Unser Land wird derzeit von der Covid-19-Pandemie beherrscht, die mit erheblichen und sehr einschneidenden Maßnahmen einhergeht. Schulen, Kindergärten, Spielplätze, Restaurants, Hotels und viele Geschäfte sind für unbestimmte Zeit geschlossen worden. Etliche Selbstständige werden trotz der zugesagten staatlichen Hilfen wahrscheinlich aufgeben müssen und etliche Arbeiter und Angestellte werden voraussichtlich ihren Arbeitsplatz verlieren oder Angst davor bekommen, ob sie ihren Lebensunterhalt noch weiter bestreiten können. Wirtschaftlich droht eine Rezession. Seit Sonntag, dem 22.3.2020, gibt es bei uns eine Kontaktsperre mit Versammlungsverbot. Diese und weitere Maßnahmen erscheinen der Mehrzahl unserer Bevölkerung angesichts der Bedrohung durch das Virus derzeit unumgänglich. Von Monika Scheidt und Klaus-Dieter Kolenda
Covid-19 – Was ist das?
Covid-19 ist eine Abkürzung für Corona virus disease 2019. Es handelt sich um eine neue Atemwegserkrankung durch ein neu aufgetretenes Corona-Virus (Sars-CoV-2). Dieses Virus ist hoch ansteckend, verläuft mit exponentiellem Anstieg und hat inzwischen zu einer Pandemie geführt. Nach Mitteilung der Epidemiologen liegt die Zeit, in der sich die Zahlen der Infizierten verdoppeln, in Deutschland derzeit bei ca. 6 Tagen.
Die dramatisch ansteigenden Zahlen von intensivpflichtigen Patienten, zum Beispiel in Italien, Spanien, Frankreich und den USA, weisen darauf hin, das dieses neue Corona-Virus häufiger schwere Atemwegserkrankungen verursacht als die bekannten Grippeviren, gegen die man ja auch durch eine regelmäßige jährliche Impfung eine weitgehende Immunität aufbauen kann. Dagegen besitzen die mit Sars-CoV-2 erstmals Infizierten keine schützende Immunität und eine wirksame Impfung ist nicht in Sicht.
Doch die große Mehrheit, 85-90% der Infizierten, die über eine gesunde Immunabwehr verfügen, bemerken von der Infektion gar nichts oder nur geringe grippeartige Symptome. Dennoch können sie die Viren auf eine Vielzahl anderer Menschen übertragen. Bei ca. 10-15% der Infizierten, deren Abwehrsystem nicht (mehr) so stark ist, können die Corona-Viren aber bis in die tiefen Atemwege und die Lungen gelangen und dort eine schwere Lungenentzündung auslösen, die unter Umständen so schwer verlaufen kann, dass die Patienten auf der Intensivstation beatmet werden müssen und am Ende vielleicht sogar sterben. In Italien und Spanien sind bereits Tausende Patienten verstorben, bei uns in Deutschland bislang 682 bei 61.180 positiv auf das Corona-Virus getesteten Personen (31.3.2020).
Bei den dramatischen Bildern zum Beispiel aus der Lombardei, Madrid oder dem Elsass, die uns in den letzten Tagen im Fernsehen gezeigt wurden, wo teilweise katastrophale Zustände auf den dortigen Intensivstationen herrschen, die Ärzte wegen Überfüllung eine Triage durchführen müssen und zum Teil über 80-Jährige dort nicht mehr behandelt werden können, müssen wir bedenken, dass diese Zustände kein Zufall sind oder allein durch Covid-19 verursacht werden. Sondern sie sind auch Folgen der politisch gewollten Ökonomisierung des Gesundheitswesens, die in den letzten beiden Jahrzehnten rigoros durchgeführt wurde [1][2][3]. Es wurden Privatisierungen der Krankenhäuser durchgeführt und viele Kliniken wurden geschlossen, weil sie angeblich nicht mehr rentabel waren, und es wurden Betten abgebaut und Pflegekräfte entlassen. In Deutschland hat diese neoliberale Politik im Gesundheitswesen dazu geführt, dass etwa ein Drittel aller Krankenhäuser geschlossen und mindestens 50.000 Stellen für Pflegekräfte abgebaut worden sind.
Risiko-Patienten
Den 10-15% der mit dem Corona-Virus Infizierten mit eingeschränkten Abwehrkräften, den so genannten Risiko-Patienten, gilt mit Recht unsere Solidarität. Für sie nimmt die gesamte Bevölkerung tief greifende Restriktionen und Einbußen auf sich, um sie vor einer Ansteckung zu schützen, denn für sie geht es häufig um „Leben oder Tod“. Die erlassenen Maßnahmen sollen die Ausbreitung der Infektion verlangsamen, damit möglichst wenige Risikopersonen zur gleichen Zeit erkranken. Nur so kann jedem Schwerer- oder Schwersterkrankten bei der derzeitigen Situation in den Krankenhäusern eine optimale medizinische Versorgung zuteil werden, ohne dass unser Gesundheitssystem überfordert wird.
