Boutiquen werden geöffnet – Museen bleiben zu. Die aktuelle Ignoranz gegenüber dem Kulturleben ist ein gesellschaftliches Armutszeugnis. Schaden nehmen dadurch nicht nur Kulturinstitutionen: Auch eine gesellschaftliche Kultur des Zusammenlebens wird beschädigt. Vor Corona haben sich allerdings auch viele Kulturschaffende vor einen wirtschaftsliberalen und kriegerischen Karren spannen lassen. Von Tobias Riegel.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Podcast: Play in new window | Download
Kultur ist nicht systemrelevant: Dass zahlreiche Künstler und Kultur-Organisatoren nun nicht angemessen vor den Folgen der Corona-Maßnahmen geschützt werden, ist scharf zu kritisieren. Dass über Boutiquen gesprochen, aber von Museen geschwiegen wird, ist ein gesellschaftliches Armutszeugnis. Es spricht daraus ein Geist, der die wichtige Rolle kulturellen Lebens für eine Gesellschaft nicht akzeptiert. Diese Rolle wird nach einer Zäsur wie der aktuell durchlebten umso zentraler sein.
Wir erleben im Moment eine der kulturlosesten Zeiten seit Menschengedenken. Internet-Konzerte bedeuten keinen angemessenen Ausgleich. Corona ist bei diesem Prozess nicht nur eine Katastrophe für kulturelle Institutionen: Das Virus und die damit begründeten Maßnahmen bedeuten – bedenkt man ihre möglichen langfristigen Schäden für unser Zusammenleben – auch eine potenzielle allgemein-kulturelle Katastrophe für unsere Gesellschaft. Doch nach dominanten Deutungen ist unsere Kulturlandschaft trotzdem ein Luxusgut, sie erfüllt demnach kein Grundbedürfnis. Darum muss die Kultur auch warten, während Konsum-Tempel und möglicherweise Gottesdienste wieder öffnen dürfen.
Kultur und Kriegstreiberei
Hier soll aber auch erwähnt werden, dass sich viele etablierte Kulturschaffende in der jüngeren Vergangenheit vor den Karren einer wirtschaftsliberalen Weltsicht haben spannen lassen. Auch gegen antirussische Stimmungsmache und Kriegstreiberei (etwa gegen Syrien) waren nur schockierend wenige Stimmen aus der Kulturlandschaft laut geworden. Statt dessen gehörte es für viele Kulturschaffende zum guten Ton, gegen Wagenknecht und für „Unteilbar“ zu sein – und natürlich gegen „Autokraten“, gegen „Querfront“ und gegen „Rechts“, ohne jedoch diese Positionen mit sozialen Forderungen (oder anderen relevanten Inhalten) zu verbinden. Zu diesem Phänomen, das einer aktuellen Solidarität mit Kulturschaffenden nicht prinzipiell im Weg stehen soll, folgen später im Text weitere Ausführungen.
Die aktuell besonders ignorante Haltung gegenüber der Kultur als einem essenziellen gesellschaftlichen Beitrag haben nun auch viele Medien thematisiert. So stellt der „Stern“ treffend fest:
„Für den Kulturbetrieb artet der Corona-Ausnahmezustand zunehmend in eine Katastrophe aus. Leider lässt die Politik einen Großteil der Branche links liegen und sendet auch keine Signale, dass sich daran bald etwas ändert.“
Das dröhnende Schweigen zum Schicksal der Kulturlandschaft und zu den vielen nun existenziell bedrohten Künstlern beschreibt auch die „Süddeutsche Zeitung“:
„Umso befremdlicher deshalb, dass während der sehr nötigen und sehr detailreich geführten Gespräche über erste Öffnungen von Geschäften und Friseursalons, Kirchen, Synagogen und Moscheen, Baumärkten, Buchläden und irgendwann auch Schulen eine kleine, feine Stille gerade dort herrschte, wo es sonst sehr lebendig zugeht. Museen, Kinos oder Theater finden derzeit nicht nur laut Programm nicht statt, sie spielen auch in den öffentlichen Überlegungen so gut wie gar keine Rolle.“
Neben dieser generellen Missachtung des Stellenwerts von Kultur werden die unterschiedlichen konkreten Hilfsprogramme in den Ländern etwa vom Deutschen Kulturrat als ungerecht kritisiert. Für diesen Förderflickenteppich gebe es keinen nachvollziehbaren Grund. Die Vorsitzende des Bundesverbands Bildender Künstlerinnen und Künstler (BBK), Dagmar Schmidt, fordert eine entsprechende Regelung bundesweit. Schmidt wies zudem laut dpa darauf hin, dass die Hilfsprogramme nur auf drei Monate beschränkt seien. Kulturstaatsministerin Monika Grütters sagte angesichts der zahlreichen aktuellen Einwände gegen die Praxis der Künstlerhilfen zu, diese zu überprüfen und „gegebenenfalls auch nachzujustieren“.
