Der hochverdiente Enthüllungs-Journalist Glenn Greenwald gerät aktuell unter Druck der brasilianischen Justiz – doch viele große deutsche Medien halten den Vorgang klein: Er wird knapp und pflichtschuldig in betont trockenen Nachrichten vermeldet, um anschließend mutmaßlich begraben zu werden. Im Vergleich dazu erscheinen die emotionalen und wochenlangen Kampagnen für bedrängte pro-westliche Journalisten als große Heuchelei. Von Tobias Riegel.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Podcast: Play in new window | Download
Der in Brasilien lebende Journalist Glenn Greenwald wurde von der Bundesstaatsanwaltschaft in Brasília angeklagt: Ihm und weiteren Personen wird laut Medienberichten vorgeworfen, die Handys von Staatsdienern wie Justizminister Sergio Moro und Staatsanwalt Deltan Dallagnol „gehackt“ zu haben. Die von Greenwald gegründete Enthüllungsplattform „The Intercept Brasil“ hatte private Chat-Nachrichten der Beamten veröffentlicht und damit auf einen mutmaßlichen Justizskandal aufmerksam gemacht (weitere Hintergründe folgen später im Text). Greenwald weist die Vorwürfe als konstruiert zurück.
Berichte zu Greenwald: Korrekt, aber unangemessen
Diese Vorgänge werden auch in großen deutschen Medien durchaus korrekt vermeldet – allerdings überwiegend in einer betont knappen und trocken-nachrichtlichen Form. Die „Bild“-Zeitung verschweigt den Vorgang, dass ein renommierter und hochverdienter Enthüllungs-Journalist von der Justiz unter Druck gesetzt wird, laut der internen Suche komplett. Und viele große Medien, die in unangemessener Kürze über den Fall berichten, wiederholen in der Überschrift die Vorwürfe der brasilianischen Staatsanwaltschaft – so titeln etwa die „Süddeutsche Zeitung“, die „Zeit“, der „Spiegel“ und die Nachrichtenagentur DPA wortgleich:
„Enthüllungsjournalist Glenn Greenwald wegen Cyberkriminalität angeklagt“
Der „Deutschlandfunk“ verwendet die gleiche Überschrift wie die Privatmedien und verlegt das Thema zudem in die „Kulturnachrichten“. Und das ZDF verschwieg den Vorgang laut interner Suche bisher ganz.
Wohlgemerkt: Diese Überschriften und die Artikelinhalte sind nicht falsch – aber ist der gesamte Umgang mit dem Fall Greenwald angemessen? Ist dieser Umgang vergleichbar mit den emotionalen Feuerwerken, die westliche Medien zu anderen Gelegenheiten „für die Pressefreiheit“ abbrennen? Nein: Es gibt ein (etwa im Vergleich zu bedrängten russland-kritischen Journalisten) offensichtliches Bemühen großer Medien, den Vorgang um Greenwald klein und betont sachlich und unpersönlich zu halten.
Ein Feuerwerk für Yücel – Trockene Meldungen für Greenwald
Diese Haltung steht im Widerspruch zu den mit viel Gefühlen und „persönlichen“ Aspekten aufgepeppten Berichten (oder gar Kampagnen), wenn Journalisten bedrängt werden, die der westlichen Politik wohler gesonnen sind als Glenn Greenwald. Hier sei etwa an die Solidaritäts-Bekundungen deutscher Medien für den „Welt“-Journalisten Denis Yücel erinnert. Noch übertroffen wurde diese bemerkenswerte (und emotional befeuerte) Welle der Sympathie etwa beim Fall des russischen Journalisten Iwan Golunow. In Anspielung auf die im Gegensatz dazu skandalöse Duldung des Schicksals Julian Assanges durch seine Journalisten-„Kollegen“ titelten die NachDenkSeiten zum Fall Golunow:
„Wenn Julian Assange doch nur ein Russe wäre: Die Medien und das Messen mit zweierlei Maß“
Ganz deutlich: Die Solidarität sowohl für Yücel als auch für Golunow soll hier nicht diffamiert werden – im Gegenteil. Eine problematische Heuchelei entsteht aber dann, wenn mit zweierlei Maß gemessen wird. Und diese Praxis ist schwer zu leugnen: Dem Westen gegenüber kritische Journalisten/Publizisten wie Julian Assange und Glenn Greenwald wird die breite und emotionale Solidarität verweigert – sowohl inhaltlich als auch quantitativ treten große Unterschiede im medialen Verhalten etwa zu „russischen Regimekritikern“ zutage. Und das, obwohl sich sowohl Assange als auch Greenwald höchste Verdienste um die Aufklärung erworben haben. Und obwohl viele wichtige Storys auch westlicher Medien der letzten Jahre auf den Leistungen von Publizisten/Journalisten wie Assange und Greenwald einerseits und Whistleblowern wie Edward Snowden andererseits beruhten.
Whistleblower, die westliche Defizite offenlegen, trifft ein ähnliches Schicksal: Die schlimme Praxis mancher Journalisten, die Leistungen etwa von Edward Snowden erst publizistisch auszuschlachten und dann den bedrängten Informanten fallen zu lassen, haben die NachDenkSeiten in diesem Artikel beschrieben.
