Der Rausschmiss des Kabarettisten Uwe Steimle beim MDR ist ein schlechtes Signal: Es zieht das eigene Mantra von der „Meinungsvielfalt“ in Zweifel und bestätigt rechte Klischees. Zusätzlich ist der strenge Umgang mit dem Fall heuchlerisch, wenn man bedenkt, welche Ausfälle sich andere Mitarbeiter der öffentlich-rechtlichen Sender leisten. Von Tobias Riegel.
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Der kürzlich vom MDR gekündigte Kabarettist und Schauspieler Uwe Steimle trifft nicht immer meinen Geschmack – einige seiner Äußerungen (privat und als Künstler) gehen mir geradezu gegen den Strich. Trotzdem bin ich der Meinung, dass ich diese Äußerungen aushalten muss. Und dass Steimle darum gegen den Rausschmiss verteidigt werden muss. Denn für die Beurteilung des Vorgangs sind weder Geschmack noch andere persönliche Befindlichkeiten die Richtlinie. Stattdessen sollten die Kriterien sein, ob Steimles Äußerungen klar falsche Tatsachenbehauptungen (jenseits privater Meinungen) enthalten oder in anderer Weise straf- oder arbeitsrechtlich relevant sind. Nach aktuellem Stand der Dinge scheint beides nicht der Fall zu sein – auch wenn öffentliche Kritik am Arbeitgeber formal arbeitsrechtliche Konsequenzen haben kann, so ist im konkreten Fall zu beachten, dass dieser Arbeitgeber das Recht auf die offene und kritische Aussprache oft genug selber betont.
MDR bestätigt Klischee vom kritikunfähigen Journalisten
Der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) beendet dennoch nach eigenen Angaben seine Zusammenarbeit mit Uwe Steimle. Die Sendereihe „Steimles Welt“ werde 2020 nicht mehr fortgesetzt, teilte der Sender mit.
Programmdirektor Wolf-Dieter Jacobi sagte demnach, Steimle habe in öffentlichen Äußerungen wiederholt die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Frage gestellt, etwa in einem Interview mit der rechten Wochenzeitung „Junge Freiheit“ im Jahr 2018. Darin habe Steimle dem MDR unter anderem mangelnde Staatsferne vorgeworfen. Nun habe Steimle nachgelegt. Mit seinen „neuerlichen öffentlichen Vorwürfen gegen den MDR wegen mangelnder Loyalität des Senders ihm gegenüber ist nun der Punkt erreicht, der eine weitere Zusammenarbeit für uns unmöglich macht“, erklärte der Programmdirektor.
Die Vorwürfe Steimles gegen den MDR wegen mangelnder Loyalität mögen teils übertrieben und zugespitzt formuliert gewesen sein – aber sie bewegen sich doch innerhalb eines (noch) akzeptablen Meinungsspektrums. Der MDR bestätigt darum durch seine überempfindliche Reaktion in sehr ungeschickter Weise das (teils stimmige) Klischee von den kritikunfähigen Journalisten und den Journalisten als Meinungswächtern. Dieser Eindruck ist fatal – man hätte ihn unbedingt und schon aus taktischen Erwägungen vermeiden müssen, selbst wenn man vom eigenen Standpunkt absolut überzeugt ist.
„Kampf gegen Rechts“ kann problematische Blüten treiben
Neben den öffentlichen Rügen Steimles gegen den MDR werden dem Schauspieler „rechte Tendenzen“ angekreidet. Der Vorgang zeigt einmal mehr: Das wichtige „Eintreten gegen die rechte Gefahr“ kann auch problematisch sein: Wenn (tendenziell linke) Medienkritik in die rechte Ecke gestellt wird, wenn die neuen rechten Tendenzen als Ursache und nicht als Symptom einer falschen Politik beschrieben werden, wenn an „rechte“ Äußerungen Maßstäbe der Seriosität angelegt werden, die von zahlreichen Journalisten (etwa bei den Themen Syrien, Russland, NATO, Krieg und Frieden) selber mit Füßen getreten werden und wenn Äußerungen als „rechts“ bezeichnet werden, die dieses Kriterium gar nicht erfüllen.
