Die Bundeswehr möchte bewaffnete Drohnen. Darüber sollten Politiker mit Kirchenvertretern, Wissenschaftlern und Mitgliedern ziviler Organisationen am 24. März im Verteidigungsministerium diskutieren. Die Veranstaltung wurde wegen der Coronakrise abgesagt – vorerst. Einer der Podiumsteilnehmer sollte Peter Becker sein. Im NachDenkSeiten-Interview verdeutlicht der Rechtsanwalt, auf welch wackeligen Beinen Einsätze mit bewaffneten Drohnen erfolgen. „Kriegsführung“, so Becker, „muss mit dem Völkerrecht vereinbar sein.“ Becker, der sich als Mitglied der Juristenorganisation IALANA für das Völkerrecht stark macht, ist der Auffassung: „Die Drohnenkriegsführung ist nicht zu verantworten.“ Ein Interview über die Probleme beim Einsatz bewaffneter Drohnen und die rechtlichen Zusammenhänge. Von Marcus Klöckner.
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Herr Becker, Sie sollten an der Podiumsdiskussion im Bundesverteidigungsministerium zum Thema bewaffnete Drohnen teilnehmen. Diese wurde nun vorerst abgesagt. Was hätten Sie gesagt, was ist Ihr Standpunkt?
Ich lehne im Ergebnis die Bewaffnung von Drohnen ab. Die Erfahrungen mit insbesondere den US-amerikanischen Drohnentötungen sind zu negativ. Deutschland setzt seit 1990 Aufklärungsdrohnen ein. Jetzt steht die Anschaffung bewaffneter Drohnen an. Dazu steht im Koalitionsvertrag, dass die Bundesregierung das Votum des Bundestages einholen muss. Meine Stellungnahme ist allerdings komplex:
Die Diskussion über bewaffnete Drohnen ist nicht einfach. Moralische, ethische, aber auch völkerrechtliche und verfassungsrechtliche Dimensionen sind zu beachten.
Auch die Bundeswehr möchte nun ihre Drohnen bewaffnen. Was halten Sie davon?
Die Bundeswehr begibt sich auf Glatteis. Die rechtlichen Vorgaben sind so ungenau, dass bei jedem Drohneneinsatz ein Rechtsberater dabei sein müsste, der prüft, ob der bewaffnete Drohneneinsatz zulässig ist, oder nicht.
Wie sieht es aus rechtlicher Sicht aus, wenn die Bundeswehr Zieldaten für die bewaffneten Drohnen liefert?
Die US-amerikanischen Erfahrungen zeigen, dass gerade die Zielbestimmung oft dubios ist. Die US-Army hat auf „Erkenntnisse“ der CIA zurückgegriffen, die häufig ungesichert waren oder rechtlich „falsche Fälle“ betrafen. Die Bundeswehr müsste prüfen, inwieweit sie eigene Erkenntnisse vorliegen hat oder ob sie auf Erkenntnisse des Bundesnachrichtendienstes (BND) oder gar der CIA zugreifen muss. Dieser ganze Bereich muss durchdiskutiert werden.
Die Bundeswehr erklärt, sie brauche bewaffnete Drohnen zum Schutz der eigenen Soldaten. Aber wie sehen die Fallgestaltungen aus, in denen ein Soldat „geschützt“ werden muss? Weiß das der einzelne Soldat selbst? Oder sein Oberst? Oder sein General? Oder der militärische Abschirmdienst (MAD)?
Außerdem haben vier ehemalige Drohnenpiloten in einem offenen Brief an Präsident Obama ihre Schwierigkeiten beim Drohneneinsatz geschildert. Sie beschrieben sehr nachvollziehbar das „Joystick-Phänomen“; also die Enthemmung, der der Drohnenpilot unterliegt. Er kennt außerdem nicht die Basis der Zielbestimmung oder gar die Eigenheiten der Gesellschaft, in der die Kampfdrohne zum Einsatz kommt. Die USA haben vier Drohnentötungen in Pakistan vorgenommen. In Pakistan gibt es aber keine Bürgerkriegssituation. Die USA haben sich vielmehr das Recht genommen, Taliban, oder was sie dafür hielten, zu töten. Das hat zu einem hochinteressanten Urteil des High Court of Peshawar geführt, das die pakistanische Regierung verpflichtet hat, bei den US-Amerikanern gegen diese Einsätze auf pakistanischem Boden zu protestieren.
