Wie nahe sind sich Staat und Terroristen eigentlich in der Vergangenheit gekommen? Der Fall des ermordeten Generalbundesanwalts Siegfried Buback und seiner beiden Begleiter Wolfgang Göbel und Georg Wurster wirft auch Jahre nach der Verurteilung der ehemaligen RAF-Frau Verena Becker wegen Beihilfe viele Fragen auf. Bubacks Sohn Michael hat zusammen mit seiner Frau aus den während des Prozesses von ihr angelegten Protokollen nun ein Buch veröffentlicht, das mit Genauigkeit das Verfahren gegen Becker beleuchtet und eindringlich aufzeigt, wie schwer die Verwerfungen in Sachen „Karlsruher Attentat“ noch immer sind. Im NachDenkSeiten-Interview betont Michael Buback, dass die Zusammenarbeit zwischen Staat und Becker vermutlich der Aufklärung des Verbrechens im Wege steht. Von Marcus Klöckner
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Herr Buback, wie viele der 34 Morde, die der RAF zugeschrieben werden, hat der Staat eigentlich umfassend aufgeklärt?
Bislang wurde nur der Mord an Jürgen Ponto vollständig geklärt, bei dem die Ehefrau des Opfers allerdings Tat und Täter von einem Nebenzimmer aus beobachtet hat, sodass keine aufwändige Klärung erforderlich war.
Das ist eine erstaunlich schlechte Aufklärungsquote.
Ja, vor allem angesichts der Tatsache, dass Morde normalerweise zu über 90 Prozent aufgeklärt werden.
Auch beim Mord an Ihrem Vater und seinen beiden Begleitern gibt es Lücken in der Aufklärung.
„Lücken“ scheint mir eine sehr wohlwollende, eigentlich unpassende Bezeichnung der Situation zu sein. Was ist denn überhaupt aufgeklärt, wenn der Senat des OLG Stuttgart 2012 im zuletzt ergangenen Urteil zum Karlsruher Attentat einräumt, für ihn würden die Tatbeteiligten nicht feststehen?
Ihr Vater wäre heute 100 Jahre alt geworden. Was kann man einem Staat sagen, der sich bei der Aufklärung des Mordes an seinem obersten Aufklärer so verhält, wie er es getan hat?
Wenn es den Experten schon nicht gelungen ist, den Generalbundesanwalt zu schützen, würde man doch erwarten, dass seine und die Ermordung seiner beiden Begleiter aufgeklärt werden.
Das Verfahren gegen die ehemalige RAF-Terroristin Verena Becker ging 2012 zu Ende. Sie wurde damals wegen Beihilfe zum Mordanschlag auf Ihren Vater verurteilt. Sie haben nun ein Buch geschrieben, worin Sie sich sehr detailliert mit diesem Prozess auseinandersetzen. Warum?
Meine Frau und ich halten den Stuttgarter Prozess über das spezielle Karlsruher Verbrechen hinaus für wichtig. Da es keine andere Möglichkeit gibt, sich angemessen über diese Hauptverhandlung zu informieren, sehen wir es als unsere Aufgabe an, den Prozess auf der Grundlage der genauen Protokolle meiner Frau zu schildern.
Was sind aus Ihrer Sicht denn die größten Auffälligkeiten?
Da sind einige zu nennen: (a) Es wurden – bereits in den 1980er Jahren – nur drei Personen als Mittäter zu lebenslänglich verurteilt. Sie waren aber alle nicht unmittelbar tatbeteiligt, also nicht am Tatort. (b) Die zahlreichen, in ihren Autos an der Tatortkreuzung wartenden Augenzeugen wurden bald nach dem Verbrechen ohne Registrierung ihrer Namen und Autokennzeichen über die Kreuzung gewinkt. (c) Den Augenzeugen, die bereits damals eine weibliche Person auf dem Soziussitz des Tatmotorrads erkannt hatten, wurde keine Frau gegenübergestellt, auch nicht Verena Becker, nachdem sie und Sonnenberg bei ihrer Verhaftung in Singen die Tatwaffe besaßen und einen Suzuki-Schraubenzieher mit sich führten, wie er als einziges Werkzeug im Tatmotorrad fehlte. (d) Eine von der Polizei beim Abstellort des Tatmotorrads durch Gipsabdruck gesicherte Schuhspur der Größe 40 wurde nicht mit der Sohle des Sportschuhs der Größe 40 verglichen, den Verena Becker bei ihrer Verhaftung trug.
Was noch?
Der Fluchtwagen der Attentäter, der sich in der Obhut der Ermittler befand, ist spurlos verschwunden. Die darin enthaltenen DNA-Spuren hätten sicher Hinweise auf die Täter geliefert, die wohl keine Maßnahmen gegen diese ihnen zum Tatzeitpunkt unbekannte Analysentechnik getroffen hätten. Ähnliches gilt für das Tatmotorrad, das von der Justiz Anfang der 1980er Jahre an eine Privatperson verkauft wurde.
