Die geplanten US-Sanktionen gegen europäische Firmen erregen erwartungsgemäß Empörung. Dennoch verteidigen immer noch viele Beobachter die transatlantische „Freundschaft“. Andererseits lässt die Dreistigkeit des US-Vorstoßes die europäischen US-Kritiker zusammenrücken. Der Vorgang ist begleitet von Medienkampagnen. Von Tobias Riegel.
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Das skandalöse und gerade vom Repräsentantenhaus in den USA beschlossene „Gesetz zum Schutz von Europas Energiesicherheit“ sorgt in Europa einerseits für die zu erwartende Empörung. Andererseits ist manchen Beobachtern aus Medien und Politik selbst dieser anmaßende US-Vorstoß noch nicht Grund genug, die transatlantische „Freundschaft“ als das zu bezeichnen, was sie ist: eine umfassende Bevormundung durch die USA. Eine Bevormundung, die beendet werden sollte. Inhalt und Charakter des Gesetzes, das sich vor allem gegen die Pipeline Nord Stream 2 richtet, werden weiter unten im Text erläutert.
Außer für Betriebsamkeit und Rechtfertigungsdruck bei US-Lobbyisten sorgt der US-Vorstoß aber gerade durch seinen dreisten Charakter auch für (relativ) geschlossene Reihen unter US-Kritikern in der EU. Die Forderung nach einer (tatsächlichen) Emanzipation von den USA – noch vor kurzem ein mit sozialer Ächtung belegter Frevel – wird durch das Verhalten der USA (langsam) immer salonfähiger.
Eiertanz der Medien: Gegen US-Einmischung – aber auch gegen die Pipeline
Das aktuelle US-Verhalten ist so offensichtlich feindlich und es widerspricht sowohl dem Völkerrecht als auch den europäischen Interessen so deutlich, dass es selbst von überzeugten Transatlantikern nicht offensiv verteidigt werden kann. Ein Weg aus diesem Dilemma ist für zahlreiche Kommentatoren aus Medien und Politik folgende Argumentation: Das Verhalten der USA sei zwar abzulehnen, aber vor allem darum, weil es sich in „unseren“ Energiemarkt einmischt – die US-Positionierung gegen Nord Stream 2 sei dagegen prinzipiell richtig.
Exemplarisch für diese verbreitete und verzerrende Sicht steht etwa ein Kommentar in der „Süddeutschen Zeitung“, der unter der Überschrift “Falsche Pipeline, falscher Richter“ schreibt:
„Die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 entzweit Europa. Deutschland hätte das Projekt stoppen sollen. Allerdings nicht, weil die USA es so wollen.“
Nord Stream 2 hat überwiegend positiven Charakter
Diese Argumentation ist aus diversen Gründen falsch. Zum einen hat die Pipeline entgegen der Botschaft zahlreicher Artikel einen überwiegend positiven und verbindenden Charakter – etwa zwischen den einst bitter verfeindeten europäischen Nationen Russland und Deutschland. Zum anderen ist die Skandalisierung der US-Einmischung zweischneidig: Einerseits ist sie natürlich absolut gerechtfertigt. Andererseits wird sie aber bei jenem Personal zur Heuchelei, die gleichzeitig EU-Einmischungen nicht anprangern. Denn wie passt zu der Empörung über die US-Einmischung ein aktuell von der EU geplantes weltweites Sanktionsregime „wegen Menschenrechten“ (in diesem Artikel näher beschrieben), das man nur als Blankoscheck für eigene Einmischungen in fremde Länder bezeichnen kann?
