Mobbing gegen linke Parteigrößen – beim Umgang mit Corbyn fallen einem zwangsläufig deutsche Parallelen ein
Diether Dehm, MdB der Linkspartei, hat sich bei der Konfrontation mit den üblen Machenschaften der Labour-Rechten gegen den ehemaligen Vorsitzenden Corbyn an ähnliche Vorgänge in Deutschland erinnert. Mit Recht. In Ergänzung des Beitrages von Jens Berger zum Vorgang in Großbritannien folgt hier nun der Text von Diether Dehm. Albrecht Müller.
Mobbing gegen linke Parteigrößen – Theorie ohne Verschwörung?
Zu Corbyn, Wagenknecht, Lafontaine, Brandt und Nachfolgenden. Von Diether Dehm.
Anderthalb Jahre nach seinem sensationellen Wahlerfolg bei der „Willy-Wahl“ (SPD: 45,8 % bei 91 % Wahlbeteiligung) trat Willy Brandt 1974 bei der Guillaume-Affäre zurück. Spekulationen über Nutznießer und Betreiber innerhalb der SPD wurden damals noch als Spinnerei von Jusos & Co beiseite gewischt. Nebst verstörender Nachfragen: War der aufgedeckte MfS-Spion im Kanzlerumfeld für den Brandt-Sturz tatsächlich der einzige Grund? Seit wie lange zuvor war Guillaume eigentlich bereits aufgedeckt gewesen? Und konnte weitermachen? Wie ausschlaggebend war das ständige Medienfeuer auf den Springer- wie BND-seits verhassten Regierungschef? Und wer transportierte Abfälligkeiten gegen Brandt aus dem inneren Kanal des SPD-Apparats, etwa von Wehner, an BILD, Burda und Co? Und: war da nicht noch im kleinsten SPD-Führungskreis zeitnah ein Treffen mit Brandt in einem Kloster bei Bonn gewesen? (Worüber dessen Vertrauter Horst Ehmke später oft berichtete.) Wo Helmut Schmidt saß und wo Wehner mittels heimlich in einem Zugabteil geknipster Intimfotos (Brandts mit einer bekannten, linken Journalistin) den Druck auf Willy Brandt erhöht haben soll? Woher stammten die delikaten Fotos, die in Bonn kursierten? Gab es gar ein Zusammenspiel von Geheimdiensten und rechten SPD-Flügellisten in der „Baracke“ – gegen ihren eigenen Parteivorsitzenden? Oder sind das alles nur Fakenews?
Wo der Historiker Erich Schmidt-Eenboom, einer der bedeutendsten Kenner der Geheimdienstszene, den Einfluss der CIA und des BND von Hitlers Ex-Spionagechef Reinhard Gehlen auf Medien in einem Buch publizierte, ging es um 230 QualitätsjournalistInnen (vorzugsweise um linksliberale!). Und es hagelte Abmahnungen. Sogar dem Flaggschiff des Qualitätsjournalismus, der ZEIT-Chefin Marion Gräfin Dönhoff, hatte Schmidt-Eenboom schnöde BND-IM-Dienste unterstellt. Und am Ende durfte er seine Vorwürfe in den Buchauflagen ungeschwärzt erhalten. Was sein Buch („Undercover – wie der BND die deutschen Medien steuert“) seit 1998 zu lernen aufgibt, bleibt genauso aktuell: Geheimdienste und rechte Journaille brauchen in linken Zusammenhängen immer „linke“ Zulieferer und „linke“ Infostellen zum andocken.
Hätte Oskar Lafontaine vor 1998 Kandidat und Kanzler werden wollen, kein Kohl allein und schon gar kein Schröder hätten ihn wohl aufhalten können. Die Basis liebte „den Oskar“. Und zudem: Als Parteivorsitzender hatte er Zugriffsrecht. Aber dieselben medialen Kräfte, deren heimliches Zusammenspiel mit SPD-Finanzmarktfreunden bereits dem glücklosen Rudolf Scharping zum Parteivorsitz verholfen und 1990 das Attentatsopfer Lafontaine zusätzlich demontiert hatten, trieben vor der Kanzler-Nominierung mit einem beispiellosen „Pro-Schröder-Mix“ aus Demoskopie und Demagogie den eigentlichen Liebling Lafontaine in die Resignation. Bis dieser dann staatsmännisch Schröder den Vortritt ließ.
