Bei Maybrit Illner kam man gestern zur Einsicht, dass Sparen und Privatisieren dem Gesundheitssektor nicht gut getan hat. Eckart von Hirschhausen hat darauf gedrängt, dies endlich einzusehen. Auch Sozial- und Arbeitsminister Heil hat gegen Ende der Sendung dieser Einsicht zugestimmt. Aber die Frage, ob ein solches Verfahren, nämlich erst zu zerstören und dann zu heilen, prinzipiell eine vernünftige politische Strategie ist, wurde auch von der Moderatorin nicht aufgeworfen. Wie sollte sie auch, denn dieses kostspielige und schädliche Verfahren, das in vielen Bereichen der Politik üblich ist, wird bisher von den Hauptmedien mehrheitlich gedeckt. Ich liste im Folgenden beispielhaft auf, wo nach dieser Wahnsinnsmethode verfahren wird. Albrecht Müller.
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- Die Verantwortlichen haben jahrelang an Schwarzer Null und Schuldenbremse festgehalten, auch dann noch, als an vielen Stellen sichtbar wurde, welche dramatischen Schäden dieser ideologisch und zutiefst populistisch bestimmte (Verzeihung) Quatsch – auch ökonomisch betrachtet – angerichtet hat, sozial sowieso. Die maßgeblichen Meinungsführer und Entscheider haben die Infrastruktur einschließlich des Gesundheitssektors verlottern lassen, um sich in der Popularität eines Phantoms, der Schwarzen Null, zu sonnen. Wo blieben die Medien, wo blieben die Hauptmedien? Sie haben lange Zeit alles mitgemacht. Sie bildeten die Staffage für diese üble PR-Strategie.
- Mit Privatisierungen einschließlich der Mischformen wie Öffentlich-Private-Partnerschaft, also ÖPP oder PPP, ist öffentliches Eigentum reihenweise an private Eigentümer übertragen worden – bis weit hinein in den Bereich sozialer Einrichtungen – bei Stadtwerken, Wasserwerken, Straßenbauten, Wohnungsbau sowieso. Wie teuer die Methode „Erst zerstören und dann heilen“ ist, sieht man beim sogenannten sozialen Wohnungsbau besonders deutlich. Öffentliche Stellen, Länder und Kommunen, müssen teuer zurückkaufen, was sie billig verscherbelt haben, um der Schuldenbremse zu genügen. Einfach Wahnsinn!
- Ab 1984 wurden die elektronischen Medien privatisiert und die Fernsehprogramme und Hörfunkprogramme massiv ausgeweitet. Das ist geschehen, obwohl im Vorfeld, insbesondere zwischen 1978 und 1982 ausführlich und mit guten Argumenten begründet worden ist, warum diese Entwicklung und die dafür eingesetzten Milliardenbeträge zu sehr problematischen sozialen und humanen Fehlentwicklungen führen. (Die von mir geleitete Planungsabteilung im Bundeskanzleramt war damals an dieser Auseinandersetzung beteiligt. In den letzten Tagen habe ich einige interessante Dokumente aus meinem Archiv geholt. Sie werden in den nächsten Tagen unseren Leserinnen und Lesern zur Kenntnis gegeben.)
- Deutschland verweigert die Geschwindigkeitsbegrenzung. Damit werden Vernunft, Klima und das menschliche Zusammenleben gestört und zerstört. Hier ist also noch nicht einmal begonnen worden, Einsicht zu zeigen, geschweige denn zu heilen. Wo bleibt die Einsicht der Politik? Wo bleibt die Einsicht der Medien?
- Zurzeit wird das Vertrauen Russlands und der Russen in die Friedfertigkeit des Westens und die Vernunft und Freundschaft der Deutschen jeden Tag neu beschädigt. Die Folgen werden vermutlich schrecklich sein. Keinerlei Einsicht ist erkennbar. Selbst die ehemalige Friedenspartei SPD und die Grünen sind umgedreht. Selbst ein Medium wie Arte wird zum Konfliktanheizmedium. Siehe “Arte im Propaganda-Modus: Stundenlange Meinungsmache am Stück“.
- Wir pumpen massenweise Geld ins Militär und scheuen keinen Kriegseinsatz, auch wenn, wie im Falle des Irak, die dortigen Völker und Regierungen das gar nicht mehr wollen. Erst hinterher klug zu werden und heilen zu wollen, ist auf diesem Feld besonders zerstörerisch, weil konkret tödlich. Keinerlei Einsicht. Es wird sogar besonders betont, dass die Erhöhung der Militärausgaben auf 2 % des Bruttoinlandsprodukts trotz Coronakrise betrieben werden wird. Siehe hier: „Nato sieht Verteidigungsfähigkeit durch Corona nicht gefährdet.
