Der politische Journalismus und der Stress

Der politische Journalismus und der Stress

Der politische Journalismus und der Stress

Tobias Riegel
Ein Artikel von: Tobias Riegel

Eine Debatte unter Journalisten kann aufschlussreich sein. Die Runde „Politischer Journalismus im Stresstest“ zeigte: Noch immer wird von großen deutschen Medien eine Aufarbeitung der Kampagnen und eine echte Selbstkritik verwehrt. Von Tobias Riegel.

„Politischer Journalismus im Stresstest“ war eine Diskussionsrunde im Deutschlandfunk am Donnerstagabend überschrieben. Daran nahmen auch der Chef des „Heute Journals“ Wulf Schmiese und der Chefredakteur von NZZ.ch („Neue Zürcher Zeitung“) teil sowie Kristina Dunz von der „Rheinischen Post“. Die Runde war aufschlussreich und kann zu Einblicken in die Selbstsicht prominenter Journalisten dienen – vor allem in jene des „Heute Journal“-Chefs, der eine sehr unglückliche Figur abgegeben hat.

Leerstellen der Medien-Debatte: US-Kriege, Russland, Wirtschaftssystem

Prinzipiell ist anzumerken, dass auch diese Runde wichtige Aspekte außen vor gelassen hat – so dominierte auch hier der Tenor, dass die Konflikte um den deutschen Journalismus (neben den Problemen der Vermittlung in neuen technischen Formaten etc.) vor allem mit den „rechten“ Themen verknüpft seien – dass also ein der Zuwanderung angeblich zu freundlich gesonnener Journalismus (oder ein zumindest so wahrgenommener) den Hauptgraben zwischen Medien und Publikum ausmachen würde.

Dadurch werden einmal mehr all jene Themen ausgegliedert, die mindestens ebenso zu einer starken Entfremdung zwischen Medien und Medienkonsumenten beigetragen haben: so etwa die Berichterstattung über die US-geführten Kriege und Umstürze, die irrationale mediale Feindschaft gegen Russland, die kaschierte Wende-Kriminalität nach 1989 und eine notorische Verteidigungshaltung gegenüber einem wirtschaftsliberalen System, um nur einige umstrittene Themen zu nennen.

Die NZZ ist ein zum Teil kritikwürdiges Medium, dass sich einem „liberal-bürgerlichen“ Blick verschrieben hat und zunehmend auf das deutsche Publikum zielt – der Newsletter der Zeitung nimmt in Anspruch, „Der andere Blick“ zu sein. Durch diese Außenperspektive konnte der Chefredakteur Eric Gujer, trotz der teils kritikwürdigen Ausrichtung seines Mediums, auch interessante Aspekte zur Debatte hinzufügen. Etwa diesen:

„Die Journalisten in Deutschland sind im Stadium der beleidigten Leberwurst.“

Dies sei so, weil sie ihre Rolle als Gatekeeper verloren hätten. Mit den neuen Medien-Kanälen müssten sich die klassischen Journalisten arrangieren und es mache keinen Sinn, einfach weiterhin zu behaupten, sie selber seien die einzig Wirklichen und Wahren. „Diese Haltung nützt nichts, wenn die Konsumenten das nicht so sehen.“

Freiwilliger Konformismus unter Journalisten

Zudem stellt Gujer fest – zwar zur Flüchtlingskrise, aber dieser Befund kann auch auf andere Themen ausgeweitet werden:

„Es ist zur Flüchtlingskrise 2015 wissenschaftlich aufgearbeitet, dass es einen gewissen freiwilligen Konformismus der Medien gab, die sehr ähnlich über Sachverhalte berichtet haben. Das fällt auch mir und vielen Freunden aus der Schweiz auf: Es existiert in Deutschland eine relativ homogene Meinungslandschaft. Das ist einer der Gründe, weswegen sich viele Menschen nicht repräsentiert fühlen.“

Das wollte der indirekt angesprochene Chef des „Heute Journals“ Wulf Schmiese gerne als Geschäftsmodell der NZZ abkanzeln:

„Es ist schon ein Ding, uns einen freiwilligen Konformismus zu unterstellen.(…) Ich denke, das ist eine Mär, die als Werbemaßnahme funktioniert, auch für die NZZ. Es stimmt nicht: Wir bilden ab, was ist. Wir peitschen nicht auf, wir stellen dar, was ist. (…) Es ist nicht so, dass wir etwas verschweigen wollten, das ist nicht wahr, dass unterstellt wird, wir würden ein Gesinnungsmedium sein.“

