2,2 Millionen Kilometer – ganze fünfzigmal könnte man den Äquator mit den Kassenbons umwickeln, die nach dem Willen der Bundesregierung künftig zusätzlich von Bäckern, Metzgern und Gastronomen ausgedruckt und dem Kunden angeboten werden müssen. Alle Welt spricht von der digitalen, papierlosen Ökonomie und Deutschland wirft die Drucker an. Alle Welt spricht von Umweltschutz und Ressourcenschonung und Deutschland produziert Müllberge an nicht recycelbaren Bons aus Thermopapier. Wäre es nicht so traurig, man müsste herzhaft lachen. Wir werden nicht von Visionären, sondern von Schildbürgern regiert. Ein Kommentar von Jens Berger.
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Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet die vermeintlich so preußisch-korrekten deutschen Finanzbehörden noch etwas von ihren vermeintlich so liederlichen Kollegen der italienischen Guardia di Finanza lernen können. In Italien ist die Kassenbonpflicht nämlich schon lange Realität. Zu jedem Espresso gibt es einen Bon, der sich beim ersten Windstoß verabschiedet und dann die Piazza verschmutzt. Dieses Schicksal droht künftig auch deutschen Straßencafés und Biergärten.
Während der Kunde in Skandinavien beim Bäcker seine Brötchen unkompliziert und kontaktlos mit dem Handy oder der Smartwatch bezahlen kann, kriegt der deutsche Kunde künftig auch noch einen Bon aus Papier in seinen Jutebeutel, den er daheim in den Restmüll schmeißen kann – das Thermopapier der Kassensysteme ist nämlich laut Umweltbundesamt noch nicht einmal recyclingfähig. Willkommen im Jahre 2020, Willkommen im deutschen Anachronismus.
Es ist ja richtig, dass es in der Gastronomie öfters mal vorkommen kann, dass nicht jeder eingenommene Euro ordnungsgemäß ins Kassensystem eingegeben und versteuert wird. Aber ändert die Bonpflicht daran etwas? Es ist ja nicht so, dass das Finanzamt bei seinen regelmäßigen Betriebs- und Kassenprüfungen heute nicht penibel solche Dinge wie den Schankverlust – also die Differenz zwischen eingekauften und abgerechneten Getränken – überprüfen würde. Und zumindest ich habe auch seit Jahren, wenn nicht gar Jahrzehnten, nicht mehr mitbekommen, dass ein Bäcker mir ein Brötchen an der Kasse vorbei verkauft. Hier wird mit Papierkanonen auf Spatzen geschossen.
Glaubt man dem Finanzministerium, geht es bei der Bonpflicht ja auch vor allem darum, Manipulationen am Kassensystem zu verhindern. Das ist drollig, da zeitgleich mit der Bonpflicht ja auch fälschungssichere technische Sicherheitseinrichtungen an den Kassensystemen gesetzlich vorgeschrieben werden. Wenn diese Kassensysteme fälschungssicher sind, warum braucht es dann Papierbons, um eine Manipulation eben jener Kassensysteme zu verhindern?
Und selbst wenn man derlei Offensichtlichkeiten einmal beiseite lässt. Gibt es in einem Land, das sich gerne und faktenwidrig dafür rühmt, technologischer Vorreiter zu sein, im Jahre 2020 keine technische Lösung, um Daten an das Finanzamt zu übermitteln, ohne dafür jedem Kunden einen Papierbon in die Hand zu drücken? Die eigentliche Innovation des Bon-Verfahrens soll eine Prüfziffer sein, die im Prinzip wie eine digitale Blockchain funktioniert und nachträgliche Manipulationen verhindert. Das ist ja toll. Aber wer kommt auf die groteske Idee, diese Prüfziffern zig Millionen Mal auszudrucken und nicht über eine digitale Schnittstelle an die Finanzbehörden zu übermitteln? Liegt das vielleicht daran, dass sich viele Bäckereien in einem Funkloch befinden und an den Segnungen der Technologie des letzten Jahrhunderts noch nicht teilhaben können?
In der Theorie machen wir uns Gedanken, ob wir uns die Wurst beim Metzger in mitgebrachte Tupper-Dosen einpacken lassen sollen und gehen mit dem Jutebeutel zum Bäcker, um Verpackungsmüll zu vermeiden. In der Praxis produzieren wir bei jedem Einkauf künftig sinnlosen Papiermüll. Und gleichzeitig wird in den Nachrichten der „New Green Deal“ verkündet. Theorie und Praxis liegen halt manchmal meilenweit auseinander. Die „Debatte“ um die Kassenbonpflicht zeigt auf groteske Art, wie weit unsere Politik von visionären Plänen für die Zukunft entfernt ist.
Titelbild: Andrey_Popov/shutterstock.com