Wer zu den Risikopersonen gehört, darüber werden wir in Funk, Fernsehen, Zeitungen oder sozialen Medien ununterbrochen informiert: Es sind vor allem die Älteren und Hochbetagten, die über 70- oder 80-Jährigen, das heißt Menschen, die in den meisten Fällen bereits an einer vorbestehenden chronischen Krankheit leiden, zum Beispiel an Diabetes, an einer Herzkreislauf- oder Lungenerkrankung oder an Krebs. Bei vielen von ihnen kann eine Infektion mit dem Corona-Virus zu einem schweren bis schwersten Verlauf von Covid-19 führen.
Aber auch jüngere Patienten können von Covid-19 betroffen sein, insbesondere, wenn bei ihnen ebenfalls Gesundheitsstörungen bestehen, die mit einer Schwächung des Immunsystems einhergehen. Eine weitere besondere Risikogruppe sind Pflegekräfte und Ärzte auf Intensivstationen und in Einrichtungen, in denen Infizierte behandelt und betreut werden müssen. So sollen in Italien und Spanien schon 10-15% der Pflegekräfte und Ärzte auf den Intensivstationen infiziert sein und fallen deshalb aus. Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass Schutzkleidung und schützende Atemmasken Mangelware sind.
Auch Raucher als Risikogruppe anerkennen
Nun ist Anfang März in der englischen Ausgabe des Chinese Medical Journal eine erste Arbeit erschienen, in der neben dem Lebensalter auf eine weitere wichtige Risikogruppe aufmerksam gemacht wird: die Raucher [4]. In dieser Studie wurde der klinische Verlauf bei 78 Patienten, die mit Covid-19 in ein Krankenhaus in Wuhan eingewiesen wurden, zwei Wochen lang beobachtet. Während dieser Beobachtungszeit hatte sich die Krankheit bei 11 Patienten verschlechtert, während sie sich bei 67 Patienten verbessert beziehungsweise stabilisiert hatte. In der Gruppe der Patienten mit einem verschlechterten Krankheitsverlauf war der prozentuale Anteil der Raucher neunmal so groß wie in der Gruppe derjenigen mit mildem Krankheitsverlauf. In dieser Untersuchung war das Rauchen neben dem Lebensalter der stärkste Risikofaktor für einen ungünstigen Krankheitsverlauf.
Eigentlich dürfte das Ergebnis dieser Studie niemanden überraschen. Eine durch Tabakrauch vorgeschädigte Lunge wird natürlich der Ausbreitung einer Virus-Infektion weniger Widerstand entgegensetzen können. So ist zum Beispiel schon lange bekannt, dass Zigarettenrauch die Aktivität der Flimmerhärchen in den Bronchien lähmt, so dass die Selbstreinigungsfunktion der Bronchien, die so genannte mukoziliare Clearance, gestört ist. Das dürfte sich nicht nur auf kleine und kleinste Schmutzpartikel oder Bakterien auswirken, sondern auch auf die in die Bronchien und die Lunge gelangten Viren wie zum Beispiel Sars-CoV-2.
Überraschend war lediglich das Ausmaß der bei den Rauchern beobachteten Erhöhung der Erkrankungszahlen an schwerer kranken Patienten. Führende Wissenschaftler und Pneumologen haben diese Untersuchung zur Kenntnis genommen. Das Robert Koch-Institut (RKI) führt in seinem “Steckbrief Corona” das Rauchen nun als eigenständigen Risikofaktor für einen schweren Krankheitsverlauf auf [5].
Auch Michael Pfeifer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin und Leiter der Pneumologie am Universitätsklinikum Regensburg, geht in einer aktuellen Stellungnahme davon aus, dass Zigarettenkonsum das Risiko erhöht, an der neuen Lungenkrankheit Covid-19 zu erkranken [6]. Er sagt, dass die Daten zum Verlauf aus Wuhan darauf hinweisen, dass das Risiko eines schweren Krankheitsverlaufs mit einer handfesten Lungenentzündung für Raucher deutlich höher sei. Deshalb empfiehlt er den Rauchern – angesichts ihrer größeren Gefährdung durch Covid-19 – auf das Rauchen nun zu verzichten.
