Glaubt man Donald Trumps privatem „Mann für alle Fälle“, sind die Proteste, die Iran seit über einem Jahr erlebt, keine „spontane“ Entwicklung, sondern das Ergebnis der externen Einflussnahme der USA mit dem Ziel, einen Regime Change zu orchestrieren. Auch wenn man es nicht mit Sicherheit sagen kann, liegt die Vermutung nahe, dass Rudy Giuliani mit seiner Aussage Recht haben könnte. Trump selbst bestreitet zwar, dass die USA einen Regime Change in Iran anstreben, aber welchen Zweck sollen das von ihm angeordnete Attentat auf General Suleimani und die harsche Sanktionspolitik sonst verfolgen? Auf jeden Fall birgt die aggressive US-Politik unkalkulierbare Risiken und könnte einen weiteren Flächenbrand auslösen. Von Jens Berger.
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Die Äußerungen, die aus dem politischen Umfeld Trumps zum Thema „Regime Change“ verlautbart werden, erinnern ein wenig an das aus Hollywood-Filmen bekannte Spiel „Guter Bulle, böser Bulle“. Auf der einen Seite gibt es die vermeintlichen „Tauben“, die öffentlich verkünden, den USA ginge es nicht um einen Regime Change. Dazu gehörte beispielsweise Trumps ehemalige UN-Botschafterin Nikki Haley, die noch vor etwas mehr als einem Jahr Pläne für einen Regime Change kategorisch dementierte. Sonderlich glaubwürdig sind derartige Dementis jedoch nicht. Wenige Wochen nach ihrem Dementi trat Haley von ihrem Posten zurück. Auch US-Außenminister Mike Pompeo spricht öffentlich nicht direkt von einem Regime Change, versicherte jedoch erst vor wenigen Wochen der iranischen Diaspora in den USA die Unterstützung als „Freund“ gegen das „Regime“ – Worte, die man eigentlich nur als Aufruf zu einem Regime Change verstehen kann.
Rudy Giuliani und „unsere“ Volksmudschahedin
Auf der anderen Seite gibt es die „Falken“, die klar und abseits von diplomatischen Floskeln einen Regime Change fordern. Dazu gehört vor allem Trumps persönlicher Anwalt und „Schattendiplomat“ Rudy Giuliani, der kein Blatt vor den Mund nimmt, wenn er offen in Namen der USA einen Regime Change fordert. Giulianis Engagement ist sogar für Washingtoner Verhältnisse ungewöhnlich, zumal der ehemalige Bürgermeister von New York auf der Lohnliste einer obskuren exil-iranischen Lobbygruppe steht.
Die sogenannten „Volksmudschahedin“, auch bekannt unter dem englischen Akronym MEK, sind die wohl bedeutendste militante iranische Oppositionsbewegung. Früher vertrat diese Gruppe die Ideologie eines islamischen Sozialismus und kämpfte während der Revolution 1979 gegen den Schah. Im Laufe der „islamischen Revolution“ verlor die MEK jedoch den Machtkampf mit den theokratischen Kräften rund um die Ajatollahs Chomeini und Chamenei, der das Land seit 1989 als „Revolutionsführer“ de facto regiert. Nach der Niederlage ging der größte Teil der militanten MEK ins Exil in den Irak und kämpfte an der Seite von Saddam Hussein im ersten Golfkrieg gegen Iran. Als Ausbildungszentren dienten dabei exterritoriale Militärcamps wie das „Camp Ashraf“ im Irak, die jedoch nach dem Irakkrieg von der neuen irakischen Regierung Stück für Stück aufgelöst wurden.
Experten gehen davon aus[1], dass die MEK und ihre zivilen Ableger ein Firmengeflecht in Europa und Afrika aufgebaut haben, das über Währungsreserven in Höhe von 500 Millionen US-Dollar verfügt. Sowohl in der EU als auch in der USA wurde die MEK ursprünglich als Terrororganisation eingestuft. Dies hinderte die CIA jedoch nicht, aktiv mit der MEK zusammenzuarbeiten und sie sogar als verbündete Organisation bei Geheimdienstoperationen und Anschlägen in Iran einzusetzen, wie der Investigativjournalist Seymour Hersh es in seinem 2012 erschienenen Artikel „Our Men in Iran?“ aufdeckte. Offenbar arbeitet die MEK dabei auch mit dem israelischen Geheimdienst zusammen.
