Einwurf
Der frühere Chefredakteur und Herausgeber des Handelsblatts Gabor Steingart widmet sich in der Ausgabe seines Morning Briefing vom 14. Februar 2020 dem Zustand der CDU in Ostdeutschland nach dem Desaster der Thüringer Ministerpräsidentenwahl. Seine Ausführungen zu Ostdeutschland, vor allem aber zur DDR, zeigen, warum sich die Ostdeutschen seit 30 Jahren vehement darüber beklagen, dass ihnen von unbedarften „Wessis“ beständig deren eigene Betrachtungsweise übergestülpt wird, oftmals ohne Kenntnis von Fakten. Von Lutz Hausstein.
Der Begriff des „Besserwessis“ gelangte in den gängigen Sprachgebrauch, als kurz vor und kurz nach 1990 immer mehr Westdeutsche nach Ostdeutschland kamen und glaubten, den Ostdeutschen „die Welt erklären“ zu müssen. Das waren zwar keineswegs alle, ja nicht einmal die Mehrzahl. Diese dann aber mit einer solchen Penetranz und Überheblichkeit, dass den Ostdeutschen die Galle hochkam. Und so ist der Begriff des Besserwessis zwar auch als Antwort auf den damals überall zu vernehmenden „Jammer-Ossi“ zu betrachten, vor allem aber als Schlagwort in Bezug auf all diejenigen, die stets und überall ihren Zeigefinger hoben, wenn sie meinten, einen Ostdeutschen mit vermeintlich väterlichem Rat von seiner Unkenntnis zu befreien. Das mochte zwar angebracht sein, wenn dieser über wirtschaftliche Hintergründe im realexistierenden und nun auf die Ostdeutschen zukommenden Kapitalismus aufklären zu müssen meinte. Es wurde (und wird) aber vollkommen absurd, wenn er glaubte, die Ostdeutschen darüber belehren zu müssen, wie diese in der DDR gelebt hatten und die Verhältnisse dort denn so gewesen seien.
Und auch heute noch gibt es diese Neigung, wenngleich zum Glück deutlich weniger. Wenn nun Gabor Steingart in seinem Morning Briefing meint, seinen Lesern den Begriff des Wendehalses erklären zu müssen, sich dabei aber völlig vergaloppiert, dann ist das mehr als nur peinlich.
„Das Wort „Wendehals“, einst benutzt zur polemischen Etikettierung eines vermeintlichen DDR-eigenen Opportunismus, straft sich selbst lügen (sic).“
Es ist Unfug, wenn Steingart solch eine Erklärung seinen Lesern zum Begriffsverständnis darbietet. Es ist zwar kein Beinbruch, wenn er es nicht weiß, aber dann soll er doch bitte zu den Dingen schweigen, von denen er (offensichtlich) keine Ahnung hat. Das ist genau diese Anmaßung, über Dinge zu dozieren – am besten noch denen gegenüber, die es besser wissen als er – von denen er nichts weiß, die die Ostdeutschen so auf die Palme gebracht hat und noch bringt. Denn ein Wendehals hatte nichts mit einem „DDR-eigenen Opportunismus“ zu tun. Stattdessen wurden damit diejenigen bezeichnet, die vor „der Wende“ stets treu ihre Floskeln zugunsten der SED und des realsozialistischen Alltags abgesondert haben und nun danach von heute auf morgen dem Kapitalismus das Wort redeten, ja eigentlich schon immer dafür waren.
„Hatte sich nicht die DDR an einer Überdosis Volk vergiftet? Volksrepublik. Volksbefreiungsarmee. Volkskammer.“
Und wieder erklärt Steingart den Menschen Dinge, die es so überhaupt nicht gab. Volksbefreiungsarmeen gab und gibt es zwar in Afrika, in Asien oder in Südamerika. Die Armee der DDR hieß jedoch Volksarmee, genauer Nationale Volksarmee, NVA. Eine Petitesse? Eigentlich schon. Aber wenn Steingart seine Argumentation auf einzelne Begriffe wie „Volk“ aufbaut, dann muss er sich auch an den einzelnen Begriffen messen lassen. Wie würde das klingen, wenn ein Ostdeutscher die Bundeswehr der alten Bundesrepublik Wehrmacht genannt hätte? Ist ja irgendwie auch richtig, denn da steckt ja das Wort „Wehr“ auch mit drin.
Irgendwie ist es immer noch ein bisschen wie vor 30 Jahren. Westdeutsche Journalisten und Politiker erklären den Ostdeutschen, wie es in der DDR gewesen sei und was sie gefällig darüber zu denken hätten. Zugezogene Politiker aus dem Westen maßen sich an, die Demonstrationen von 1989 für ihre persönlichen Zwecke zu missbrauchen, indem sie einfach sich selbst in das damalige Geschehen hineinmontieren. So wie es AfD-Politiker mehrfach getan haben.
Schuster, bleib bei deinen Leisten. Schreibe darüber, wovon du etwas verstehst. Ansonsten darfst du gern auch einfach mal schweigen.