Folgt man offiziellen Stellungnahmen zum Einsatz bewaffneter Drohnen, dann wird immer wieder darauf verwiesen, mit Drohnen könne man „Schurken“ schnell „ausschalten“. Anders gesagt: Die Effektivität der Drohne beim Kampf „Gut“ gegen „Böse“ steht im Vordergrund. So einfach ist die Sache aber nicht, oder?
In der Tat: Der Bundeswehrsoldat, der sich nicht an das humanitäre Kriegsvölkerrecht hält, ist nicht per se „gut“, sondern „böse“; er handelt nämlich rechtswidrig. Das große Problem ist das „targeting“. Die US-Amerikaner haben sogenannte „signature strikes“ durchgeführt, also Tötungen, bei denen nur der Verdacht bestand, das Opfer sei Kombattant.
Eine schlimme Verirrung war auch die sogenannte „Kill-List“ der CIA, die jeden Dienstag Präsident Obama vorgelegt wurde, der dann entscheiden musste, ob und wer getötet werden könne. Woher wusste der Präsident, wie gesichert die Geheimdienstinformationen waren?
Was sagt das Völkerrecht zum Einsatz der Drohnen?
Es gibt schon eine ganz grundsätzliche Vorfrage, die in der Rechtsprechung nicht beachtet wird: Die Kriegführung selbst muss mit dem Völkerrecht vereinbar sein.
Wie meinen Sie das?
Es gibt nur zwei Fälle, in denen die UN-Charta (UNC) den Einsatz kriegerischer Mittel erlaubt, den Fall der Notwehr gemäß Art. 51 UNC; und die Entscheidung des Sicherheitsrats gemäß Art. 42 UNC.
Die US-Streitkräfte haben in Somalia Drohnentötungen vorgenommen. In dem Land waren sie aber nicht an kriegerischen Auseinandersetzungen beteiligt. Deswegen stand ihnen auch kein Recht zu Drohnentötungen zu. Diese Einsätze waren rechtswidrig; es lag kein, wie die Völkerrechtler sagen, „ius in bello“ [Anmerk. Red.: Recht im Krieg] vor.
Außerdem geht es um die schwierige Frage, wann in einer zulässigen militärischen Auseinandersetzung zu Kampfdrohnen gegriffen werden kann. Das Völkerrecht stellt dazu die sogenannten „Genfer Rot-Kreuz-Abkommen“ bereit, nämlich das Zusatzprotokoll zu dem Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte. Das sogenannte ZP I, das sich mit echten Kriegen befasst, schreibt vor, dass die Konfliktparteien in einem bewaffneten Konflikt kein unbeschränktes Recht in der Wahl der Methoden und Mittel der Kriegführung haben. Sie dürfen keine Waffen einsetzen, die überflüssige Verletzungen oder unnötige Leiden verursachen, und dürfen keine Methoden oder Mittel der Kriegführung verwenden, die erwarten lassen, dass sie schwere Schäden der natürlichen Umwelt verursachen. Bei neuen Waffen müssen sie prüfen, ob diese völkerrechtsgemäß eingesetzt werden können.
In den Artikeln 48 ff. ist geregelt, dass Parteien Gewalt nur gegen Kombattanten einsetzen dürfen; die Zivilbevölkerung und auch „zivile Objekte“ sind absolut geschützt (insbesondere 51, der den Schutz der Zivilbevölkerung regelt).
Das Zusatzprotokoll zu dem Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte (ZP II) gilt insbesondere für Bürgerkriege und sieht in Art. 13 ff. ebenso einen Schutz der Zivilbevölkerung vor. Das sind Regeln für das „ius in bello“.
Was man beachten muss: Kampfdrohnen können, wenn diese Bedingungen beachtet werden, völkerrechtsgemäß eingesetzt werden.
Was sagt unsere Verfassung?
