Skeptiker werden als „rechts“ tituliert, bereits das kritische Nachfragen wird als „Spinnerei“ abgetan: Ein alter Kampfbegriff erfährt aktuell ein massives Comeback in zahlreichen Artikeln. Alternative Theorien entstehen aber vor allem dann, wenn die offiziellen Erklärungen unbefriedigend und widersprüchlich sind – also etwa bei den Themen Corona und Lockdown. Von Tobias Riegel.
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Der Kampfbegriff „Verschwörungstheoretiker“ ist alt und er erscheint eigentlich höchst abgenutzt. Doch das ist ein Irrtum. Wie ein Untoter kehrt der Begriff zuverlässig wieder und entfaltet nach wie vor seine destruktive Wirkung: vor allem, um offizielle Narrative zu verteidigen, die in Bedrängnis geraten sind. Diese Haltbarkeit eines lange und mehrfach enttarnten Kampfbegriffes ist skurril, aber man muss mit diesem Phänomen umgehen. Ganz aktuell zum Beispiel rollt eine ganze Welle an fragwürdigen Artikeln über das Publikum – vereint durch den Willen, Kritik am Corona-Lockdown oder Zweifel an der Gefährlichkeit des Virus als „rechte“ Spinnerei abzutun.
Die Phrasen des DLF: „Einfache Erklärungen in einer komplexen Welt“
Verschwörungstheorie – der Kampfbegriff möchte nicht aufklären oder vor Fake News schützen, wie seine Benutzer und Benutzerinnen suggerieren: Er will statt dessen Andersdenkende abservieren, ohne sich erst mühsam mit deren – teils komplexen – Argumenten auseinandersetzen zu müssen. Mit der Ablehnung des Kampfbegriffs stützt man (etwa in der Debatte um das reale Gefahrenpotenzial des Virus) noch kein konkretes Narrativ – man fordert aber ein Ende der billigen und vorauseilenden Diffamierung unbequemer Narrative und dadurch die Öffnung der Diskussion. Mit der Forderung, Debatten nicht von vornherein mit polemischen Begriffen abzuwürgen, verteidigt man auch nicht automatisch eventuell tatsächlich politisch rechts agierende Diskussionsteilnehmer. Wichtig ist auch die Feststellung, dass alternative Theorien vor allem dann entstehen, wenn die offiziellen Erklärungen unbefriedigend und widersprüchlich sind – also so, wie es aktuell bei den Themen Corona und Lockdown zu beobachten ist.
Aktuelle Beispiele für den fragwürdigen Einsatz des Kampfbegriffs „Verschwörungstheorie“ gibt es zuhauf. Das jüngste Exempel lieferte wohl am Mittwochmorgen ein Interview im Deutschlandfunk (DLF). Laut den kritiklos hingenommenen Aussagen der Interviewpartnerin – der Historikerin Hedwig Richter – basiert die fehlende Ablehnung von „Verschwörungstheorien“ auf „Unsicherheit“: Besonders anfällig für Verschwörungstheorien seien demnach Menschen, die schlecht mit Unsicherheit und Ambivalenz umgehen können. Und sie basiert auf dem Geschlecht: „Es betrifft auch eher Männer als Frauen. Ich denke, dass das sehr viel mit der Krise der Männlichkeit zu tun hat (…).“ Für Männer sei es viel schwerer zu akzeptieren, dass sie gewisse Dinge nicht verstehen können. Aha.
Ferner lebe „die Demokratie“ zwar auch von kritischen Geistern – aber eben auch „davon, dass man einen gewissen Konsens braucht und ein Grundvertrauen in das System“. Und dann folgt die grundfalsche Aussage, die in keinem Beitrag großer Medien zum Thema fehlen darf: Die „Verschwörungstheorie“ als angeblich einfache Erklärung in einer komplexen Welt: Eine wichtige Funktion von Verschwörungstheorien sei, dass man Komplexität und auch Kontingenz reduziere, so Richter im DLF:
„Die Welt erscheint unwahrscheinlich kompliziert, und man hat sowieso schon eigene Erklärungsmuster, wie zum Beispiel ‚der Jude ist an allem schuld oder der Kapitalismus‘ – und dann werden die komplizierten Dinge, die passieren, in dieses Erklärungsmuster eingeordnet.“
Eine aktuelle Welle an Warnungen vor „Verschwörungstheorien“
Dieser Beitrag ist nur die Spitze eines Eisbergs. So hat der DLF in jüngster Vergangenheit noch weitere Beiträge zum Thema gebracht, etwa „Der Boom der Corona-Verschwörungstheorien“ oder auf DLF Nova den Artikel „Verschwörungs-Mythen und Coronavirus: Weltherrschaft und versklavte Kinder“. Unter den Privatmedien tut sich etwa die „Frankfurter Rundschau“ hervor, die zum Thema die Artikel „Verschwörungstheorien zur Corona-Krise – Gegen ‚Zwangsimpfung‘ vor der Paulskirche“ oder „Reptiloiden oder 5G: Verschwörungstheorien zu Corona sind so gruselig wie ein Horrorfilm“ brachte. Dem will der „Stern” nicht nachstehen und schreibt : „Verschwörungstheorien und Corona oder: die große Koalition der Spinner“. Und die „Bild“ fragt: „Corona-Verschwörungstheorien: Warum es über Bill Gates so viele Fake News gibt“ . In den öffentlich-rechtlichen Sendern beschwörte die ARD bereits vor einiger Zeit „Verschwörungstheorien: Böse Mächte und trojanische Pferde“ . Und das ZDF fragte einst: “Infodemie” rund ums Coronavirus – Ist das noch Fake oder schon Verschwörung?“.