Im vermeintlichen Gegenzug überließ ihm Kanzler Schröder – in scheinfreundschaftlicher Verbundenheit – das gewünschte Finanzministerium. Ermunterte aber gleichzeitig interne Demontierer, wie seinen neuen Kanzleramtschef Bodo Hombach, Medien dauerhaft mit Unappetitlichkeiten gegen den Finanzminister zu befüttern. Ob nun sämtliche Kabinetts-Innereien in BILD, „Washington-Post“ usw. aus Hombachs privatem Nachrichtendienst stammten (etwa der WAZ unter Hombachs väterlichem Freund Erich Schumann) oder auch aus fremden Anzapf-Quellen, kann nur vermutet werden. Schröders Mann fürs Grobe, Minister Hombach, war es wohl kaum alleine, dessen Arm bis in die auflagenstärkste britische Zeitung „Sun“ reichte, als diese den Finanzmacht-Gegner aus dem Saarland mit Hitlerbärtchen „zum gefährlichsten Deutschen“ kürte. Selbst interne und private Telefonate des Parteivorsitzenden Lafontaine landeten bei seinen Feinden. Schelme, die solcherlei Böses nach dem Lafontaine-Sturz erwähnten, wurden kurzerhand zu „Verschwörungstheoretikern“ abgestempelt.
Denn damals rollte die große Inflationierungswelle über unser Wortreich. „Antisemit“ konnte ein kritischer Geist nun auf bloßen Zuruf werden. Diesbezüglich hatte der „Ostagent“ ausgedient. Während der „Verschwörungstheoretiker“ sein großes Come-back erlebte. Jenen Kampfbegriff hatte es schon einmal gegeben, damals bei den Schüssen auf Kennedy. Zunächst, als die Warren-Kommission Lee Oswald als Einzeltäter „ermittelt“ hatte und dies als einzig zulässige Verschwörungstheorie durchdrücken wollte. Alle anderen „Assassinationtheories“ (Attentatstheorien) mussten als die falschen dastehen. Als dann Jim Garrison in New Orleans im ersten Strafverfahren zum Präsidentenmord Kontaktleute Oswalds ins Visier genommen hatte, die mit der CIA in Verbindung standen, brachte die Abteilung PW/CS („Psychological Warfare/Clandestine Services“) der CIA im April 1967 ihr Dokument 1035-960 unter die Meinungsmacher – mit der Empfehlung, Zweifler mit dem Kampf-Begriff “Conspiracy-Theories” niederzumachen. Die eigenen Behörden mussten exkulpiert bleiben. Was damals der Kreml plump an „Dissidenten“ niedermachte, wurde mit der CIA-Bedienungsanleitung viel feinsinniger, aber dann seit „9/11“ auch flächendeckender als „Verschwörungstheoretiker“ ausgegrenzt. (Bis heute, wo es für „Wikipedia“ sogar bereits „Verschwörungstheorie“ ist, die Mitwirkung der CIA bei der Renaissance des Wortes „Verschwörungstheorie“ überhaupt zu erwähnen.)
Besonders giftig reagierten die politisch korrekten Begriffswächter, wenn heutzutage der Recherche-Strang Schmidt-Eenbooms aufgegriffen wird, wonach sich der BND und andere Geheimdienste besonders in linken und liberalen Organen und Organisationen betätigen. Wer hinter dem Rückzug der 2019 beliebtesten deutschen Politikerin, Sahra Wagenknecht, jahrelange Zermürbung von innen und außen vermutete – mit System und Wechselspiel – konnte schon mal (von BILD bis hinein in die jungeWelt) besonderen Formen der „Verschwörungstheorie“ bezichtigt werden: der „Querfront“, des „autoritären Personenkults“ oder des „Populismus“. Jegliche historische Spurensuche von rechter Subversion innerhalb linker Parteien (nicht erst seit Willy Brandts Sturz) musste im Keim bereits erstickt werden.
Dieses Verschweigegelübde bezüglich „innerlinkem Mobbing gegen links“ bekommt nun erheblichen Gegenwind. Eine (immer noch teilweise geheim gehaltene) Londoner Studie berichtet aktuell auf 860 Seiten, wie gezieltes Mobbing den populären, antiimperialistischen Labourchef Jeremy Corbyn – auch aus seiner eigenen Partei heraus – im britischen Wahlkampf 2017 um den Erfolg brachte.
Journalisten, die Einblick in den Bericht hatten, zitieren in britischen Medien aus parteiinternen Chats und WhatsApp-Gruppen. Die Studie, die von der ehemaligen Labour-Generalsekretärin und Corbyn-Vertrauten Jennifer Formby in Auftrag gegeben wurde und deren exakte Autorenschaft unbekannt ist, enthält erstaunlich tiefe Labour-Quellen, zahllose Mails und Protokolle, an die wohl kaum ein Hobbyforscher von außen gelangt sein dürfte.
Der Studie nach freuten sich damals hauptamtliche Mitarbeiter von „Labour“ auf eine bevorstehende Niederlage ihrer eigenen Partei. Der „lügende Lump“ Corbyn musste weg! Eine schwarze Labour-Abgeordnete zum Beispiel, die an dessen Seite stand, war mit rassistischen Beleidigungen so lange malträtiert worden, bis sie sich in der Toilette weinend übergeben hatte – was ihr dann prompt neue „parteiinterne“ Häme einbrachte. Und zwar von exakt den Kräften, die dann scheinheilig den „Antisemitismus-Rassismus-Vorwurf“ und andere Skandalisierungen gegen Corbyn in die Welt gepostet haben.
