Der infame „Immunitätsausweis“ ist vorerst zurückgezogen. Aber immer noch soll für eine Rückkehr zur „Normalität“ ein Preis in Form von Überwachung, Gängelei und gesellschaftlicher Spaltung verlangt werden dürfen. Von Tobias Riegel.
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Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will vorerst doch keine gesetzliche Einführung eines Immunitätsausweises nach einer überstandenen Corona-Infektion, wie Medien berichten. Demnach sprach er sich am Montag auch gegen eine Impfpflicht aus. In einem Gesetzentwurf, der am Donnerstag im Bundestag debattiert werden sollte, hatte Spahn ursprünglich einen Immunitätsausweis vorgesehen. Diese Pläne hatten in den letzten Tagen Empörung ausgelöst, weil sie die Gesellschaft in zwei (zusätzliche) Klassen aufgeteilt hätten. Weitere Verweise und Kommentare zum Thema finden sich auch in unseren heutigen Hinweisen des Tages.
„Normalität“ gibt es nur gegen „freiwillige“ Massenkontrolle
Dass Spahn nun in diesem Punkt vorübergehend zurückrudert und ihn an den Ethikrat verweist, bedeutet aber keine Entwarnung für die Grundrechte. Die Tendenz, eine Rückkehr zur gesellschaftlichen „Normalität“ von einer (teils „freiwilligen“) Kontroll-Bereitschaft der Bürger abhängig zu machen, tritt immer mehr in den Vordergrund. Gerade noch beschrieb das „Handelsblatt“ den (vorerst) zurückgezogenen Immunitätsausweis als „Passierschein durchs Leben des ‚New Normal‘“. Auf europäischer Ebene seien zudem „die Pläne dafür längst ausgearbeitet – schon vor #Corona. Ich fürchte, die Debatte kommt wieder“, gibt Andrej Hunko auf Twitter zu bedenken.
Zu beobachten ist diese Entwicklung auch in der Debatte um eine „freiwillige“ Corona-App: Hier soll der Bürger zwar (zunächst) nicht gezwungen werden, eine nach Datenschutz-Kriterien fragwürdige Anwendung auf seinem persönlichen Telefon zu installieren. Es wird aber deutlich kommuniziert, dass für eine „Rückkehr zur Normalität“ das Tracken der Bürger, ihrer Kontakte und ihrer Standorte notwendig sei – alles natürlich total „anonymisiert“. Wer nicht mitmacht, schadet demnach indirekt der Gemeinschaft und erscheint paranoid. Dass „Freiwilligkeit“ im Falle der App keineswegs echte Freiwilligkeit bedeutet, hat „Telepolis“ in diesem Artikel beschrieben. Demgegenüber bezeichnet die FAZ Kritik am freiwilligen Mittun der eigenen Überwachung als „Gefasel von der totalen Überwachung“. Die Zeitung stellt den Mechanismen unserer Demokratie einen Blankoscheck und sich selber ein Armutszeugnis aus:
„Gesetzt den Fall, das Robert-Koch-Institut mutierte zu einem dunklen Imperium und wollte mit den gewonnenen Daten eine Gesundheitsdiktatur errichten. Was würde passieren? Das Bundesverfassungsgericht würde die App für verfassungswidrig erklären, das Ansehen des RKI läge danieder, und die Regierungsparteien würden bei nächster Gelegenheit auf die Bretter geschickt werden. (…) Die ganze Auseinandersetzung wirkt wie ein Streit unter Soldaten darüber, ob ihr Panzer noch TÜV hat oder nicht.“
Wie aber in Zeiten des angeblichen gesundheitlichen Notstands die Erosion der von der FAZ als Rechtsgarantie beschriebenen Institutionen voranschreitet, dazu gibt eine aktuelle Äußerung von Verfassungsrichter Stephan Harbarth einen Einblick. Hier fordert er seine Richterkollegen zu milden Urteilen etwa gegenüber der Politik auf: “Wir sind im Augenblick in einer ganz außergewöhnlichen Krisensituation, bei deren Bewältigung es erkennbar keinen Königsweg gibt”, sagte Harbarth der “Stuttgarter Zeitung“. Im Augenblick beneide er “keinen exekutiven oder legislativen Entscheidungsträger um die große Last, die auf seinen Schultern ruht”, sagte Harbarth den Zeitungen weiter. Richter sollten sich “diesen Entscheidungsdruck bewusst machen”, wenn sie einzelne Maßnahmen juristisch beurteilten.
