Heiner Flassbeck: Das gibt einen ganz tiefen Einbruch und den muss der Staat jetzt abfedern.

Heiner Flassbeck: Das gibt einen ganz tiefen Einbruch und den muss der Staat jetzt abfedern.

Heiner Flassbeck: Das gibt einen ganz tiefen Einbruch und den muss der Staat jetzt abfedern.

Ein Artikel von: Redaktion

In Zeiten, in denen ein Virus das Tagesgeschehen beherrscht, sind viele Menschen besorgt über die wirtschaftliche Lage im Land. Sie fragen sich, ob es nach der ‚Coronakrise‘ ihren Arbeitsplatz und ihren Betrieb noch geben wird. Die Moderatorin Milena Preradovic hat auf ihrem Kanal Punkt.PRERADOVIC mit Prof. Heiner Flassbeck über die aktuelle Situation und seine Lösungsvorschläge gesprochen. Flassbeck rechnet mit einem Einbruch des Bruttoinlandsprodukts von 20 bis 30 Prozent. Er sagt, das sei ein einmaliger Schock, der mit einer normalen Rezession nichts zu tun habe. Der Makroökonom fordert nun drastische, aber vor allem unbürokratische und schnelle, stabilisierende Maßnahmen, sowie ein Ende von Schuldenbremse, Sparpolitik und eine Abschaffung der Kriterien des Maastricht-Vertrags. Christian Goldbrunner hat das Interview transkribiert.

Milena Preradovic: Heiner Flassbeck, Ex-Top-Volkswirt bei der UNO und Ex-Staatssekretär im Bundesfinanzministerium. Bonjour nach Frankreich. Was bedeutet das, wenn Volkswagen, Daimler, Audi, BMW in Deutschland zumachen?

Heiner Flassbeck: Das bedeutet in der Tat eine ganz große Krise, das haben wir noch nie erlebt. So etwas in dieser Dimension hat es noch nicht gegeben, dass so viele Firmen schließen müssen. Es sind ja nicht nur Automobilproduzenten, sondern viele andere auch, entweder weil sie ihre Belegschaft nicht in Gefahr bringen wollen oder aber weil sie keine Nachfrage mehr haben. In dieser Zeit kauft eben niemand Autos. Das ist völlig klar, und das wird in der Tat ein ganz, ganz tiefer Einbruch der Wirtschaft und es ist bedauerlich, dass Frau Merkel gestern Abend darüber nicht klar und deutlich geredet hat.

Die Wirtschaft scheint im Moment noch kein so großes Thema zu sein. Alles konzentriert sich auf das Medizinische, auf das Virus. Ist da schon eine Angst vor dieser Wirtschaftskrise dahinter zu sehen Ihrer Ansicht nach?

Ja, unterschwellig ist das sicher da, aber es ist eben nicht offen, das muss offen diskutiert werden. Frau Merkel hätte sagen müssen: Leute, auch im Bereich Wirtschaft wird es wirklich ernst, wir werden einen tiefen Einbruch erleben. Also man kann unterschiedliche Szenarien rechnen, aber wenn das Ganze drei bis vier Monate dauert, reden wir von einem Einbruch des Bruttoinlandsprodukts von 20 bis 30 Prozent. Das hat mit einer normalen Rezession überhaupt nichts zu tun. Man soll nicht mehr über Rezession reden, es hat auch mit einem normalen Schock nichts zu tun. Es ist ein ganz, ganz tiefer Einbruch, der dann zwar hinterher hoffentlich wieder von einer Erholung abgelöst wird, aber zunächst einmal ist dieser Einbruch unglaublich tief, weil viele Bereiche einfach stillstehen. Man kann nicht einfach die Wirtschaft stillstellen und dann hoffen, dass da irgendwie nichts passiert. Doch, das gibt einen ganz tiefen Einbruch und den muss der Staat jetzt abfedern. Einige haben das begriffen, die EZB hat jetzt reagiert, die Dimension ist gut, 750 Milliarden, aber ich glaube, die Staaten haben noch nicht kapiert, was auf sie zukommt.