Ähnlich wie die „SZ“ argumentiert unter anderem auch das „Handelsblatt“, das der Meinung ist, der „Westen zerlegt sich in der Nord-Stream-2-Frage selbst“:
„Die USA bereiten Sanktionen gegen die Ostsee-Pipeline vor. Das ist scheinheilig. Doch Deutschland trägt eine Mitschuld: Es hat die politische Dimension des Projekts unterschätzt.“
Ein feindlicher Akt der USA
Im Vergleich zur Verweigerung mancher Medien, den Skandal auch eindeutig so zu bezeichnen, ohne gleichzeitig das positive Pipeline-Projekt zu diffamieren, sind sogar CDU-Politiker weiter. So sagt etwa die Unionsfraktion im Bundestag:
„Das ist nun nicht mehr nur ein unfreundlicher, sondern ein feindlicher Akt der USA gegen seine Verbündeten und ganz Europa.“
Ähnlich deutlich wird die deutsch-russische Auslandshandelskammer, wie die „Zeit“ berichtet. Die Kammer verurteilte die geplanten Sanktionen als Schlag gegen die Energiesicherheit in Europa und rief gar zu Gegensanktionen gegen die USA auf. Ob die EU aber solche Schritte gehen möchte, blieb laut Medien zunächst offen. Handelskommissar Phil Hogan sei der Frage ausgewichen, ob die EU im Fall von US-Sanktionen mit Vergeltungsmaßnahmen antworten würde. Man wolle sich die US-Pläne zunächst genau anschauen.
Der russische Vize-Außenminister Alexander Gruschko betonte der Agentur Interfax zufolge zu Recht, mit möglichen US-Strafmaßnahmen würden die Interessen Europas und der Verbraucher verletzt, wie Medien berichten. Die Projekte Russlands würden die Energiesicherheit Europas stärken. Die USA hingegen wendeten Instrumente an, die „gegen das Völkerrecht verstoßen und dem gesunden Menschenverstand zuwiderlaufen“.
LINKE mit Klartext – und selbst Maas kritisiert die USA
Da möchte selbst Außenminister Heiko Maas (SPD) nicht zurückstehen – er fordert (zumindest vor den Kameras), dass die europäische Energiepolitik „in Europa entschieden (wird), nicht in den USA“. „Eingriffe von außen und Sanktionen mit extraterritorialer Wirkung lehnen wir grundsätzlich ab“, so der deutsche Außenminister. Wie gesagt, wäre hier interessant, wie ernst Maas seine eigenen Äußerungen nimmt – und wie er diese Standpunkte mit dem oben beschriebenen EU-Vorstoß für EU-Einmischungen versöhnt.
Echten Klartext zum Thema spricht etwa Klaus Ernst von der LINKEN in dieser Erklärung, in der er echte Gegenmaßnahmen gegen die USA fordert. Widerstand gegen die US-Politik und eine konsequent souveräne Haltung fordert auch Oskar Lafontaine auf Facebook.
Mit der Umwelt gegen „Putins Pipeline“
Manche Medien argumentieren auch mit Umwelt- und Klima-Bedenken gegen die Pipeline. So sagt der „Deutschlandfunk“: „Die EU und Deutschland wollen bis 2050 klimaneutral werden. Eine Pipeline für fossiles Erdgas passt da nicht oder zumindest nicht mehr lange ins Konzept.“ Und die „Bild“ berichtet von einem „polnischen Öko-Club“, der die „Putin-Pipeline“ stoppen wolle.
Zur flankierenden und eher allgemeinen Diffamierung des russischen Präsidenten Wladimir Putin trug ein weiterer aktueller Beitrag des „Deutschlandfunks“ bei. So wurde in einem Kommentar zum „Tiergarten-Mord” „Rache als politisches Leitmotiv Putins“ bezeichnet und fortgefahren:
„In diesen wenigen Minuten hat er (Putin) kompakt viel von dem vorgeführt, was man über ihn und sein Herrschaftssystem wissen muss. Es ist geprägt von Zynismus und Opportunismus, gespickt mit Behauptungen und Schuldzuweisungen an andere. Zudem betrachtet er es offenbar als sein Recht, über Leben und vor allem den Tod anderer Menschen zu entscheiden – auch auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland. (…) Das ist anmaßend, in imperialer Weise respektlos und eine gefährliche Frechheit.“
Erwähnenswert ist auch die Sendung von Maybrit Illner im ZDF am Donnerstag. Hier versprach einmal mehr bereits der Titel, wohin die Redaktion das Gespräch gerne gelenkt hätte: „Geliebter Feind – Braucht Europa Putin?“. Neben der verbreiteten Marotte, Putin als „Feind“ zu charakterisieren und Russland indirekt außerhalb von Europa zu verorten, war hier (von wenigen Äußerungen abgesehen) die oben beschriebene Mischung dominant: Die US-Sanktionen sind abzulehnen – aber „Europa“ solle sich bloß nicht von den USA abwenden, auch was die Pläne für eine EU-Armee betreffen.
