Merkels „Sparpaket“ wird zum Bumerang
Das „Sparpaket“ der Bundesregierung hat nicht nur eine eklatante soziale Schieflage, sondern es wird ihr wie ein Bumerang mit höherer Arbeitslosigkeit und höherer öffentlicher Verschuldung vor die Füße fallen. Dies ist die leidvolle Erfahrung mit den Sparprogrammen verschiedener Bundesregierungen seit den Erdölkrisen in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre schon unter der sozialliberalen Koalition. Weitere Höhepunkte derartiger verfehlter Konsolidierungspolitik waren: die Sparmaßnahmen zur Reduzierung der Schuldenberge infolge der Fehlfinanzierung der Deutschen Einheit sowie zur Einhaltung der europäischen Stabilitätskriterien bei der Einführung des Euro unter der schwarz-gelben Regierung von Bundeskanzler Helmut Kohl bis hin zur Agenda 2010 der rot-grünen Bundesregierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder. Von Ursula Engelen-Kefer
In allen Fällen waren die Sparmaßnahmen vorwiegend auf die Einschränkungen sozialer Leistungen und zusätzlicher Belastungen für die unteren Einkommensbezieher ausgerichtet. Sie haben Wirtschaftswachstum sowie Beschäftigung reduziert. Entsprechend sind die Arbeitslosigkeit und öffentliche Verschuldung erheblich angestiegen.
Die jeweiligen Regierungskoalitionen haben übrigens ihre Sparprogramme nicht lange überstanden.
Das jetzt von der schwarz-gelben Regierungskoalition unter Bundeskanzlerin Angela Merkel vorgelegte „Sparpaket“ ragt mit 80 Mrd. Euro bis 2016 in Umfang und Dauer noch über die vorherigen Sparprogramme hinaus. Gegenläufig dazu übersteigen die vorausgegangenen gigantischen Rettungsprogramme der Großen und schwarz-gelben Regierungskoalition unter Bundeskanzlerin Angela Merkel von über 1,5 Billionen Euro alle bisher vorstellbaren Dimensionen. Damit werden die Steuerzahler zu unabsehbaren finanziellen Verpflichtungen für die marode Finanzindustrie, für durch die Finanzkrise notleidende Wirtschaftskonzerne, für die Schuldenkrise der südeuropäischen Länder sowie zur Rettung des Euro herangezogen. Nachdem die fetten Gewinne für einige Topmanager und Spekulanten an der Spitze der Finanzindustrie regierungsamtlich durch Rettungsschirme auf dem Rücken der Steuerzahler abgesichert wurden, sollen jetzt die Lasten durch „sozialisiertes Sparen“ vor allem auf die unteren Bevölkerungsschichten durch Kürzung von Sozialleistungen verschoben werden. Selbst maßgebliche Vertreter aus dem Wirtschaftsflügel der CDU halten das „Sparprogramm“ für sozial ungerecht. Um so mehr wäre es an der Zeit, dass den von der Gewerkschaften angekündigten Protestaktionen auch die notwendigen „Truppen“ aus den Betrieben und der Bevölkerung folgten.
Bundesagentur für Arbeit – Sparschwein der Nation
Nicht nachvollziehbar ist, dass die „Sparmaßnahmen“ mit 29,5 Mrd. Euro – mithin mehr als einem Drittel – auf Arbeitslose, die Arbeitsmarktpolitik und die Bundesagentur für Arbeit konzentriert werden sollen. Die als Ressortchefin betroffene Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen hat ihre politische „Schmerzgrenze“ offensichtlich weit nach unten gesenkt. Nach den öffentlichen Bekundungen aus Regierung und ihrer Partei vor der Klausur sollte ja der Etat des Sozial- und Arbeitsministeriums noch weitgehend unbehelligt bleiben. Noch während ihrer „gefühlten“ Ernennung zur Kandidatin für das durch den plötzlichen Rücktritt von Horst Köhler frei gewordene Amt des Bundespräsidenten konnte sich Frau von der Leyen noch als Verteidigerin der sozialen Balance aufspielen.Dann folgte aber ihr tiefer Fall gleich zweifach: Als Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten wurde von CDU/CSU und FDP der Ministerpräsident von Niedersachsen Christian Wulff vorgezogen. Und die Kanzlerin verkündete noch vor der Haushaltsklausur höchstpersönlich, dass die größten Sparbeiträge aus ihrem Ressort erbracht werden sollten.