Generalsekretär Stoltenberg erwartet weiter, dass die Nato-Staaten ihre Verteidigungsausgaben steigern. Die Bedrohungslage habe sich durch Corona nicht verändert.“
- Die Freihandelsabkommen wurden im Zeichen undifferenzierter Globalisierung propagiert und abgeschlossen. Soweit das noch nicht geschehen ist, liegen sie immer noch parat. Hier wäre noch viel zu heilen.
- Im Kontext dazu: Wir wissen, dass es notwendig wäre, Verkehr zu vermeiden und die Regionalisierung der Wirtschaftsbeziehungen zu betreiben. Aber es geschieht nichts.
- Wir wissen, dass die Abwerbung von Fachkräften in vielen Ländern, wie zum Beispiel auf dem Balkan, katastrophale Verhältnisse hinterlässt. Dort fehlen die abgeworbenen Ärzte, Krankenschwestern und anderes medizinische Personal. Dennoch haben die hier bei uns Verantwortlichen an ihrer Zuwanderungspolitik nichts geändert und sie deuten auch nicht an, dass sie etwas ändern wollen, obwohl diese Politik ein besonderes katastrophales Zeichen von Egoismus und mangelnder Solidarität ist. So sieht Europa in der Realität aus! Und wo bleiben die Warnungen der Medien? Wo bleibt ihre Einsicht?
- „Keynes is out“ hat man jahrelang propagiert und damit wichtige beschäftigungspolitische Entscheidungen und Programme unterlaufen und blockiert. Jetzt plötzlich spielt die Sorge um Schulden, die die Beschäftigungsprogramme angeblich immer gebracht haben, keine Rolle mehr. Hoffentlich bleibt uns die Einsicht noch ein bisschen erhalten. Siehe dazu das Kapitel IV.9 in „Glaube wenig. Hinterfrage alles. Denke selbst.“
- Die Teilprivatisierung der Altersvorsorge in Richtung Riester-Rente, Rürup-Rente und Entgeltumwandlung hat sich als Flop und als zerstörerisch erwiesen. Dennoch wird an der Realisierung der Ideologie von der staatlich geförderten privaten Vorsorge weiter geflickt. Die Zerstörung ist also erkannt und trotzdem wird nicht geheilt! Wie die Heilung aussehen könnte und müsste, ist in diesem Bereich klar: Das Hauptelement wäre die Stärkung der gesetzlichen Rente. Aber das wollen die politisch Verantwortlichen und die Hauptmedien nicht, weil sie dann ihren Spezis in der Finanzwirtschaft das Geschäftsfeld „staatlich geförderte private Vorsorge“ vermiesen würden.
- Jeder ist seines Glückes Schmied. Das ist die Hauptparole der neoliberalen Ideologie. Wird diese dumme Parole wirklich zur Disposition gestellt? Kommen wir wirklich zur Einsicht, dass Solidarität ein wichtiges Prinzip der gesellschaftlichen Gestaltung ist? Das hätte dann gravierende Konsequenzen, zum Beispiel die massive Verringerung der Leiharbeit, zum Beispiel nach jahrelanger Umverteilung von unten nach oben eine Verteilungspolitik von oben nach unten. Konkret: zum Beispiel ein Spitzensteuersatz von 53 % wie zu Helmut Kohls Zeiten und entsprechende Anpassung der Steuer-Tabelle. Zum Beispiel die Wiedereinführung der Vermögensteuer. Und einer wirksamen Erbschaftsteuer. Und endlich nicht nur Sprüche gegen Steueroasen, sondern wirkliche Taten.
Insgesamt wäre es ja zu begrüßen, wenn endlich die Einsicht, dass es keinen Sinn macht, zu zerstören und dann hinterher zu heilen, praktische Konsequenzen haben würde. Aber es ist ja selbst fragwürdig, ob die Einsicht wirklich verankert ist. Wie fragwürdig das ist, das kann man schon daran erkennen, wie die etablierten Medien sich heute, also in Zeiten der Corona-Krise, äußern und verhalten. Es ist nämlich deutlich die Tendenz erkennbar, dass auf die sogenannten sozialen Medien eingeschlagen wird. Sie werden für allerlei Panikmache verantwortlich gemacht und auch für die Beschönigung der Krise. Sogenannte Fake News sieht man nur bei den anderen, obwohl das eigene Haus davon voll ist.