Die Vermutung, dass Rauchen bei der neuen Lungenerkrankung ein Risikofaktor sein könnte, liege nahe, sagt Manfred Neuberger, der Wiener Umwelthygieniker und Leiter der dortigen Ärzteinitiative gegen Raucherschäden [7]. Erste Berichte aus China über überwiegend männliche Covid-19-Patienten hätten schon in die Richtung gewiesen, “dass das auch etwas mit Lebensgewohnheiten zu tun hat”. Denn in China würden mehr Männer als Frauen rauchen, so der Wissenschafter von der Medizinischen Fakultät der Universität Wien. Das würde erklären, dass Männer häufiger an dieser Erkrankung versterben. Auch beim verwandten MERS-Virus habe es unter den Verstorbenen eine Häufung an Rauchern gegeben.
Neuberger plädiert dafür, Raucher in die Gruppe jener Menschen miteinzubeziehen, die ein größeres Risiko für einen schweren Verlauf bei Coronavirus-Infektionen haben. “Raucher müssen sich also noch mehr vor Übertragung schützen”, indem sie Menschenansammlungen meiden oder sich nach Kontakten die Hände gründlich waschen, so der Wissenschaftler.
Von der Risikogruppe der Raucher hört man in der Öffentlichkeit nichts
Weitere Verbreitung hat diese Nachricht aus China bislang nicht gefunden. Zumindest in den öffentlichkeitswirksamen Talkshows von Anne Will am 22.3.2020 und der Sendung “Hart aber fair” am darauf folgenden Tag war sehr viel von den unbedingt zu schützenden Älteren und Vorerkrankten die Rede, von den gleichermaßen zu schützenden Rauchern hörte man nichts. Dabei handelt es sich nicht gerade um eine kleine Gruppe. Circa 12 Millionen Menschen, also 15% der Gesamtbevölkerung, rauchen, dazu kommen noch die meist sehr jungen Liebhaber der Wasserpfeife, die ihre Lungen in einer kurzen Zeit mit weitaus größeren Schadstoffmengen belasten und sie damit anfälliger machen für Krankheitserreger aller Art.
Nur zum Vergleich: Auch die über 70-Jährigen machen ca. 15% der Gesamtbevölkerung aus. Ihnen werden – zu ihrem eigenen Schutz – zusätzlich zu den allgemeinen Restriktionen weitere schmerzhafte Opfer abverlangt. Gemäß den geltenden Empfehlungen sollen sie ihre Enkelkinder nicht mehr oder kaum noch sehen. In etlichen Seniorenstiften oder Pflegeheimen herrscht mittlerweile absolutes Besuchsverbot. Die verordnete soziale Isolation wird manch einem alten Menschen buchstäblich “das Herz brechen”.
Was sollten wir tun?
Nun könnte man fragen, wie der solidarische Beitrag aussehen sollte, den die Risikogruppe der Raucher erbringen könnte, “zu ihrem eigenen Schutz” und für die Gemeinschaft, die ja zum Schutz der Risikogruppen immens große Opfer bringt. Man könnte auch fragen nach einer Erweiterung des Rauchverbotes, zum Beispiel auf dem Gelände sozialer und medizinischer Einrichtungen, sowie nach einer Beschränkung der Abgabemenge von Zigaretten.
Aber alle diese Fragen werden derzeit nicht gestellt. Und vielleicht ist es auch klug, diese Fragen nicht zu stellen. Man möchte eine weitere Polarisierung der Gesellschaft vermeiden und feindselige Diskussionen gar nicht erst aufkommen lassen. Am besten sollte man die Raucher bezüglich ihres Corona-Risikos zuordnen zu den Menschen mit Vorerkrankungen. So wird auch in der Realität verfahren. Aber zeugt das von verantwortungsbewusstem Handeln?
Fortgesetztes Rauchen ist bekanntlich eine chronische Suchterkrankung, die die Betroffenen viele Jahre früher sterben lässt, auch ohne Covid-19, aber mit schwerer Erkrankung durch Covid-19 noch früher, unter Umständen sehr viel früher. Dann wäre jedoch die Frage berechtigt, wie lange wir es uns noch leisten können, die Tabak-Suchterkrankung unbehandelt zu lassen beziehungsweise die Behandlung allein in den “Bereich der persönlichen Verantwortung” der Erkrankten zu legen (Urteil des Bundessozialgerichtes vom Juli 2019), was vom Effekt her einer Nicht-Behandlung gleichkommt.
Eine erfolgreiche Raucherentwöhnung würde in jedem Fall, unabhängig von Covid-19, mit einem erheblichen gesundheitlichen Nutzen für die Raucher einhergehen [8][9]. In Corona-Zeiten sollte aber auch an einen möglichen zusätzlichen Nutzen bei einer erfolgreichen Raucherentwöhnung gedacht werden. Es sollte bedacht werden, dass heute niemand sicher sagen kann, wie die Corona-Infektion in Deutschland in den nächsten Monaten weiter verlaufen wird. Es könnte durchaus sein, dass sie, wenn sie ihren Höhepunkt überschritten hat und die Infektionsrate zurückgeht, noch Monate, eventuell auch Jahre, zeitweise immer wieder auf niedrigerem Niveau auftreten wird, bis eine effektive Impfung gefunden ist und praktiziert worden ist. Raucher würden, falls sie sich dann anstecken sollten, nach einer erfolgreichen Raucherentwöhnung auch von einer milder verlaufenden Erkrankung durch das Corona-Virus profitieren können.