Trotz den Verpflichtungen, die viele Journalisten also eigentlich gegenüber Greenwald empfinden müssten, wird dessen aktuelle Bedrängnis meist nur trocken und knapp vermeldet, mutmaßlich, um auf der sicheren Seite zu sein. Ausnahmen bestätigen aber auch hier die Regel. So hat sich etwa der Deutsche Journalisten-Verband auf Twitter eindeutig positioniert – was allerdings in vielen großen Medien nicht breit zitiert wurde:
Unfassbar. Inakzeptabel. Die Reg. Bolsonaro hebelt den Rechtsstaat aus, um @ggreenwald für seine kritische Berichterstattung abzustrafen. https://t.co/MmDgXHSlMS
— Journalisten-Verband (@DJVde) January 21, 2020
Echte und vergiftete Solidarität
Auf der anderen Seite stellen sich aber selbst manche als „Solidarität“ deklarierte Beiträge als grenzwertige Stimmungsmache – etwa gegen Julian Assange – heraus, wie Moritz Müller auf den NachDenkSeiten gerade am Beispiel eines Textes von Heribert Prantl analysiert hat.
Die verhaltenen Reaktionen vieler großer deutscher Medien auf den Druck gegen Greenwald stehen auch in Kontrast zu den Solidaritätsbekundungen in Brasilien. So haben etwa laut einem Artikel der „taz“ zahlreiche brasilianische Organisationen die Anklage Greenwalds kritisiert, darunter die Brasilianische Gesellschaft für Investigativjournalismus (Abraji), der brasilianische Journalistenverband (Fenaj) und der Brasilianische Presseverband (ABI). Rodrigo Maia, Präsident der Abgeordnetenkammer in Brasília, erklärte über Twitter:
Medienberichte liefern weitere Hintergründe zum Vorgang: Die von Greenwald und „The Intercept“ zitierten Nachrichten der brasilianischen Beamten scheinen zu beweisen, dass sich Richter und Staatsanwaltschaft bei den Ermittlungen gegen den ehemaligen Präsidenten Lula da Silva illegal abgesprochen haben. Greenwald hatte bereits 2013 große Popularität erlangt, als er mit Edward Snowden die Abhörpraktiken des US-Geheimdienstes NSA offengelegt hatte. Die große Bedeutung, die Greenwalds Arbeit heute für Brasilien hat, und die daraus erwachsende Motivation, ihn zum Schweigen zu bringen, verdeutlicht dieser Absatz auf „Telepolis“:
„Durch die Haftstrafe gegen Lula, der bis dahin in den Umfragen geführt hatte, war der Weg für den rechten Politiker Jair Bolsonaro zum Sieg bei den Präsidentschaftswahlen 2018 in Brasilien frei geworden. Nach den Enthüllungen von ‚The Intercept Brasil‘ im vergangenen Jahr war der ehemalige Präsident dann aber wieder freigekommen. Vorher waren viele Staatsbedienstete ins Visier geraten, allen voran Justizminister Sergio Moro und Staatsanwalt Deltan Dallagnol. Moro hatte als Richter das Urteil gegen Lula da Silva gesprochen.“
Greenwald wehrt sich
Die Vorwürfe gegen ihn wies der mit einem Brasilianer verheiratete US-Amerikaner Greenwald laut Medienberichten zurück. Es sei „ein offensichtlicher Versuch, die freie Presse als Vergeltung für die Enthüllungen anzugreifen, die wir über Minister Moro und die Regierung Bolsonaro gebracht haben“, so Greenwald in einer Erklärung. Das von Greenwald mitbegründete Medium „The Intercept“ hat sich in diesem Artikel zu der Anklage positioniert. Auf Twitter schrieb Greenwald:
Regarding the criminal charges brought by the Bolsonaro government: it’s a grave and obvious attack on a free press, brought by a far-right judge.
We’re going to defend a free press, not be intimidated by authorities abusing their power. The reporting will continue. pic.twitter.com/kd9b8Kggx3
— Glenn Greenwald (@ggreenwald) January 21, 2020
Eine ähnliche Anklage in Russland würde emotionale Kampagnen hervorrufen
Zur Ehrenrettung großer deutscher Medien könnte man ihre Zurückhaltung mit einem (nur bedingt nachvollziehbaren) Vertrauen in die brasilianische Gerichtsbarkeit verteidigen: Im Gegensatz etwa zu Yücel sitzt Greenwald (noch) nicht im Gefängnis – und möglicherweise werden brasilianische Richter als Korrektiv die Anklagen gegen Greenwald abschmettern. Aber vielleicht eben auch nicht: Eine zentrale Frage ist laut Medienberichten, ob Greenwald die betreffenden Nachrichten nur zitiert hat oder ob er auch geholfen hat, sie zu beschaffen. Letzteres wird in vielen Artikeln als strafbar bezeichnet.
Wäre Greenwald ein russischer pro-westlicher Journalist, würde allerdings mutmaßlich bereits die Anklage gegen ihn skandalisiert und mit Emotionen und allerlei Phrasen von der Pressefreiheit aufgeladen werden. Der mediale Aufwand wäre, wie gesagt, inhaltlich und quantitativ nicht zu vergleichen: Dass die brasilianische Justiz beim Fall Greenwald von vielen deutschen Medien nicht ebenso radikal-kritisch hinterfragt wird wie die russische bei vergleichbaren Fällen, ist kaum zu leugnen. Und der Fall Assange wiederum beweist auf tragische und skandalöse Weise, dass im Falle der westlichen Justiz selbst eine absolut offensichtliche Instrumentalisierung gegen unbequeme Stimmen noch längst keinen Aufschrei unter westlichen „Kollegen“ auslöst.
Als (weitgehend) positive Ausnahmen sind in deutschen Medien aktuelle Artikel zu Greenwald in der „taz“, bei „Telepolis“, im „Freitag“, bei „RT“ und auf „netzpolitik.org“ zu finden.
Titelbild: Josep Suria / Shutterstock