Luke Denman (ODA 0136) und Airan Barry benötigten 8 finstere Tage für die Überquerung der Grenze. Das Schlimmste dabei: Die CIA bekam Wind davon und versuchte, sie in Jamaika davon abzubringen. Keine USG-geduldete Operation“.

In dem zitierten Bericht der Washington Post heißt es, dass sich Vertreter Juan Guaidós unter Führung seines politischen Strategen J. J. Rendón im September 2019 in einem schillernden Wolkenkratzer in Miami mit Jordan Goudreau trafen, um Terrain und mögliche Optionen zu erkunden, die die Ausschaltung Nicolás Maduros zum Ziel hatten. Bei diesem Treffen habe Goudreau versichert, 800 Männer zur geheimen Infiltrierung von Kolumbien nach Venezuela bereitstellen zu können. Im Oktober schien der Plan vertragsreif, doch die Gesamtfinanzierung von 212 Millionen US-Dollar wurde an bestimmte Bedingungen geknüpft. J. J. Rendón gibt zu, einen Vorvertrag unterschrieben und 50.000 US-Dollar an Jordan Goudreau gezahlt zu haben, den er als Pilotversuch bezeichnete, der jedoch nie genehmigt worden sei.

In der Version J. J. Rendóns begann Goudreau, „unberechenbar“ zu handeln: Er legte keine Beweise für die finanzielle Unterstützung vor, die er für die Durchführung der Operation geltend gemacht hatte, und forderte die sofortige Zahlung eines Vorschusses von 1,5 Millionen Dollar. Es gab auch keine Beweise für die 800 Mann. Um die Operation nicht zu verzögern, überwies ihm Rendón trotzdem 50.000 US-Dollar. Die Beziehung zwischen beiden Männern verschlechterte sich zusehends.

Dass die Trump-Regierung nichts mit dem Überfall zu tun hatte, ist eine Chimäre, der Goudreau bereits vor Monaten energisch widersprach. „Washington ist sich seiner direkten Teilnahme an dem Projekt voll bewusst und ich möchte nicht, dass (die Regierung) das Vertrauen verliert“, warnte der Söldner-Kontrakteur in einer SMS vom 10. Oktober 2019 an Rendón. Anfang November kam es dann bei einem neuen Treffen in Rendóns Wohnung in Miami zu einer heftigen Diskussion. Der exilierte Venezolaner erklärte, er sei zusammen mit anderen Oppositionsmitgliedern der Ansicht, dass die Operation „gestorben“ sei. Doch sie lebte weiter bis zum Sonntagmorgen, den 3. Mai, als bekannt wurde, dass die Regierung Maduro die Invasion vereitelt hatte. Stunden später erschien Goudreau in einem Video mit einem pensionierten Offizier der bolivarischen Nationalgarde. Sie schrieben sich einen anderen Überfall in der Stadt Macuto im Bundesstaat Vargas zu und kündigten den Beginn einer breiten Operation „zur Befreiung Venezuelas“ an.

Was Goudreau offenbar nicht wahrhaben wollte, CIA und Pentagon jedoch vermuteten und deshalb den Plan inoffiziell zurückpfiffen, ist, dass „Unternehmen Gideon“ längst von Nicolás Maduros Agenten in Kolumbien unterwandert war. Daniel Blanco, ein von der erzkonservativen PanAm Post interviewter Sicherheitsexperte warnte, „Operation Gideon“ sei eine unwiderlegbare Tatsache, obwohl viele politische Akteure (in Washington) sie zu leugnen versuchten.

Blanco berichtete, dass die Söldnergruppe vor der Landung „fast die gesamte taktische Ausrüstung” verloren hatte und zwei weitere Kommandos aufgegeben hatten. Als Begründung nannte der Journalist schlechte Planung sowie schlechte Ausbildung und er kritisierte Goudreaus absurde mediale Auftritte mit der Freigabe militärischer Geheimnisse, darunter die Anzahl der Soldaten und ihrer Einsatzorte. Die gesamte Operation sei „von Kopf bis Fuß” infiltriert gewesen und erinnert an die Kollision eines venezolanischen Patrouillenboots mit einem Hamburger Kreuzfahrtschiff auf „Reinigungsfahrt“ im vergangenen April, auf dem die venezolanischen Behörden US-amerikanische Söldner vermuteten.

Die Bestätigung der Unterwanderung lieferte Präsident Nicolás Maduro vor laufenden Kameras. „Wir wussten alles: worüber sie sprachen, was sie aßen, was sie nicht aßen, was sie tranken, was sie nicht tranken, wer sie finanzierte”.

„Operation Gideon“ wird in Anlehnung an die Schweinebucht-Invasion auf Kuba bereits als die venezolanische „Schweinchen-Bucht“-Affäre bezeichnet. Der von der CIA mit rund 1.300 nach der Revolution von 1959 aus Kuba geflohenen Söldnern gesteuerte militärische Angriff hatte den Sturz Fidel Castros zum Ziel und wurde am 17. April 1961 in der Bahia de Cochinos (Schweinebucht) von vorbereiteten kubanischen Einheiten niedergeschlagen.

Titelbild: StringerAL / Shutterstock

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