Milliardenschwere Hilfsprojekte sind aufgelegt worden zur Unterstützung der Wirtschaft. Glücklicherweise ist unser Staat dazu in der Lage. Aber wäre es nicht sinnvoll, in dieser jetzigen Ausnahme-Situation auch der Risikogruppe der Raucher kostendeckende finanzielle Hilfen anzubieten für den Ausstieg? Schließlich kann man diese im Durchschnitt jüngere Risikogruppe nicht über Wochen und Monate von der Öffentlichkeit und aus ihrem Berufsleben fernhalten. Warum wird darüber nicht diskutiert? Dabei wären die Kosten, die aufzubringen wären für eine erfolgreiche Raucherentwöhnung, vernachlässigbar gering im Vergleich zu den Kosten für die Behandlung einer schweren Lungenentzündung bei Covid-19.
Aber diese Fragen müssen die Politik und die Gerichte entscheiden. Seit dem letzten Jahr liegen aufgrund einer Initiative des Allgemeinarztes Dr. Ulf Ratje aus Eckernförde, die von der Deutschen Gesellschaft für Nikotin- und Tabakforschung e. v. (DGNTF) unterstützt wird, diese Fragen dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vor [10]. Bis zu einer Entscheidung durch das höchste Gericht werden wahrscheinlich noch Jahre vergehen. Es ist sehr in Zweifel zu ziehen, ob wir in Zeiten der Pandemie mit einer wirksamen Hilfe für die Risikogruppe der Raucher noch soviel Zeit verstreichen lassen können. Die Politik müsste jetzt handeln!
Autorin und Autor:
Monika Scheidt, Dr. med., Lungenfachärztin, derzeit tätig im Thoraxchirurgischen Zentrum des St. Vincenz Hospitals in Köln-Nippes. Sie betreibt dort seit Jahren eine Rauchersprechstunde und ist Mitglied des Vorstands der Deutschen Gesellschaft für Nikotin- und Tabakforschung e.V. (DGNTF).
E-Mail: scheidt.monika(at)t-online.de
Klaus-Dieter Kolenda, Prof. Dr. med., war von 1985 bis 2006 Chefarzt einer Rehabilitationsklinik für Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems, der Atemwege und des Stoffwechsels. Er ist Mitglied des Vorstands der Deutschen Gesellschaft für Nikotin- und Tabakforschung e.V. (DGNTF).
E-Mail: klaus-dieter.kolenda(at)gmx.de
Titelbild: Sergii Sobolevskyi/shutterstock.com
[«1] Vom Krankenhaus zum kranken Haus? Klinikum zwischen ethischem Anspruch und Kostendruck. Öffentliche Tagung am 22.10.2014, Deutsches Hygiene-Museum Dresden.
[«2] Ökonomisierung der Krankenhäuser. Traurige Diagnose. Deutschlandfunk 12.5.2019.
[«3] Badenberg C. Ökonomisierung in den Kliniken ist politisch gewollt! Ärztezeitung 21.11.2014
[«4] Liu W, Tao ZW, et al. Analysis of factors associated with disease outcomes in hospitalized patients with novel 2019 coronavirus disease. Chinese Medical Journal (Engl), 2020 Feb 28, doi: 10.1097/CM9.0000000000000775. (Epub ahead of print)
[«5] SARS-CoV-2-Steckbrief zur Coronavirus-Krankheit-2019 (Covid-19), Robert-Koch-Institut (RKI), aktualisiertes Blatt vom 23.3.2020.
[«6] Rauchen erhöht Corona-Erkrankungsrisiko. Lungenärzte im Netz vom 18.3.20.
[«7] Raucher erkranken möglicherweise schwerer an Covid-19. Der Standard. 4.3.2020
[«8] Kolenda KD. Hauptsache nikotinabhängig. Über die Gesundheitsgefahren des Rauchens und des Gebrauchs von E-Inhalationsprodukten und Tabakerhitzern. Nachdenkseiten 8.7.2018
[«9] Kolenda KD. Das tödlichste Artefakt- Gedanken zu Robert Proctors Buch über die Zigarettenkatastrophe. Nachdenkseiten 29.11.2018
[«10] Ratje U. Fragwürdiges Urteil. Raucherentwöhnung weiterhin keine Kassenleistung. Algemeinarzt-online vom 28.10.2019