Aberkennung der Gemeinnützigkeit bremst kritisch-bürgerschaftliches Engagement per Steuerrecht aus und schadet einer lebendigen Demokratie. Während „attac“ und „VVN-BdA“ um ihren Status kämpfen müssen, gelten neoliberale und extrem rechte Vereine weiterhin unangefochten als „gemeinnützig“. Von Rolf Gössner.
Im vergangenen Jahr ist etlichen linksprogressiven Vereinen durch die zuständigen Finanzämter die Gemeinnützigkeit aberkannt und entzogen worden – mit existentiellen Folgen für die betroffenen Organisationen. Es handelt sich nach Auffassung des Autors Rolf Gössner (Rechtsanwalt/Publizist, Internationale Liga für Menschenrechte) um ein staatliches Ausbremsen kritisch-bürgerschaftlichen Engagements mit den Mitteln des Steuerrechts und um einen Angriff auf Netzwerke demokratischer Willens- und Meinungsbildung.
„Attac“-Urteil des Bundesfinanzhofs: Kehrtwende im Gemeinnützigkeitsrecht?
Das globalisierungskritische Netzwerk „Attac“ war seit seiner Gründung Anfang der 2000er Jahre als gemeinnützig anerkannt. Zweck der Vereinigung ist „die Förderung des Schutzes der Umwelt und des Gemeinwesens, der Demokratie und der Solidarität, dies unter besonderer Berücksichtigung der ökonomischen und gesellschaftlichen Auswirkungen der Globalisierung“, so „Attac“-Anwalt Dr. Till Müller-Heidelberg („vorgänge“ 227/2019, S. 157 ff.). Und weiter: „Außerdem fördert der Verein die Völkerverständigung und den Frieden. Hierzu betreibt der Verein Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit zu den Themen Nord-/Süd-Differenz und Entwicklung, Umweltschutz und Nachhaltigkeit … und weltweite Gerechtigkeit.“ Mit seinem Engagement für eine demokratische Kontrolle der Wirtschaft, für soziale Gerechtigkeit und ökologische Nachhaltigkeit verteidige „Attac“ das Gemeinwohl gegen mächtige Kapitalinteressen.
2014 entzog das Finanzamt Frankfurt/M. „Attac“ den Status der Gemeinnützigkeit, weil der Trägerverein politische Forderungen aufstelle, so etwa zur Regulierung der Finanzmärkte. Seit 2015 klagt „Attac“ dagegen. Nachdem das Hessische Finanzgericht die Aberkennung widerrufen und damit die Gemeinnützigkeit bestätigt hatte, weil alle Aktionen von „Attac“ der Förderung der politischen Bildung und des demokratischen Staatswesens dienten, beantragte das zuständige Finanzamt auf Weisung des Bundesfinanzministeriums eine Revision der Entscheidung. Mit der Anfang 2019 veröffentlichten Revisionsentscheidung gab der Bundesfinanzhof (BFH), also das höchste Finanzgericht der Bundesrepublik, dem Revisionsantrag statt und bestätigte die Aberkennung der Gemeinnützigkeit von „Attac“ (BFH-Urteil v. 10.01.2019; Az. V R 60/17). „Attac“ sei nicht gemeinnützig, so das Gericht, weil das Netzwerk mit seinen Kampagnen versuche, die politische Meinung zu beeinflussen. Zwar gelte die unter Volksbildung zu fassende politische Bildungsarbeit nach dem Gesetz als gemeinnützig, nicht aber der Einsatz für allgemeinpolitische Forderungen zur Tagespolitik und auch nicht Kampagnen, die zu diesem Zweck veranstaltet werden. Die Volksbildung, so das Gericht weiter, müsse eigenständig und in „geistiger Offenheit“ betrieben werden (was im Gesetz allerdings so nicht normiert ist).