„Heute Journal“: Vorwürfe abwehren, die gar nicht erhoben wurden

Schmiese nutzt für seine schwache Replik zwei Techniken: zum einen die subjektive Leugnung wissenschaftlicher Befunde („Ich denke, es ist eine Mär…“). Und zum anderen die Technik, in hysterischer Form Vorwürfe abzuwehren, die gar nicht erhoben wurden, etwa zur Berichterstattung zur Migration:

„Wir haben nicht bewusst etwas unterdrückt. Ich wüsste gar nicht, wer das machen sollte. Kommt da jemand aus der Tapetentür gesprungen und sagt: ‚Das schneiden wir raus!’? ‚Ich bin der Intendant, weil Frau Merkel hat mich angerufen.‘ Blödsinn! Bullshit! Absoluter Quatsch! Es gibt diesen Kontakt nicht. Ich habe das in der ganzen Zeit beim ZDF nie erlebt, dass sich irgendjemand aus der Politik beim ZDF beschwert hätte.“

Zum einen ist die letzte Aussage von Schmiese schwer zu glauben. Zum anderen: Das hat Gujer ja auch nicht gesagt – er hat von freiwilligem Konformismus gesprochen und nicht von erzwungener Zensur, wie er richtigstellt:

„Für die Situation 2015 ist der Befund keine PR-Maßnahme der NZZ, sondern ein wissenschaftlicher Befund des renommierten Medienwissenschaftlers Haller, der das untersucht hat im Auftrag einer Gewerkschaftsstiftung. Das Ergebnis ist klar: Es gab eine Konformität – nicht erzwungen, sondern freiwillig und durchaus beabsichtigt.“

Schmiese pariert das mit einer jener der Standard-Antworten, die erklingen, wenn Medien ein kampagnenhaftes Verhalten vorgeworfen wird.

„Wir haben auch massig Fehler gemacht – das ist doch klar.“

Medienkritik ist „rechts“ – ein grundfalsches Bild

Wie gesagt, Gujer und die NZZ sollen nicht als Gegenmodell zur deutschen Medienlandschaft stilisiert werden, schon allein deshalb, weil auch er die oben genannten Themen Krieg, Wirtschaftssystem etc. nicht in den Diskurs einführt. Dadurch festigt er das grundfalsche Bild, Medienkritik käme nur von „rechts“ und sie sei erst mit der Flüchtlingskrise 2015 entstanden und ausschließlich mit ihr verknüpft. Aber im Kontrast zu vielen etablierten deutschen Journalisten klingt seine Medienkritik schon akzeptabler:

„Dazu kommt, dass wir Journalisten lange Zeit relativ arrogant mit unserem Publikum umgegangen sind. Wir waren gewöhnt: Wir senden, die anderen empfangen – und damit ist es gut. Kritische Lesermeinungen wurden da schnell als Majestätsbeleidigung gesehen. Das ist vorbei. (…)
Es funktioniert auch nicht, Dinge totzuschweigen. Ich glaube, Journalisten in Deutschland haben in der Vergangenheit geglaubt, wenn wir über gewisse Dinge nicht berichten, dann finden sie auch nicht statt.“

Wenig Hoffnung auf Einsicht und dadurch auf positive Veränderung kann Schmiese dem entgegensetzen, wenn er auf die Frage, warum sich Konsumenten von den großen Medien abwenden, Symptome und keine Ursachen nennt:

„Es liegt an der Digitalisierung – weil die Leute das Gefühl haben, es denken doch Tausende wie ich, aber tatsächlich ist’s eben nicht die Masse.“

Ohne echte Selbstkritik keine Versöhnung mit den Medien

Solange aber die Verantwortlichen der großen Medien eine echte Selbstkritik weiterhin verweigern, solange sie mutmaßliche Kampagnen als „Fehler“ abtun und solange die Medienkritik pauschal in eine „rechte“ Ecke gestellt wird – solange werden die Krise und der Niedergang der etablierten Medien anhalten und solange wird es keine Versöhnung zwischen vielen Journalisten und dem vertriebenen Publikum geben.