Ihnen ist auch etwas aufgefallen im Zusammenhang mit den Fotos vom Dienstwagen Ihres Vaters.
Während des Prozesses ist eine größere Zahl aussagekräftiger Fotografien des Dienstwagens aus der Zeit kurz nach dem Attentat aufgetaucht. Die Bilder lagerten beim Bundeskriminalamt und wurden jetzt – über 35 Jahre nach dem Attentat – auf Initiative eines pensionierten BKA-Beamten erstmals dem Gericht vorgelegt.
Was schließen Sie daraus?
Der Vorgang spricht nicht für eine sorgfältige, umfassende Vorbereitung der Anklage. Nachdem der Dienstwagen spurlos verschwunden war, sollten den Verfahrensbeteiligten alle verfügbaren Bilder dieses Wagens bereits bei Prozessbeginn vorgelegt werden.
In Ihrem Buch klingt auch Medienkritik an. So schreiben Sie: „Sehr schnell haben sich die Medien mit der Behauptung zufriedengegeben, das Karlsruher Attentat sei ohne Mithilfe der Terroristen nicht aufzuklären und es sei ja alles so lange her.“
Das Interesse der Presse geht meist rasch zurück und wendet sich anderen Themen zu. Mir erschiene es wünschenswert, dass Medienvertreter in regelmäßigen Abständen nach dem Stand der Aufklärung fragen, bis eine Klärung erreicht ist.
Zur Eröffnung des Verfahrens und zum Ende waren zahlreiche Medienvertreter anwesend. Wie sah es denn zwischendrin aus?
Das Medieninteresse war dann hoch, wenn frühere Topterroristen geladen waren, obwohl nicht damit zu rechnen war, dass sie Angaben zur Sache machen würden. An normalen Verhandlungstagen war das Interesse gering. Bereits im damaligen Baader-Meinhof-Prozess gab es Sitzungstage, an denen die Zahl anwesender Journalisten Null war.
Im Buch schildern Sie ein Treffen mit den Kindern von Franz Josef Strauß am ehemaligen Wohnhaus der Familie. Die Strauß-Kinder zeigten Ihnen, welche Räume die RAF damals ausgespäht haben soll. Das Treffen wurde von einer „großen Tageszeitung“, wie Sie schreiben, begleitet, fotografiert, gefilmt. Der Beitrag ist allerdings nie erschienen. Wissen Sie, warum?
Hier kann ich nur Vermutungen anstellen. Vielleicht lässt eine Redaktion lieber die Finger von Berichten, die Fragen aufwerfen, auf die betroffene staatliche Stellen keine zufriedenstellenden Antworten geben können.
Hat das Verhalten der Behörden im Fall Buback einen exemplarischen Charakter?
Das Hauptproblem bei der Klärung des Karlsruher Verbrechens sehe ich in der Kooperation staatlicher Stellen mit zumindest einer RAF-Terroristin. Ein solches Zusammenwirken stellt in meinen Augen ein Grundübel für beide Seiten dar und behindert – oder verhindert sogar – die Aufklärung. In diesem Sinne ist das Vorgehen im Fall Buback exemplarisch für Verbrechen, bei denen staatliche Stellen mit Terroristen kooperierten.
Nach einem der Prozesstage sind Sie auf dem Stuttgarter Bahnhof Verena Becker begegnet und haben Sie angesprochen. Was hat sich zugetragen?
Auf dem Bahnsteig stand ich plötzlich Frau Becker gegenüber. Wenn sie irgendwann den Wunsch habe, mit mir zu sprechen, sei ich dazu bereit, sagte ich ihr. Sie antwortete: „Ich weiß, ich weiß.” Verena Becker hat danach kein Gespräch mit mir gesucht.
Glauben Sie daran, dass irgendjemand von denjenigen, die wissen, was sich damals zugetragen hat, doch noch den Mut aufbringen wird, mit Ihnen zu reden?
Das erwarte ich nicht. Es gab so viele Chancen zu sprechen. Vor allem hätten die bereits „wegen Karlsruhe“ Verurteilten, die höchstwahrscheinlich wissen, wer die Tat ausgeführt hat, ohne das Risiko einer weiteren Verurteilung reden können. Allerdings ist es auch bedauerlich, dass noch 40 Jahre nach dem Attentat auf staatlicher Seite Informationen zu den damaligen Geschehnissen zurückgehalten werden.
Lesetipp: „Der General muss weg!“: Siegfried Buback, die RAF und der Staat. Osburg Verlag. 404 Seiten. 19. Dezember 2019. 26 Euro.
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