Diese gerichtliche Vorgabe werde von „Attac“ jedoch nicht erfüllt. Warum? Weil der Trägerverein ganz konkrete Lösungsvorschläge und Forderungen zu bestimmten allgemeinpolitischen Themen durchsetzen wolle, so etwa zur Geldpolitik der Europäischen Zentralbank, zum „Spar-“ und zum „Klimapaket“ der Bundesregierung, zur Bekämpfung der Steuerflucht, zur Regulierung der Finanzmärkte, zur Besteuerung von Finanztransaktionen oder zum bedingungslosen Grundeinkommen. Eine solche Tätigkeit, „die darauf abzielt, die politische Willensbildung und die öffentliche Meinung im Sinne eigener Auffassungen zu beeinflussen“, sei „nicht als politische Bildungsarbeit gemeinnützig“ (BFH-Pressemitteilung Nr. 9/19 v. 26.02.2019) – obwohl doch gerade dies zuvor voll akzeptiert worden ist, sofern solche politischen Aktivitäten, Forderungen und Einflussnahmen der Verwirklichung anerkannt gemeinnütziger Zwecke dienen und die betreffenden Organisationen nicht parteipolitisch agieren (vgl. Grundsatzentscheidungen des Bundesfinanzhofs v. 29.08.1984 und 23.09.1999).
Dabei betonte der Bundesfinanzhof ausdrücklich, dass es nicht um die politischen Inhalte gehe, sondern um eine Grundsatzfrage: ob „allgemeinpolitische Tätigkeit“ mit Gemeinnützigkeit vereinbar sei. Anders ausgedrückt: Wie politisch dürfen gemeinnützige Vereine agieren? Die Antwort des Gerichts: Zwar dürften gemeinnützige Vereine gelegentlich auch (tages-)politisch aktiv sein und politische Meinungsbildung betreiben – allerdings müssten die gemeinnützigen Zwecke eindeutig im Vordergrund stehen und eben nicht, wie bei „Attac“, politische Kampagnen. Der BFH verwies die Sache an das erstinstanzliche Hessische Finanzgericht Kassel zur endgültigen Entscheidung zurück, das sich in der rechtlichen Definition der Satzungszwecke an die Vorgaben des BFH halten muss.
„Sollte die Entscheidung des BFH Bestand haben“, so „Attac“ in einer Stellungnahme vom 19.03.2019, „droht das Gemeinnützigkeitsrecht zu einem Instrument zu verkommen, mit dem Regierung und politische Parteien versuchen, unliebsame Organisationen an die Kandare zu nehmen.“ Tatsächlich ist mit Verweis auf die BFH-Argumentation bereits anderen linkspolitisch engagierten Vereinen inzwischen die Gemeinnützigkeit aberkannt worden, so etwa der Kampagnen- und Petitionsplattform „Campact“ oder dem „Demokratischen Zentrum“, einem Verein für politische und kulturelle Bildung in Ludwigsburg/Baden-Württemberg – letzterem unter anderem mit der Begründung, der Verein sei nicht für alle offen, weil er ausdrücklich Rassisten, Rechtsradikale und Antisemiten ausschließe. Zahlreiche Nichtregierungsorganisationen fürchten angesichts dieser Entwicklung und Argumentation um ihre Existenz.
Existentielle Folgen und fatale Signalwirkung
Tatsächlich können die Folgen einer Aberkennung der Gemeinnützigkeit für die betroffenen Organisationen existentiell sein. Der Staat fördert über Steuervorteile mittelbar solche Vereinigungen, die die Finanzämter als gemeinnützig und damit förderwürdig anerkennen. Wird ihnen der Status der Gemeinnützigkeit wieder entzogen, dann können Spenderinnen und Spender ihre Spenden an den betreffenden Verein steuerlich nicht mehr absetzen und damit ihre Einkommenssteuer nicht mehr mindern. Das bedroht die Vereine in ihrer Existenz, weil dann weit weniger an sie gespendet wird. Gemeinnützige Vereine sind auch abgabenbefreit, etwa hinsichtlich Umsatz-, Grund-, Erbschafts- und Schenkungssteuer. Wird die Gemeinnützigkeit entzogen, müssen die Vereine solche Abgaben, zum Teil auch rückwirkend, nachzahlen, wobei sich oft hohe Steuerschulden aufsummieren.
Beim Entzug der Gemeinnützigkeit geht es aber um mehr als um den Verlust von Steuerprivilegien: Es geht auch um den dann möglichen Verlust öffentlicher Fördermittel, um das Vertrauen der Spender in die Tätigkeit „ihres“ Vereins und um dessen Ansehen in der Öffentlichkeit. Aus all diesen Gründen ist die Aberkennung der Gemeinnützigkeit für einen Verein in aller Regel der Super-GAU und hochgradig ruinös.
