Venezuela – Freibeuter-Anschlag auf Telesur, Militärmanöver und Guaidó-Comeback als neue Umtriebe des US State Departments für den Regime Change

Venezuela – Freibeuter-Anschlag auf Telesur, Militärmanöver und Guaidó-Comeback als neue Umtriebe des US State Departments für den Regime Change

Venezuela – Freibeuter-Anschlag auf Telesur, Militärmanöver und Guaidó-Comeback als neue Umtriebe des US State Departments für den Regime Change

Frederico Füllgraf
Ein Artikel von Frederico Füllgraf

„Nach Prüfung der einschlägigen rechtlichen und institutionellen Optionen habe ich beschlossen, einen Umstrukturierungs- und Rettungsprozess für Telesur einzuleiten, um den Sender in den Dienst von Wahrheit, Pluralität, venezolanischer und regionaler Demokratie zu stellen“, twitterte am vergangenen 12. Januar Venezuelas selbsternannter „Interimspräsident“ Juan Guaidó und begründete seinen Beschluss mit der Behauptung, „seit seiner Gründung wurde Telesur eingesetzt, um die Destabilisierung der Region voranzutreiben, terroristische Gruppen zu unterstützen, die Demokratie anzugreifen, über Venezuela zu lügen und die Maduro-Diktatur zu verteidigen“. Von Frederico Füllgraf.

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Die Androhung erfolgte eine Woche nach Guaidós inszeniertem Protest gegen das angebliche Zutrittsverbot zum Parlament und gegen die Wahl Luis Parras zu seinem Nachfolger als Präsident der Nationalversammlung Venezuelas und signalisiert eine veränderte Taktik des bisher erfolglosen Regime-Change-Versuchs der US-Administration mit seinem Strohmann Juan Guaidó.

Neue, aggressive US-Strategie

Nach Angaben der Agentur Bloomberg hatte Präsident Donald Trump Anfang Dezember 2019 bei Überprüfung der US-Strategie zum Sturz Nicolás Maduros schwindendes Vertrauen in Guaidó eingestanden und „mehr Muskelspiele im Umgang mit Venezuela erwogen“. Der Präsident habe sich darüber frustriert gezeigt, dass Maduro nicht so schnell von der Macht verjagt worden sei, wie sein Berater John Bolton dies angekündigt hatte. Trump schlussfolgerte daraus, Boltons Versagen könne politische Konsequenzen für seine Wiederwahlkampagne haben, da er angeblich auf die Stimmen hunderttausender venezolanischer Exilanten in Florida angewiesen sei. Also wurde Bolton im September 2019 gefeuert und sein Nachfolger Robert O’Brien mit der Ausarbeitung einer neuen Venezuela-Strategie beauftragt.

Nachdem Guaidós großspurige Versprechen knapp ein volles Jahr nach seiner Selbsternennung zum Präsidenten kläglich gescheitert waren, spekulierten internationale, jedoch auch schlecht orientierte progressive Medien, die Trump-Administration werde „ihren Mann in Caracas“ kommentarlos fallenlassen. Die Spekulation erwies sich als Wunschtraum, sie unterschätzte die Rolle Elliott Abrams – Sonderbeauftragter des US-Außenministeriums für Venezuela – und die Umtriebe Marco Rubios – Senator der Republikaner und Rädelsführer der rechtsradikalen Exilkubaner-Szene in Florida – die gemeinsam Guaidó in Lateinamerika propagandistisch aufgebaut haben.

Abrams verteidigte die Beibehaltung Guaidós als Steckenpferd, da er „beliebtester Beamter in Venezuela bleibt und die USA ihn … voll und ganz unterstützen“. Das Attribut „beliebtester“ sollte man selbstverständlich dem Fake-News-, Täuschungs- und Verschwörungs-Repertoire der US-Falken und Kriegstreiber zurechnen. Ohne seine Quelle zu nennen, um sich nicht zu blamieren, bezog sich Abrams offensichtlich auf eine bestellte und im Oktober von der diskreditierten Agentur Datanálisis veröffentlichte Erhebung, wonach Guaidó (40 Prozent) Präsident Nicolás Maduro (13 Prozent) mit nahezu dreifacher Popularität überrage.

Ausschlaggebend für die Fortdauer Guaidós als Galionsfigur der US-Regime-Changer dürften allerdings zwei entscheidende Überlegungen sein. Zum einen seine regelrechte Aufnötigung durch die USA gegenüber ihren passiven Verbündeten in Lateinamerika und Westeuropa. Zum anderen die schwindelerregende Summe von nahezu einer halben Milliarde US-Dollar, die Washington mit dem eitlen, jedoch unterwürfigen Befehlsempfänger Guaidó bisher in eine – allerdings erfolgreiche – subversive Taktik der Aufspaltung und Aushöhlung des Nationalstaates durch die stufenweise Errichtung einer „Parallelmacht“ investierte.