Schutzschirm für Künstler
Wegen lauter Kritik und zahlreichen geäußerten Unsicherheiten und Existenzängsten aus der Kulturszene hat Linken-Chefin Katja Kipping gegenüber dpa einen Schutzschirm für die freie Kulturszene gefordert. Ausfälle durch abgesagte Veranstaltungen sollten analog zu den Regelungen des Kurzarbeitergelds vom Staat übernommen werden. Das würde bedeuten, dass Künstler und Veranstalter 60 Prozent – und in Haushalten mit Kindern 67 Prozent – des entgangenen Geldes vom Bund bekommen.
Weitere Informationen zu Fördermaßnahmen finden sich auf der Webseite des Kulturrats hier und hier. Der BBK informiert hier und hier über Hilfen für Künstler. Der Landesmusikrat bietet Orientierung unter diesem Link. Und unter diesem Link finden sich Informationen der Bundesregierung zu Künstler-Hilfen.
Kulturpropaganda: Gegen Russland und gegen die soziale Frage
Wie eingangs beschrieben, haben etablierte deutsche Kulturschaffende politisch nicht immer eine gute Figur gemacht in der jüngeren Vergangenheit. Die hier folgende Kritik bezieht sich auf etablierte Kulturschaffende, die sich explizit geäußert haben. Viele Künstler sind von dieser Kritik nicht betroffen, darum soll diese Kritik nun, wie gesagt, nicht einer allgemeinen und akuten Solidarität entgegenstehen. Auch besteht für Künstler wie für andere Bürger keine „Verpflichtung“, sich politisch zu äußern. Andererseits waren aber viele doch getätigte politische Positionierungen von Kulturschaffenden durchaus fragwürdig. Das haben die NachDenkSeiten in zahlreichen Artikeln untersucht. So wird in diesem Artikel beschrieben, dass im Gegensatz zu Frankreich in Deutschland weite Teile der Kulturszene zur sozialen Frage schweigen. In diesem Beitrag wird beobachtet, wie sich etwa vor der EU-Wahl eine „ganz große Koalition“ (auch mit Kulturschaffenden) zu fragwürdigen Appellen zusammengefunden haben. Hier wird beschrieben, wie etwa auf der Leipziger Buchmesse antirussische Stimmungsmache als „Verständigung“ gepriesen wurde. In diesem Beitrag wird die Ignoranz der sozialen Frage durch europäische Intellektuelle beklagt. Und dass das kritische Lager auch von Kabarettisten aufgebrochen wird, das hat Albrecht Müller kürzlich hier geschrieben.
Auch die Praxis der Kulturpropaganda, die ohne die entsprechenden Künstler nicht möglich wäre, haben die NachDenkSeiten untersucht. So beschreibt dieser Artikel den aktuellen Propagandafilm zu Syrien, „Für Sama“. Hier wird beschrieben, wie die Macher der Berlinale der mutmaßlichen Kriegsverbrecherin Hillary Clinton gerade den roten Teppich ausgerollt haben. Wie mit „unschuldigen“ Preisverleihungen Kultur-Propaganda betrieben wird, das haben die NachDenkSeiten hier thematisiert. Und wie fragwürdig auf den Nobelpreis für Peter Handke reagiert wurde, kann man hier lesen.
Nur ein reicher Künstler kann sich einen armen Staat leisten
In der Vergangenheit war eine zusätzliche Ignoranz gegenüber der Vermittlung von Kulturtechniken zu beobachten, etwa hier oder hier. Wie problematisch Kultursponsoring durch Milliardäre sein kann, das beschreibt dieser Artikel. Dass man sich auf freiwillige Zusagen von Milliardären bezüglich Kultur nicht verlassen kann, das beschreibt am Beispiel Notre Dame dieser Artikel, zum selben Thema stellt dieser Beitrag fest: „Die Privatwirtschaft rettet die Kultur nicht – Sie entwendet sie mit den Steuergeldern, die sie nicht gezahlt hat.“
Bei zahlreichen gesellschaftlichen Defiziten hätte man sich in den vergangenen Jahren mehr kritische Stimmen aus der Kulturlandschaft gewünscht – etwa gegen Kriegstreiberei oder einen wirtschaftsliberalen Umbau der deutschen Gesellschaft. Spätestens die Härte der aktuellen Situation sollte für die Zukunft klarstellen: Nur ein reicher Künstler kann sich einen armen Staat leisten.
Titelbild: YesPhotographers / Shutterstock