Wenn es nur um die Sache gehen würde, wenn die Lage wirklich ernst wäre, dann dürfte die Bundeskanzlerin nicht eine solche Show abziehen, dann hätte ein Statement hinter oder vor ihrem Schreibtisch gereicht. Gestern stattdessen: Links und rechts Flaggen, je zwei deutsche und je eine europäische; Merkel vor dem Hintergrund einer großen blauen Wand mit Bundesadler.
Offenbar hat die Berliner Politik noch Geld und Inszenierungsvermögen genug, um eine solche Show abzuziehen. Die Show wird inszeniert, um vergessen zu machen, was man alles nicht geleistet und was man sich geleistet hat. Die Folgen der Show sind schon jetzt erkennbar. Das Ansehen der Union wächst laut Umfragen. Der ganze Mist, den man hinterlassen hat – vom Kaputtsparen des Gesundheitssystems über die Privatisierung der Krankenhäuser und die Auslagerung von Laborkapazitäten bis zur Verlagerung der Produktion von medizinischen Gütern in weit entfernte Länder – wird verdeckt und stinkt nicht mehr. Albrecht Müller.
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Der Vorgang und die inszenierte Show haben erkennbar schon politische Folgen:
Angela Merkel, die noch vor wenigen Wochen als abgemeldet galt, ist wieder da. Ihr Abschied in anderthalb Jahren spätestens wird mit goldenen Coronas geschmückt sein – eben mit Szenen wie der oben abgebildeten. Die Kandidaten Merz, Röttgen und Laschet und ihr Streit um CDU-Vorsitz und die Kanzlerkandidatur sind zwar nahezu vergessen. Aber davon unabhängig kann man jetzt schon vorhersagen, dass die Union als die führende, gestärkte und tonangebende Kraft auch in den nächsten Bundestagswahlkampf gehen wird. Dafür sorgen die vielen bewundernden Berichte und Kommentare nahezu aller Medien. Versagen und mangelnde Leistung zählen nicht. Auch das Leiden von hunderttausenden von Menschen, die Opfer der getroffenen Maßnahmen geworden sind und weiter werden, wird überlagert. Getroffen werden vor allem die Menschen ohne laute Stimme, die kleinen Gewerbetreibenden, die kleinen Ladenbesitzer und Freiberufler und vor allem die Minijober. Siehe auch unseren Beitrag vom Sonntag. Alles ist überlagert von Corona und den schönen Bildern – siehe oben.
Ein weiterer politischer Nebeneffekt von großer Relevanz ist die Tatsache, dass die Kanzlerkandidatur mit hoher Wahrscheinlichkeit entschieden ist. Keiner der drei oben genannten wird es werden. Alles spricht für den bayerischen Ministerpräsidenten Söder. Er ist medial dominant und macht auch vieles richtig, jedenfalls erscheint das so.
Die Sozialdemokraten verschwinden in der zweiten, wenn nicht sogar in der dritten oder vierten Reihe. Wenn sozialdemokratische Amtsträger wie zum Beispiel die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin die von Angela Merkel verkündeten Beschlüsse erläutern, dann erscheinen sie wie das Hilfspersonal. Außerdem und viel wichtiger: Sie haben eines ihrer gravierendsten und vorteilhaftesten Alleinstellungsmerkmale, den Frieden mit dem Osten, den Frieden mit Russland, verscherbelt. Sie sind nicht nur als Gesamtpartei von Atlantikern unterwandert – siehe Maas, Steinmeier und Gabriel. Ihr außenpolitisch bewanderter und profilierter Fraktionsvorsitzender Mützenich spielt zurzeit keine Rolle mehr. Ostpolitik, Friedenspolitik ade.
Ein sicheres Zeichen dafür ist, dass die Unterwanderung auch einen linken Zirkel der SPD erfasst hat. Als früheres Mitglied der DL 21 beziehe ich noch den Newsletter dieser Gruppe. Daraus, aus dem Newsletter vom 16. März, zitiere ich einen Absatz, um zu zeigen, wie weit die Unterwanderung, die Fremdbestimmung und damit die programmatische Zerstörung der SPD schon gelungen ist. Im konkreten Fall geht es um die Flüchtlinge und um Syrien und insbesondere um Idlib:
Viele der Geflüchteten in den Lagern kommen aus Syrien. Der Bürgerkrieg dort geht mittlerweile in sein zehntes Jahr. Das syrische Regime führt weiter einen brutalen Feldzug zur Rückeroberung des ganzen Landes. Mit der Unterstützung der russischen Armee finden schwere Verbrechen an der Zivilbevölkerung statt. Auf der anderen Seite steht mittlerweile auch die türkische Armee, die sich über islamistische Milizen dauerhaft Einfluss in Syrien sichern will. Anfang März verhandelten beide Seiten eine Waffenruhe, die derzeit hält. Gemeinsame Patrouillen sollen in und um Idlib herum stattfinden. Diese wurden von syrischen Demonstranten zum Teil gestoppt. Eine dauerhafte Lösung ist das nicht, zumal Machthaber Assad das Gebiet unbedingt wieder unter seine Kontrolle bringen will. Allen drei Staatschefs – Putin, Erdogan und Assad – geht es ausschließlich um Machtpolitik, die Leidtragenden ist die Zivilbevölkerung. Das Risiko einer Verbreitung des Corona-Virus ist extrem hoch. Dies wäre katastrophal in einer Region, in der die medizinische Versorgung kaum gewährleistet werden kann. Wir verurteilen das Vorgehen der Kriegsparteien aufs Schärfste und fordern die internationale Gemeinschaft auf, der Gewalt in Syrien endlich Einhalt zu gebieten.
Das ist das Übliche, was man normalerweise in Texten lesen kann, die im westlichen Milieu verbreitet werden: kein Wort zur Ursache des Elends, kein Wort zur Rolle der USA und einiger Golfstaaten, kein Wort zum vom Westen gezüchteten Terrorismus, kein Wort über das systematische Aushungern nicht nur des Staates Syrien, sondern auch des syrischen Volkes und damit kein Wort über die Verursachung der Fluchtbewegungen. Stattdessen Klagen über den „brutalen Feldzug“ der syrischen Staatsführung, selbstverständlich „Regime“ genannt. Mit Unterstützung der russischen Armee finden „schwere Verbrechen an der Zivilbevölkerung statt“. Da findet sich keine Differenzierung.
Dieser Text eines linken Teils der SPD könnte auch vom CIA stammen.
Zu den kritischen Folgen könnte auch die Bloßstellung Europas zählen. Austrittskandidaten können sich auf die jetzt aufgelaufenen Vorgänge gut berufen. Unter NachDenkSeiten-Leserinnen und -Lesern gibt es sicher einige, die diese Erkenntnis gut finden. Ich nicht.
Zu den politischen Folgen des Corona-Geschehens könnte auch etwas Positives zählen: die Einsicht, dass die totale Globalisierung und all die vielen geforderten Freihandelsabkommen Irrwege waren und sind. Wenn wir lernen würden, dass dezentraler zu wirtschaften und damit eine Regionalisierung der wirtschaftlichen Tätigkeit statt einer Globalisierung aller Teile sinnvoll ist, dann wäre das für unsere Gesundheit und auch für Klima und Umwelt ausgesprochen hilfreich. Und übrigens auch für die Ökonomie. Dann wäre nämlich Verkehrsvermeidung möglich und damit ein wichtiger Programmpunkt der nächsten Jahrzehnte.