Telesur und die US-„Iranisierung“ Lateinamerikas

Die Androhung, den staatseigenen Sender Telesur zu „retten“ beziehungsweise zu unterlaufen oder zu usurpieren, fügt sich daher exemplarisch in diese „Doppelherrschafts“-Taktik: dem Feind Wort und Führung streitig zu machen. Sie wird jedoch ergänzt und verschärft durch eine alte, dreiste, aber novellierte Verschwörungstheorie des State Department, wonach der Iran und die schiitische libanesische Regierungspartei Hezbollah mit ihren Milizen – die seit 1995 in einer US-Schwarzliste als „terroristische Vereinigung“ aufgeführt wird – die Sicherheit Lateinamerikas bedrohen – eine Legende, der die NachDenkSeiten in der Folge mit weitreichender Recherche und Enthüllungen auf den Grund gehen.

Die Hezbollah-Fabulierung wurde im Jahr 2002 vom ehemaligen Angehörigen der israelischen Armee, Mitarbeiter der rechtsradikalen Jerusalem Post und gegenwärtigen Chefredakteur der US-Zeitschrift The Atlantic, Jeffrey Goldberg, in die Welt gesetzt und wird seitdem von den Geheimdiensten Mossad, CIA, den US-Medien und US-Administrationen kolportiert und mit den schillerndsten Farben der Feindbeschwörung ausgeschmückt.

Die schwere Anschuldigung, der Sender Telesur „unterstütze terroristische Gruppen (und) betreibe die Destabilisierung der Region“, gehörte bisher nicht zum politischen und propagandistischen Menü Juan Guaidós. Es liegt indes sehr nahe, dass ihm die neue Kampfdevise von Pompeos State Dept. zu dem Preis eingepeitscht wurde, entweder er macht mit oder die USA sorgen für die komplette Aufdeckung des Korruptionsskandals um die millionenschwere Entwendung von Teilen ihrer Finanzierung, die Guaidós „Botschafter“ in Kolumbien, Calderón Berti, Ende 2019 enthüllt hatte und der daraufhin im Handumdrehen entlassen wurde.

Die Unterstellung, der Sender unterstütze terroristische Gruppen, ist infam, ist jedoch das gefundene Fressen – oder wie man, elegant ausgedrückt, in Brasilien sagt: „die Kirsche, die der Torte fehlte“, also das fehlende I-Tüpfelchen – der Trump-Administration nach dem Mordanschlag auf den iranischen General Qassem Soleimani. Das „präventive“ Scheinargument, Soleimani habe Anschläge auf US-Amerikaner geplant, wird nun als „Exportschlager“ zur weltweiten Einschwörung der unterwürfigen Verbündeten auf einen Anti-Iran-Kurs auch Lateinamerika übergestülpt. Guaidós hanebüchener Vorwurf gegen Telesur meint neben der kolumbianischen ELN vor allem Hezbollah. Die Mär, dass der Iran und die libanesische Partei und Miliz im fernen Lateinamerika, von venezolanischem Boden aus, „Anschläge“ verüben wollen, hat Pompeo wenige Tage nach dem Mordanschlag auf Soleimani der Los Angeles Times zugezwitschert.

Es brauchte jedoch eine intensive Involvierung lateinamerikanischer Medien und so beriefen die USA zweierlei lärmende Aufführungen in Kolumbien ein: zum 20. Januar einen sogenannten “Hemispherischen Anti-Terrorismus-Gipfel“ und vom 23. bis 29. Januar ein Militärmanöver des US Southern Command nahe der Grenze zu Venezuela, mit dem suggestiven Titel „Luftdirigiertes-Überfall-Training“.

Als sei er die unverzichtbare dritte und vierte Geige im Kriegsorchester, startete Tage zuvor Luis Almagro zu einer Rundreise durch Lateinamerika. Mit dem Segen Mike Pompeos erkundete der US-hörigste Generalsekretär der Organisation Amerikanischer Staaten (OEA/OAS) aller Zeiten die politische Zustimmung für seine bevorstehende Wiederwahl. Juan Guaidó erhielt wiederum den Auftrag für eine Goodwill-Tour nach Europa. Der Anbiederungs-Ausflug ist offenbar eine Reaktion auf Guaidós Terrainverlust und den Führungsdisput innerhalb der venezolanischen Opposition. Er soll Guaidós sogenannten „Präsidentenrang“ in jenen Ländern festigen, die ihn 2019 anerkannten und ihre Regierungen auf die radikale Ablehnung der vom legalen Präsidenten Nicolás Maduro für 2020 angekündigten Parlamentswahlen einschwören.

