Andrej Hunko hat die Wahl zum stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der Linksfraktion im Bundestag gewonnen. Vielen Lesern der NachDenkSeiten dürfte Hunko vor allem durch seine gute außenpolitische Arbeit bekannt sein. Es war jedoch leider auch absehbar, dass die Wahl eines friedenspolitisch aktiven Politikers, der sich nicht von den transatlantischen Interessen hat einspannen lassen, in bestimmten Kreisen zu Schnappatmungen führen wird. Wieder einmal war es der Tagesspiegel-Redakteur Matthias Meisner, der als Erster aus dem publizistischen Schützengraben stürmte und mit einem abgrundtief boshaften Artikel zum Frontalangriff auf den „Putin-Versteher“ Hunko blies. Von Jens Berger.
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Matthias Meisner politisch einzuordnen, ist nicht gerade einfach. Einerseits gehört er zu den Journalisten, die sich den sogenannten „Kampf gegen rechts“ auf ihre Fahnen geschrieben haben und vorbildlich gegen neurechte Umtriebe Stellung beziehen. Das ist löblich, auch wenn Meisner wie so viele seiner Kollegen die Ursachen für den Rechtsruck kategorisch ausblendet. Zudem muss man leider feststellen, dass Meisners politischer Kompass nicht immer nachvollziehbar justiert ist. Als Miterfinder der „Querfront-Kampagne“ hat er es sich zur Aufgabe gemacht, auch innerhalb der politischen Linken vermeintlich rechte Umtriebe zu bekämpfen.
Mit den tradierten Begriffen „links“ und „rechts“ kommt man jedoch spätestens an dieser Stelle nicht mehr weiter. Die „linke Politik“, die Meisner wohl vorschwebt, ist vor allem in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik ungefähr deckungsgleich mit der Politik von Tony Blair, Barack Obama und Hillary Clinton – also einem, gerne auch militärischen, Export der sogenannten liberalen, westlichen Werte. Anders als seine transatlantischen Kollegen von WELT und FAZ zielt Meisner publizistisch jedoch nicht auf die CDU- und FDP-Klientel, sondern beackert zusammen mit seinen Kollegen von der taz das „linke Lager“. Zugespitzt könnte man sagen, dass Meisners Traum wohl eine rot-rot-grüne Regierung ohne linke Inhalte und stramm auf transatlantischer Linie wäre. Klar, dass unter diesen Vorzeichen ein linker Friedenspolitiker wie Hunko für ihn ein rotes Tuch ist.
Auch wenn man Meisners politische Motivation nicht teilen mag, kann man sie zumindest verstehen. Überhaupt nicht zu verstehen ist jedoch die Art und Weise, mit der er sich über Andrej Hunko hermacht. Schon die Überschrift „Der Putin-Versteher“ ist einerseits unverschämt, andererseits aber auch wieder so dämlich, dass man fast denken mag, Meisners Text sei eine Satire, mit der er sich über seine eigenen Artikel lustig machen will. Das ist jedoch nicht der Fall. Der Mann meint es tatsächlich ernst.
Argumentativ bleibt er dabei jedoch durchgängig im intellektuellen Nichtschwimmerbecken. Immer wenn man als Leser gerne ein Argument hätte, kramt Meisner stattdessen das Adjektiv „umstritten“ aus seinem Phrasenkasten. Alles was Meisner selbst anders sieht, ist dann einfach „umstritten“. Hunko ist „umstritten“, seine Positionen sind „umstritten“ und seine außenpolitischen Aktivitäten sind sogar „extrem umstritten“. Fragt sich nur, bei wem und warum.
So lernen wir bei Meisner, dass Andrej Hunko zusammen mit anderen Linken-Politikern 2015 Medikamente für das ost-ukrainische Bürgerkriegsgebiet sammelte. Klar, das ist natürlich „umstritten“. Dann forderte er auch noch, die völkerrechtliche Situation auf der Krim auf eine gesicherte Grundlage zu stellen. „Umstritten“. Nicht umstritten wäre er wohl nur, wenn er sich in den Chor der NATO-Falken eingereiht und „Maßnahmen“ gefordert hätte. Und dann reiste Hunko auch noch nach Venezuela, um sowohl dem – für Meisner sicher nicht „umstrittenen“ – Oppositionspolitiker Guaido als auch den – für Meisner sicher hoch „umstrittenen“ – Präsidenten Maduro zu treffen. Was genau an dieser Reise, die Hunko ausführlich dokumentiert hat, eigentlich konkret „umstritten“ oder wie auch immer zu kritisieren sei, verschweigt Meisner natürlich. Es geht aber wohl vor allem darum, dass er vom „langjährigen Machthaber Nicolas Maduro“ empfangen wurde. Parallel dazu wurde übrigens Heiko Maas vom faschistischen brasilianischen „Machthaber“ Bolsonaro zum Fototermin mit Handshake empfangen; ob Maas nun für Meisner auch „umstritten“ ist? Wohl kaum.
Klar, wenn ein linker Politiker Medikamente in Krisengebiete bringt, sich mit Politikern anderer Länder unterhält, anstatt sie mit Gewalt aus dem Amt jagen zu wollen, und dann auch noch für eine Entspannungspolitik in Richtung Russland eintritt, muss er aus transatlantischer Perspektive ein „umstrittener Putin-Versteher“ sein. Schön, dass wir in einer – wenn auch angeschlagenen – Demokratie leben, und die Linksfraktion zwischen zwei „umstrittenen“ Kandidaten wählen durfte. Andrej Hunko bekam 35 Stimmen, Martina Renner 26. Innerhalb der Fraktion ist Hunko also offenbar weniger „umstritten“ als Renner, die jedoch dem Kreis um Katja Kipping zugerechnet wird und daher für Matthias Meisner per definitionem nicht „umstritten“ sein kann. Kann es vielleicht letzten Endes nicht auch sein, dass Matthias Meisner irgendwie selbst „umstritten“ ist?
Titelbild: © Prensa Presidencial