In Frankreich spricht Macron davon, Unternehmen, die bedroht sind, zu verstaatlichen. Können Sie sich das für Deutschland auch vorstellen?

Ja, das kann auch mal passieren, aber zunächst geht es darum, die Unternehmen am Leben zu halten. Da kann Verstaatlichung mal dazu gehören, aber das ist sicher nicht die generelle Lösung. Ich glaube, die einzige generelle Lösung, die es gibt, ist – so wie Deutschland das im Prinzip vorhat – Kredite zu vergeben über die Banken, weil das muss ja auch schnell passieren. Das muss in den nächsten Tagen passieren – man kann nicht monatelang prüfen, ob das Unternehmen kreditfähig ist oder nicht – über die Banken, die vom Staat oder von der Kreditanstalt für Wiederaufbau [KfW] verbürgt werden. Jedes Unternehmen sollte für zwei bis drei Monate einen Antrag stellen auf einen Kredit, der ihm sozusagen Luft verschafft. Mit dem Antrag sollte es zur Bank gehen und sagen, so, ich brauche xyz. Das sollte sehr schnell geprüft werden, und dann sollte der Staat sagen, jawohl, da stehe ich dahinter, da machen wir eine Bürgschaft, damit die Bank nicht darauf sitzen bleibt.

Es müssen die Unternehmen gestützt werden, es müssen wahrscheinlich auch die Banken gestützt werden, aber es müssen natürlich auch die Menschen gestützt werden…

Genau.

Die Regierung in Deutschland spricht immer noch von der Schwarzen Null, die sie halten will. Ist das so haltbar?

Das ist absoluter Quatsch. Die Staatsverschuldung wird dramatisch steigen. Wenn das Bruttoinlandsprodukt um 20 bis 25 Prozent einbricht, wird auch die Staatsverschuldung sich in dieser Größenordnung erhöhen, also von jetzt 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts auf 90 oder vielleicht 100 Prozent. Das ist aber vollkommen egal, damit ist natürlich die Schwarze Null [passé]. Es wird jetzt gesagt, wir müssen eine Sonderregelung für die Schuldenbremse [machen]. Das ist absolut lächerlich, es geht um eine völlig andere Dimension, um eine gewaltige Dimension. In Deutschland geht es um 300 Milliarden, die der Staat für die Arbeitnehmer und für die Unternehmen ausgeben muss. Es geht in Europa, das hat die EZB gesagt, um eine Größenordnung von 600 bis 750 Milliarden, die sozusagen die EZB an Geld druckt, um die Staaten zu refinanzieren. Machen wir uns nichts vor, es ist nichts anderes, als Geld zu drucken. Das geht zwar nicht direkt, weil wir in der EU eine komische Verfassung haben. Da darf man das nicht direkt machen. Also verschulden sich die Staaten am Markt, aber damit die Zinsen nicht steigen, kauft die EZB die Anleihen wieder auf, sodass die Zinsen niedrig bleiben. Das ist nichts anderes als eine Finanzierung über die Zentralbank, das ist machbar. Das ist keine Katastrophe, aber es muss eben jetzt sehr schnell passieren. Auf Seiten der Arbeitnehmer reicht meines Erachtens die Kurzarbeit auch nicht. Kurzarbeit, das sind 60 Prozent, das ist auch sehr wenig. Es sollte der Staat jetzt sagen, ich gebe euch 80 oder sogar 100 Prozent, damit wir diese kurze Phase möglichst friktionsfrei durchstehen können und dann hinterher relativ schnell wieder wachsen können. Denn das passiert nur, wenn diese Leute jetzt nicht noch mit Angst sozusagen in den Rest des Jahres gehen.

Es heißt ja auch, für die kleinen Unternehmer, für die Selbstständigen würde man Kredite vereinfachen, aber reicht denn das, die müssen sie ja auch irgendwie wieder zurückzahlen?