Telesur: von der „gegen-hegemonischen Stimme“ zum medialen Störfaktor

Televisión del Sur (Fernsehen des Südens – Akronym TeleSUR) wurde Anfang des neuen Millenniums als Initiative des damaligen und im Jahr 2013 verstorbenen Präsidenten Hugo Chávez geboren. Der Name nährte sich zweifellos am weitreichenden Aphorismus des uruguayischen Kunstmalers und Denkers Joaquín Torres García, der 1941 eine auf dem Kopf stehende Landkarte Lateinamerikas gezeichnet und dazu gedichtet hatte, „…in Wirklichkeit ist der Süden unser Norden. Es sollte für uns keinen anderen Norden geben als jenen, der im Gegensatz zu unserem Süden steht. Deshalb drehen wir jetzt die Karte um und haben damit eine gute Vorstellung davon, wie wir uns unsere Position vorstellen, und nicht, wie es der Rest der Welt wünscht …“.

Als Opfer eines Putsches, der im Jahr 2002 unter tatkräftiger medialer Anstiftung stattfand, wünschte sich Chávez einen Sender, der die mediale Hegemonie des in Atlanta beheimateten und in gesamt Lateinamerika empfänglichen US-Senders CNN brechen sollte. Zwar in Venezuela beheimatet, sah das Konzept ein mehrstaatliches Netz vor, dem Kuba, Argentinien und Bolivien als erste beitraten, das bis 2009 um Nicaragua, Ecuador und Uruguay erweitert wurde und Programmaustausch, Netzschaltung und gemeinsame Finanzierung vorsah.

Die Erstausstrahlung fand am symbolträchtigen 24. Juli 2005, dem Geburtstag Simón Bolívars, statt. Sein erster Beirat setzte sich aus mehreren lateinamerikanischen und weltweit aktiven Intellektuellen zusammen, so dem argentinischen Friedenskämpfer und Nobelpreisträger Adolfo Pérez Esquivel, dem nicaraguanischen Dichter Ernesto Cardenal, dem inzwischen verstorbenen uruguayischen Schriftsteller Eduardo Galeano, dem pakistanischen Schriftsteller Tariq Ali sowie dem US-amerikanischen Politikwissenschaftler und Filmemacher Saul Landau, dem Historiker und Begründer von Le Monde Diplomatique Ignacio Ramonet, dem argentinischen Filmregisseur Tristán Bauer, dem uruguayischen Journalisten Jorge Gestoso sowie bis 2011 dem freien Software-Programmierer und Pionier Richard Stallman und dem US-Schauspieler und Aktivisten Danny Glover.

Als Nachfolgerin des ehemaligen CNN-Journalisten, mehrfachen Ministers der Regierungen Hugo Chávez und Nicolás Maduro sowie Telesur-Chefs Andrés Izarra – der 2018 mit dem Chavismo brach und ins Ausland ging – amtiert die mit dem ehemaligen Minister für Wissenschaft und Industrie und Maduro-Freund Ricardo Menéndez verheiratete kolumbianische Journalistin Patricia Villegas seit 2011 als Telesur-Intendantin. Das Sendeprogramm wird derzeit live von den Staatssendern Venezolana de Televisión, Cubavision International, Canal 4 (Nicaragua) und Television Nacional Uruguay ausgestrahlt. Die Übertragung per Satelliten mit offenem Signal deckt den amerikanischen Kontinent, Westeuropa und Nordafrika ab.

In der Liste der lateinamerikanischen, zumeist privaten Fernsehsender mit Unterhaltungsangebot rangierte Telesur 2013 an 9. Stelle, doch nach einer Umfrage Jorge Gestosos von Anfang 2020 nimmt der Sender hinter dem spanischsprachigen Programm von CNN (42,9 Prozent) mit 40,4 Prozent die zweite Position der Publikumsbeliebtheit in den sozialen Netzwerken des Kontinents ein.

Der Sender überstand in seiner 15-jährigen Geschichte mehrfache Krisen. Dazu gehörten die hinhaltende Unterstützung Brasiliens und Uruguays, das erst 2009 der Kooperation beitrat. Bereits 2006 handelten Telesur und der arabische Nachrichtensender Al-Jazeera den Austausch von audiovisuellen Inhalten aus, der im Handumdrehen schärfstens von den USA kritisiert wurde. Der Kongressabgeordnete Connie Mack erklärte damals, „diese neue Allianz zwischen Al-Jazeera und Telesur hat den Effekt eines globales Fernsehnetzes für Terroristen (sic!) und andere Feinde der Freiheit“. Dem folgten Vereinbarungen mit der Londoner BBC und dem chinesischen Fernsehen.

