Francis Joerger (links im Bild), seit 30 Jahren Bürgermeister des elsässischen Dorfes Scheibenhard, hat immerzu für die Verständigung zwischen Franzosen und Deutschen gearbeitet. Unermüdlich und mit großem Engagement. Jetzt steht er auf der Brücke zwischen Scheibenhard (Elsass) und Scheibenhardt (Südpfalz) vor einer Absperrung, die von deutscher Seite errichtet wurde – offensichtlich im Konsens mit der französischen Regierung. Francis Joerger darf die Schwestergemeinde auf deutscher Seite nicht mehr besuchen. Das traditionelle Brückenfest, ein Symbol der Verständigung, die nicht immer leicht war, fällt aus. Albrecht Müller.
Nach Einschätzung meines Freundes Francis, mit dem ich vor über 30 Jahren einen Club Vis-a-vis gegründet hatte, ist mit der neuerlichen Grenzschließung vieles kaputt gegangen. Er registriert aufmerksam und mit Sorge nationalistische Töne. Oben wird weiter die enge Freundschaft verkündet, unten sehe es anders aus. Die Animosität zwischen hüben und drüben scheint zu wachsen. Elsässer, die in Deutschland arbeiten, werden mit Strafe bedroht, wenn sie in einem deutschen Supermarkt einkaufen. Er registriert – wie auch wir – blöde Sprüche auf deutscher Seite, zum Beispiel an der saarländisch-französischen Grenze.
Auch im Saarland wird die Grenzschließung kritisiert. Von deutscher und von französischer Seite.
Die Grenzschließungen sind ohne Rücksicht auf die in den letzten Jahrzehnten stattgefundene Verflechtung getroffen worden. Franzosen, Elsässer, Lothringer arbeiten in Deutschland und umgekehrt. Deutsche wohnen in Frankreich. Franzosen, die in Deutschland arbeiten, müssen wegen der Schließung kleiner Grenzübergänge weite Wege fahren. Nebenbei: Die NachDenkSeiten selbst bekommen zu spüren, wie obskur die Grenzschließungen sind. Unser Webmaster Lars Bauer wohnt im Elsass. Er wagt es zur Zeit nicht, zur Arbeitsstelle nach Landau zu fahren, weil er fürchtet, dann nicht mehr heimfahren zu können.
Die Schließungen sind absurd, spätestens seit jenem Zeitpunkt, als in allen Ländern vergleichbar strikte Ausgangsregeln erlassen worden sind. Francis Joerger zum Beispiel darf wie alle anderen Elsässer, die nicht zur Arbeit gehen, sein Haus nur für kurze Zeit verlassen und sich nur im Umkreis von 1 km bewegen. Warum wird ihm dann der Schritt über die Grenze verwehrt? Dass diese in Scheibenhard(t) wie an vielen anderen Stellen zwischen Elsass und Lothringen auf der einen Seite und Baden, der Pfalz und dem Saarland auf der anderen Seite möglichst schnell wieder geöffnet werden, ist sinnvoll, notwendig und ungefährlich.
Aber dass die Regierenden in Bund und Ländern dies einsehen, ist unwahrscheinlich. Manche von ihnen glauben ja wohl sogar, dass ein Übertritt der Grenze von einem Bundesland zum andern oder ein Besuch an der Ostsee den Virus fördern würde.
Wie Europa gerade im Großen zerbröselt, können wir daran sehen, wie wenig und zögerlich sich die einzelnen Staaten bei der Gesundheitsversorgung geholfen haben, auch daran, dass die einzelnen Schritte letztlich nicht abgestimmt worden sind. Der Umgang mit der Corona-Krise lässt die Nationalstaaten in großem Glanz erscheinen. Nationalistisches Schulterklopfen wird Usus. „Ach wie sind wir doch so gut. Wir haben vorgesorgt und nicht über unsere Verhältnisse gelebt.“ So die unterschwellige Melodie der Deutschen. Von Peter Altmaier bis zur Börsensendung vor acht.