2009 wurde die MEK in der EU und 2012 von Hillary Clinton in den USA von der Liste der Terrororganisationen gestrichen. Dabei spielte allen voran Rudy Giuliani eine Schlüsselrolle, war er doch der – gut bezahlte – Cheflobbyist der MEK, der in Washington für eine Streichung der Organisation von der Liste kämpfte. Damit war seine Arbeit jedoch noch längst nicht beendet. 2018 trat Giuliani auf einer Veranstaltung der MEK auf und heizte das Publikum mit seinem „Regime Change“-Slogans an …
Wer sich vor Augen hält, dass es sich um die Veranstaltung einer militanten Gruppierung handelt, die noch vor kurzer Zeit in der USA und der EU auf der Terrorliste stand, ahnt bereits, wie tief Washingtoner Kreise in einen „Schattenkrieg“ gegen Iran involviert sind. Im Juli letzten Jahres eröffnete die MEK nach „Vermittlung“ der USA in Albanien ein neues Ausbildungszentrum für mehr als 3.000 militante Kämpfer mit dem Namen „Ashraf 3“. Laut Presseberichten waren bei der Eröffnung des Ausbildungscamps „dutzende Regierungsvertreter der USA und der EU“ anwesend. Wer diese Hintergründe kennt, kann auch Giulianis Äußerungen zu den Protesten in Iran richtig einordnen.
„Diese Proteste geschehen nicht spontan. Sie geschehen wegen vieler unserer Leute in Albanien und vieler unserer Leute auf der ganzen Welt“, so Giuliani. Wobei unklar ist, wen er mit „uns“ meint – die Amerikaner oder die MEK? Beides ließe tief blicken. Was heißt es denn, wenn ein Mann aus dem engsten Machtzirkel um Donald Trump von der MEK als „uns“ spricht?
An Giulianis Seite stehen auch die üblichen Verdächtigen aus dem neokonservativen Lager. So hatte Trumps ehemaliger Sicherheitsberater John Bolton bereits 2018 verkündet, bis zum Jahresende einen Regime Change in Teheran hinzubekommen. Dazu kam es nicht, im April 2019 gab es vielmehr in den USA einen kleinen „Regime Change“ – John Bolton musste sein Amt räumen. Trump nannte „schwere Meinungsverschiedenheiten“ als Grund für Boltons Entlassung; es ging wohl allem voran um das Thema „Iran“. Auch Bolton steht übrigens auf der Payroll der MEK. Erst vor wenigen Tagen schrieb er via Twitter, dass ein Regime Change nun in der Luft liege.
The Khamenei regime has never been under more stress. Regime change is in the air. The people of Iran can see it. America, Europe and France should not try to prop it up or negotiate with its illegitimate representatives.
— John Bolton (@AmbJohnBolton) January 12, 2020
Wer hat in Washington das Sagen?
Glaubt man den einschlägigen Medienberichten, hat Donald Trump das Attentat auf den iranischen General Soleimani ohne die sonst übliche vorherige Konsultation mit seinem Beraterstab angeordnet. Das lädt förmlich zu der Frage ein, wer Trump denn dann in dieser Sache beraten hat. Vielleicht Rudy Giuliani? Aufhorchen lässt in diesem Kontext eine weitestgehend unbemerkte Meldung von Bloomberg, nach der Außenminister Pompeo kurz nach dem Attentat eine interne Anweisung an das US-Diplomatenkorps herausgegeben hat, den direkten Kontakt zu genau den „iranischen Oppositionsgruppen“ einzustellen, mit denen Rudy Giuliani und Co. intensiv zusammenarbeiten. Auch hier kann man über die Hintergründe nur spekulieren.
