Bedient Euch der Grundrechenarten, um Lügen zu erkennen!
Diejenigen, die behaupten Christian Wulff sei mit Hilfe der Linken zum Bundespräsidenten gewählt worden, sagen die Unwahrheit. Wer noch eins und eins zusammenzählen kann, wird die sich hinter dieser Legende verbergende Unwahrheit als Lüge erkennen. Die Verbreitung von offenkundige Lügen durch Politiker und Medien zerstören Glaubwürdigkeit und beschädigt das Vertrauen in die Demokratie.
Diejenigen die behaupten, die LINKE sei noch nicht in der Demokratie angekommen, sind auf dem besten Wege, selbst die Demokratie schwer zu beschädigen. Wolfgang Lieb
Gestern habe ich in meinem Kommentar zur Wahl des Bundespräsidenten unter anderem geschrieben:
„Dass Christian Wulff im dritten Wahlgang die absolute Mehrheit (nämlich 625 der erforderlichen 623 Stimmen) bekommen hat, verhindert wenigstens neue Legendenbildungen.
Nämlich erstens die Legende, dass die Wahlmänner und Wahlfrauen der Linken einen möglichen Kandidaten jenseits von CDU/CSU und FDP verhindert hätten.
Zweitens umgekehrt, dass Wulff nur durch das Wahlverhalten der Linken Bundespräsident geworden ist.
Drittens, die Legende, dass – hätten die Linken für Gauck gestimmt – ein rot-rot-grüner Bundespräsident hätte gewählt werden können.“
Obwohl ich – genauso wie vermutlich Sie – einiges an Umdeutung von Tatsachen und an politischer Legendenbildung gewohnt bin, habe ich mich mit meiner Annahme, dass es nach dem Wahlausgang zu solchen Legenden nicht mehr kommen könnte, gründlich geirrt:
Gabriel, Nahles, Oppermann, Scholz und viele andere Sozialdemokraten, Künast, Roth, Özdemir und viele andere Grüne diktierten den Journalisten munter die Legende in die Notizblöcke, dass „Christian Wulff…letztlich auch mit Hilfe der Linken zum Präsidenten geworden“ ist (Gabriel). „Es ist schade, dass es die Linkspartei versäumt hat, erstmals einen Ostdeutschen zum Bundespräsidenten zu wählen (Nahles) Mit der „Hilfe der Linkspartei“ (Özdemir) sei Wulff gewählt worden.
Und nachdem dann diese Behauptung erst einmal aufgestellt wurde, folgte in der Regel die Schlussfolgerung, dass die Linke eben Gefangene ihrer SED-Vergangenheit sei, dass sie sich nicht „von ihrem alten SED- und Stasi-Erbe“ habe befreien können (Gabriel), dass sie noch immer nicht in der Demokratie angekommen sei (Scholz), dass sie geradezu „demaskiert“ worden sei. Gabriel ging sogar so weit, dass er behauptete, es sei „der Linkspartei wichtiger gewesen, Herrn Wulff zu wählen, als jemanden, der mit geholfen hat, Unrechts- und Stasi-Taten aufzuklären.
Eine ganz überwiegende Zahl der Kommentatoren in den Medien griffen diese Behauptungen begierig auf. Dazu brauchen Sie nur einmal die Pressestimmen zu googeln. „Die Linken machen Wulff zum Bundespräsidenten“ so oder so ähnlich sind die Schlagzeilen oder der Tenor ganz vieler Kommentare. Selbst die taz schrieb, dass die Linke „fünf Jahre Wulff als ersten Mann im Staate“ zu verantworten habe. Stefan Schmitz verstieg sich im stern sogar zu der These, dass es durchaus denkbar sei, „dass im entscheidenden dritten Wahlgang die Stimmen, die Wulff zuvor zur absoluten Mehrheit fehlten, auch von den Linken kamen.“
Nehmen wir dagegen die unbestreitbaren Fakten:
In der Bundesversammlung hatten CDU/CSU 496 Mitglieder, die FDP 148, die SPD 333, die Grünen 129, die Linke 124 und die Sonstigen 14 . Insgesamt waren es also 1244 Wahlleute. Die absolute Mehrheit war mit 623 Stimmen erreicht.
Im dritten Wahlgang hatte Wulff diese absolute Mehrheit mit 625 Stimmen erreicht. Selbst wenn alle Wahlleute der Linken Gauck gewählt hätten, wären nur 494 plus 124, also 618 Stimmen zusammengekommen.