Nach der Klausur beschönigte Frau von der Leyen ihren hohen „Sparanteil“ damit, dass ihr Sozialetat zwar die Hälfte des Bundeshaushaltes ausmache, aber sie nur mit einem Drittel an dem Sparvolumen beteiligt sei. Ja, sie stellt es noch als einen Erfolg dar, dass es ihr gelungen sei, Einsparungen bei Rentnern und Waisen zu verhindern. Unter den Teppich gekehrt, hat sie allerdings den Widerspruch der Klausurbeschlüsse zu ihrem rechtzeitig vor den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen mit großem Öffentlichkeitswirbel vorgestellten arbeitsmarktpolitischen Programm. Danach sollten doch gerade die berufliche Eingliederung der benachteiligten Personengruppen auf dem Arbeitsmarkt – nämlich Jugendliche, Behinderte, Migranten und Alleinerziehende – stärker gefördert werden. Wie dies gelingen könnte, wenn in den nächsten Jahren die Arbeitsmarktpolitik um 16 Mrd. Euro zusammengestrichen werden soll, darauf blieb sie eine Antwort schuldig.
Sparen am falschen Ende
Mit dem Wegfall des Zuschlages für diejenigen Arbeitslosen, die aus dem ALG I in das ALGII fallen wird wieder einmal bei denjenigen gespart, die das Geld am dringendsten brauchen. Diese Zuschläge (160 Euro im ersten und 80 Euro im zweiten Jahr für Alleinstehende und das Doppelte für Verheiratete) waren bislang ein – wenn auch völlig unzureichendes – Mindestmaß an Ausgleich für die Verschlechterung der ALG II Leistungen gegenüber der vorherigen Arbeitslosenhilfe für diejenigen, die oft jahrzehntelang gearbeitet und ihre Arbeitslosenversicherungsbeiträge sowie Steuern gezahlt haben. Die Bundesregierung will jetzt ausgerechnet bei den Menschen, die von dem für sie oft verheerenden Absturz von ALGI in ALGII betroffen sind, sparen. Mit jedem Euro der dort gekürzt wird, wird – abgesehen von dem sozialen Schaden – die wirtschaftliche Nachfrage unmittelbar eingeschränkt. Verstärkt wird dieser Nachfrageausfall noch dadurch, dass für ALGII Bezieher das Elterngeld abgeschafft – und die Heizkostenpauschale gestrichen wird.
Die vorgesehene Streichung der Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung für ALG II Empfänger ist nichts anderes als ein erneuter Verschiebebahnhof innerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung und ihrer Beitragszahler zu Lasten der von Arbeitslosigkeit betroffenen Menschen. Die bereits auf ein Minimum von 40, 80 Euro abgesenkten Beiträge für Langzeitarbeitslose erbrachten zwar nur wenig mehr als zwei Euro im Monat an Rentenleistungen, aber Ihre Streichung führt zu jährlichen Beitragsausfällen bei der gesetzlichen Rentenversicherung von 1,8 Mrd. Euro, die durch höhere Beiträge später wieder ausgeglichen werden müssen. Belastet werden darüber hinaus die Kommunen, indem sie höhere Leistungen zur Grundsicherung für die in Armut gefallenen Rentner finanzieren müssen. Dabei sind die Kommunen von der Krise und den einbrechenden Steuereinnahmen schon jetzt an der Grenze ihrer Zahlungsfähigkeit. Es ist nur noch absurd: da setzt die Regierung einerseits eine Kommission zur Gemeindefinanzreform Finanzgrundlage der Kommunen zu stabilisieren ein und andererseits werden den Kommunen weitere finanzielle Lasten aufgebürdet.
Kürzungen bei Arbeitsmarktpolitik – ein gefährlicher Bumerang
Nicht nachvollziehbar sind die Begründungen für die massive Streichung der finanziellen Mittel für die Arbeitsmarktpolitik. Hier gaukelt die Regierung eine Quadratur des Kreises vor: Auf der einen Seite soll angeblich die „Autonomie der Bundesagentur für Arbeit“ gestärkt werden, Arbeitsvermittlern sollen mehr „Flexibilität“ bei der Ausgestaltung der Arbeitsmarktprogramme erhalten, indem Pflichtleistungen in Ermessensleistungen umgewandelt werden. Andererseits sollen gleichzeitig die finanziellen Mittel für die Arbeitsmarktpolitik jedoch erheblich zusammengestrichen werden – nämlich um 16 Mrd. Euro bis 2014, davon bereits 6 Mrd. Euro in den nächsten beiden Jahren. Die größere „Flexibilität“ für die Arbeitsverwaltungen wird sich schnell als Danaergeschenke erweisen. Ihre Mitarbeiter werden nämlich vor allem den noch größeren Mangel bei der Arbeitsmarktpolitik verwalten und gegenüber den Arbeitslosen begründen müssen. Gespart werden soll damit bei den Ärmsten der Armen, vor allem bei arbeitslosen und behinderten Jugendlichen. Das erst kürzlich noch vom damaligen Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD) eingeführte Recht auf das Nachholen des Hauptschulabschlusses würde genommen – genauso wie Zuschüsse für Arbeit, Ausbildung sowie Unterhalt ausgerechnet für die schwächste Gruppe, nämlich der behinderten Menschen. Die Bundesregierung kassiert damit das – rechtzeitig vor den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen – mit großem Tamtam vorgestellte arbeitsmarktpolitische Programm ihrer Bundesarbeitsministerin zur verstärkten Förderung für benachteiligte Personen auf dem Arbeitsmarkt bereits nach wenigen Wochen wieder ein.