Ja, es gibt, glaube ich, noch grandiose Illusionen. Jemand von der Kreditanstalt für Wiederaufbau hat gesagt, man könne das Geld nicht so rausblasen. Das ist der Irrtum, man muss es rausblasen. Es muss auch an die Kleinen gehen, das ist völlig richtig, und die Solounternehmer. Die Leute müssten ein einfaches Papier vorlegen, was sie verdient haben im letzten Jahr, und dann muss die Bank sagen, jawohl, und auf dieser Basis gebe ich dir das jetzt für drei Monate, damit du überleben kannst. In drei Monaten sehen wir dann weiter, aber für drei Monate gebe ich dir das, und das schicke ich an die Kreditanstalt für Wiederaufbau. Die sagt jawohl, dafür hast du eine Bürgschaft ohne große Prüfung. Denn wie wollen wir jetzt fünf Millionen Unternehmen prüfen, das ist ja lächerlich. Da sitzen sonst die Bürokraten und sagen, jetzt gehen wir alle Formulare durch oder was? Das dauert fünf Monate, dann ist das alles vorbei. Das muss jetzt in den nächsten Tagen passieren und zwar unglaublich schnell.

Wie sieht das mit der Arbeitslosigkeit aus? Wirtschaftsminister Altmaier hat sich tatsächlich hingesetzt und gesagt, Corona werde Deutschland keinen Arbeitsplatz kosten. Also ich muss sagen, ich fand das absurd.

Ja, das ist unglaublich, nein, es wird ganz viele Arbeitsplätze kosten. Die Leute sind ja schon arbeitslos. Die sind jetzt vielleicht nicht offiziell als arbeitslos gemeldet, aber sie sitzen zu Hause und haben nichts zu tun, die Produktion steht, das ist ja Arbeitslosigkeit. Was ist denn sonst Arbeitslosigkeit? Nur, man muss jetzt dafür sorgen, dass diese Leute ihre Jobs wieder kriegen. Sie sind ohne jede eigene Schuld in diese Lage geraten und deswegen sollte der Staat sie kompensieren. Wie gesagt, Schuldengrenzen und so, das ist alles Quatsch, das kann man alles vergessen. In einem Jahr wird man feststellen, dass man 15 Jahre für nichts gespart hat, und die Schuldenquote wird wie gesagt viel, viel höher sein, als in Maastricht oder irgendwo steht. Das ist alles Käse, das muss man jetzt alles sofort vergessen. Wenn man das nicht tut, dann wird es böse enden. Aber ich hoffe immer noch, dass ‚die‘ begreifen, worum es geht.

Was bedeutet das denn für den Euro? Die ganze Gelddruckerei, das ‚Hineinpumpen‘ von Geld?

Das ist unproblematisch, weil wo soll der Euro hingehen? Die anderen Länder machen ja das Gleiche, die USA sprechen über 1000 Milliarden, die sie in die Wirtschaft pumpen, Helikoptergeld – was ich für völlig falsch halte – wird jetzt verteilt. Warum sollen Leute wie ich, Pensionäre oder Beamte, warum sollen die jetzt Geld kriegen, das macht ja überhaupt keinen Sinn. Nein, es müssen diejenigen Geld kriegen, die jetzt arbeitslos werden oder in Kurzarbeit gehen, die müssen Geld kriegen. Aber nicht jeder, das ist Käse. Aber die Dimension für die USA ist genauso groß etwa wie für Europa und wohin soll der Euro jetzt fallen? Es ist auf der ganzen Welt das gleiche Problem. Da wird nichts passieren, also da habe ich keine Bedenken. Wo ich große Bedenken habe, ist, dass die Aktienmärkte Tag für Tag verrückt spielen, rauf und runter. Ich würde die jetzt mal schließen, ich würde die einfach mal zumachen für einen Monat oder zwei. Denn die Signale, die von dort kommen, schaffen nur Verunsicherung unter den Menschen und Unternehmen, bei den Managern. Überall schafft das Verunsicherung und ohne jeden Grund. Bei jedem Signal geht es rauf oder runter, das hat keinen Sinn mehr, das ist vollkommen irrational.

Kollegen von Ihnen aus der eher neoliberalen Ecke, die sagen so einen Crash ja schon länger voraus. Die sagen quasi, erst kommt die Deflation, dann kommt die Inflation, dann wird der Euro zerstört, was sagen Sie dazu?

