Die SPD bekennt sich zur Wiedereinführung der Vermögensteuer und Springers WELT bläst zur Gegenkampagne. Kristina Schröder und Ulf Poschardt erklären den Lesern dabei in einem Atemzug, warum es in Deutschland gar keine Ungleichheit gibt, diese nicht vorhandene Ungleichheit aber doch eigentlich etwas Positives und das Ergebnis einer freien und erfolgreichen Gesellschaft sei. Doch diese beiden Perlen der Meinungsmache sind nur die Spitze des Eisbergs einer in weiten Teilen hoch manipulativen Debatte. Von Jens Berger.
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Dass die wirtschaftsliberalen Medien nicht viel von einer stärkeren Besteuerung höherer Einkommen und Vermögen halten, ist nicht neu. Die Speerspitze der „Besitzstandswahrer“ im deutschen Medienbetrieb ist dabei seit geraumer Zeit die WELT aus dem Hause Springer. Kennzeichnend für deren einschlägige Artikel sind Verdrehungen und Manipulationen, mit denen Befürworter einer Vermögensbesteuerung das Wasser abgegraben werden soll. In fast allen Artikeln zum Thema tauchen dabei vier Elemente der Manipulation auf:
- Wenn es um Vermögen geht, wird plötzlich nur noch vom Einkommen gesprochen.
- Es wird mit ungeeignetem Zahlenmaterial gearbeitet.
- Die Zusammenhänge werden verschleiert.
- Wenn die Argumente ausgehen, wechselt man in die moralische Kategorie.
Kristina Schröder nimmt es mit Brecht auf
Der jüngste Meinungsbeitrag der WELT gegen eine Vermögensbesteuerung stammt von Kristina Schröder, die den meisten Lesern sicher besser unter ihrem Geburtsnamen Kristina Köhler bekannt ist. Schröder saß früher für die CDU im Bundestag, war zeitweise Bundesfamilienministerin und ist seit ihrem Ausscheiden aus der aktiven Politik im Jahr 2017 als Kolumnistin für die WELT tätig. Ihre Kolumnen glänzen dabei vor allem durch die intellektuelle Schlichtheit der Autorin. Um so erstaunlicher ist es, dass sie sich in ihrer aktuellen Kolumne mit dem vielsagenden Titel „Reiche sind nicht reich, weil Arme arm sind“ ausgerechnet an einem bekannten Zitat von Bertolt Brecht zum Thema Ungleichheit abzuarbeiten versucht.
„Reicher Mann und armer Mann standen da und sahn sich an. Und der Arme sagte bleich: Wär ich nicht arm, wärst du nicht reich.“
– Bertolt Brecht
„Es ist der alte Vorwurf von Bert Brecht, der Reiche habe sein Geld dem Armen weggenommen, zumindest könne der Arme deswegen nicht darüber verfügen, weil es der Reiche besitze. […] Es gibt eine feste Menge an Gütern, an Wohlstand. Und die Armen sind deshalb arm, weil die Reichen reich sind. Dieser Glaube, Wirtschaft sei ein Nullsummenspiel, ist intuitiv eingängig, aber ökonomisch ziemlicher Unsinn.“
– Kristina Schröder
Trotz der intellektuellen Schlichtheit ist Schröders Zitat auf den ersten Blick sogar einleuchtend. Das Problem: Es behauptet ja auch, die Wirtschaft sei ein „Nullsummenspiel“. An zwei einfachen Beispielen lässt sich aufzeigen, dass Brechts Zitat durchaus zutreffen kann.
Schauen wir uns als Erstes einmal die ökonomischen Folgen der Privatisierung eines Krankenhauses an. Organisch wachsen könnte ein solches „Unternehmen“ nur, wenn mehr Menschen krank würden, mehr – vielleicht unnötige – Eingriffe unternommen werden oder die Preise steigen; all diese drei Punkte kann man trotz gegenläufiger Entwicklungen erst einmal vernachlässigen. Privatisierte Krankenhäuser erwirtschaften ihre Renditen vor allem über eine Senkung der Betriebskosten und die Personalkosten stehen da an erster Stelle. Gehälter werden gedrückt, der Personalschlüssel wird herunter- und die Arbeitszeiten werden heraufgefahren. Um es ein wenig zuzuspitzen: Die Rendite des Krankenhausbetreibers wird vor allem dadurch erwirtschaftet, dass die Krankenpfleger und Ärzte schlechter bezahlt werden. Dies ist eine Umverteilung von unten nach oben und dies ganz ohne Nullsummenspiel.