Derartige Vorwürfe kamen erst auf mit Corbyns Antritt als Parteichef im Jahr 2015. Denn da hatte die Labourparty einen sensationellen Mitgliederzuwachs von 500 000 Neumitgliedern erlebt – auch aus sogenannten prekären Lebensverhältnissen. Also begaben sich Journaille und innerparteiliche Sheriffs auf die Jagd nach ungeschliffenen Formulierungen von Neumitgliedern, um diese Corbyn und seinen FreundInnen als „Verschwörungstheorien“, „Antisemitismus“ und „Europafeindlichkeit“ anzukreiden. Die sozialen Notlagen der britischen „Prolls“ waren wohl weniger spannend. Stattdessen sollten Ressourcen & Partei-Agitprop gegen den „Populismus der Bildungsfernen“ in der eigenen Parteibasis, soweit diese Corbyn unterstützten, zum Einsatz gebracht werden: die Partei habe ein Problem mit Antisemitismus, aber der eigentliche Skandal sei, dass der Parteichef dagegen nicht entschieden genug vorgehe.
Doch beim von außen als Untätigkeit wahrgenommenen Agieren der Parteiführung gegen antisemitische Vorfälle zeigte sich den Verfassern des Reports, dass die alte parteiinterne Bürokratie viel zu träge war, um überhaupt Mitglieder beziehungsweise deren Wortwahl zu korrigieren und aufzuklären. Zahlreiche Beschwerden seien schlicht liegengeblieben, wobei der Report vor allem die Labour-Rechtsabteilung ins Zentrum rückt. Deren Arbeit sei einerseits durch die verfeindeten Parteiflügel behindert worden, andererseits waren in ihr in der Mehrzahl ausgemachte Corbyn-Gegner (un-)tätig. Diese Abteilung habe sogar irreführende Informationen an die Parteispitze weitergeleitet, die Corbyn die Probleme beim Antisemitismus unterschätzen ließen. Dafür aber lieferte die Abteilung Infos darüber nach draußen.
Auch andere wichtige Posten im Parteiapparat waren mit Mitgliedern der neoliberalen Strömung in der Partei, teilweise seit Blairs „Agenda 2010“, besetzt geblieben. Tiefe Abneigung gegen den Parteivorsitzenden kam unverhohlen sogar vom Generalsekretär der Partei, Ian MacNicol.
Die Überwinterung von Marktliberalen oder rechte Neueinstellungen im Apparat traten dann aber nicht nur mittels abwertender Sprache gegen Corbyns Reformideen in Erscheinung, sondern hatten auch handfeste personelle Auswirkungen. Diese Kreise nämlich sorgten kurz vor den Neuwahlen 2017 dafür, dass Gelder in unumkämpfte Wahlkreise mit rechten Labour-Kandidaten flossen, anstelle in umkämpfte Wahlkreise, in denen linke KandidatInnen eine Chance hatten. Tatsache ist, dass Labour 2017 in 13 Wahlkreisen jeweils rund 900 Stimmen fehlten. Hätte die Partei diese Sitze gewonnen, wäre die Tory-Regierung gestoppt worden.
Wenige Zeitungen (und der Deutschlandfunk, allerdings nur wenige Stunden) erwähnten nun die Erscheinung des skandalumwitterten Reports über die innerlinken Intrigen. Die Vermutung eines Zusammenspiels von „innen“ mit Medien und Diensten gegen Labourlinke blieben nur angedeutet. Einzig das „Neue Deutschland“ (14.4.2020) traut sich gegen den rechten Flügel der Linken weiter, besonders, was das Wahlergebnis 2017 anbetrifft: „Nachdem Labour ohnehin besser abgeschnitten hatte als erwartet, zeigten sich Funktionäre tief schockiert: »Furchtbar«, schrieb der Kampagnenchef auf WhatsApp.“
Für linke LeserInnen in anderen Ländern dürfte die britische Aufarbeitung dieser Art „von innerlinker Verschwörung gegen links“ eigene Erfahrungen und nicht nur Neuigkeiten spiegeln. Denn abgeschlossen ist das Ganze noch lange nicht. Der (in einem „virtuellen Parteitag“ während der Corona-Krise) neugewählte Corbyn-Nachfolger, Parteichef Keir Starmer, sah sich jetzt durch den Report immerhin genötigt, mit einer Parteikommission den Vorgängen in dem Bericht etwas tiefer auf den Grund zu gehen.
Diether Dehm (MdB, Komponist und Texter, hat zum Thema des „innerlinken Mobbings“ kürzlich beim Eulenspiegelverlag „Meine schönsten Skandale“ veröffentlicht).