Die übertrieben erscheinende Kritik an Steimle wird auch dadurch zur Heuchelei, dass teils die gleichen Medien keine Einwände haben, wenn Erdogan als „Ziegenficker“ bezeichnet wird, wenn „Charlie Hebdo“ den Propheten Mohammed in eine Badewanne mit Blut setzt oder der russische Präsident als „Machthaber“, „Autokrat“ oder gar „Diktator“ verunglimpft wird. Einerseits darf Satire dann „alles“ – aber diese grenzenlose Toleranz kann sehr schnell vorbei sein, wenn diese Satire in die „falsche” Richtung läuft.
Was ist ein Steimle gegen Kriegspropagandisten?
Man muss feststellen, dass man sich beim Fall Steimle mitten in der aktuellen Begriffsverwirrung um „rechts“ und „links“ befindet. Und auch diese Frage drängt sich auf: Was ist ein Steimle gegen die sich mutmaßlich unter den Journalisten von ARD, ZDF und DLF befindlichen Kriegspropagandisten, die unbehelligt weiter ihr Werk verrichten dürfen?
Natürlich sollen sich die öffentlich-rechtlichen Sender nicht durch potenziellen Protest von berechtigten Personalentscheidungen abschrecken lassen, wenn die betreffende Person eindeutig bestimmte Standards verletzt hat – doch diese Eindeutigkeit ist bei Steimle eben nicht gegeben. Durch das überharte Reagieren auf Steimles Kritik an den Sendern demonstrieren diese Sender auch einmal mehr die Unfähigkeit, mit Kritik umzugehen – wären sie wirklich so unangreifbar, wie sie sich geben, so würden sie erheblich gelassener reagieren.
„Nicht links, nicht rechts“
Und auch bei der Beschreibung der Vorwürfe gegen Steimle nimmt es der MDR nicht allzu genau, wenn er etwa schreibt, Steimle sei „Mitunterzeichner der ‚Erklärung 2018‘ gegen ‚Masseneinwanderung‘“ gewesen. Das stimmt zwar – aber nur zum Teil, wie etwa der „Fokus“ schreibt:
„Steimle, eigentlich bekennender Wähler der LINKEN, vertrat in der Flüchtlingskrise deutlich rechte Thesen. Er zählte zu den Erstunterzeichnern der „Erklärung 2018“, die sich gegen die „illegale Masseneinwanderung“ nach Deutschland aussprach. Später zog er seine Unterschrift zurück. „Ich bin nämlich nicht links, ich bin nicht rechts, ich bin vorn“.“
„Claus Kleber ist der Karl-Eduard von Schnitzler der BRD”
Im Gespräch mit der rechten Wochenzeitung „Junge Freiheit“ hatte Steimle im Sommer 2018 gesagt, man dürfe nicht glauben, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk staatsfern sei. „Inzwischen weiß jeder, dass etwa Atlantikbrücke-Mitglied Claus Kleber der Karl-Eduard von Schnitzler der BRD ist, zusammen mit seiner Marionetta Slomka“.
Auch provozierte Steimle mit verfremdeter, aber trotzdem grenzwertiger rechter Symbolik. Für berechtigte Kritik sorgte er etwa, als er sich im Juni mit einem T-Shirt mit dem Aufdruck „Kraft durch Freunde“ ablichten ließ – eine Anspielung auf die NS-Organisation „Kraft durch Freude“. Sein „Kraft durch Freunde“-Shirt verteidigte Steimle im Juni in der „Bild“-Zeitung als zulässige Satire:
„Ich bin Satiriker! Vermutlich hätte Jan Böhmermann für diesen Spruch einen doppelten Grimmepreis mit Eichenlaub bekommen.“
Auf das Verhältnis Steimle/Böhmermann geht auch ein Leserkommentar beim „Tagesspiegel“ ein:
„Die Leute, die eh nie MDR einschalten würden (und erst recht nicht Steimle zusehen/zuhören), befürworten den Rauswurf von Steimle. Wen der MDR gegen sich aufbringt, sind die bisherigen MDR- und Steimle-Zuschauer (welche für die überdurchschnittlichen Quoten Steimles sorgten). Wer Böhmermann im ÖR feiert, muß auch Steimle ertragen können. Es gibt keinen Anspruch auf Abwesenheit einer von der eigenen abweichenden Meinung in der Öffentlichkeit. So etwas wäre totalitär statt demokratisch. Der ÖR muß nun mal die gesamte Gesellschaft wiederspiegeln, und da kommen Leute wie Böhmermann und Steimle vor. Ansonsten hat der ÖR keinen Daseinsanspruch.“
Steimle verteidigte sich laut „taz“ zuletzt in der „Thüringer Allgemeinen“. In einem Interview mit der Lokalzeitung im November sagt Steimle, auf die Äußerungen in der Vergangenheit angesprochen, er sei „ein Linker“, aber auch „ein freier Geist, der sich von niemandem vorschreiben lässt, wie er zu denken hat.“ Was den MDR angeht, sei er „entsetzt und traurig, dass der eigene Sender sich in dieser Situation nicht schützend vor einen stellt.“ Es war am Ende wohl diese Aussage, die für den Rausschmiss ausschlaggebend war.