Völlig rätselhaft ist zudem, wie die Arbeitsvermittlung Langzeitarbeitsloser derartig verbessert werden können sollte, dass 2013 und 2014 4,5 Mrd. Euro Arbeitslosengeld eingespart werden könnten. Dies mit der demographischen Entwicklung zu erklären, ist wenig realistisch: Auch wenn die Zahl der Erwerbstätigen demographisch bedingt zurückgeht, heißt dies doch noch längst nicht, dass Arbeitgeber bereit wären, mehr Langzeitarbeitslose einzustellen. Wenn den Mitarbeitern in den Job Centern gleichzeitig die Mittel für Eingliederungsmaßnahmen und qualifiziertes Personal massiv gestrichen werden, werden sie noch weniger in der Lage sein, Langzeitarbeitslose in eine reguläre Arbeit zu vermitteln. Zudem weist die Bundesregierung selbst darauf hin, dass ihr Vorschlag zur Reform der Job Center mit einer größeren Zahl von Optionskommunen Mehrkosten verursachen wird.
Erforderlich wäre vielmehr, die Arbeitsmarktpolitik darauf auszurichten, die berufliche Eingliederung langzeitarbeitsloser Menschen zu verbessern. Dazu wäre jedoch ein Paradigmenwechsel in der Arbeitsmarktpolitik erforderlich – gerade nicht zu weniger und billigerer Arbeitsmarktpolitik, sondern zu nachhaltigen arbeitsmarktpolitischen Eingliederungsmaßnahmen in den ersten und zweiten Arbeitsmarkt. Dies ist jedoch nicht zum Nulltarif zu haben. Werden jedoch arbeitsmarktpolitische Maßnahmen derartig drastisch eingeschränkt – wie in dem „Sparpaket“ vorgesehen – können bestenfalls noch kurzfristige Trainingsmaßnahmen und Ein Euro Jobs angeboten werden. Wie Untersuchungen sowohl der Bundesregierung, des Bundesrechnungshofes als auch der Bundesagentur für Arbeit und vor allem auch die praktische Erfahrung deutlich zeigen, ist hierdurch eine nachhaltige berufliche Eingliederung kaum zu leisten. Die Folge: Langzeitarbeitslosigkeit und Hartz IV bleiben für die betroffenen Menschen, ihre Familien und Kinder auch weiterhin ein verheerendes Schicksal und für den Steuerzahler ein „Fass ohne Boden“.
Finanzielle Unabhängigkeit der Bundesagentur für Arbeit
In den „Sparvorschlägen“ ist vorgesehen, dass die Bundesagentur für Arbeit mittel- und längerfristig keine Zuschüsse und Darlehen des Bundes mehr erhalten soll. Widersprüchlicher kann man kaum vorgehen: Da reduziert die Bundesregierung die Beitragssätze zur BA von 2006 bis 2009 von 6,5 auf 2,8 Prozent – also um etwa 30 Mrd. Euro – und wundert sich, dass bei gestiegener Arbeitslosigkeit und hoher Inanspruchnahme durch die erweiterte Kurzarbeit bei der BA ein Defizit entstanden ist. Nach wie vor lastet auf der BA die nicht zu rechtfertigende Hälfte der Ausgaben für die Arbeitsmarktpolitik der ALG II Empfänger. Dies sind über 5 Mrd. Euro pro Jahr. Erforderlich wäre zuallererst die Entlastung der BA von diesem Beitrag für Hartz IV. Darüber hinaus wäre eine moderate Anhebung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge über den vorgesehenen Anstieg auf 3,0 Prozent ab 2011 erforderlich. Mit einem Beitragssatz von etwa 3,5 Prozent und unter Wegfall des Eingliederungsbeitrags könnte die BA ihre Aufgaben finanziell eigenständig bewältigen.
Zunächst die Zuschüsse und Darlehen zu streichen, ohne die Bundesagentur zu entlasten und ohne ihre Finanzierung über Beitragseinnahmen zu sichern, kann man nur noch als späte Rache der FDP an der BA begreifen. Es ist eine Politik nach Art der Schildbürger.