Sterbehilfe: Gesundheitsminister „spielt Gott“

Sterbehilfe: Gesundheitsminister „spielt Gott“

Sterbehilfe: Gesundheitsminister „spielt Gott“

Tobias Riegel
Ein Artikel von: Tobias Riegel

Das Bundesgesundheitsministerium hat verhindert, dass Todkranke ein Medikament zur Sterbehilfe erhalten – Kritiker werfen dem Ministerium und seinem Chef, Jens Spahn, darum Rechtsbeugung und moralische Anmaßung vor. Im Schatten dieses Skandals werden die Sterbewilligen alleine gelassen. Hoffnung liegt auf dem Bundesverfassungsgericht, das im Februar zum Thema urteilen wird. Von Tobias Riegel.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Sterbewilligen darf laut einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts von 2017 “in extremen Ausnahmesituationen“ ein Zugang zu einer tödlichen Dosis Betäubungsmittel nicht verwehrt werden. Trotzdem wies das Bundesgesundheitsministerium 2018 das zuständige Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte an, entsprechende Anträge von Bürgern abzulehnen: Inzwischen wurden 102 von 133 eingegangenen Anträgen auf eine Erlaubnis dafür abgelehnt, wie das Bundesinstitut laut Medienberichten am Montag mitteilte. Der CDU-Gesundheitspolitiker Alexander Krauß verteidigte die juristisch und moralisch grenzwertigen Entscheidungen mit den Worten: „Der Staat hat nicht den Auftrag oder das Recht, Menschen direkt oder indirekt ins Jenseits zu befördern.“

Die Todkranken werden alleine gelassen

Der Vorgang ist auf mehreren Ebenen sehr bedenklich: Da ist zum einen der in der erlebten Form kritikwürdige prinzipielle Widerstand gegen eine menschenwürdige Sterbehilfe, vor allem vonseiten der CDU. Dazu kommt bei der aktuellen Frage der Medikamente der vom Gesundheitsminister erzeugte Eindruck, er würde sich über einem Urteil eines Bundesgerichts stehend sehen – zudem wird diese Haltung nicht zuerst juristisch, sondern vor allem moralisch begründet. Zu guter Letzt sind etwa die oben zitierten aktuellen Äußerungen aus der CDU zum Thema als stilistisch und inhaltlich unangemessen zu bezeichnen.

Im Schatten dieses Skandals werden die Todkranken und Sterbewilligen alleine gelassen. So sind 24 der 133 Antragsteller während des unwürdigen Prozesses der „Genehmigung“ inzwischen verstorben. Die hohe Zahl der Ablehnungen widerspricht auch den Bekundungen des Ministeriums, jeden Einzelfall prüfen zu wollen.

Rechtsbeugung durch „Sonnenkönig“ Spahn?

Harald Weinberg, gesundheitspolitischer Sprecher der Fraktion der Linkspartei, sagt zu dem Vorgang, zum beklagten „Rechtsbruch“ und zum abgehobenen Verhalten des „Sonnenkönigs“ Spahn:

„Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von 2017 besagt, dass Menschen in einer extremen Notlage der Zugang zu einem tödlich wirkenden Betäubungsmittel (…) explizit ermöglicht werden muss. Doch der Sonnenkönig Spahn fühlt sich offenbar an Recht und Gesetz nicht gebunden und hat das BfArM als nachgeordnete Behörde angewiesen, dieses Urteil nicht umzusetzen.(…) Er hat das BfArM zu einem zweifachen Rechtsbruch aufgefordert. (…) Angesichts des Leids der Betroffenen ist eine Auflösung des Widerspruchs zwischen höchstrichterlicher Rechtsprechung und der Praxis im Hause Spahn dringend geboten.“

Auch SPD-Fraktionsvize Bärbel Bas kritisierte, bei mehr als 100 abgelehnten Anträgen liege die Vermutung nahe, dass Einfluss auf die Entscheidung des Bundesinstitutes genommen worden sei. FDP-Fraktionsvize Stephan Thomae forderte die Rücknahme der Weisung: Spahn überschreite die Grenzen des Rechtsstaats.