Ähnlich verhält es sich bei der klassischen Vermietung von Wohnraum. Die Renditen des Immobilieneigentümers sind auf der anderen Seite die Mieten der Bewohner. Je höher die Miete, desto „reicher“ kann der Eigentümer werden und desto „ärmer“ wird der Mieter. Auch hier braucht es kein Nullsummenspiel, um die Zusammenhänge zu erklären.
Um Brecht widerlegen zu wollen, nennt Schröder daher auch andere weit hergeholte Beispiele. So führt sie allen Ernstes einen Basketballstar an, der an den Verkäufen der Eintrittskarten beteiligt ist und dadurch über eine Umverteilung einen Teil des Vermögens der Zuschauer bekommt, was jedoch für alle Beteiligten eine tolle Sache sei, da sie ja freiwillig die Karten kaufen. Die Botschaft: „Möchte man unter diesen Bedingungen eine bestimmte ´gerechte´ Verteilung durchsetzen, muss ein Staat permanent steuernd und maßregelnd in das Verhalten von Menschen eingreifen“; also im konkreten Kontext den Basketballfans verbieten, sich die Tickets zu kaufen. Das ist einerseits Unsinn, da der Staat über die Einkommensteuer selbstverständlich ohnehin „permanent steuernd“ eingreift und führt andererseits in die Irre, da hier einmal mehr ein Schwenk vom Vermögen auf das Einkommen vorgenommen wird. Was beim Einkommen ja in bestimmten Fällen durchaus mit einer plausiblen Freiwilligkeit zu erklären ist, greift beim Vermögen eben nicht.
Aber wie soll Kristina Schröder das verstehen? Für sie entsteht Vermögen ja auch folgendermaßen: „Die einen investieren ihr Geld in Aktien, andere in Urlaube, wieder andere in die Bildung ihrer Kinder.“ Getreu Äsops Fabel von der Ameise und der Heuschrecke ist der Vermögende also moralisch überlegen, da er sein Geld nicht verjubelt, sondern angelegt hat. Geht es auch noch schlichter? Natürlich.
Ulf Poschardt hält Ungleichheit für Freiheit
Immer wenn man meint, dümmer geht es nicht mehr, kommt von irgendwo Ulf Poschardt her. Der Chef der WELT-Gruppe und bekennende Porsche-Fan sieht einen zwingenden Zusammenhang zwischen Freiheit und Ungleichheit und rückt in seinem Artikel „Lob der Ungleichheit“ gleich im zweiten Absatz den Wunsch nach einer gerechteren Verteilung der Vermögen in die Nähe der Nazis, deren Antisemitismus „auch ein Hass auf die jüdischen Eliten der Weimarer Republik“ war und „den Volksgenossen eine Einebnung des Wohlstands auf gehobenem Niveau [versprach], wenn erst mal die vermeintlichen Parasiten des deutschen Volkes entfernt wären“. Das ist wohl die größtmögliche argumentative Moralkeule, die jedoch im Kontext zur heutigen Debatte so absurd ist, dass es Poschardt nicht bei diesem Scheinargument belassen will.
Stattdessen greift er ganz tief in den deutschen Mythenschatz und rekurriert auf die „Währungsreform als Ursprung [der angeblichen Gleichheit], in dem für einen kurzen, unwirklichen Augenblick alle gleich wenig Geld hatten“. Das ist gleich doppelter Unsinn, da selbstverständlich weder die Geld- noch die Sachvermögen nach der Währungsreform „gleich“ waren und die berühmt-berüchtigten 40 Mark nur die Startausstattung mit Bargeld betrafen; eine vollkommen unwichtige Kategorie.
Aber warum sollte man sich darüber überhaupt echauffieren? „Eine freie Gesellschaft produziert“ laut Poschardt nun einmal „Ungleichheit“. Und „eine erfolgreiche Gesellschaft toleriert soziale Unterschiede und besteht auf Chancengleichheit, die besonders vielen fleißigen Menschen den Aufstieg zu Wohlstand und Reichtum ermöglicht“. Demnach müsste jede Besteuerung von Vermögen ja eine Bestrafung der „fleißigen Menschen“ sein. Das hören die fleißigen Erben von Millionenvermögen in ihren Villen am Tegernsee und Sommerresidenzen in Kampen sicherlich gerne. Für eine ernsthafte Debatte disqualifiziert sich Poschardt mit derlei FDP-Schenkelklopfern jedoch.