Längst wächst die Sorge, dass diese Entwicklung – nun abgesichert und untermauert durch das „Attac“-Urteil – zu einer verfassungsrechtlich bedenklichen Einschränkung freier und demokratischer Willens- und Meinungsbildung führen könnte. Tatsächlich bestätigt ja nun die Entscheidung des Bundesfinanzhofs eine Kehrtwende in der Gemeinnützigkeitsfrage – und das mit bedrohlicher Signalwirkung in Richtung kritisch-engagierter Teile der Gesellschaft: Das Urteil sorgt nicht etwa für mehr Rechtssicherheit, sondern stürzt viele aufklärerische, handlungs- und gemeinwohlorientierte Organisationen in erhebliche Verunsicherung. Denn politische Einflussnahme auf die Willens- und Meinungsbildung und auch auf Parlamente und Regierungen wird nach diesem Urteil künftig vermehrt mit Verweigerung oder Entzug der Gemeinnützigkeit „bestraft“ werden – mit der fatalen Folge, dass sich viele Vereine und Nichtregierungsorganisationen womöglich in ihrer Arbeit und Außenwirkung selbst beschränken und auf politische Einmischung verzichten.
Bezeichnenderweise betrifft die Aberkennung der Gemeinnützigkeit in besonderem Maße Vereine und Organisationen, die alternative Politikentwürfe zur Regierungspolitik anbieten und in den politischen Willensbildungsprozess einführen. Letztlich führt die jetzige Situation dazu, dass einerseits mächtige Konzerne ihre Lobbyausgaben steuerlich absetzen können, nicht aber Spender ihre Zuwendungen an Organisationen der kritischen Zivilgesellschaft, sobald diese auf den demokratischen Willensbildungsprozess einwirken.
Dabei ist „politische Willensbildung des Volkes“ nach dem Grundgesetz nicht etwa allein Aufgabe politischer Parteien – nach Artikel 21 I Grundgesetz wirken diese dabei nur mit. Deshalb ist die politische Willensbildung letztlich auch Aufgabe der Gesellschaft insgesamt. Dass sich Menschen organisiert und selbstbewusst, kritisch und mit Engagement in öffentliche Belange einmischen, sollte in einer Demokratie eigentlich selbstverständlich sein – und wird künftig immer wichtiger, um ein dringend nötiges politisches Korrektiv repräsentativer Demokratie zu schaffen. Wir brauchen bürgerschaftliche Impulse und verfassungsrechtliche Antworten etwa auf Auswüchse des globalisierten Kapitalismus mit all seinen sozialen und ökologischen Verwerfungen und auf die wachsende politische Entfremdung, die auch mangelnder direktdemokratischer Mitentscheidung geschuldet sein dürfte.
Zweierlei Maß? Neoliberale und extrem rechte Vereine unangefochten „gemeinnützig“
Neoliberale und rechtsextreme Vereine scheinen bislang nur wenig Probleme mit Entzug der Gemeinnützigkeit zu bekommen – weder die Bertelsmann-Stiftung mit ihrer kommerzorientierten Einflussnahme auf Politik und Gesellschaft noch die der Rüstungslobby nahestehende „Deutsche Gesellschaft für Wehrtechnik e.V.“. Auch nicht der als extrem rechts geltende Verein „Uniter“, in dem sich unter anderem KSK-Soldaten zusammengeschlossen haben.
Angesichts der neuerlichen Aberkennungswelle reibt man sich tatsächlich die Augen, wenn man erfährt, welche Vereine mit welcher Vereinspolitik schon lange und weiterhin als gemeinnützig anerkannt sind: darunter solche, die Rüstungslobbyismus betreiben, die die aggressive Privatisierung öffentlicher Aufgaben fördern und solche, die – wie Uniter e.V. – berufliche Kontaktpflege unter ehemaligen und aktiven Angehörigen bundesdeutscher Sicherheitsorgane fördern und dabei im Verdacht stehen, Teil eines rechtsextremen Netzwerks zu sein.