Hier gibt es insbesondere den Artikel 25 GG, eine Bestimmung, die eine Nischenexistenz führt, die aber eine große Bedeutung erlangen könnte: Nach dieser Vorschrift sind die allgemeinen Regeln des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts; Bürger können sich darauf berufen. Zu den allgemeinen Regeln des Völkerrechts zählt das Gewaltverbot in Art. 2 Abs. 4 der Charta, das ich schon erwähnt habe, ferner die Bestimmungen des sogenannten humanitären Kriegsvölkerrechts, das sind die gerade erwähnten Zusatzprotokolle. Das ist spätestens seit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. April 2016 (das sogenannte „Jung-Urteil“) gesichert. Ich habe zusammen mit meinem Kollegen Otto Jäckel diesen Prozess betreut. Wir haben zwar aus prozessualen Gründen verloren; das Gericht hat unserem Mandanten Wolfgang Jung keine Klagebefugnis zugesprochen, er war also nach Ansicht des Gerichts nicht berechtigt, sich auf die allgemeinen Regeln des Völkerrechts zu berufen. Aber inzwischen gibt es ein neues Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster in der „Sache Jaber“ vom 19.03.2019, in dem das Gericht die Bundesregierung wie folgt verpflichtet hat:
„12. Das völkerrechtliche Verbot willkürlicher Tötungen verlangt, dass wirksame amtliche Ermittlungen durchgeführt werden, wenn Personen durch Gewaltanwendung insbesondere durch Vertreter des Staates getötet werden.
13. Im Rahmen der verfassungsrechtlichen Schutzpflicht ist es Sache der Bundesregierung, auch unter Abwägung mit außen- und verteidigungspolitischen staatlichen Belangen darüber zu entscheiden, welche konkreten Schutzmaßnahmen sie zu ergreifen gedenkt.“
Das Urteil ist sehr interessant; schon in seinem Tatbestand mit den Tatsachenfeststellungen. Es zieht im Grunde die Konsequenzen aus dem Jung-Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in einem Fall, in dem der Kläger eben klagebefugt war.
Wie müsste der rechtliche Rahmen aussehen?
Ich bin mit den Teilnehmern einer Konferenz beim European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) im Oktober 2016 der Auffassung, dass das humanitäre Kriegsvölkerrecht zu allgemein ist. Es müssen spezielle Regelungen für den Drohnenkrieg geschaffen werden. Das Hauptproblem ist die sogenannte Zielbestimmung („targeting“). Wann ist ein Mensch „Kombattant“; wie ist beispielsweise ein Kämpfer einzustufen, wenn er sich zuhause aufhält oder das Kämpfen ganz aufgegeben hat? Ich habe dafür den Entwurf eines völkerrechtlichen Abkommens über die Drohnenkriegführung geschrieben und auch in einer Fachzeitschrift veröffentlicht (Neue Erkenntnisse zur Drohnenkriegführung, Deutsches Verwaltungsblatt 2016, 619). In diesem Abkommen, das m.E. Chancen zur Realisierung hat, werden insbesondere die Regierungen verpflichtet, etwaige Einsätze bewaffneter Drohnen in ihrem Herrschaftsbereich zu untersuchen und eingehende rechtliche Regeln zu entwickeln.
Wie wird die Diskussion im Bundesverteidigungsministerium verlaufen?
Das Ministerium will den Auftrag aus dem Koalitionsvertrag erfüllen, aber es wird an der Herbeiführung des Ergebnisses arbeiten, dass es Kampfdrohnen anschaffen darf. Das Argument wird sein: Wir brauchen sie zum Schutz der eigenen Soldaten. Es mag Fälle geben, wo das so ist. Ich meine aber, dass der Bundestag angesichts der US-amerikanischen Vorgehensweisen Regeln schaffen muss, die verhindern, dass Einsätze erfolgen, bei denen das Völkerrecht verletzt wird. Das müssen Regeln für das „targeting“ sein. Es müsste z.B. geprüft werden, wenn ein Einsatz aufgrund von Geheimdienstinformationen erfolgt, ob bei der gesamten Durchführung das Völkerrecht beachtet wird. Dazu gehört Transparenz der Ergebnisse. Außerdem ist völlig unklar, wie weit die Rechte des Bundestags bei der Drohnenkriegführung gehen; mit anderen Worten: Wie wird der „Parlamentsvorbehalt“ gesichert? Das muss alles geregelt sein. Da die ganze Diskussion im Ministerium nicht darauf angelegt ist, gibt es keine gesicherte Entscheidungssituation.
Haben Sie Forderungen an die Regierung?
Ja. Meines Erachtens ist die Drohnenkriegführung nicht zu verantworten. Die Einsatzsituation ist in der Regel völlig unklar. Die Lage ist ganz anders als die herkömmliche Gefechtslage, die der Soldat erlernt hat. Wie anders sie ist, zeigen die amerikanischen Drohnenpiloten, die allesamt an dem Posttraumatischen Belastungssyndrom (PTBS) erkrankt sind. Meine klare Forderung: Der Drohnenkrieg muss unterbleiben. Die Bundeswehr darf keine Kampfdrohnen anschaffen.
Titelbild: sibsky2016 / Shutterstock