Pioniere der Konzept- und Projektentwicklung waren zwei Stars aus der lateinamerikanischen Medienwelt: der Oppositionelle gegen die uruguayische Militärdiktatur und progressive Journalist Aram Aharonian und der kolumbianische Filmemacher und Fernsehproduzent Jorge Enrique Botero. Sie bereisten mehrere lateinamerikanische Länder auf der Suche nach nützlichen Beziehungen für ein Fernsehprojekt, das den Werten des progressiven Journalismus der Vergangenheit und Gegenwart entsprach. Aharonian und Botero gehörten damit zum ersten internationalen Redaktionsrat von Telesur, mit Andrés Izarra als Intendanten, und erweitert um die Journalisten Ana de Escalom von Kanal 7 (Argentinien), Beto Almeida von der brasilianischen Journalisten-Föderation sowie Ovidio Cabrera als ehemaliger Vizepräsident des kubanischen Rundfunks.

Aharonians und Boteros Konzeption war nicht etwa ein trockenes Nachrichtenprogramm, sondern die Förderung der lateinamerikanischen Diversität mit einem breiten Angebot an Kulturinhalten. Botero beschrieb die Aufgabe der frühen Telesur als einen Fernsehsender, der „aus einem offensichtlichen lateinamerikanischen Bedürfnis hervorgeht: nämlich sich auf einen Sender zu verlassen, der es allen Bewohnern dieser Region ermöglicht, ihre eigenen Werte zu verbreiten, ihr eigenes kulturelles Antlitz zu verbreiten, ihre eigenen Ideen zu diskutieren und ihre eigenen Inhalte auf zugleich leichte und gerechte Weise zu übermitteln“.

Interne Spannungen

Doch es kam bereits im frühen Stadium zu Spannungen. Nach Angaben Aharonians „übernahm” Chávez die De-facto-Leitung von Telesur und verbreitete „Propaganda als Nachrichten”.

In einem polemischen Interview vom November 2008 mit dem Titel „Telesur wird von einem Haufen von Konterrevolutionären im weitesten Sinne des Wortes kontrolliert“ kritisierte Aharonian das verordnete schmalspurige, konzeptionslose Programmangebot: „Ein neuer Fernsehsender ist nutzlos, wenn er keine neuen Inhalte und Formate hat. Wenn wir es nicht verstehen, werden wir dazu verdammt sein, El Chavo del Ocho und Walt Disney bis zum letzten Tag unseres Lebens ansehen zu müssen. Es fehlt eine lateinamerikanische Content Factory. Was die Menschen brauchen, sind Dokumentarfilme, Filme, Kultur, Unterhaltung im besten Sinne des Wortes, auch Seifenopern oder Sport, aber mit lateinamerikanischer Perspektive. Andererseits befinden sich die Frequenzverteilungsnetze in den Händen des Feindes. Wenn wir nicht auf die Demokratisierung des Funkspektrums setzen – was mehr öffentlichen als privaten Raum bedeutet – werden wir auch niemanden erreichen. Wir werden in einer rein onanistischen Übung versacken. Denn anstatt von 100 Millionen Menschen gesehen zu werden, werden uns gerade mal 100.000 zuschauen“.

Aharonians Warnungen schlugen ein wie eine Bombe. Wenige Wochen später wurde er im Dezember 2008 vom Intendanten und damaligen Minister für Kommunikation und Information, Andrés Izarra, gefeuert. Izarra hatte den Auftrag, für „Einheit“ zu sorgen. Was – gemessen an den beginnenden Feindseligkeiten der USA und einschlägiger NGOs, wie Human Rights Watch, ganz abgesehen von autoritären Regimen in Zentralamerika – verständlich war. Telesur musste sich für Prioritäten entscheiden und die Entscheidung hieß Vorrang für den Journalismus im Kampf um eine andere Sichtweise als die von Univisión und CNN.