Da stellt sich dann doch die Frage, nach welchen Kriterien eigentlich entschieden wird, welche Organisation gemeinnützig ist und welche nicht oder welcher die einmal zugestandene Gemeinnützigkeit rückwirkend wieder aberkannt wird. Das alles richtet sich nach Paragraf 52 der Abgabenordnung, abgekürzt AO, wo 25 gemeinnützige Tätigkeitsbereiche abschließend aufgezählt sind. Steuerbegünstigt ist danach eine Körperschaft, wenn sie ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige, mildtätige oder kirchliche Zwecke verfolgt. Die Tätigkeit muss darauf gerichtet sein, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern. Dazu zählen die Förderung von Wissenschaft und Forschung, der Religion, des öffentlichen Gesundheitswesens, der Jugend- und Altenhilfe, des Natur-, Umwelt- und Tierschutzes, der Erziehung, Volks- und Berufsbildung sowie des demokratischen Staatswesens; darüber hinaus die Förderung der Hilfe für politisch, rassisch oder religiös Verfolgte und Flüchtlinge oder die Förderung internationaler Gesinnung und der Toleranz auf allen Gebieten der Kultur und des Völkerverständigungsgedankens, der Entwicklungszusammenarbeit, der Gleichberechtigung von Frauen und Männern.
Interessant ist, dass nach Paragraf 52 AO zwar auch die Förderung von Tradition, Brauchtum, Kleingärtnerei und Hundesport, von Heimatpflege und Heimatkunde oder der Soldaten- und Reservistenbetreuung explizit als gemeinnützig anerkannt wird, nicht aber die Förderung von Menschen- und Bürgerrechten, von Frieden und Antifaschismus oder des Klimaschutzes.
Nicht gemeinnützig sind im Übrigen Vereine, die vorwiegend allgemeinpolitisch tätig sind, also nicht in erster Linie solche gemeinnützigen Zwecke verfolgen, oder Organisationen, die vom „Verfassungsschutz“ als „extremistisch“ eingestuft werden, so Paragraph 51 AO.
Gemeinnützigkeitsentzug: VVN/BdA angeblich „linksextremistisch“
Aktuell sorgt der Fall des Bundesverbandes der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN–BdA) bundesweit und international für Empörung. Im November 2019 entzog das Berliner Finanzamt der antifaschistischen Traditionsorganisation die Gemeinnützigkeit. Zur Begründung bezieht es sich auf den bayerischen „Verfassungsschutz“ (VS), der die VVN schon lange als „linksextremistisch beeinflusst“ einstuft.
Diese Entscheidung mit dieser Begründung dürfte juristisch und rechtspolitisch kaum haltbar sein, so dass davon auszugehen ist, dass sie über kurz oder lang revidiert werden muss. In Paragraf 51 AO ist zwar geregelt, dass die Voraussetzungen für die Gemeinnützigkeit eines Vereins – allerdings „widerlegbar“ – dann als nicht erfüllt gelten, wenn die betreffende Gruppierung auch nur in einem der 17 VS-Berichte als „extremistische Organisation“ aufgeführt ist. Das bedeutet: Hier findet letztlich eine Beweislastumkehr statt. Nicht das Finanzamt muss nachweisen, dass ein Verein „extremistisch“ ist, sondern dieser muss die VS-Einstufung widerlegen und seine „Verfassungstreue“ nachweisen. Ein Erlass des Bundesfinanzministeriums vom 31.01.2019 stellt noch mal klar, dass eine Organisation ihre Gemeinnützigkeit verliert, sobald sie in einem VS-Bericht „ausdrücklich als extremistisch eingestuft“ wird und diese bloße „Vermutung“ nicht mit dem „vollen Beweis des Gegenteils“ durch die Organisation widerlegt werden kann.
Die VVN und ihre Mitglieder haben bereits eine lange Geschichte der Repression, VS- Beobachtung, Berufsverbote und Diskriminierung erlebt – und das Berliner Finanzamt schreibt diese Geschichte nun fort. Erstaunlich dabei ist, dass sich ausgerechnet das Finanzamt eines „rot-rot-grün“ regierten Landes auf den „Verfassungsschutz“ eines CSU-regierten Landes stützt. Der bayerische VS stuft die VVN aufgrund bloßer „tatsächlicher Anhaltspunkte“ seit Jahr und Tag als „linksextremistisch beeinflusste“ – nicht als „linksextremistische“ – Organisation ein; eine Einstufung, die früher auch das Bundesamt sowie etliche weitere Landesbehörden für VS vorgenommen hatten, von der sie jedoch im Laufe der Jahre aus guten Gründen abgerückt sind. Nicht so in Bayern.
