Das massive Aufkommen an Kampagnenjournalismus bei den öffentlich-rechtlichen TV-Sendern hat in den letzten Tagen neue Höhepunkte erreicht. Bereits gestern hat Albrecht Müller in diesem Artikel auf schwere Defizite beim ZDF hingewiesen. Vor allem beim Thema Russland haben die öffentlich-rechtlichen Hauptnachrichtensendungen diese Analyse nun nochmals bestätigt. Von Tobias Riegel.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Podcast: Play in new window | Download
Die Hauptnachrichtensendungen von ARD und ZDF – Tagesthemen und Heute Journal – haben in den vergangenen Tagen massive Meinungsmache gegen Russland betrieben. Das ist kein neues Phänomen – berichtenswert ist es aber zum einen wegen der nun erlebten, nicht nachlassenden Härte und zum anderen, weil mit den Kampagnen mutmaßlich der Ukraine-Gipfel sabotiert werden sollte, also ein wichtiges friedenspolitisches Vorhaben. Betont werden soll hier auch, dass viele Beiträge der großen Privatmedien zum Thema ebenfalls vor Verzerrungen und Verkürzungen strotzen – untersucht werden sollen hier aber die Hauptnachrichten von ARD und ZDF.
Thema Russland bei ARD und ZDF: Verkürzung, Verzerrung, Diffamierung
Albrecht Müller hat gerade in diesem Artikel unter anderem den transatlantischen Lobbyismus beim ZDF beschrieben. Und als hätten ARD und ZDF diese Analyse nun aktuell selber belegen wollen, haben sie in den erwähnten Nachrichtensendungen vom 9. und 10. Dezember bei den Themen Russland, Ukraine und Doping zahlreiche unseriöse Techniken angewandt: Von der Verkürzung über das Prinzip „Haltet den Dieb!“ bis hin zur direkten Verzerrung oder Diffamierung.
Zunächst zum Heute Journal, das in seiner Sendung vom 9. Dezember anlässlich des Ukraine-Gipfels den Beitrag „Die Ukraine – ein Überblick“ lieferte und bereits im Teaser des Einzelbeitrags grob verkürzt:
„Die Ukraine wird seit Jahren von Kämpfen im Osten des Landes erschüttert. Dort agieren pro-russische Separatisten und haben die Ukraine destabilisiert. Russland hat zudem 2014 die Halbinsel Krim annektiert. Bisher starben mehr als 13.000 Menschen.“
Der Bericht selber führt dann die extrem lückenhafte Darstellung des Maidan-Umsturzes fort:
„Sie protestieren, weil die Regierung ein Partnerschaftsabkommen mit der EU abgesagt hat. (…) Bis zum Frühjahr 2014 eskaliert die Lage: Bei Straßenkämpfen sterben mehr als 100 menschen. Moskau besetzt die ukrainische Krim und gliedert die Halbinsel in das russische Staatsgebiet ein.“
Doping, Ukraine, Tiergarten-Mord
Dem Thema vorangegangen war in der Sendung ein Bericht zum Thema Doping (Link zum Einzelbericht). Dort wurde etwa gesagt, selbst noch die gönnerhaft gewährte Möglichkeit für russische Sportler, unter neutraler Flagge zu starten, würden „Kritiker“ als „Gefahren“ sehen: Es drohten demnach „Schlupflöcher, Hintertürchen und Manipulationen“.
Nachgelegt mit antirussischem Tenor hat das Heute Journal in der Sendung vom 10. Dezember. Hier wurde die bislang dubiose und kaum zu beurteilende Affäre um den in Berlin getöteten Georgier ins Feld gegen eine überfällige deutsch-russische Annäherung gebracht. So heißt es in dem Einzelbericht zu dem Fall: „Hier erschießt ein Russe einen russischen Staatsfeind.“ Der georgische „Kommandant“ sei zudem „seit zehn Jahren auf der Flucht, den ersten Anschlag in Tiflis hat er schwer verletzt überlebt“. Der Anschlag von Berlin wird kurzerhand zur „deutsch-russischen Tiergartenäffare“ erklärt – „Weil Mord und Mörder, weil viele Spuren nach Russland führen sollen.“ Und: „Überraschend beschuldigt Putin das Berliner Mordopfer, zwei verheerende Terroranschläge verübt zu haben, unter anderem auf die Moskauer Metro.“
Diese letztgenannten Äußerungen Putins ordnet Manuel Sarrazin von den Grünen dann in der Sendung unhinterfragt als indirektes Schuldeingeständnis ein und als Versuch des „Regimes Putin“, seinen Kritikern im In- und Ausland zu signalisieren: „Ihr dürft euch nicht sicher fühlen – wir leugnen nicht einmal, dass wir etwas damit zu tun haben könnten.“
Putin hat „hat die Krim annektiert und den Krieg in der Ostukraine angefacht“
Nicht nachstehen wollten da die Tagesthemen in der ARD am 9. Dezember. Zunächst wurde auch dort anhand des Themas Doping Stimmung gemacht (ab 4:19), Fazit: „Die Härte des Urteils ist angebracht.“
Diese Steilvorlage und das schiefe Bild von der Politik als Sport nutzt dann Moderatorin Caren Miosga (ab 5:57) für eine Breitseite gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin:
„Wer sich nicht an die Regeln hält, der gehört eigentlich vom Feld. Das hat Putin auch schon auf anderen Feldern zu spüren bekommen: Er hat die Krim annektiert und den Krieg in der Ostukraine angefacht und muss deshalb nun mit Sanktionen leben. Putin allerdings schert sich nicht darum. Seit sechs Jahren nun lässt er die Kämpfe weiter schwelen zwischen pro-russischen Separatisten und der ukrainischen Armee.“
Russland/Ukraine: Ein böser und ein unbefleckter Präsident
Was das Heute Journal bei Putin an Empathie vermissen lässt, das übertreiben sie maßlos gegenüber dem neuen ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, dem von Miosga alle Verdienste der Annäherung zugeschlagen werden:
„Und nun gibt es diesen neuen ukrainischen Präsidenten: Wolodymyr Selenskyj – er will den Krieg beenden. Selenski hat bereits Kriegsgefangene ausgetauscht und er will die ukrainischen Truppen zurückziehen, damit im Gegenzug dann auch die Separatisten zurückweichen von der Frontlinie.“
Beim Thema Ukraine-Gipfel (ab 10:28) wird diese Lobhudelei fortgesetzt. So sagt Miosga: „Er hat ihn versprochen, den Frieden: Doch für seine Vision ist Selenski bereit weiter zu gehen, als es manchen seiner Landsleute lieb ist.“ Und im folgenden Bericht heißt es: „Der junge ukrainische Präsident hatte Schwung in den festgefahrenen Konflikt gebracht.“ Dagegen könne von Putin „keiner sagen, ob er bereit ist, den Konflikt zu entschärfen.“ Und auch „die Kanzlerin bleibt skeptisch – sie traut Putin nicht.“
In der Welt von ARD und ZDF sind die Fronten also unverändert klar. Aber: Warum die berechtigte Kritik an schweren inhaltlichen Defiziten nicht in Forderungen münden sollte, das wichtige öffentlich-rechtliche Prinzip abzuschaffen, wird etwa in diesem Artikel beschrieben.
Anmerkung: Der letzte Satz wurde ergänzt.
Titelbild: 360b / Shutterstock