Das ist alles Quatsch, diese Crash-Propheten, das hat ja alles auch hiermit nichts zu tun. Wir haben hier eine außergewöhnliche Situation, eine Gesundheitssituation, die weltweit die Staaten trifft. Das hat mit dem Crash, den diese Leute alle vorhersagen, überhaupt nichts zu tun, auch mit Inflation hat das nichts zu tun. Wir müssen das jetzt über die Runden bringen, mit dramatischen Notmaßnahmen, das ist völlig richtig, aber man muss das den Leuten auch erklären. Wie gesagt, das habe ich gestern bei Frau Merkel völlig vermisst. Sie hat gesagt, sie will erklären, sie muss es erklären. Sie müsste sich jetzt hinstellen und sagen, wie sie die Wirtschaft stabilisieren will, denn das ist ganz klar die nächste Aufgabe, und dazu hat sie kein Wort gesagt.

750 Milliarden gibt es jetzt, Sie sagen das reicht, um Europa [EU] stabil zu halten. Die Notenbanken haben auch gar nicht mehr so wahnsinnig viel Spielraum, die haben ihr Pulver ja schon ziemlich verschossen oder?

[Tonstörung] Nein, die haben nur in Sachen Zinssenkungen keinen Spielraum mehr, da ist das Pulver verschossen, aber sie können jetzt natürlich refinanzieren – wenn die Staaten jetzt in die Vollen gehen, muss die Notenbank das – ich habe das ja vorhin erklärt. Also, es wird die Druckmaschine angeschmissen, machen wir uns nichts vor, und das muss die Notenbank refinanzieren. 750 Milliarden ist wie gesagt eine recht vernünftige Größenordnung, wenn die Krise zwei bis drei Monate dauert. Wenn sie vier oder fünf Monate dauert, reicht das nicht mehr, dann wird es mehr werden, das ist unzweifelhaft so bei diesem dramatischen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts.

Als wir vor zwei Wochen schon mal gesprochen haben, da haben wir ja auch schon über eine Europa-Krise geredet und über eine Krise, in der wir stecken. Ich habe den Eindruck, wir gehen von Krise zu Krise, mal ganz abgesehen von Corona brauchen wir da vielleicht einfach ein neues System?

Wir brauchen nicht unbedingt ein neues System, wir bräuchten ein bisschen mehr Verständnis für das System, in dem wir leben. Wir wissen einfach zu wenig darüber, und wir haben zum Teil wirklich falsche Hypothesen und falsche Theorien. In der Tat, Deutschland war eigentlich schon in einer Rezession. Im Jahr 2019 gab es schon eine Rezession, die nicht offiziell so gemessen war, aber es ist eindeutig eine gewesen. Europa ist viel länger in einer schwierigen Situation. Wir hatten Eurokrise und Italien und Frankreich sind in viel schlechterer Verfassung als Deutschland, schon zu Beginn dieses Schocks jetzt. Ich will mir ehrlich nicht vorstellen, was in Italien rauskommt, wenn ich eine Berechnung machen würde jetzt, für Italien wird das ganz fürchterlich. Und das große Problem ist, dass wir jetzt einen zusätzlichen Schock bekommen, der alle Länder gleichzeitig trifft, für den wir nicht gemeinsame Mittel haben. Ich finde es auch sehr bedauerlich – wenn ich das noch sagen darf an der Stelle – dass Deutschland jetzt einseitig Grenzkontrollen zu Frankreich eingeführt hat. Dafür gibt es meines Erachtens keinen Grund, weil Frankreich ist in der gleichen Gesundheitssituation wie Deutschland. Das ist symbolisch und europäisch ein gewaltiger Schock gewesen in Frankreich und dieses ‘Macht die Grenzen dicht, macht irgendwas!’, das ist keine Lösung des Problems. Das ist Aktionismus, der am Ende die Leute nur verwirrt und irritiert. Also, wir müssen ganz grundlegend jetzt darüber nachdenken, wie wir Wirtschaftspolitik in Europa machen. Es wird nicht mehr mit den alten Regeln gehen. Der Maastricht-Vertrag muss weg und der Stabilitäts- und Wachstumspakt ist auch obsolet, das kann man alles vergessen. Wenn wir jetzt rauskommen aus dieser Krise und die Masse der Staaten in Europa hat einen Schuldenstand von 90 oder 100 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt, dann ist es eben so. Dann kann man nicht sagen, jetzt müsst ihr 20 Jahre oder 30 Jahre lang sparen, damit ihr wieder auf 60 Prozent kommt. Das ist vollkommen verrückt, also wer sich das vorstellt, der macht Europa hundertprozentig kaputt. Es ist jetzt schon ein gewaltiger Schaden angerichtet. Wie gesagt, ich möchte mir Italien nicht vorstellen, wenn es aus der Krise rauskommt. Ich möchte mir auch nicht vorstellen, wie die Stimmung in Italien ist, wenn sie über diese Krise hinweg sind und mal wieder offen reden über die Deutschen und über Europa, das wird meines Erachtens fürchterlich.