Zwar behauptet der Berliner Finanzsenator nach dem Gemeinnützigkeitsentzug, das Finanzamt habe aufgrund der Gesetzeslage „keinen Spielraum“ gehabt, anders zu entscheiden. Doch es geht auch anders, wie ein Beschluss des Finanzamts Oberhausen zeigt: Die Behörde entschied im Oktober 2019, dass der nordrhein-westfälische VVN-BdA-Landesverband, trotz ursprünglich gegenteiligen Beschlusses, als gemeinnützig anerkannt bleibt. Auch für das Berliner Finanzamt hätte es sehr wohl Spielraum gegeben: Denn der VS Bayern nennt die VVN nicht „extremistisch“, wie das für den Gemeinnützigkeitsentzug nach dem Gesetzeswortlaut nötig wäre, sondern nur „linksextremistisch beeinflusst“ – und im übrigen wäre auch dies widerlegbar.
Inzwischen hat die VVN Einspruch gegen die Entscheidung des Finanzamts eingelegt und die existenzbedrohende Steuernachzahlung in fünfstelliger Höhe verweigert. Nachdem sich bundesweit und international breiter Protest formierte, hat das Finanzamt die Steuernachforderung wegen „unbilliger Härte“ auf unbestimmte Zeit ausgesetzt
Kurzer geschichtlicher Rückblick: VVN-BdA
Bereits 1951 ist der Rat der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) massiv unter regierungspolitischen Druck geraten und sollte – wie viele andere als „kommunistisch“ oder „linksextremistisch“ eingestufte politische Organisationen auch – verboten werden. Die damalige Bundesregierung und ihr Bundesinnenminister Gerhard Schröder (CDU) beantragten beim Bundesverwaltungsgericht, über die Verfassungsmäßigkeit beziehungsweise Verfassungsfeindlichkeit der VVN zu entscheiden – bekanntlich einer Organisation von Widerstandskämpfern und Verfolgten des Naziregimes.
Die Tücke der Geschichte wollte es, dass ausgerechnet ein ehemaliges Mitglied von SA und NSDAP als Vorsitzender Richter für diese Sache zuständig war. Der Verbotsantrag und diese makabre Konstellation führten zu scharfen internationalen Protesten mit Abertausenden von Solidaritätsbekundungen zugunsten der VVN. Schließlich sah das Bundesverwaltungsgericht die rechtlichen Voraussetzungen für ein Verbot der VVN zwar als gegeben an – wegen deren Betätigung im Rahmen „kommunistischer“ Politik, die gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet sei. Doch das Gericht besann sich auf folgenden Sühnegrundsatz: Die Pflicht, das im Faschismus begangene Unrecht wiedergutzumachen, „verlangt eine Abwägung, ob gegen eine Organisation von Verfolgten ein Verbot mit der damit untrennbar verbundenen Strafsanktion erlassen werden darf“ (zit. nach A.v. Brünneck, Politische Justiz gegen Kom- munisten in der Bundesrepublik Deutschland 1949-1968, Frankfurt/M. 1978, S.112). Eine solche Abwägung habe die Bundesregierung bei Antragstellung vermissen lassen. Damit scheiterte der Prozess und ein Verbot der VVN unterblieb. Und das bis heute.
Wenn es auch aktuell um kein Verbot der Vereinigung geht, so wird die VVN-BdA – und damit eine bedeutende antifaschistische Vereinigung – durch das Vorgehen des Berliner Finanzamtes dennoch in ihrer Substanz betroffen. Tatsächlich trifft es den ältesten, größten und überparteilichen Zusammenschluss von Verfolgten des Naziregimes, von Überlebenden der Konzentrationslager, von Widerstandskämpfern, Antifaschisten und deren Nachkommen – zudem einen Verein, der wichtige und anerkannte Gedenkstätten-, Erinnerungs- und Zeitzeugenarbeit leistet. Die Gemeinnützigkeit wurde ausgerechnet in einer Zeit des verstärkten Rechtstrends, rechter Gewalt und neonazistischen Terrors entzogen. „Das Haus brennt – und Sie sperren die Feuerwehr aus!“, so hat es die Auschwitz-Überlebende und VVN- Ehrenvorsitzende Esther Bejarano Ende November 2019 in einem offenen Brief an Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) formuliert. Und die vielfach geehrte, inzwischen 95-jährige Antifaschistin fragt Scholz: „Was kann gemeinnütziger sein als diesen (antifaschistischen; RG) Kampf zu führen? (…) Entscheidet hierzulande tatsächlich eine Steuerbehörde über die Existenzmöglichkeit einer Vereinigung von Überlebenden der Naziverbrechen?“
Die landesweiten und internationalen Reaktionen auf diesen skandalösen Vorgang reichen von Unverständnis bis Empörung. Parteipolitisch wächst der Druck ebenfalls – insbesondere von Seiten der Grünen und Linken, auch aus der SPD gibt es harsche Kritik. Und derweil haben über 1.000 Menschen aus Solidarität ihren Beitritt zur VVN erklärt. Ein klares Votum für die Gemeinnützigkeit von Antifaschismus und Antirassismus (siehe dazu auch die Petition „Die VVN-BdA muss gemeinnützig bleiben“)
Zugrundeliegende Problematik muss generell gelöst werden
„Attac“, „Campact“ und VVN-BdA sind nicht die einzigen Vereine, die mit Finanzämtern zu kämpfen hatten und haben. Solche Angriffe erlebte zuvor auch der Frauenverband Courage in Wuppertal. Und in Frankfurt/M. hatte das dortige Finanzamt 2015 dem „Verein für soziale und politische Rechte von Prostituierten“, Doña Carmen, die Gemeinnützigkeit erst ab- und nach langwieriger juristischer Gegenwehr wieder zuerkannt.
