Leserbriefe zu „Von wegen mehr Solidarität – Der am 27. März veröffentlichte Bericht der Rentenkommission zeigt, dass die politisch entscheidenden Kräfte nichts aus der aktuellen Krise lernen.“.

Ein Artikel von:

Albrecht Müllers Artikel „Von wegen mehr Solidarität – Der am 27. März veröffentlichte Bericht der Rentenkommission zeigt, dass die politisch entscheidenden Kräfte nichts aus der aktuellen Krise lernen.“ hat zahlreiche und unterschiedliche Reaktionen bei unseren Leserinnen und Lesern ausgelöst. Danke an unsere Leserschaft für die Leserbriefe. Eine Auswahl geben wir hier nun wieder. Zusammengestellt von Christian Reimann.

1. Mail

Liebe NDS,

angesichts dessen, dass es unzählige Belege dafür gibt, dass sich das neoliberale “System” und seine politischen Repräsentanten nicht für den Schutz von Menschenleben interessieren – so lange Elend und Sterben sich anonym und nicht im Bereich der Sichtbarkeit abspielen. Daher liegt es nahe, wenn plötzlich Menschenleben diskussionslos an erster Stelle gestellt werden, anzunehmen, dass es um “mehr” gehen wird als das, was verlautbart wird. Irritierend für den Beobachter ist es vor allem, dass die Regierenden weltweit fast ausnahmslos vergleichbaren Handlungsmaximen (Social Distance) folgen und von einem Tag auf den anderen als staatsmännisch agierende Politiker und nicht mehr als Handlanger einer zur Ideologie geronnenen Interessenspolitik wahrgenommen werden. Menschen mit Neigung zu Verschwörungstheorien (“Cui bono?”) vermuten dahinter irgendeine Form von Korruption wie Lobbyismus. Ich glaube das nicht, sondern eher, dass es vor allem darum geht, ein Systemversagen in seiner offensichtlichsten Form zu verhindern. Ein Versagen, das zugleich die Legitimität (Gemeint ist die, die auf dem “Deal” beruht: Du, lieber Bürger, trittst die und die Deiner Rechte an den Staat ab, dafür garantieren wir Dir vor allem, dass Du über die Straße gehen kannst, ohne dass Dir der “Schädel” eingeschlagen wird sowie ein gewisses Maß an öffentlicher Daseinsfürsorge und Rechtssicherheit.) der herrschenden Politik in Frage stellt. Dabei spielen Parameter wie Zeit (wie viele Intensivpatienten in welcher Zeit), Zustand der öffentlichen Daseinsfürsorge sowie eine besonders drastische Form des Sterbens durch Ersticken und das Verhindern des ethischen Dilemmas einer Triage eine wichtige Rolle. Das neoliberale System galt – systembedingt – schon vor Corona als massiv krisenbehaftet und unübersehbare Folgen standen laut einiger Analysten ins Haus. Jetzt steht zu befürchten, dass alle ökonomischen Folgen Corona und nicht dem neoliberalen System zugeschrieben werden und eine überfällige Systemdebatte in dem Zuge ausbleibt.

Mir persönlich ist das Ganze zu komplex, ich habe viel mehr offene Fragen als Antworten und kann mir daher keine dezidierte Meinung erlauben. Ich glaube aber vor allem, dass es eines umfassenden Gesamtnarrativs bedarf – und nicht nur kritischer Artikel zu einzelnen Punkten, um Menschen die Möglichkeit zu eröffnen, sich von dem herrschenden Narrativ zu emanzipieren und dieses dann für sich entweder ganz oder teilweise ablehnen oder halt in Gänze annehmen. Zu so einem Gesamtnarrativ würde für mich auch eine Berechnung gehören, wie viel weniger flach die Kurve der akzeptierten Neuinfektionen verlaufen würde, wenn im Zuge der neoliberalen  Ideologie und Umverteilungspolitik nicht Krankenhäuser geschlossen und privatisiert worden wären, Personal und Betten nicht eingespart worden wären; aber u. a. auch, welche Schlussfolgerungen die Bundesregierung aus der Risikoanalyse “Bevölkerungsschutz” aus 2012 gezogen hat.

dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/120/1712051.pdf#page=55

Der Lockdown wird auf jeden Fall bis zum 19. April Bestand haben. Bis dahin werde ich weiterhin die empfohlenen Maßnahmen beachten. Aber außer dass ich in geschlossenen öffentlichen Räumen (ohne mir bekannte Empfehlung seitens offizieller Stellen) gezielt durch die Nase ein- und ausatme, tue ich nichts weiter, was ich mir selbst auferlege. Ich zahle also weiterhin mit Bargeld, benutze keine Desinfektionsmittel, trage keinen Mundschutz oder Handschuhe. Würde jetzt das Tragen eines Mundschutzes zur Pflicht, wäre für mich das Maß des Zumutbaren voll. So weit ich gelesen habe, ist bisher kein einziger Fall einer Kontaktinfektion nachgewiesen worden. Dennoch zielen viele der selbstauferlegten Maßnahmen von Einzelpersonen oder Geschäften darauf: Desinfizieren von allem Möglichen, Tragen von Handschuhen, Präferenz für bargeldlosen Zahlverkehr. All dies wird gutgeheißen und sei es allein nur mit dem Hinweis, dass es nicht schade (man wisse ja nie …) und es zumindest die allgemeine Aufmerksamkeit steigere. Ich befürchte, dass dieses Suspektgewordensein des anderen die Zeit überdauern könnte und wünschte mir einen rationaleren Umgang mit dem Corona-Virus, welcher vor allem auf Fakten, Statistiken und Wahrscheinlichkeiten beruht.

Davon ab – “and now for something completely different”: Ich fühle mich zuweilen ein wenig an Kurt Tucholskys “Die Leibesfrucht spricht”
textlog.de/tucholsky-leibesfrucht.html
erinnert – nur umgekehrt: dass bei Corona anstelle der Geburt das Sterben getreten ist: “Wir tun alles dafür, dass Du nicht stirbst, aber für ein Leben in Würde und wie Du zurechtkommst auf Erden, dafür interessieren wir uns eher nicht.”

Viele Grüße
Stefan Eichardt


2. Mail

Sehr geehrter Herr Müller

Die Zukunft ist nicht nur durch die Corona Krise längst geschrieben. Der Mittelstand geht so oder so baden. Die Wohlhabenden werden herbe Verluste einfahren. Der persönliche Luxus wird vollständig verschwinden. Die Reichen heulen über ihre Milliarden Verluste, die sie über den Bürger auf die eine oder andere Art wieder reinholen. Auch aus einem trockenen Stein kann man noch viele Tropfen Wasser heraus quetschen. Wer sich nicht selbst vorsorgen kann, das ist eine deutliche globale Mehrheit, hat den schwarzen Peter bis zum Ende seiner Rente. Die Missstände sind klar, nur jene die das ändern könnten, verstehen es nicht, wollen und können auch nicht und glauben noch an den Weihnachtsmann. Na irgendwer wird es schon richten. Blöd ist nur, viele wichtige Ressourcen wachsen nicht nach, werden trotzdem sinnlos weiter verschleudert, für kleine Judaslöhne, dem seelenlosen Profit. Irgendwann verkaufen wir sogar schon zu Lebzeiten unsere eigenen Leichen, denn materieller  Wohlstand ist ja alles.

Der heutige Bürger ist wie die heutige Jugend, die erwartet das sie durch nichts tun, das Recht auf Windeln haben. Es ist jedoch an der Zeit zur Nutzgemeinschaft im und durch das Volk selbst zurück zu kehren, wo jeder nur das haben wird, was er wirklich zum Leben braucht. Aber wer glaubt allen Ernstes das der liebe Bürger auf sein bequemes Leben mit all den schönen Konsum verzichtet, um eine bessere Welt zu schaffen, in der die geliebte Zivilisation Schnee von gestern ist? Der Krug wird weiter zum Brunnen gehen, bis er zerbricht. Was dann wird, soweit denkt heute doch niemand mehr. Wir leben heutevnur noch für den Moment, der Rest ist nur eine Illusion, denn von Nichts kommt eben auch Nichts.

Das Leben selbst findet immer einen Weg, nur der Mensch nicht, er behaart auf einen Iststand, der schon heute wertlos ist. Die Krise wird nach 5 bis 10 Jahren zeigen, das Nichtstun schlimmer ist, als nur Pleite zu sein. Wohlstand ist nur relativ, wie ein trockener Weihnachtsbaum. Hält man ein Feuerzeug dran, löst er sich in Rauch auf. Kommt der Bürger nicht bald zu seinen Wurzeln zurück, löst sich sein kleines Leben, mit allen Anderen in heiße Luft auf. Was zu tun ist, ist sonnenklar, nur wer hängt nun der Katze die Schelle um den Hals?

PS: Ich könnte mir die NDS als neue Regierende vorstellen. Mitarbeiter in Form von Lesern haben Sie ja. Tendenz steigend. Ist es wirklich nur undenkbar oder ist die Verantwortung nur zu groß? Wie aber definiert man Not und Elend in den nächsten Jahren, wo die Armen und Kranken deutlich in der Überzahl sein werden. Der schwarze Peter erreicht dann jeden.

Mit freundlichen Grüßen
F.B.


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