Hillary Clinton wurde auf der Berlinale „wie ein Filmstar“ empfangen. Die Episode wirft ein Licht auf das Phänomen, dass auch mutmaßliche Kriegsverbrecher moralisch freigesprochen werden – wenn sie nur gegen Trump und Putin poltern. Der Vorgang stellt auch die Verfassung des „kritischen“ Festivals Berlinale in Frage. Die Medienberichte über den Auftritt sind ein Armutszeugnis. Von Tobias Riegel.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Podcast: Play in new window | Download
Hillary Clinton wurde vom Filmfestival Berlinale eine fragwürdige und unkritische Bühne bereitet. Die Ex-US-Politikerin ist mit Vorwürfen der Kriegsverbrechen (etwa gegen Libyen), der innerparteilichen Intrige (etwa gegen Bernie Sanders) und der Meinungsmache (etwa gegen Russland) konfrontiert. Dennoch wurde sie in dieser Woche auf dem Roten Teppich der Berlinale laut Medien empfangen „wie ein Filmstar“. Dort stellte sie eine TV-Serie zu ihrer Person vor (zum Charakter der TV-Produktion weiter unten mehr). Erwartungsgemäß nutzte Clinton das von der Berlinale bereitgestellte Podium ausgiebig, um erneut unbelegte Vorwürfe der „russischen Wahleinmischung“ zu verbreiten. Diese skurrile Berlinale-Episode wirft ein Licht auf die Taten Clintons, auf die Kritiklosigkeit der Berlinale-Führung und auf die mittlerweile komplette Begriffsverwirrung um „rechts“ und „links“. In Berlin verkündete Clinton:
„Wir wissen, dass die Russen erneut versuchen, unseren nächsten Präsidenten zu wählen, so wie sie unseren letzten Präsidenten ausgewählt haben.“
Dass Clinton die gute Gelegenheit beim Schopfe packt, ist verständlich. Auch die Naivität bei zahlreichen Redakteuren, die unten angeführte Pressezitate demonstrieren, ist zwar beunruhigend, aber mittlerweile bekannt. Was am meisten irritiert, ist die Haltung der Berlinale. Kann es sein, dass das ganze Team des Festivals mit diesem hoch bedenklichen Auftritt einverstanden war, dass es keine internen Debatten und keine Minderheitsmeinungen gab? Diese Fragen haben die NachDenkSeiten auch der Presse-Abteilung der Berlinale geschickt – bis zur Fertigstellung des Artikels wurde darauf nicht geantwortet. Weitere Fragen an das Festival sind etwa, ob die Politikerin Hillary Clinton und ihre Taten sich im Einklang mit den Werten der Berlinale befinden, und ob die vorgestellte TV-Serie in ihrer mutmaßlichen Kritiklosigkeit dem sonstigen „kritischen“ Niveau des Festivals entspricht.
Wer hat Libyen zerstört?
Gründe, Clinton scharf zu kritisieren, gibt es zuhauf, sie sind gut dokumentiert. Am Ende des Textes finden sich Links von Beiträgen der NachDenkSeiten und anderer Medien zu den problematischen Seiten Hillary Clintons. Hier sei vor allem auf ihre wichtige Rolle bei der Zerstörung Libyens hingewiesen – dieses monumentale mutmaßliche Kriegsverbrechen lässt die von Clinton regelmäßig als „Diktatoren“ attackierten internationalen Politiker geradezu unschuldig erscheinen. Es ist ein Zeichen der Zeit, dass auch von „kritischen“ Geistern wie dem Berlinale-Team die Taten Clintons als weniger verbrecherisch angesehen werden als etwa die (vor allem verbalen) Ausfälle internationaler „Populisten“. Die Darstellung von einer etwa Donald Trump moralisch übertreffenden Hillary Clinton hält einer Prüfung nicht stand.