Selbstverständlich können sich betroffene Vereine rechtlich und gerichtlich mit Einsprüchen und Klagen zur Wehr setzen – möglichst begleitet von einer breiten Solidaritätsbewegung. Und mitunter gibt es ja juristische Korrekturen. Aber das reicht leider nicht, wie das „Attac“-Urteil zeigt (wobei „Attac“ entschlossen ist, seine Gemeinnützigkeit notfalls vor dem Bundesverfassungsgericht zu verteidigen). Um allerdings eine durchgreifende, allgemein gültige Lösung des Problems zu erreichen, bedarf es politischer Initiativen: Denn nur so lässt sich ein neues, ein klares und modernes Gemeinnützigkeitsrecht erzielen und damit endlich auch Rechtssicherheit schaffen, die durch Finanzämter und Gerichtsurteile so stark erschüttert wurde. Insoweit ist der Gesetzgeber auf Bundesebene gefordert.
Bei einer solchen Gesetzesnovellierung muss die rechtsstaatlich höchst fragwürdige Praxis beendet werden, dass bereits die Erwähnung eines Vereins im Bericht einer VS-Behörde zum Entzug der Gemeinnützigkeit führen kann. Solche Stigmatisierungen und Verrufserklärungen, die auf bloßen „tatsächlichen Anhaltspunkten“ eines demokratisch kaum zu kontrollierenden und notorisch „rechtsblinden“ Inlandsgeheimdienstes beruhen, dürfen jedenfalls nicht zu solch gravierenden Folgen führen. Außerdem müssen die Förderungszwecke ergänzt werden, etwa um Menschen- und Bürgerrechte, soziale Gerechtigkeit, Frieden, Antifaschismus und Klimaschutz. Und die Beteiligung an demokratischer Willensbildung darf künftig nicht mehr die Gemeinnützigkeit ausschließen; gemeinnützige Zwecke sollten ganz selbstverständlich auch mit politischen Mitteln sowie willens- und meinungsbildend verfolgt werden können.
Das Bundesfinanzministerium erarbeitet derzeit eine Reform des Gemeinnützigkeitsrechts. Dabei sei „vorrangiges Ziel“, die „Vereine zu schützen und ihnen weiterhin politisches Engagement zu ermöglichen“. Und man wolle „negative Auswirkungen auf den Status der Gemeinnützigkeit ausschließen“. Das klingt zunächst recht positiv. Trotzdem muss noch viel Überzeugungsarbeit geleistet und politischer Druck aufgebaut werden, um tatsächlich eine baldige Reform zustande zu bringen, die diesen Namen verdient und die Rechtssicherheit schafft. Eine solche politische Willensbildungsarbeit wäre wirklich gemeinnützig.
Die Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“, ein Zusammenschluss von etwa 150 Vereinen und Stiftungen – darunter Amnesty International, Attac, Brot für die Welt, Campact, Internationale Liga für Menschenrechte, Medico International, Oxfam und Terres des Hommes – streitet für ein modernes Gemeinnützigkeitsrecht für Vereine und Organisationen der Zivilgesellschaft, die Beiträge zur politischen Willensbildung leisten, sowie für mehr Rechtssicherheit – Infos finden sich unter diesem Link.
Der vorstehende Text basiert auf einem Interview von Markus Bernhardt mit dem Autor Rolf Gössner, das am 11.01.2020 in der Tageszeitung „Junge Welt“ erschienen ist.
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