Eine wichtige Rolle bei der Diffamierung von berechtigter Nachfrage als Spinnerei spielen die „Experten“, die teils als Kronzeugen für diese Deutungen fungieren. Im besprochenen DLF-Interview nimmt diese Rolle die Historikerin Hedwig Richter ein. In diesem Artikel in der „Zeit“ warnt dagegen Michael Butter vor Theorien, „verpackt als seriöse Wissenschaft, verbreitet von Skeptikern“. Der „Tagesspiegel“ wiederum nutzte als Zeugin gegen die „Corona-Verschwörungstheorien“ die Sozialpsychologin Pia Lamberty. Manche dieser „Experten“ für Verschwörungen werden regelrecht herumgereicht. Auch scheint es, als hätten viele Journalisten und Experten das gleiche Seminar besucht: So sehr ähneln sich die Strategien der Diffamierung bis hin zu wiederkehrenden, fast wortgleichen Satzbausteinen – etwa jenem von der „einfachen Erklärung für eine komplexe Welt“.
Die Strategien: Einordnung als „rechts“ und die Verknüpfung mit Spinnern
Als zentrale Strategien sind vor allem auszumachen: Die pauschale Einordnung als „rechts“ und die Verknüpfung von mutmaßlich realen Vorgängen mit kompletten Spinnereien – in der Hoffnung, dass etwa der unseriöse Ruf von Mondlandungs-Skeptikern auf vernünftige kritische Nachfragen zu den sozialen Folgen des Lockdowns abfärbt. Letzteres exerziert das ZDF in dem aktuellen Beitrag „Die sieben größten Verschwörungstheorien der Geschichte“. Darin werden Vorgänge, die mindestens kritische Nachfragen rechtfertigen (wie 9/11 oder Pearl Harbour), auf eine Stufe gestellt mit der „Chemtrail-Theorie“ oder der Theorie von einem eigentlich noch gar nicht verstorbenen Elvis Presley. Die NachDenkSeiten haben in dem Artikel „Verschwörungstheorien: Die ewige Leier von den ‚einfachen Antworten‘ in einer ‚komplexen Welt‘“ festgestellt:
„Vieles wird bereits als Theorie gebranntmarkt, obwohl es sich tatsächlich um Fragen handelt. Wahlweise wird auch behauptet, es würden Fragen gestellt, zu Dingen, die „längst aufgeklärt seien“. Auch in diesem Text sollen keine Theorien verbreitet werden. Es soll aber das Recht (vielleicht sogar die journalistische Pflicht) verteidigt werden, offene Fragen zu offiziellen Darstellungen auch beharrlich zu stellen. (…) Mit diesen Fragen fordert man keine bestimmten oder gar vorformulierten Antworten, sondern eine angemessene Untersuchung. Das Ergebnis dieser Untersuchung kann auch zum „Nachteil“ der Fragesteller ausfallen. Das wäre dann zu akzeptieren. Inakzeptabel ist aber die Verweigerung von Untersuchungen mit dem Verweis, die Fragestellungen seien „verrückt“ oder „rechtsradikal“.“
Die in zahllosen Beiträgen geäußerte Floskel von der Verschwörungstheorie als „einfache Erklärung in einer komplexen Welt“ folge der anmaßenden Darstellung, dass diese komplexe Welt nur von etablierten Journalisten durchschaut werden kann – diese würden das jedoch allzu oft tun, indem sie sich offizielle Deutungen zu eigen machten und sie von berechtigten Zweifeln und Fragen abschirmten. Zum anderen seien die Versionen der Skeptiker oft erheblich komplexer als etwa die offiziellen Darstellungen des syrischen Konflikts als „Volksaufstand“ oder des ukrainischen Umsturzes als „Sieg der Zivilgesellschaft“.
Die NachDenkSeiten haben sich bereits in zahlreichen Artikeln mit dem Phänomen und dem Kampfbegriff „Verschwörungstheorie“ auseinandergesetzt, etwa hier zur Diffamierung Daniele Gansers, hier zum Thema NSU, hier und hier und hier zum Thema „Stay-Behind“ und „GLADIO“, hier zum Thema Giftgas oder hier zur praktizierten Gleichsetzung von Skeptikern und „Spinnern“ oder hier 9/11 in den aktuellen Medienbeiträgen: Das Versagen geht weiter zum medialen Umgang mit 9/11.
Aktuell zum Thema:
- Die Restlinke in der SPD verliert den kritischen Verstand und hetzt gegen Verschwörungstheoretiker im Netz
- Wie die Stuttgarter Demo vom 2. Mai im TV verzerrt wird: „Zu den Teilnehmern zählten neben Impfgegnern auch Verschwörungstheoretiker“
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