Akten belegen eine geheime Finanzierung der Nachrichtenagentur Reuters durch die britische Regierung im Kalten Krieg. Das Ziel: politische, antikommunistische Einflussnahme. Der Vorgang sollte nicht allzu sehr überraschen, aber er bietet interessante Belege und lenkt einen allgemeinen Blick auf die Rolle großer Agenturen bei der Meinungsbildung. Von Tobias Riegel.
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Nachrichtenagenturen sind die Basis der Berichterstattung zahlreicher großer westlicher Medien – man könne sie auch als deren „Rückgrat“ bezeichnen, wenn man es positiv beschreiben will. Sieht man die intensive Beziehung zwischen Medium und Agentur aber kritisch – zum Beispiel die von zahlreichen Medien gleichzeitig verbreiteten und gleichlautenden Agenturmeldungen – so drängt sich die Frage auf: Sind die großen Nachrichtenagenturen die „Torwächter der Meinungsmache“?
Reuters und die Regierung: Propaganda, Einflussnahme, Schwarze Kassen
Die wichtige Frage nach der Rolle der Agenturen stellt sich permanent, wenn man sich mit Mechanismen der Meinungsmache befasst. Dieser Tage aber drängt sich die Frage zusätzlich aktuell auf: Kürzlich freigegebene Akten belegen eine geheime Finanzierung der Nachrichtenagentur Reuters durch die britische Regierung im Kalten Krieg. Das Ziel: politische, antikommunistische Einflussnahme. Darüber berichten etwa BBC in diesem Artikel und Reuters in diesem Artikel (beides auf Englisch).
Demnach beweisen kürzlich deklassifizierte Akten einen lange vermuteten und auch berichteten Vorgang: nämlich, dass die britische Regierung die Nachrichtenagentur Reuters in den 60er und 70er Jahren heimlich finanziell unterstützt hat. Diese Finanzierung wurde laut den Berichten initiiert von einer antikommunistischen britischen Geheimdienst-Abteilung, als „Schwarze Kasse“ fungierte die BBC. Reuters schreibt dazu:
„Das Geld wurde verwendet, um die Berichterstattung von Reuters über den Nahen Osten und Lateinamerika zu erweitern, und floss über erhöhte Nachrichten-Abonnementzahlungen von der BBC verdeckt an Reuters.“
Die Nachrichtenagentur zitiert aus den Regierungsakten, wobei HMG für „Her Majesty’s Government“ steht, also die britische Regierung meint:
„Die Interessen der HMG sollten durch die neue Regelung gut bedient werden.“
Fehlende Unabhängigkeit: Ein alter Verdacht wird bestätigt
Der Vorgang, zu dem RT in diesem Artikel weitere Hintergründe liefert, soll hier nicht über Gebühr als erstaunlich dargestellt werden: Einflussnahmen von staatlicher oder mächtiger privater Seite auf die dem Publikum als „unabhängig“ dargestellten großen Medien werden längst vermutet, zahlreiche Indizien stützen diese Vermutungen. Es ist aber doch ein Unterschied, ob es bei diesen begründeten Vermutungen bleibt und dadurch der Kampfbegriff „Verschwörungstheoretiker“ zum Einsatz kommen kann – oder ob die Vorgänge durch deklassifizierte Akten eindeutig belegt sind. Das ist im Falle Reuters für die 60er und 70er Jahre nun der Fall. Zu bedenken ist auch, wie lange dieses Modell der Schwarzen Kasse geheimgehalten werden konnte. Paul Schreyer schreibt dazu auf „Multipolar“:
„Eine der weltgrößten Nachrichtenagenturen wurde lange verdeckt von der britischen Regierung finanziert, um politisch Einfluss zu nehmen. Verschwörungen lassen sich nicht geheim halten? In diesem Fall gelang es über viele Jahrzehnte.“
Ist private Meinungsmache besser als staatliche?