Es ist gut möglich, dass es in Washington divergierende Gruppen gibt und hinter den Kulissen die Gruppe rund um Giuliani und Bolton – diesmal mit Unterstützung von Trump – einen privaten Krieg für den angestrebten Regime Change führt. Es ist aber auch möglich, dass dieses ganze Theater nur für die Öffentlichkeit aufgeführt wird und hinter den Kulissen ganz nach dem Motto „guter Bulle, böser Bulle“ mit verschiedenen Mitteln auf ein gemeinsames Ziel hingearbeitet wird. Welche Rolle die mächtigen Geheimdienste in dieser Sache spielen, ist ebenfalls ungeklärt. Ohne nähere Informationen kann hier nur spekuliert werden.
Das Ziel heißt Regime Change – was denn sonst?
Unabhängig von den konkreten Fragen muss man jedoch erkennen, dass die „offizielle Linie“, nach der man Gespräche mit der iranischen Regierung und eben keinen Regime Change anstrebt, alles andere als glaubwürdig ist. Laut Trump geht es darum, Gespräche aufzunehmen, um Iran von seinem Atomwaffenprogramm abzubringen. Da kann man nur noch ungläubig den Kopf schütteln. War es nicht Trump selbst, der das unter seinem Vorgänger zusammen mit der EU mit Iran ausgehandelte Abkommen zur Suspendierung des iranischen Atomprogramms einseitig aufgekündigt hat?
Welchen Zweck, wenn nicht den eines Regime Changes, verfolgt Trump mit seiner Sanktionspolitik, die Fabian Goldmann vorgestern auf den NachDenkSeiten ausführlich analysiert hat? Auslöser der Massenproteste in den letzten beiden Jahren waren ja nicht die Menschenrechtssituation oder das theokratische System Irans – zwei Punkte, die von der liberalen Mittelschicht des Landes ja auch vollkommen zu Recht harsch kritisiert werden und immer wieder Grund für kleinere Demonstrationen in den Metropolen des Landes waren. Auslöser der Massenproteste waren soziale und ökonomische Probleme – die Inflation, der Benzinpreis, die Löhne … allesamt Punkte, die direkt mit den Sanktionen und der durch die Sanktionen bedingten prekären wirtschaftlichen Lage des Landes zu tun haben.
Inwieweit amerikanische Dienste und NGOs oder von den USA unterstützte Oppositionsgruppen wie die MEK für die Proteste verantwortlich waren oder ob sie die Proteste nutzten, um sich an deren Spitze zu stellen, um einen Sturz der Regierung anzustreben, ist leider ebenfalls ohne verlässliche Informationen kaum zu beantworten. Dies ist – wie so vieles – Spekulation, wenn auch eine gut begründete Spekulation, zumal diese Aktionen ja eins zu eins in das „Farbenrevolutionsschema“ passen, mit dem die USA bereits in Ländern wie der Ukraine, Syrien oder Libyen mehr oder weniger erfolgreich mit dem Feuer spielte und blutige Bürgerkriege auslöste.
Dieses Szenario ist für Iran ebenfalls zu befürchten. Außenstehende Beobachter sind sich darin einig, dass die MEK ein „sektenähnlicher Kult“ ist, der in Iran nur wenig Rückhalt genießt. Anders als 2009, als es mit der „grünen Bewegung“ eine – von den USA unterstützte – vergleichsweise liberale Oppositionsbewegung mit Köpfen gab, die zumindest in der liberalen Ober- und Mittelschicht verankert waren, sind die derzeitigen Proteste zwar gegen die Politik der Regierung gerichtet, haben jedoch keine erkennbare gemeinsame Alternative auf dem Tableau. Die Zielrichtung der USA scheint vielmehr zu lauten, das Land in jeder nur denkbaren Form zu destabilisieren. Die Folgen eines Zusammenbruchs der öffentlichen Ordnung in Iran und eines möglichen Bürgerkriegs mit in Albanien ausgebildeten ideologisch verqueren US-Verbündeten sind nur schwer einzuschätzen. Ein Flächenbrand wäre die wohl wahrscheinlichste Folge. Die USA spielen einmal mehr mit dem Feuer.
Titelbild: Screenshot YouTube
[«1] Wilfried Buchta: Who Rules Iran? The Structure of Power in the Islamic Republic. Washington Inst., 2000