Mehrmals in den letzten Monaten wurden wir von Leserinnen und Lesern der NachDenkSeiten dazu animiert, die Möglichkeit zu schaffen, dass sich Leserinnen und Leser und andere kritische Zeitgenossen im Alltag erkennen, miteinander sprechen, kommunizieren und sich treffen können. Der Gedanke ist nicht neu, schon einige Male erprobt und zurzeit sehr aktuell. Warum? Die Demokratie, wie sie uns versprochen worden war, lebt nicht mehr: Die politischen Strukturen sind festgezurrt; die Einkommen und Vermögen sind so ungerecht verteilt, dass man nicht einmal mehr von Chancengerechtigkeit sprechen kann; vor allem sind die Medien als kritische Begleiter des Geschehens nahezu ausgefallen. In dieser Notsituation ist die Kommunikation zwischen dem Rest der verbliebenen nachdenklichen Demokraten wichtig. Dabei entsteht das, was man Gegenöffentlichkeit nennen könnte. – Bitte prüfen Sie die folgenden Anregungen. Ihre Meinung zu kennen, ist wichtig: [email protected]. Albrecht Müller.
Mindestens zweimal in der Geschichte der BRD wurde die Mobilisierung von Hunderttausenden engagierter Menschen zum entscheidenden politischen Faktor. Die Mobilisierung lief vor allem über das Gespräch zwischen den Menschen, zwischen Menschen, die sich erkennen und finden konnten.
Zwischenbemerkungen:
- Wenn Ihnen der Blick in die jüngere Geschichte nicht so wichtig ist, dann überfliegen Sie den Text von Kapitel 1 und lesen weiter bei 2.
- Leser, die in der DDR aufgewachsen sind, bitte ich zu entschuldigen, dass ich nur auf Erfahrungen in Westdeutschland zurückgreife.
- Was fällt Ihnen in dem hier eingefügten Plakat auf?
Es geht hier nicht um die SPD. Das sei vorweg gesagt. Es geht auch nicht um Willy Brandt. Es geht um die Aktion „So erkennt man Freunde“ von 1969. Damals hat die SPD Millionen orangefarbener Anstecknadeln unter die Leute gebracht. Sie waren das Erkennungszeichen von Sympathisanten Willy Brandts und der SPD. Und wenn man sich auf der Straße oder in der Straßenbahn, im Betrieb oder auf Festen begegnete, dann wusste man, für welchen politischen Gedanken und für welche Ziele der Mensch, dem man begegnete, steht. Die Stecknadel brach den Bann. Man hat miteinander geredet, sich ausgetauscht, sich gegenseitig verstärkt. Manche langanhaltende Freundschaft entstand daraus.
So funktionierte damals der Aufbau der Gegenöffentlichkeit und das war zusammen mit anderen Gründen entscheidend für den dann erreichten ersten wirklichen Regierungswechsel – von Kurt Georg Kiesinger (CDU) zu Willy Brandt (SPD).
Auch andere führende SPD-Politiker traten mit dem Symbol der Zusammengehörigkeit auf. Hier zum Beispiel der damalige Minister für Gesamtdeutsche Fragen Herbert Wehner und Bundeswirtschaftsminister Professor Dr. Karl Schiller:
Und sogar bei der Vereidigung des neuen Bundeskanzlers am 21. Oktober 1969 hatte dieser die Anstecknadel am Revers:
Man mag diesen Vorgang für vergangene Geschichte halten. So ist es nicht. Die Belege für den ersten Erfolg einer politischen Sammlungsbewegung und Mobilisierungsaktion mit dem Slogan “So erkennt man Freunde“ sollen veranschaulichen, wie gezielt damals darauf gesetzt wurde, dass sich Menschen mit den gleichen politischen Anliegen und mit dem gleichen kritischen Geist erkennen, untereinander kommunizieren können und sich damit ein großes Stück weit unabhängig machen von der offiziellen etablierten medialen Kommunikation. Das hat funktioniert.
Es hat drei Jahre später im Vorfeld der Bundestagswahl vom 19. November 1972 noch einmal und noch viel deutlicher funktioniert. Siehe hier ein vielfältiges Angebot an Erkennungszeichen.