Bei der Person Clintons greifen ähnliche Mechanismen wie bei der Diffamierung der seriösen Medienkritik: Kritik von „Rechts“ spricht die jeweils Kritisierten mittlerweile von ihren Verfehlungen frei – denn Angriffe von dieser Seite adeln die Adressaten als Mitglieder des „demokratischen Konsenses“ – schließlich gilt es nun zusammenzustehen „gegen die Populisten und den Hass“, was bedeutet da schon der Angriff auf einen souveränen Staat? Und so sind die Verantwortlichen der Berlinale und auch die Fans am Roten Teppich möglicherweise tatsächlich der Meinung, mit Hillary Clinton einen moralisch-politischen Gegenpol zu „den Populisten“, also eine irgendwie „linke Alternative“ zu unterstützen.
Moral und Menschenrechte: US-Politiker genießen Sonderstatus
Andererseits muss die Episode auf der Berlinale nicht über Gebühr überraschen – schließlich hat das Festival seine Wurzeln im Kalten Krieg und wurde etwa laut Wikipedia von einem US-Offizier ins Leben gerufen: als „Fenster zur freien Welt“. Der erste Festivalleiter, Alfred Bauer, hatte demnach über seine Arbeit in der Reichsfilmintendanz Nazi-Verstrickungen. Erstaunen könnte da eher der diesem Ursprung widersprechende Ruf des Festivals. Andererseits haben zahlreiche Akteure der Berlinale in den vergangenen Jahrzehnten viel Mühe und gute Arbeit investiert, um den heutigen „engagierten“ Ruf des Festivals zu erarbeiten. Dieser teils begründete Ruf wird durch Auftritte wie jenem von Clinton sabotiert.
US-Politiker genießen teils noch immer eine Sonderrolle. Als etwa Ägyptens Präsident Al Sisi beim Dresdner Semperopernball ausgezeichnet werden sollte, da hagelte es mit Recht Kritik. Bei Clinton wird eine (indirekte) Ehrung aber von einem ähnlichen „kritischen“ Medienpersonal akzeptiert: Zwar ist Clinton „im Ruhestand“ und ihr wurde auch kein Preis verliehen. Aber die „glamourösen“ Bilder vom Roten Teppich und die große, positive Bühne, die bereitet wurde, ist für eine Image-Korrektur Clintons unbezahlbar. Schließlich wurde sie bei der international als besonders „kritisch“ und „engagiert“ bekannten Berlinale gefeiert. Zudem ist Hillary Clinton nicht wirklich im Ruhestand – es vergeht kaum eine Woche, ohne dass sie etwa ihre radikale Russenfeindschaft verbreitet.
Im Sinne der Meinungsfreiheit wird hier nicht gefordert, dass man den Auftritt hätte absagen müssen – man muss alle Standpunkte anhören und sich mit ihnen auseinandersetzen. Insofern wäre die Einladung auch Chance gewesen, eine leidenschaftliche Debatte zwischen den (angeblichen) Werten der Berlinale und jenen Clintons zu führen. Die Chance wurde verpasst. Die Kritik entzündet sich also nicht am Auftritt selber, sondern an einer (zumindest anscheinend) kritiklosen Haltung. So schreibt die Berlinale auf ihrer Homepage über Hillary Clinton kein Wort zur Außenpolitik, sondern:
„Doch ihre diplomatische Haltung ist eine der Qualitäten, die Hillary Clinton zu einer so fähigen Präsidentin gemacht hätten, wie sie als Kandidatin erfolglos war.“
Großer Berlinale-Bahnhof für Hillary
Dementsprechend stand einem großen Bahnhof für Clinton durch die Berlinale und die Politik nichts im Weg, wie Medien beschreiben:
„Für die Begrüßung hatte das Festival einiges aufgeboten. So ist neben den beiden Berlinale-Chefs Carlo Chatrian und Mariette Rissenbeek auch Kulturstaatsministerin Monika Grütters zum Haus der Berliner Festspiele gekommen.“
