„Wohlstandsverluste in Milliardenhöhe“ – dazu soll es kommen, wenn das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat verboten wird. So legen es zumindest wissenschaftliche Studien dar – Studien, die unter dem Deckmantel wissenschaftlicher Neutralität angepriesen wurden, aber in Wirklichkeit vom Glyphosat-Hersteller Monsanto finanziert wurden. Das hat LobbyControl im Dezember nach eigenen Recherchen der Öffentlichkeit mitgeteilt. Im NachDenkSeiten-Interview zeigt Ulrich Müller von LobbyControl auf, wie Bayer in Sachen Glyphosat vorgeht und welche Folgen der Wissenschaftslobbyismus hat. Er verweist außerdem auf neue Rechercheergebnisse, wonach Monsanto Studien zur Nutzung von Glyphosat auch in Großbritannien finanziert hat. Von Marcus Klöckner.
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Herr Müller, Sie sprechen in Sachen Glyphosat-Zulassung von einem Lobbykampf. Wie wird dieser Kampf geführt?
Von Seiten Monsantos wurde der Kampf sehr aggressiv geführt. Monsanto hat mehrfach problematische Methoden eingesetzt. Etwa die Unterstützung von Wissenschaftlern oder Front-Organisationen, bei denen Verbindungen zu Monsanto und Interessenkonflikte verborgen wurden. Es gab Fälle von verdeckter Informationsbeschaffung oder künstlich initiierten Pro-Glyphosat-Stimmen, also von Fake-Graswurzel-Gruppen.
Lobbycontrol hat vor kurzem auf Studien zu Glyphosat aufmerksam gemacht, mit denen etwas nicht stimmte. Worum geht es?
Es geht um zwei Studien des privaten Instituts für Agribusiness aus Gießen, die vor den Konsequenzen eines Glyphosat-Verbots warnten. Diese wurden als neutrale Wissenschaft in der Öffentlichkeit präsentiert. Unsere Recherchen haben aber ergeben, dass sie von Monsanto in Auftrag gegeben und finanziert wurden. Inzwischen wissen wir auch, dass Studien zur Nutzung von Glyphosat in Großbritannien von Monsanto bezahlt wurden. Monsanto hat also mit Fallstudien aus mehreren Ländern versucht, einen Pro-Glyphosat-Diskurs aufzubauen.
Also Wissenschaft im Dienst von Monsanto?
Genau, und ohne, dass die Öffentlichkeit die Verbindung zu Monsanto erkennen konnte. Die Studien dienten Monsanto und Lobbygruppen der Glyphosat-Hersteller dann als zentrale Belege, um für Glyphosat zu werben.
Wie war denn der Tenor der Studien?
Die deutsche Studie zu den ökonomischen Auswirkungen des Glyphosat-Einsatzes warnte vor Wohlstandsverlusten in Milliardenhöhe bei einem Verbot von Glyphosat. Dabei wurden zum Teil extreme Szenarien für einen Ertragsrückgang berechnet. Und genau diese Extremzahlen wurden von der Glyphosat-Lobby dann für die Stimmungsmache verwendet.
Und da sind Sie misstrauisch geworden?
Wir sind auf das IAB [Institut für Agribusiness] über eine andere Studie für die Geflügelwirtschaft gestoßen. Dann haben wir den IAB-Leiter gefragt, wie denn die Glyphosat-Studien finanziert wurden. Er hat uns gegenüber schriftlich behauptet, dass die Studien aus eigenem Interesse und ohne finanzielle Beteiligung von Dritten erstellt wurden. Das entsprach aber nicht den Tatsachen. Wir haben Dokumente gefunden, nach denen beide Studien von Monsanto unterstützt wurden.
Welche Beziehungen hatte das Institut zur Chemie-Industrie bzw. zu Herstellern von Pestiziden?
Das Institut für Agribusiness hat die ganze Zeit enge Verbindungen zu Agrarchemie-Firmen gehalten. Bayer CropScience war in der Zeit der Glyphosat-Studien sogar im Vorstand des Instituts vertreten. Das bedeutet, dass Bayer eigentlich schon damals wissen musste, was da gespielt wurde. Es ist keineswegs so, dass es hier nur um die problematische Lobbyarbeit eines US-Konzerns ging, von der Bayer vorher nichts wusste.
Also Sie gehen davon aus, dass Bayer im Bilde war?
Ja. Bayer CropScience muss gewusst haben, wie das IAB arbeitet. Ein Bayer-Vertreter war auch bei der Institutsversammlung, bei der es um eine der Monsanto-Studien ging.
Welche Auswirkungen haben solche Studien?