Sterbehilfe wirft zahlreiche moralische und juristische Fragen auf

Das Thema Sterbehilfe ist komplex und von zahlreichen juristischen, medizinischen und moralischen Fragen begleitet. Diese bewegen sich auch zwischen folgenden Polen: So gibt es – meiner Meinung nach – ein Recht auf Sterbehilfe, also auf einen würdigen Tod ohne schmerzvollen Leidensweg oder einer vorherigen Auslieferung an eine Apparate-Medizin. Bei der Umsetzung dieses Rechts sind jedoch zahlreiche (auch einschränkende) Aspekte zu beachten: Wie verhindert man einen destruktiven Einfluss auf Ältere durch die Verwandtschaft? Wie verhindert man eine „Suizid-Mode“, vor allem unter Heranwachsenden? Wie wirkt man einer Tendenz entgegen, nach der Ältere durch Sterbehilfe „abzutreten“ hätten, wenn sie ihr „produktives Potenzial“ verbraucht haben? Welche tatsächlichen Fortschritte gibt es bei der Palliativmedizin und kann diese einen würdigen Tod gewährleisten?

Weitere Fragen drängen sich auf: Sind die aktuell genutzten Kriterien, die eine Sterbehilfe „rechtfertigen“ können, ausreichend? Was ist mit Sterbewilligen, die nicht todkrank sind – darf die Gesellschaft ihnen den würdigen Ausweg aus einem bedrückenden Leben verwehren und wer sollte die jeweiligen Lebenssituationen beurteilen? Und wenn man auch „Lebensmüdigkeit“ (ohne tödliche Krankheit) als Kriterium für Sterbehilfe gelten lassen würde: Wie wirkt man einer leichtfertigen (möglicherweise unverantwortlichen) Haltung dem Leben und dem Tod gegenüber entgegen?

Die NachDenkSeiten haben sich kürzlich in diesem Artikel mit dem Komplex Sterbehilfe befasst, dort wird auch der Aspekt der Diffamierung der Sterbehilfe als „kommerziell“ oder „geschäftsmäßig“ behandelt – etwa die Tatsache, dass auch Vereine zur Sterbebegleitung Unkosten haben und diese durch Beiträge hereinholen müssen. Ein wichtiges Ereignis zur Klärung einiger der hier gestellten Fragen kann das für Ende Februar erwartete Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum “Verbot geschäftsmäßiger Sterbehilfe“ sein. Gegen das Verbot geklagt hatten schwer kranke Menschen, Ärzte und Sterbehilfevereine.

„Spahn ist nicht Gott“

Das anmaßende und möglicherweise rechtsbeugende Verhalten des Gesundheitsministers wird in manchen Medien kritisiert, etwa in diesem Artikel im „Neuen Deutschland“, der bei Spahn auch „zweifelhafte ideologische Motive“ vermutet. Auf den Punkt bringt das Thema die „Volksstimme“ aus Magdeburg:

„Vieles bewegt sich (bei der Sterbehilfe) bisher in einer Grauzone. (…) Eine klare rechtliche Regelung allerdings gibt es: Schwerstkranke in auswegloser Lage können beim Arzneimittel-Bundesamt um tödliche Medikamente nachsuchen. In der berechtigten Annahme, dass ihr Einzelfall geprüft wird. Weit gefehlt: Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat angewiesen, die Anträge pauschal abzuweisen. Woher nimmt der Nicht-Mediziner Spahn das Recht dazu? Vom Schreibtisch bestimmt hier ein Politiker rechtswidrig Schicksale. Bei der Entscheidung über Leben und Tod haben ideologische Vorbehalte und persönliche Befindlichkeiten zurückzustehen.“

Die Zeitung schließt treffend:

„Spahn ist Christ. Aber nicht Gott. Und er hat diesen auch nicht zu spielen.“

Titelbild: Motortion Films / Shutterstock

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