Die hier beschriebenen Medienbeiträge reihen sich ein in die jüngst von Albrecht Müller in diesem Artikel beschriebene Analyse einiger deutscher Leitmedien. Aktuelle Beispiele zu diesem Befund finden sich auch in diesem Artikel.
Hintergrund: Was beinhaltet der US-Vorstoß?
Hintergründe zu Nord Stream 2 und zum US-Vorstoß finden sich etwa in diesem Artikel: Demnach soll Nord Stream 2 vom kommenden Jahr an Gas von Russland nach Deutschland liefern. Bislang seien nach Angaben des Nord-Stream-2-Konsortiums mehr als 2100 Kilometer des Doppelstrangs in der Ostsee verlegt, rund 300 Kilometer fehlen noch. Der US-Kongress will die Fertigstellung des Projekts verhindern. Die Sanktionen könnten es zumindest verzögern, so der Artikel.
Nord Stream 2 kostet demnach rund zehn Milliarden Euro. Die Leitung werde je zur Hälfte vom russischen Energieriesen Gazprom und den fünf europäischen Unternehmen OMV, Wintershall Dea, Engie, Uniper und Shell finanziert.
Gegen diese an der Pipeline beteiligten Firmen habe das US-Repräsentantenhaus nun Sanktionen auf den Weg gebracht. Zuvor hatten die Abgeordneten im US-Kongress mit großer Mehrheit für die geplanten Sanktionen gestimmt. Sie seien eingebettet in ein Gesetzespaket zum Verteidigungshaushalt. Erwartet wird demnach, dass der Senat das Paket noch vor Beginn der Sitzungspause Ende nächster Woche verabschiedet. Ein Termin dafür stehe aber noch nicht fest.
Das Gesetz sieht laut dem Bericht vor, dass der US-Außenminister in Absprache mit dem Finanzminister dem Kongress binnen 60 Tagen berichtet, welche Schiffe eingesetzt werden und welche Firmen diese Schiffe zur Verfügung gestellt haben. Gegen Manager der Firmen und deren Hauptaktionäre mit Kontrollmehrheit sollen Einreiseverbote in die USA verhängt werden. Bestehende Visa sollen widerrufen werden. Transaktionen der Betroffenen, die sich auf ihren Besitz oder ihre geschäftlichen Interessen in den USA beziehen, sollen blockiert werden können.
Die Sanktionen im „Gesetz zum Schutz von Europas Energiesicherheit“ zielen auf die Betreiberfirmen der hoch spezialisierten Schiffe ab, mit denen die Rohre für die Pipeline durch die Ostsee verlegt werden. Auch Turkish Stream – eine russische Pipeline, die durch das Schwarze Meer Gas in die Türkei bringen soll – wäre betroffen. Die Sanktionen sollen auch für Folgeprojekte beider Pipelines gelten, so die Medienberichte.
Ted Cruz: Wer steht hinter den Sanktionen?
Eingebracht haben das Gesetz der republikanische Senator Ted Cruz und die demokratische Senatorin Jeanne Shaheen. Cruz erklärte vor der Verabschiedung durch das Repräsentantenhaus, man werde sicherstellen, dass die Sanktionen voll umgesetzt würden. Shaheen nannte das Gesetz eine „überparteiliche Botschaft des Kongresses an Wladimir Putin, dass die Vereinigten Staaten nicht tatenlos zusehen werden, während der Kreml versucht, seinen bösartigen Einfluss weiter zu verbreiten“.
Ted Cruz kann als radikaler Falke bezeichnet werden und ist den Lesern der NachDenkSeiten kein Unbekannter. So hat etwa Jens Berger die Personalie Cruz in diesem Artikel beleuchtet.
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