Besonders amüsant ist, dass Poschardt zwei Absätze zuvor noch festgesellt hat, dass diese Beobachtungen ohnehin nur ein „Narrativ der Ungleichheits-Dämonisierer“ seien und der Gini-Index, der die soziale Ungleichheit misst, „in den vergangenen zehn Jahren gar nicht gestiegen“ sei. Das ist einerseits schlicht falsch und andererseits höchst manipulativ, da es sich hierbei nicht um den Gini-Index der Vermögensverteilung, sondern um den Wert für die Einkommensverteilung handelt. Edelfeder Poschardt verweist hierbei auf einen Artikel seines Kollegen Daniel Eckert, der als Finanzredakteur der WELT ein steter Garant für vollkommene ökonomische Ahnungslosigkeit ist.
Daniel Eckert und die falsche Zahlenbasis
Um zu belegen, dass Deutschland nicht immer ungleicher, sondern stattdessen sogar immer gleicher wird, greift Eckert in seinem Artikel „Deutschland, Land der Ungleichheit? Im Gegenteil!“ tief in die Trickkiste. Auch Eckert erwähnt die diesbezüglichen Zahlen zur Vermögensverteilung nicht, sondern greift stattdessen auf die Zahlen zur Einkommensverteilung zurück. Doch die passen hier nicht nur nicht, sondern haben auch noch einen entscheidenden Schönheitsfehler. Weder die offiziellen Zahlen der statistischen Ämter noch die Zahlen des SOEP des DIW, die dafür gerne verwendet werden, bilden hohe Einkommen ab. Bei den offiziellen Statistiken werden Einkommen über 18.000 Euro pro Monat als „statistische Ausreißer“ aussortiert – das mag für bestimmte Analysen durchaus sinnvoll sein, disqualifiziert die komplette Datenbasis jedoch für jegliche Aussagen zum Thema „Einkommensverteilung“, sind es doch genau diese Spitzeneinkommen, die im Rahmen einer Umverteilungsdebatte von Belang sind. Die Zahlen des DIW sind da kaum verlässlicher. Am SOEP nehmen zwar 12.000 Privathaushalte auf freiwilliger Basis teil – darunter befinden sich jedoch nur 20 Personen mit einem Vermögen von mehr als fünf Millionen Euro und kein einziger Teilnehmer mit einem Vermögen von mehr als 50 Millionen Euro[*].
Diese Zahlenreihen lassen also keine Aussagen zur Einkommensverteilung zu und eignen sich erst recht nicht für eine Analyse der Vermögensverteilung. Es ist schon fast tragikomisch. Eckert operiert hier mit einem Gini-Koeffizienten von 0,28. Bei einem Spektrum von 0 bis 1 ist dies ein sehr niedriger Wert. Der am ehesten korrekte Gini-Koeffizient für die Vermögensverteilung in Deutschland beträgt jedoch 0,816! Dies ist zumindest der Wert, den die Vermögensverwaltung der Credit Suisse in ihrem eigentlich sehr zuverlässigen World Wealth Report nennt. Dieser Wert ist übrigens einer der höchsten Werte weltweit. Deutschland steht damit auf einem Niveau mit Ländern wie Brasilien, Südafrika, den Philippinen und der USA, die für ihre massive Ungleichverteilung der Vermögen bekannt sind. In Ländern wie Belgien (0,603), Italien (0,669), Japan (0,626) und der Slowakei (0,498) sind die Vermögen wesentlich gerechter verteilt. 2010 lag dieser Wert für Deutschland übrigens noch bei 0,684. Deutschland ist also eines der Länder, in denen sich die Vermögen im letzten Jahrzehnt sogar im globalen Maßstab am stärksten auseinanderentwickelt haben.
In allen Artikeln der WELT zum Thema sind diese Zahlen natürlich nicht zu finden. Stattdessen kapriziert man sich auf andere Zahlen, die selbst auf einer mehr als wackligen Basis stehen – gerade so, wie es ins Konzept passt.
Titelbild: Artisticco/shutterstock.com
Aktualisierung, 19. Dezember 2019: Der Zeitpunkt seitdem Kristina Schröder für Die Welt tätig ist, wurde korrigiert.
[«*] Jens Berger, Wem gehört Deutschland?, Westend Verlag, Frankfurt, 2014