Gibt es denn bei uns zum Beispiel diese Diskussion schon, was man wirklich alles verändern müsste nach dieser Krise? Gibt es die schon oder ist alles im Moment auf Medizin [fixiert]?

Nein, die gibt es noch nicht, nur ganz zaghafte Ansätze von meinen Ökonomen-Kollegen, jetzt einzuräumen, dass da etwas Gewaltiges passiert ist. Jetzt hat der Präsident des Kieler Instituts gesagt, das wird die ‘Mutter aller Rezessionen’, aber wie gesagt, Rezession ist nicht das richtige Wort für das, was wir jetzt erleben werden. Wir haben einen einmaligen Schock, einen Schock, der größer ist als alles, was wir bisher gesehen haben und wir müssen uns auf eine neue Sprache einstellen. Das hat auch nichts mit Konjunktur zu tun, denn es ist ein einmaliger Schock, der vom Staat, von den Notenbanken abgefedert werden muss, in der Hoffnung, dass das in zwei, drei Monaten vorbei ist, und wir dann wieder das Leben normalisieren können. Es ist möglich, aber wir müssen unsere ganzen alten Dogmen bezüglich Schulden und Schuldenbremse alles über Bord werfen. Es muss alles über Bord geworfen werden.

Es gibt ja auch überall auf der Welt, also nicht nur in Deutschland, nicht nur in Europa, in Amerika, es gibt in Brasilien Menschen, die Angst darum haben, dass sie aus dieser Krise wirtschaftlich nicht rauskommen, dass sie ihre Jobs verlieren, das ist ja fast schon eine weltweite Geschichte. Das ist ja auch ein Pulverfass oder? So viele Menschen, die vielleicht keinen Job mehr haben, die Angst haben?

Natürlich, Unsicherheit ist das Schlimmste, was es gibt. Nehmen wir nur Brasilien, das ist schon seit zwei, drei Jahren in einer tiefen Krise. Herr Bolsonaro, wir müssen nicht über den Mann reden, ein Irrer im Präsidentenamt, der hat es nicht geschafft, auch nur ein Stück sich da rauszubewegen. Das ist wirklich Sprengstoff. Wenn die jetzt tief in den Graben fallen und der Staat nicht in der Lage ist, das auch nur halbwegs zu kompensieren, dann kann es überall zu Bürgerkriegen, Aufständen und was weiß ich was kommen. Also das Gefahrenpotenzial dieser Krise ist ungeheuer groß und deswegen ist es wichtig, dass die Staaten begreifen, was jetzt ihre Aufgabe ist. Es ist eine ungeheure Aufgabe, die ist lösbar, aber sie muss jetzt unheimlich schnell angegangen werden, und vor allem, alle Bürokraten mal weg und Menschen, die klar sehen, was Sache ist, die müssen an die entscheidenden Stellen.

Haben Sie diesen Optimismus, dass das tatsächlich passiert?