(Quelle: Albrecht Müller: Willy wählen 72)
1972 hatte Willy Brandt nicht mehr die Unterstützung wichtiger führender SPD-Vorstandskollegen, nicht von Wehner und nicht von Schmidt. Und gegen seine Politik stand das „Große Geld“ mit einer massiven Kampagne, mit über 100 Anzeigenmotiven und viel Geld. Dennoch haben die sich gegenseitig bestärkenden Anhänger der Ost- und Gesellschaftspolitik und der Person Willy Brandts die Wahl gewonnen – übrigens auch nach Ansicht der CDU-Anhängerin und Chefin des Meinungsforschungsinstituts Allensbach, Elisabeth Noelle-Neumann, wegen des gelungenen Aufbaus einer Gegenöffentlichkeit. Sie stellte fest, dass die Mobilisierung einer großen Zahl von artikulationsfähigen und willigen Menschen entscheidend war für das Wahlergebnis.
Es ist interessant, dass der 1969 und 1972 erreichte Aufbau einer Gegenöffentlichkeit durch politisch interessierte und kommunikationswillige Menschen weder in den damaligen Wahlanalysen der Medien noch in der Geschichtsschreibung der einschlägigen Historiker eine der Sache gerechte Erwähnung fand. Das ist schon deshalb interessant, weil wir die gleiche Frontstellung auch heute haben: Die etablierte Politik und die etablierten Medien missachten und verschmähen das, was sich auf der Straße, in Freundeskreisen und im Internet tut.
- Was lernen wir für heute?
Die Mehrheit der etablierten Medien ist heute noch um vieles angepasster. Damals, 1969 und 1972, gab es wenigstens noch ein paar kritische, sozial und friedenspolitisch engagierte und durchaus streitbare Medien: die Frankfurter Rundschau, Der Spiegel, Die Zeit, der Stern, Panorama, Monitor, die Süddeutsche Zeitung und eine Reihe anderer Tageszeitungen. Das ist nahezu alles weggebrochen. Darüber habe ich im Kapitel II „Umfeld“ von „Glaube wenig. Hinterfrage alles. Denke selbst“ ausführlich berichtet. Dort heißt es auf Seite 14:
„Man sollte weiter wissen, dass einige wichtige, ehedem fortschrittliche Medien ihre Ordinate, ihren Standort im Schema zwischen links und rechts verschoben haben. Wer das nicht beachtet, wird tendenziell mit verschoben.“
Leider ist das so.
Umso mehr muss sich jede politische Gegenbewegung und jeder Versuch, den demokratischen Charakter unseres Landes zu retten, auf eigenständig denkende und kommunikationswillige Menschen abstützen. Da dies nicht im Alleingang geschehen kann, und da die personale Kommunikation unter Menschen eine zentrale Bedeutung für Motivation und Durchschlagskraft hat, ist es notwendig, dass solche Menschen sich erkennen, sich austauschen und zusammen agieren können.
Die sogenannten sozialen Medien helfen dabei, sie sind aber kein Ersatz für die personale Kommunikation unter aktiven, kritischen Geistern.
- NachDenkSeiten-LeserInnen verlangen ein Erkennungszeichen.
Es ist schon erwähnt worden, dass wir immer mal wieder von NachDenkSeiten-Leserinnen und -Lesern aufgefordert wurden, Möglichkeiten zu schaffen, die das Treffen und Kommunizieren erleichtern. Diesem Ziel dient das Angebot von NachDenkSeiten-Gesprächskreisen. Siehe hier. Aber das reicht nicht. Es muss heute möglich sein und gefördert werden, dass sich Freundinnen und Freunde der NachDenkSeiten überall erkennen, treffen, begegnen können. Das gilt übrigens auch für den Austausch mit Nutzern anderer aufklärender Medien.