Auch im zweiten Wahlgang hätten die 490 für Gauck abgegebenen Stimmen mit den 124 Stimmen der Linken Wahlleute nicht zur absoluten Mehrheit ausgereicht.
Nur im ersten Wahlgang hätte Gauck mit den 499 Stimmen plus den 124 Stimmen der Linken in der Bundesversammlung genau die absolute Mehrheit von 623 Stimmen erreicht.
Es ist jedoch geradezu verwegen, zu unterstellen, dass die Linken ihre Kandidatin komplett „im Regen“ stehen lassen würden und sozusagen in einer „Geheimabsprache“ einen Überraschungscoup gelandet und zusätzlich noch darauf spekuliert hätten, dass es im Lager von CDU/CSU und FDP 44 Abtrünnige geben würde. Und das auch noch ohne, dass es einen vorherigen Kontakt zwischen SPD und Grünen mit der Linken gegeben hätte.
Wie das Endergebnis schließlich zeigte, ist es noch verwegener, davon auszugehen, dass, wenn es auch nur Gerüchte darüber gegeben hätte, dass die Linke komplett für Gauck stimmt, dass nicht wenigstens eines der Mitglieder von CDU/CSU und FDP, das im ersten Wahlgang noch für Gauck stimmte schon im ersten Wahlgang umgeschwenkt wäre und Wulff gewählt hätte.
NachDenkSeiten-Leserinnen und Leser haben schon zahlreiche Beispiele dafür lesen müssen, dass Politiker, um einen Vorteil gegenüber einem politischen Gegner zu erlangen, die Unwahrheit sagen. Es entspricht auch der Erfahrung, dass eine Unwahrheit geglaubt wird, wenn nur ausreichend viele diese Unwahrheit wiederholen. Üblicherweise ist die Unwahrheit aber nicht so leicht erkennbar, wie in diesem Falle, wo es für jeden ausreicht die Grundrechenart der Addition zu beherrschen, um zu erkennen, dass die Rechnung falsch ist.
Normalerweise wird eine Unwahrheit in eine Behauptung verpackt, die man mit Fakten vielleicht gar nicht oder nur umständlich widerlegen kann. Man kann die Behauptung also glauben oder nicht glauben und ob man jemand glaubt, hängt häufig vor allem davon ab, ob man auf dessen Wort vertraut.
Da das Vertrauen aber zum wichtigsten „Kapital“ von Politikern gehört, wird es in der Regel nicht riskiert eine unwahre Aussage zu machen, die leicht und sofort widerlegt werden kann.
Diese Regel wurde aber beim Versuch der Legendenbildung, die Linke habe Wulff zum Amt des Bundespräsidenten verholfen und Gauck verhindert, sträflich außer acht gelassen.
Man sollte eigentlich davon ausgehen können, dass die genannten Politiker und die meisten Kommentatoren, die diese unwahre Behauptung zur politischen Schlagwaffe benutzen, die einfachen Grundrechenart des Zusammenzählens von dreistelligen Zahlen beherrschen. Deswegen kann man die unwahren Aussagen der Politiker und das Nachplappern der Journalisten nicht als Nachlässigkeit oder als nur fahrlässig abtun.
Nein, wenn jemand bewusst die Unwahrheit sagt, dann ist das eine Lüge. Es ist sogar eine gemeine Lüge, weil sie nur den eigenen Vorteil zum Zweck hat und dazu noch das Ansehen oder den Ruf eines anderen schädigt.
Es ist eine uralte Erkenntnis, dass die Lüge das Vertrauen in die Wahrheit des Lügners zerstört. Wer einmal lügt dem glaubt man nicht, sagt schon der Volksmund.
Die Politiker und Journalisten, die also Lügen über die Wahl zum Bundespräsidenten zur politischen Legendenbildung nutzen möchten, schaden sich also selbst am meisten.
Aber dieser Schaden wäre nicht schlimm, weil er nur die betreffenden Personen trifft. Weil diese Personen aber Verantwortung für unsere Demokratie tragen, fügen sie der Glaubwürdigkeit in unsere Demokratie einen schweren Schaden zu.
Diejenigen die behaupten, die LINKE sei noch nicht in der Demokratie angekommen, sind auf dem besten Wege, selbst die Demokratie schwer zu beschädigen.
p.s.: Ich gestehe frank und frei, dass es mir nicht darum geht, die Linke zu verteidigen, sondern allein darum, dass Lügen kein Mittel der Politik sein dürfen.