In Berlin plant die rot-rot-grüne Landesregierung, weite Teile der S-Bahn zu privatisieren. Dieser Akt ist nicht nur bürgerfeindlich, er ist auch selbstzerstörerisch: Einmal mehr erscheinen „linke“ Parteien als Erfüllungsgehilfen neoliberalen Irrsinns. Es regt sich Protest bei den Gewerkschaften und an diesem Mittwoch wird demonstriert. Von Tobias Riegel.
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Die rot-rot-grüne Landesregierung Berlins plant, die S-Bahn der Stadt zu privatisieren. Das ist ein bürgerfeindlicher und selbstzerstörerischer Akt. Trotz massivem Protests scheint die Regierung daran festhalten zu wollen: So sollen, wie etwa die „Junge Welt“ aktuell schreibt, in den kommenden Jahren im Rahmen einer bis zu acht Milliarden Euro umfassenden Ausschreibung zwei Drittel des Betriebs der S-Bahn sowie die Beschaffung und Instandhaltung aller neuen Züge in neue, vermutlich private Hände übergehen. Das wäre laut Gewerkschaften die größte S-Bahnausschreibung der Geschichte. Weitere Details und Hintergründe der destruktiven Pläne werden weiter unten in diesem Text beschrieben.
Rot-rot-grüne Pläne: Bürgerfeindlich und rufschädigend
Der Vorgang ist keine Lokalposse, er hat zerstörerische Wirkung über Berlin hinaus: Zum einen werden möglicherweise andere Metropolen folgen, sollten die Pläne umgesetzt werden. Zum anderen geht ein weiteres Stück Vertrauen in „linke“ Parteien verloren. Warum sollte man sie wählen, wenn sie ihre Versprechen, die Bürger und deren Daseinsvorsorge vor privatem Zugriff zu schützen, einmal mehr brechen?
Zusätzlich stützten die Pläne eine grundfalsche Sicht auf diese Daseinsvorsorge: Nämlich jene, dass der Staat „versagt“ habe und dass darum nun die Privaten wieder „Ordnung schaffen“ müssten. Dabei müssten doch zumindest SPD und LINKE eine ganz andere Botschaft verbreiten: Zum einen, dass es keine positiven Beispiele für Privatisierungen gibt, dass der „Vorsprung“ der Privaten ein Mythos ist. Zum anderen, dass die S-Bahn, wie zahlreiche andere Einrichtungen, durch Sparkurse zerstört wurde. Das Heil liegt also nicht darin, Teile des Betriebs zu verhökern, sondern darin, wieder mit öffentlichem Geld darin zu investieren. Dieses Geld müsste vorher vom Staat bei vermögenden Privaten eingetrieben werden. Eine Privatisierung nimmt aber, im Gegenteil, scheinbar Druck von staatlichen Unternehmen, diese ausreichenden Mittel einzufordern – zumindest kurzfristig und nur dem Anschein nach.
Schulen, Wasser, Wohnungen: Die „roten“ Privatisierungen in Berlin
Dass ein möglicherweise zunächst positiver Schein der Wirkung von Privatisierungen aber in allen bekannten Fällen trügerisch war, sollte mittlerweile ins Bewusstsein vorgedrungen sein – gerade in Berlin und gerade bei SPD und LINKEN: Schließlich ist die S-Bahn nicht das erste (potenzielle) Desaster, das in dieser Stadt durch Privatisierungen von „linker“ Seite angerichtet wird. Ganz aktuell ist eine weitere verdeckte Bestrebung in diese Richtung zu vermuten, so betreibt der Berliner Senat momentan „den Ausverkauf“ der Berliner Lehranstalten, wie die NachDenkSeiten kürzlich in diesem Interview thematisiert haben. Und in diesem Artikel wurde von „Hintergrund“ bereits vor geraumer Zeit beschrieben, wie die Berliner Wasserbetriebe (von Schwarz-Rot) und die städtischen Wohnungen (von Rot-Rot) privatisiert wurden. Um die Kontrolle über die Berliner Stromversorgung wird aktuell noch gerungen.
Das Vorhaben der S-Bahn-Privatisierung ist also in jeder Hinsicht schlecht: für die Beschäftigten der S-Bahn, die Unsicherheiten bei Job und Lohn fürchten müssen. Für den S-Bahn-Betrieb und die Fahrgäste, denen durch eine Aufsplitterung der Eigentümer und der Zuständigkeiten mutmaßlich Chaos, Sicherheitsmängel durch eingesparte Wartung und höhere Preise drohen. Und für die LINKE, die von den drei Regierungsparteien wohl am stärksten unter der massiven Rufschädigung leiden wird: Dass Teile der Partei diese staatsfeindlichen Pläne mittragen, widerspricht allen Lehren, die man aus dem Niedergang „linker“ Parteien längst hätte ziehen müssen.
Demo und Appelle: Es regt sich Widerstand
Immerhin – es regt sich (auch innerparteilich) Widerstand: So haben sich die Gewerkschafts-Flügel der Berliner Regierungsparteien in einem gemeinsamen Appell gegen die Pläne ausgesprochen. Ebenfalls kritisch positioniert haben sich in einer gemeinsamen Erklärung der DGB (Bezirk Berlin-Brandenburg), der BUND Berlin und die Naturfreunde Berlin. Und unter dem Titel „Investieren statt Zerschlagen!“ rufen diverse Initiativen und Institutionen zu einer Kundgebung für den morgigen Mittwoch in Berlin auf: ab 11.55 Uhr (5 vor 12), Am Köllnischen Park 3 – vor dem Büro der federführenden grünen Senatorin für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz, Regine Günther.
Hintergründe der S-Bahn-Privatisierung
Die Hintergründe des Vorhabens beschreiben etwa die „Junge Welt“ und andere Medienberichte. Demnach wird das S-Bahnnetz, das auch Bahnhöfe im Land Brandenburg umfasst, bisher von einer Tochter der bundeseigenen Deutschen Bahn AG (DB) betrieben, der S-Bahn Berlin GmbH. Die S-Bahn nutze gleichzeitig die DB-Infrastruktur (Bahnhöfe und Gleise) und beziehe den Strom von der DB, so die Berichte.
Dieser bislang einheitliche Organismus S-Bahn soll laut „Junger Welt“ nun in mehrere Teile zerschlagen werden. Den Berichten zufolge soll ein privater Bewerber per Ausschreibungsverfahren für 15 Jahre den Betrieb der Nord-Süd-Strecken S1, S2, S25 und S26 übernehmen und dabei auch Zugang zu einer noch nicht errichteten Werkstatt an der Schönerlinder Straße bekommen. Ein weiterer Betreiber kann sich ebenfalls für 15 Jahre um den Zuschlag für den Betrieb der Ost-West-Strecken S3, S5, S7, S75 und S9 bewerben. Damit verbunden sein soll der Zugang zu einer neuen Werkstatt in Waßmannsdorf oder zur erwähnten Werkstatt an der Schönerlinder Straße. Und schließlich soll ein dritter Anbieter insgesamt 1.300 S-Bahnwagen anschaffen und die Fahrzeuge in einer öffentlich-privaten Partnerschaft (ÖPP) für 30 Jahre instandhalten. Die Zustimmung der Brandenburger Landesregierung steht laut Medien noch aus.
Die LINKE nimmt unter diesem Link Stellung zu dem Vorgang und weist etwa darauf hin, dass in der Frage auch das EU-Recht eine wichtige Rolle spielt.
Anmerkung: Der letzte Satz wurde ergänzt.
Titelbild: hanohiki / Shutterstock