Ich habe einen gewissen Optimismus, dass in der Notlage dann einige begreifen, was Sache ist. Ich hoffe, wir können das vielleicht beobachten. Wenn Frau Merkel nächste Woche vor die Bevölkerung tritt und eine Ansprache zur wirtschaftlichen Lage hält und etwa das sagt, was ich gesagt habe, dann gibt es Hoffnung. Wenn sie aber mit Schuldenbremse und ‘wir müssen jetzt ein bisschen hier und ein bisschen da’ und ‘die Kreditvergabe an die Unternehmen braucht viel Zeit’ und ‘Kurzarbeit ist doch auch gut’ und so – mit allen solchen Entschuldigungen wird man nicht durchkommen. Man muss ganz knallhart und brutal sagen, diese Krise, dieser Schock erfordert Sondermaßnahmen, wie wir sie noch nicht gesehen haben, nicht nur im Gesundheitsbereich, sondern eben auch im wirtschaftlichen Bereich.

Wir haben ja gerade das Phänomen, dass Klopapier überall ausverkauft ist, und darüber kann man ja mal nachdenken. Heute ist es das Klopapier, übermorgen rennen die Leute vielleicht zur Bank und holen ihr Geld aus lauter Angst.

Wie gesagt, wenn man nicht vernünftig und schnell reagiert, wenn man den Leuten nicht Sicherheit gibt, dass sie ihre Geldströme beibehalten, dass sie nicht in ein ganz tiefes Loch fallen, dann ist auch das nicht auszuschließen. Ich will das jetzt nicht an die Wand malen. Aber natürlich, Klopapier horten das ist auch verrückt. Gott sei Dank, in Frankreich ist das nicht so schlimm, ich war gerade im Supermarkt, da ist noch alles dagewesen, Papier und alles Übrige. Es ist natürlich ein Anzeichen dafür, dass einige Leute jedenfalls in Panik geraten und die Vernünftigen fallen dann immer hinten runter, und die Vernünftigen geraten dann irgendwann auch in Panik. Also, es ist wichtig zu handeln, es ist wichtig, dass Frau Merkel sich gestern vor die Bevölkerung gestellt hat – ich hätte eine andere Rede gehalten – aber sei’s drum. Sie hat den Krankenpflegern gedankt, aber sie hätte zehn Jahre vorher mal dran denken sollen, dass diese Leute vernünftig bezahlt werden, dass die Krankenhäuser auf Kante genäht sind und all diese Dinge. Das hat sie komischerweise alles vergessen, das war alles unter ihrer Regentschaft – also vergessen wir das, nicht mehr wichtig jetzt. Wichtig ist jetzt, dass energisch und sofort gehandelt wird.

Macht Macron das besser als Merkel?

Nein, Macron – in Frankreich ist alles ein bisschen einfacher, weil es zentralisiert ist. Also der deutsche Föderalismus – der eine macht ein bisschen hier und der andere ein bisschen da, die einen werden jetzt Ausgangssperre machen, die anderen nicht. Das ist auch Käse, in meinen Augen. Macron hat von ‘Krieg’ geredet, das fand ich auch total übertrieben. Das war auch nicht angemessen und er hat damit, für zwei, drei Tage jedenfalls, auch hier Hektik und Verunsicherung ausgelöst. Aber der Zentralismus ist da schon hilfreich, weil er dafür sorgt, dass einheitlich im Land gehandelt wird. Wenn man jetzt sieht, wie die Ministerpräsidenten untereinander lavieren in Deutschland und die Bürgermeister und was weiß ich, wer noch. Das ist schon ein bisschen bedenklich, also das ist nicht optimal. Wenn man sich schon entschlossen hat, eine solche Strategie zu fahren, die ich für richtig halte, weil ich es nicht beurteilen kann, weil ich keine bessere Erklärung habe. Man muss sich auf die Experten, die Virologen verlassen, da geht überhaupt kein Weg daran vorbei, und dann muss man aber konsequent den nächsten Schritt tun und sagen, so, jetzt puffere ich das wirtschaftlich ab, was ich in Sachen Gesundheit beschlossen habe.

Titelbild: Freedomz / Shutterstock