Die Corona-Warn-App der Bundesregierung soll laut DPA federführend von der Deutschen Telekom und dem Software-Konzern SAP entwickelt werden, die Fraunhofer-Gesellschaft und das Helmholtz-Institut CISPA sollen bei der Entwicklung beraten. Google und Apple wollen im Mai auf ihren Smartphone-Plattformen Schnittstellen freischalten, auf die Entwickler von Corona-Apps aufsetzen können.
Nachteile bei Verweigerung
Das Trommeln für eine Corona-App und der (wahrscheinlich nicht aufgegebene) Kampf für einen Immunitätsausweis und die Bezeichnung von beidem als Preis für eine „Rückkehr zur Normalität“ beschränkt sich, wie auch Hunko beschrieben hat, nicht auf Deutschland. So ist zum Beispiel diese europäische Presseschau bereits mit der Losung überschrieben: „Keine Normalität ohne Corona-Apps?“ Die meisten zitierten Artikel stützen diese These, manche verlangen jetzt schon eine Verpflichtung zur Installation einer solchen App durch die europäischen Bürger.
Solche Stimmen, die eine Verpflichtung zur App-Installation oder auch zum Impfen verlangen, sind noch in der Minderheit. Der aktuelle politisch-mediale Tenor versucht (noch), eine (nur scheinbare) „Freiwilligkeit“ bei diesen Maßnahmen zu suggerieren. Diese Freiwilligkeit kann sich aber als eine bittere Täuschung herausstellen, wenn die Pläne erst durchgeführt sind: Denn wer sich dann nicht mit einer App tracken lassen würde und wer sich weigern würde, seinen aktuellen Gesundheitszustand permanent zu beweisen, der hätte möglicherweise auf lange Sicht erhebliche gesellschaftliche Nachteile auszuhalten: Verwehrte Zugänge zu Behörden, Banken, Bahnhöfen, Veranstaltungen oder Auslandsreisen sowie eine generelle Verdachtshaltung könnten die Folgen sein.
Das Virus als Türöffner für radikale Überwachung?
Die berechtigten Befürchtungen von Bürgern, wohin das alles führen könnte, wenn man es nun zulässt, gehen noch weit über die hier beschriebenen potenziellen Einschränkungen hinaus. So gibt es Indizien dafür, dass einflussreiche Akteure es anstreben, für alle Weltbürger eine „digitale Identität“ anzulegen, in der laut dem Journalisten Norbert Häring „Reisehistorie, Bankdaten, Hotelübernachtungen, Mietwagenbuchungen, Dokumente von Universitäten, Ämtern und sehr vieles mehr“ gespeichert würden. Der aktuell debattierte Impfstatus, das Tracking „zur Virus-Prävention“ und andere angebliche gesundheitliche Sachzwänge können nach dieser Deutung als Türöffner für eine viel umfassendere Vision interpretiert werden.
„Telepolis“ stellt zur digitalen Identität fest, „das Ziel sei eine personalisierte, portable, biometrisch verbundene digitale Identität, die auf Lebenszeit besteht.” Gründungspartner seien u.a. Gates’ Firma Microsoft, die von der BMGF mit hohen Summen finanzierte Impfallianz GAVI, die auch in die Berateraffäre der Bundeswehr verstrickte Unternehmensberatung Accenture sowie die Rockefeller Foundation, eine der größten Stiftungen der USA. Albrecht Müller ist auf diese und andere Aspekte gerade in diesem Artikel eingegangen.
Schöne Worte, schlimme Wirkung
Kritiker sowohl der App als auch eines Immunitätsausweises können leicht diffamiert werden. Das Verweigern der App-Installation kann erfolgreich als Hindernis für die „Normalisierung“ der ganzen Gesellschaft, also als asozial, dargestellt werden. Kritiker einer globalen Impfkampagne haben es in der Debatte schwer, weil die grundsätzliche Kritik am Impfen vor Corona eher eine Nischenmeinung war. Ich bin zum Beispiel kein prinzipieller Impfgegner, ich habe mich über den Widerstand etwa gegen eine Pflicht zur Masern-Impfung stets etwas gewundert. Doch das, was jetzt geplant ist, hat eine ganz andere Qualität. Und diese Vorhaben haben eben auch nur zum Teil mit Gesundheit und Prävention zu tun.
Einmal durchgeführt, haben sie das Potenzial, als mächtiges Instrument der Schikane, der Gängelei, der Spaltung und der Überwachung genutzt zu werden. Wohlklingende Floskeln werden nicht das erste Mal benutzt, um Dinge einzuführen, die anschließend für gar nicht wohlklingende Zwecke genutzt werden können.
Titelbild: STEKLO / Shutterstock