Im Telefongespräch mit Ken Jebsen hier und hier vom 22. April habe ich gegen Ende auf diesen Ausweg aus der Krise unserer Demokratie hingewiesen. Ein Nutzer von Ken FM hat es freundlicherweise in einem Kommentar verschriftet und auf die Umsetzung dieser Gedanken gepocht:
citoyen invisible sagt:
Albrecht Müller (30:36):
“…jetzt kommt es drauf an, dass… die Menschen, die noch’n bisschen kritischen Verstand bewahrt haben und Mut bewahrt haben, dass wir uns zusammentun und dass wir uns austauschen…”
…
Albrecht Müller (31:16):
“…wir mussen eine große Gruppe von Menschen aufbauen, die sich gegenseitig stützen”
- Wie erkennt man Freunde? Neuere Überlegungen
Vor einigen Jahren haben wir Sticker mit dem NDS-Logo angeboten. Es gibt konkrete Überlegungen für einen NachDenkSeiten-Shop. Aber alles, was verschickt werden muss, kann nicht die Reichweite erreichen, die gebraucht wird, damit interessierte und engagierte Menschen auf Gleichgesinnte treffen können und sie als solche erkennen. Diesen notwendigen großen Effekt erreicht man nur, wenn das Erkennungszeichen von den Benutzern selbst gefertigt oder quasi standardisiert gekauft werden kann.
Das Einfachste wäre, die Aktion der SPD von 1969 zu kopieren und Anstecknadeln zu nutzen. Sie könnte jede und jeder für ein paar Groschen kaufen. Ich hätte auch keine Hemmungen, die damalige Idee für die NachDenkSeiten zu kopieren, da ich damals aktiv daran beteiligt war und die Idee ohnehin, wenn ich mich recht erinnere, von den schwedischen Sozialdemokraten übernommen worden war. Aber, und das ist das Problem: Wer trägt heute noch ein Sakko oder eine Kostümjacke? Am T-Shirt oder Pullover kann man die Stecknadel schlecht fixieren.
Wir haben deshalb weitergesponnen: Ein Armband? Aufkleber, ja in jedem Fall. Button? Das Logo der NachDenkSeiten? Bei der Diskussion im Kreise von Mediatorenkolleginnen von Anette Sorg hatte eine Kollegin eine Idee: eine Sicherheitsnadel. Sie kostet nicht viel. Es gibt sogar schöne schmückende Exemplare. Man kann sie individuell mit Perlen der gewünschten Farbe verzieren. Hier ein Versuch:
Die Sicherheitsnadel war sogar auf dem Cover eines geplanten neuen Buches mit dem Titel „So erkennt man Freunde“ vorgesehen. Das im Januar dieses Jahres entwickelte Buchprojekt habe ich beiseite gelegt, als die Corona-Debatte einsetzte.
Im Freundeskreis haben wir dann Anfang März weitergedacht. Ein Freund meinte, das Symbol muss etwas sein, das man selbst reproduzieren kann und überall verwenden kann. Er malte einen runden roten Kreis. Wir ergänzten das in der Diskussion um zwei oder drei miteinander verkettete Kreise. So sieht das auf meinem iPad aus, es könnte schöner gemalt sein, aber es ist einfach und preiswert zu vervielfältigen:
Das sind ein paar Ideen. Vermutlich gibt es Profis unter unseren Leserinnen und Lesern, die noch andere gute Ideen haben.
Wir werden in Kürze den Sack zubinden, wollten aber vorher fragen, ob und was Sie für sinnvoll halten. Voten auf [email protected] bitte kurz halten.
- In jedem Fall werden wir jenen unter Ihnen, die von sich aus und unabhängig von der Idee des Erkennungsmerkmals auf die NachDenkSeiten aufmerksam machen wollen, Vorlagen und fertige PDFs von Aufklebern, Plakaten usw. schicken.
Dazu gleich eine konkrete Anregung, die auf einen Leser der NachDenkSeiten zurückgeht. Er schickte uns vor drei Tagen das schon zu Anfang wiedergegebene Foto seines PKW.
Christian Goldbrunner hat ein PDF dieses Aufklebers entwickelt. Siehe hier.
Er schreibt dazu: „Die PDF-Vektor-Datei könnte der Folienschneider bei Bedarf verlustfrei vergrößern oder verkleinern, weil ja nicht alle Kfz-Heckscheiben gleich breit sind.
Bei mir um die Ecke würde das Folienschneiden und Montieren der beiden Zeilen auf der Heckscheibe außen über den Daumen gepeilt ca. 30 Euro kosten.“