Als sei Clinton eine Schauspielerin und keine eiskalte Akteurin der US-Geopolitik, wird sie in Berichten als normaler Promi beschrieben, der viel gereist ist – ohne aber den Inhalt dieser Reisen zu thematisieren:
„Mit Hillary Clintons zweitägigem Besuch haben die Internationalen Filmfestspiele ihre Promi-Quote deutlich nach oben getrieben. Zwar ist der für den US-Streamingdienst Hulu produzierte Vierteiler bereits auf dem Sundance-Festival gelaufen. Doch die Chance, die berühmte Politikerin zu holen, ließen sich die Berlinale-Chefs nicht entgehen. (…) Auch global ist Hillary eine Größe. Als Außenministerin besuchte sie 101 Staaten und legte dabei mehr als 1,5 Millionen Flugkilometer zurück.“
„Eine intellektuell brillante und durchsetzungsstarke Persönlichkeit“
Über die von Clinton vorgestellte TV-„Dokumentation“ über ihre Person schreibt die „Süddeutsche Zeitung“:
„Aus dem Material ist das Porträt einer intellektuell brillanten und durchsetzungsstarken Persönlichkeit entstanden, die sich gegen Vorurteile und Stereotypen durchsetzt, aber auch die Grenzen ihrer Möglichkeiten erkennt.“
Da die TV-Serie bisher nur für akkreditierte Journalisten zu sehen war, soll hier nicht inhaltlich darauf eingegangen werden. Fragwürdig in seiner anscheinenden Kritiklosigkeit erscheint aber bereits der Trailer:
„Regisseurin und Protagonistin haben darauf verzichtet, Kritiker zu Wort kommen zu lassen“
Der Verdacht der kritiklosen Lobhudelei verdichtet sich, wenn man einige der aktuellen Rezensionen liest. So schreibt der Deutschlandfunk voller Verständnis für eine offensichtlich zensorische Herangehensweise:
„Regisseurin und Protagonistin hätten darauf verzichtet, Kritiker zu Wort kommen zu lassen. ‚Das ist ein bewusstes Statement, dafür haben sich beide entschieden’. (…) Daraus sei ein ‚sehr packender Film‘ geworden.“
Kitsch ersetzt Kritik
Der „Tagesspiegel“ strickt die in der „Dokumentation“ angelegte Legendenbildung fleißig weiter:
„Wer erreichen möchte, dass die Welt besser wird, muss steinige Wege gehen. Hillary Clinton wirbt dafür. Sie hat ja selber viele schwierige Pfade überwinden müssen. (…) „Gerechtigkeit kommt nicht von allein“, sagt sie.
So klingt es, wenn Kritik durch Kitsch ersetzt wird – die Zeitung fährt in dem Stil fort: „Das Leben selbst schreibt wohl auch die aufregendsten Drehbücher.“ Und der „Tagesspiegel“ schließt, indem Clinton „Mut und Kampfgeist in außergewöhnlichen Portionen“ bescheinigt werden.
Medien und Berlinale versagen
Diese Zitate zeigen einmal mehr, dass man von vielen großen Medien nicht die notwendigen Informationen erhält, um etwa die Politikerin Clinton angemessen einzuschätzen. Auch die Berlinale versagt in dieser Beziehung. Darum seien hier abschließend einige Artikel zum Hintergrund Hillary Clintons empfohlen.
So liefert dieser Artikel eine (vorläufige) Bilanz der mutmaßlichen außenpolitischen Verbrechen Clintons (auf Englisch).
Die NachDenkSeiten haben sich in zahlreichen Artikeln mit der Politikerin Hillary Clinton befasst. Hier folgen einige ausgewählte Links, unsere Suchfunktion birgt weiteres Material zu dem Thema:
- “Hillary Clinton, die Lieblingskandidatin der Kriegspartei”
- “Der aktuelle Umgang mit Libyen, dem Irak und dem Iran zeigt, wie wichtig es ist, die Manipulationsmethode, eine Geschichte verkürzt zu erzählen, im Kopf zu behalten.”
- “Die „Demokratie“ in den USA: Eine Farce”
- “USA: Rationale Politik stand nicht zur Wahl”