Die Studien dienten als Grundlage für die Öffentlichkeitsarbeit der Glyphosat-Lobby. Sie wurden auch in Zeitschriften des Julius-Kühn-Instituts veröffentlicht, einer Bundesforschungseinrichtung zu Kulturpflanzen, die dem Landwirtschaftsministerium unterstellt ist. Sie fanden auch Niederschlag in Zeitungsartikeln oder etwa dem Wikipedia-Artikel zu Glyphosat. Auch in einer Bundestagsrede bezog sich eine Abgeordnete auf die Studien. Und in keinem dieser Fälle war für die Öffentlichkeit die Verbindung zu Monsanto erkennbar. Diese vermeintlich unabhängigen wissenschaftlichen Belege pro Glyphosat waren für Monsanto ein großer Vorteil in der Auseinandersetzung über die weitere Wiederzulassung von Glyphosat.
Erkennen Sie in dem Vorgehen eine Strategie?
Ja. Monsanto setzte Kronzeugen mit Professorentitel ein, um den eigenen wirtschaftlichen Interessen mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen. Das ist eine problematische, aber leider verbreitete Lobby-Strategie. Es gibt Mails von Monsanto-Mitarbeitern, die zeigen, dass dem Unternehmen viel an sogenannten „credible third party scientists“ lag, das heißt an Wissenschaftlern, die als vermeintlich unabhängige Dritte über hohe Glaubwürdigkeit verfügten und so als Fürsprecher für Monsanto auftreten konnten.
Bayer ist Eigentümer von Monsanto. Hatten Sie mit dem Unternehmen in der Sache Kontakt?
Ja. Bayer hat auf unsere Anfrage die Finanzierung der Studie auch eingeräumt. Dass Monsanto nicht genannt wurde, würde den Standards von Bayer nicht entsprechen. Bayer hat einen Verweis auf die Studie von der eigenen Webseite genommen. Für die Zukunft hat Bayer ein Register aller von Bayer finanzierten Studien angekündigt. Das ist positiv. Zugleich hat Bayer bei einigen Fragen unsererseits gemauert, etwa wenn es um die Beteiligung von Bayer CropScience am IAB ging. Auch zu den Glyphosat-Studien in Großbritannien hat Bayer erst nach vielem Nachhaken geantwortet.
Sie sagen, Bayer habe ein Register aller von dem Unternehmen durchgeführten Studien angekündigt. Wenn das denn auch kommt, dann kommt es reichlich spät, oder?
Ja, das kommt leider spät. Wir hatten Bayer auch nach weiteren Studien zur Verwendung von Glyphosat gefragt. Da haben wir aber nur Beispiele genannt bekommen, keine umfassende Liste. Bis heute gibt es keine komplette Transparenz der von Monsanto bzw. Bayer finanzierten Studien. Die Problematik, dass Monsanto verdeckt und intransparent Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler finanziert hat, ist also noch nicht voll behoben.
Sind Sie mit der Reaktion des Unternehmens zufrieden?
Jein. Bayer hat für die Zukunft mehr Transparenz angekündigt, das ist positiv. Wir müssen aber genau hingucken, wie Bayer das umsetzt. Zudem sehe ich bis heute nicht, dass das Unternehmen nennenswert zu einer Aufklärung über die bekannten Fakten hinaus beiträgt. Man bestätigt vor allem das, was man nicht mehr bestreiten kann. Zu weitergehenden Fragen haben wir oft Antworten bekommen wie „Uns liegen hierzu leider keine Informationen vor“.
Welche Möglichkeiten gibt es, um dieser Lobbyarbeit beizukommen?
Ermutigend sind die Reaktionen des Julius-Kühn-Instituts. Die Aufsätze wurden wegen der Nicht-Nennung Monsantos zurückgezogen und in Zukunft will es bei Tagungen mehr Transparenz bei möglichen Interessenkonflikten erreichen. Auch die Universität Gießen hat reagiert und sich von ihrem Professor distanziert und weitere Schritte angekündigt. Wir sind froh, dass unsere Recherche etwas ins Rollen gebracht hat. Wir hoffen, dass es nun weitere Veränderungen geben wird. Universitäten und Wissenschaftseinrichtungen brauchen klare Regeln, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf die Offenlegung ihrer Finanziers verpflichten. Das gilt auch für Auftragsforschung im Nebenjob. Sie müssen zugleich sicherstellen, dass private Neben-Institute von Professoren wie das Institut für Agribusiness nicht als Maskerade für Auftragsforschung zu Lobbyzwecken dienen und dabei Reputation und Ressourcen der Universitäten nutzen. Denn diese intransparente Instrumentalisierung durch Unternehmen schadet der Wissenschaft insgesamt.
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