Eine weitere Frage ist, ob eine staatliche Finanzierung schlechter ist als ein privates Modell, wie es bei der deutschen Nachrichtenagentur DPA praktiziert wird. Reuters wurde nach eigenen Angaben 1851 in London gegründet und ist heute im Besitz des in Toronto ansässigen Unternehmens Thomson Reuters, eine der größten Nachrichtenorganisationen der Welt. Der entscheidende Punkt bei der Regierungs-Reuters-Affäre ist die Heimlichkeit und die gleichzeitige moralisch überhöhte Position der Achtung einer „Unabhängigkeit“ von großen Medien. Eine geheime staatliche Finanzierung und damit Einflussnahme durch die britische(n) Regierung(en) ist darum auch erheblich bedenklicher einzuschätzen als die offizielle Förderung von internationalen (Staats-)Medien durch Regierungen: Etwa bei „Russia Today“ weiß man immerhin, woran man ist – man kann als Konsument die (bekannte) Finanzierung durch den russischen Staat in die Beurteilung der RT-Nachrichten einfließen lassen. Zusätzlich entfällt hier der ganze geheuchelte Überbau von den „unabhängigen“ Medienkonzernen.
In dem Zusammenhang sei auch erwähnt, dass es neben RT kaum ein deutsches Medium gibt, das den Reuters-Skandal angemessen thematisiert hat. Im deutschsprachigen Raum haben (zumindest laut Google-News) an großen Medien immerhin die „Neue Zürcher Zeitung“ und „Der Standard“ den Vorgang erwähnt.
Das Prinzip Nachrichtenagentur widerspricht Meinungsvielfalt
Ob nun staatlich oder privat: Widerspricht das Konstrukt „Nachrichtenagentur“ (also einer großen Firma, die Medien weltweit mit gleichlautenden Meldungen versorgt) nicht in beiden Fällen dem Prinzip der Meinungsvielfalt? Da Agenturen bereits großen Einfluss auf die Meinungsbildung in der westlichen Hemisphäre haben und sich dieser Einfluss mit jeder Kürzung in der Medienlandschaft weiter verstärkt, soll das Prinzip dieser Firmen hier kurz allgemeiner betrachtet werden. So haben die NachDenkSeiten kürzlich zum 70-jährigen Jubiläum der DPA geschrieben:
„Das Phänomen des Gleichklangs wird auch durch das Prinzip „Nachrichtenagentur“ hergestellt: indem zahlreiche Zeitungen gleichlautende DPA-Artikel abdrucken. Durch diese Praxis können die Medien zum einen Kosten sparen, zum anderen können sie sich notfalls von den teils später als tendenziös enttarnten Beiträgen distanzieren. Die großen deutschen Medien schaffen sich so mit der nur scheinbar unabhängigen DPA einen Kronzeugen, den sie selber finanzieren und indirekt leiten, um ihn dann als “neutralen Beobachter” in den eigenen Medien zu zitieren.
Medien können (bei Bedarf) so tun, als sei der Agentur-Artikel nicht die „Hausmeinung“, obwohl sie in der Zeitung verbreitet wird. Personalabbau führt zu vermehrtem Einsatz von Agentur-Artikeln. Und während die Umsätze vieler großer Medien einbrechen, konnte die DPA diese im letzten Geschäftsjahr noch steigern.“
Gleichklang und mutmaßliche Verzerrung
Dort werden auch Beispiele für mutmaßlich verzerrende Berichterstattung durch DPA vorgestellt. So beschreibt etwa Albrecht Müller in diesem Artikel die Rolle unter anderem von Agenturen „beim Feindbildaufbau gegen Russland und Putin“. In diesem Artikel wird die manipulative und selektive Wiedergabe von Navid Kermanis Friedenspreisrede analysiert. Friedensproteste wie jene in Ramstein werden demnach auch von DPA nicht angemessen gespiegelt. Anzuführen sind auch etwa zahlreiche DPA-Berichte zum „Maidan“ oder zum syrischen „Bürgerkrieg“. Eine Studie der Otto Brenner Stiftung von März 2010 zum Thema „Wirtschaftsjournalismus in der Krise – Zum massenmedialen Umgang mit Finanzmarktpolitik“ kommt zu folgendem Schluss: Die Informationsleistung von DPA in Sachen Finanzmarktpolitik sei „hoch defizitär“. Die Orientierung, die DPA in diesem Zusammenhang gebe, sei Desorientierung: „Der finanzmarktpolitische DPA-Journalismus ist Trivialjournalismus.“ Und der Blog Swiss Propaganda Research schreibt unter dem Titel “Der Propaganda-Multiplikator“ über das Prinzip Nachrichtenagentur:
„Es ist einer der wichtigsten Aspekte unseres Mediensystems – und dennoch in der Öffentlichkeit nahezu unbekannt: Der größte Teil der internationalen Nachrichten in all unseren Medien stammt von nur drei globalen Nachrichtenagenturen aus New York, London und Paris.