„Es gibt Wahrheiten, die nicht erzählt werden sollten“

Beide Sender und die US-Administration waren aufgeschreckt, dass es Telesur zum Beispiel im Frühjahr 2008 gelungen war, die erste Freilassung von Geiseln durch die kolumbianische Guerilla FARC nahezu exklusiv und mit spannendem Einsatz zu dokumentieren. Die Bilder des Vielstaat-Senders überfluteten die Welt allerdings mit einem neuen „Akzent“ Ton und einer anderen Haltung als der des Mainstreams. Eineinhalb Jahre später sorgte Telesur erneut für Aufsehen, als seine Reporter live über und innerhalb des ablaufenden Staatsstreichs in Honduras berichteten. „Danach bestand kaum noch Zweifel daran, dass der Sender mit seiner Informationsweise über Lateinamerika seinen Platz in der Geschichte erreicht hatte“, kommentierte der brasilianische Journalist Elson Faxina in einem Essay für Le Monde Diplomatique.

Zu den großen Live-Reportagen gehörten neben dem Staatsstreich in Honduras auch dramatische Ereignisse wie das Erdbeben in Haiti (2010), Wahlkampagnen auf dem gesamten Kontinent, der Tod von Hugo Chávez und Fidel Castros sowie des argentinischen Präsidenten Nestor Kirchner – Telesur war nicht nur präsent, sondern mit einem ergreifenden „Auge“ dabei.

Auf der anderen Seite der Welt berichteten Telesur-Korrespondenten und Sonderreporter über den Krieg in Syrien und den palästinensischen Widerstand. Einer dieser Reporter war Jesus Romero, der dem Sender seit den Gründungstagen angehört. Er verbrachte 50 Tage während des Erdbebens in Haiti und 45 Tage in Libyen. Seine Bilder vom gewaltsamen Sturz und der brutalen Ermordung Muammar Gaddafis erschütterten die Welt und prägten sich so manchem Zuschauer mit den Worten ins Gedächtnis, „es gibt Ereignisse, bei denen Telesur Wahrheiten enthüllte, die nicht erzählt werden wollten“.

Genauer: nicht erzählt werden sollten. Zum Beispiel die Hintergründe und Perspektiven der Proteste gegen die Regierung Mauricio Macri und die jüngsten sozialen Volksaufstände in Ecuador, Bolivien und Chile. Als Reaktion auf die kritische Berichterstattung Telesurs annullierte Argentinien im Juni 2016 seine Kooperation mit Telesur. Im März 2018, kurz nach seiner Amtsübernahme, stellte Präsident Lenin Moreno die Mitfinanzierung von Telesur ein und ließ per Handstreich im Oktober 2019 die Kabel-Frequenz des Senders kappen. Im November 2019 war Bolivien an der Reihe. In einem Schreiben vom 21. November 2019, nach dem Putsch gegen Evo Morales, kündigte das staatliche Telekommunikationsunternehmen Entel den Vertrag mit TeleSur. Auf ihrem Twitter-Account bezeichnete Intendantin Patricia Villegas die Maßnahme als eindeutige Zensur.

Usurpation oder neuer Sender?

Zum neuen mutmaßlichen „Präsidenten“ Telesurs nominierte Juan Guaidó den in die USA exilierten Rechtsanwalt und ultrakonservativen Journalisten Leopoldo Castillo, der seine Karriere als Fernsehmoderator bei Rádio Caracas Televisão (RCTV) begann und später Unterhaltungsprogramme und Talkshows auf den Kanälen Venevisión und Globovisión leitete, darunter „Aló Ciudadano“, ein Programm, das Castillo als Agitationsbühne der Anti-Chavismo-Szene benutzte und den Ansager populär machte.

Doch schon Castillos früher politischer Werdegang als Abgeordneter und später als venezolanischer Botschafter in El Salvador in den 1980er Jahren wirft düstere Schatten. Während dieser Zeit wurde er in Mittelamerika als „Matacuras“ („Pfaffenmörder“) wegen seiner mutmaßlichen Beteiligung an „Operation Centaur“ bekannt; eine vom US-Senat untersuchte barbarische Aktion von Mitgliedern der salvadorianischen Streitkräfte zur Hinrichtung von Priestern, die der Linken zugerechnet wurden, und der u.a. Bischof Oscar Arnulfo Romero zum Opfer fiel.

Castillo erhielt folgenden Auftrag: den Namen Telesur ändern, den Sender in Miami installieren und von dort aus nach Lateinamerika ausstrahlen. Was sich die US-Regierung darunter vorstellt, ist noch ein rundum gehütetes Geheimnis. Ein Sender in Miami, und nicht in Caracas, ist jedenfalls ein neuer Sender. Doch vielleicht hat Telesur vergessen, Namen und Logo zu patentieren. Oder selbst wenn sie geschützt sein sollten: Wen juckt‘s auf den Piraten-Galionen?

Titelbild: alexandersr/shutterstock.com

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