Keine Loyalität vom MDR?
Diesen Grund der Kündigung kritisiert etwa das „Neue Deutschland“:
„Steimle ist einer, den man laut Gericht unter Umständen als »völkisch-antisemitischen Jammer-Ossi« bezeichnen darf. Das wäre ein Grund für einen Rauswurf gewesen, nicht »mangelnde Solidarität« mit einer pluralen Rundfunkanstalt.“
Die „taz“ sieht es ähnlich:
“Die Message ist fatal: Wer für den MDR arbeitet, muss nichts befürchten, solange sie oder er nur rechte Parolen bedient. Aber wer etwas gegen der Sender sagt, fliegt raus.“
Diese beiden Einwände beinhalten zwar zutreffende Aspekte, aber sie gehen trotzdem weit am Kern der Affäre vorbei. Gegenüber dem Nachrichtenportal tag24.de sagte Steimle letzte Woche, er habe vom MDR keine Gelegenheit bekommen, sich gegen die Vorwürfe zu wehren: „Ich wurde entfernt, das ist eindeutig Berufsverbot, Zensur ersten Grades.“ Und so wird der Vorgang auch von zahlreichen Bürgern wahrgenommen.
Steimle wuchs in Dresden auf und lernte Schauspiel in Leipzig. Nach der Wende wurde er zu einem der bekannteren Gesichter des Unterhaltungsfernsehens im wiedervereinigten Deutschland – vor allem als „Polizeiruf“-Kommissar Jens Hinrichs, wie etwa die „taz“ beschreibt. Berühmt geworden war Steimle in den 90er Jahren in der Rolle des ehemaligen Brigadeoffiziers Zieschong, so das „Neue Deutschland“.
„Kampfbeitrag, um Steimle zu diskreditieren“
Die Antwort des MDR auf Steimles Vorwürfe der Zensur, die etwa die „Morgenpost“ zitiert, klingt zynisch, wenn man bedenkt, dass Steimle vom MDR gerade eine Basis für seine Meinungsäußerungen entzogen wurde:
„Die Meinungsfreiheit zählt zu Grundpfeilern unserer Demokratie. Herr Steimle, Sie und alle anderen Menschen in Deutschland dürfen weiterhin alles sagen, was Sie möchten. Wir haben lediglich die Zusammenarbeit mit Herrn Steimle beendet.“
Schon im Jahr 2018 versuchte man Uwe Steimle mit Beiträgen in verschiedenen Medien zu schaden, betonen auch Dirk Pohlmann und Markus Fiedler. Pohlmann betont:
“Es ist ein politischer Kampfbeitrag, der den Zweck hat, Steimle so weit zu diskreditieren, dass der MDR sich überlegen soll, ihn aus dem Programm zu entfernen. […] Das ist kein Journalismus, das ist politischer Aktivismus der antideutschen Richtung […] Das ist der Versuch, jemandem etwas anzuhängen.”
In einem Video haben Pohlmann und Fiedler bereits im Sommer beschrieben, wie „Tagesspiegel“ und „ZAPP“ weiterhin gegen Steimle Stimmung machen:
Anmerkung unter dem Text: Im ersten Absatz wurde ein Satz ergänzt.
Titelbild: Naumova Ekaterina/Shutterstock