Die Schlüsselrolle dieser Agenturen hat zur Folge, dass unsere Medien zumeist über dieselben Themen berichten und dabei sogar oftmals dieselben Formulierungen verwenden.“
Einfluss der Agenturen wächst durch Kürzungen
Die bereits verbreitete Praxis, durch Kürzungen entstandene Lücken in der Zeitung mit Agentur-Material zu füllen, wird sich wie gesagt verstärken, weil die Medien sich immer weniger eigenes Personal leisten. Darum gibt es tendenziell auch immer weniger „eigene“ Stimmen, die sich dem Chor einer von zahlreichen Medien zitierten Agentur-Meldung entgegenstellen könnten. Ein Beispiel, wie einzelne Agenturmeldungen den Ton der Berichterstattung setzen, ist etwa der mediale Umgang mit den Unstimmigkeiten rund um die mutmaßlichen Giftgaseinsätze in Syrien. Die NachDenkSeiten haben dazu in diesem Artikel geschrieben:
„Vor allem das manipulative Potenzial von Nachrichtenagenturen wurde in den vergangenen Tagen erneut deutlich – nachdem es kürzlich bereits im Zusammenhang mit der Skripal-Affäre aufgeschienen war, wie die NachDenkSeiten berichteten.
Denn die wirkungsvollsten Verbreiter der falschen Nachricht, der OPCW-Bericht würde einen Einsatz von Chlorgas in Duma nahelegen, waren die Nachrichtenagenturen dpa für den deutschsprachigen und Reuters für den englischsprachigen Raum. Doch während Reuters diesen Fehler immerhin mittlerweile korrigiert hat, beharrt dpa bis heute auf ihren kaum vertretbaren Äußerungen.“
„Orientierung“ oder sanfte „Lenkung“?
Und selbst üppig mit den Beiträgen der Bürger ausgestattete Medien wie die ARD nutzten für die eigene Meinungsbildung die Agenturen, wie ein aktuelles, in diesem Artikel beschriebenes ARD-Feature über sich selbst berichtet. Im Artikel wird gefragt:
„Man begleitet im Beitrag ARD-Mitarbeiter, die „Agentur-Meldungen“ bearbeiten und „Planungslisten“ sichten. Die „Tageszusammenfassungen der Nacht“ (mutmaßlich jene der großen Nachrichtenagenturen) geben den Redakteuren laut eigenen Worten „schon mal einen kleinen Überblick“. Aber wie seriös oder aber interessenbehaftet sind die genutzten Nachrichtenagenturen? Was ist „wichtig“, was wird beachtet, was wird dementsprechend verschwiegen oder nur halb erzählt? Und angesichts eines vorgefundenen „kleinen Überblicks“ – braucht es da noch die später als übertriebene Verschwörungsfiguren verhöhnten „gleichgeschalteten Pressesprecher“, um den groben Rahmen des Sagbaren bereits zu skizzieren? Ist diese „Orientierung“ bereits eine behutsame „Lenkung“?“
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