Tweets der Außenminister Ernesto Araújo und Mike Pompeo bestätigen, dass zwischen Brasilien, den USA – die als erste das Regime in La Paz offiziell anerkannten – und den Putschisten in Bolivien eine offen zugegebene ideologische Einigkeit besteht. Ein Artikel von Frederico Füllgraf.
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Die Identifizierung der drei Parteien erreicht ihre Erhöhung in Selbstbeschreibungen Pompeos als „evangelikalem Krieger“, Araújos als „Kreuzzügler gegen den Globalismus“ und des bolivianischen Faschistenführers Luis Fernando Camacho als Auserlesener, der sich zutraut, „Gott in den Regierungspalast zurückzubringen”. Alle drei vereint die Besessenheit eines fundamentalistischen „Kulturkampfes“ gegen Russland, China, „den Marxismus“, den rooseveltschen Sozialstaat, den Klimawandel, die Erdrundung, die Menschenrechte sowie gegen die sozialliberale Agenda des Feminismus, des Anti-Rassismus und der LGBT-Rechte.
Die Chronik des angekündigten Staatsstreichs
Der Taifun für ein fundamentalistisch-faschistisches Weltsystem blähte sich in Bolivien auf, als während der frühen Amtszeit von Evo Morales die per Referendum verabschiedete bolivianische Verfassung den Begriff des „Plurinationalen Staates“ zur vorrangigen Förderung seiner mehr als 30 indigenen Völker aufnahm. Obwohl von Morales‘ einmaliger wirtschaftlicher Prosperität reichlich mit Pfründen versorgt, bedeutete der plurinationale Staat indigener Prägung eine Zumutung für die 15-prozentige weiße Großgrundbesitzer- und Viehzüchter-Minderheit, die nach wie vor weitreichende Kontrolle über Militär, Polizei, Medien und die stockkonservative Kirche im bolivianischen Nordosten behielt.
Im Jahr 2008 inszenierte diese Minderheit ihre erste Kraftprobe mit der Regierung Morales. Als Protagonisten der damaligen Konfrontation traten Gouverneure und Bürgermeister der als “Halbmond“ bekannten Region um Santa Cruz, Tarija, Beni und Pando sowie aus Chuquisaca auf, die den Verfassungsentwurf der Regierungspartei MAS ablehnten, autonome Regionalregierungen forderten und mit einer Abspaltung vom restlichen Bolivien drohten.
Am 11. September 2008 wurden bei Porvenir, im Regierungsbezirk Pando, mindestens 16 Bauern als Morales-Anhänger von einer Gruppe unbekannter Milizionäre umgebracht. Wenige Tage später stellte sich heraus, dass es sich in Wirklichkeit um mindestens 30 Tote und mehr als 100 Vermisste handelte. Die Untersuchung des Massakers wurde von der Generalstaatsanwaltschaft und einer internationalen Kommission von UNASUR durchgeführt.
Evo Morales befahl sodann die Ausweisung von US-Botschafter Philip Goldberg. Der US-Diplomat wurde der Aufwiegelung der Opposition zugunsten der Autonomie-Forderung und der Einmischung in die inneren Angelegenheiten Boliviens beschuldigt. Wenige Tage später reagierte der damalige US-Präsident George W. Bush mit der Aufnahme Boliviens in eine “schwarze Liste” der „Drogenhandel begünstigenden Regierungen“. Seitdem bestanden keine vollen diplomatischen Beziehungen mehr zwischen beiden Ländern.
Die O-Töne der Putschplanung
Eine Reihe von 16 O-Ton-Mitschnitten (fortan “Audios” genannt) enthüllte bereits Wochen vor den Präsidentschaftswahlen auf der Plattform Dropbox die Vorbereitung des Staatsstreichs durch – Zitat – „evangelikale Kirchen und die brasilianische Regierung” sowie Absprachen mit Politikern der USA und Israels. Brisanz erhielten die Audios erst, als sie Anfang November auch von internationalen Medien wie der Tageszeitung El Periodico aus Costa Rica aufgegriffen und als Soundcloud bekanntgemacht wurden.
Der Destabilisierungsplan war der bolivianischen Regierung bekannt und bildete den Hintergrund von Morales‘ wiederholten Warnungen vor einem Staatsstreich schon wenige Tage nach der angefochtenen Wahl vom 20. Oktober. Wie aus den Mitschnitten herauszuhören ist, war es das erste Ziel der Putschisten, „einen Generalstreik auszurufen, Einrichtungen der Regierungspartei niederzubrennen und auch die kubanische Botschaft anzugreifen”.
Ein anonym gebliebener Informant bestätigte der Tageszeitung, der Plan sei in mehreren Sitzungen vor den Wahlen vorbereitet und von der US-Botschaft in Bolivien unterstützt worden. In den Audios werden die amerikanischen Senatoren Ted Cruz und Marco Rubio zitiert, die direkten Kontakt zur bolivianischen Opposition pflegen sollen. Beide US-Senatoren der Republikanischen Partei und der exilkubanischen Szene Floridas haben bisher nicht auf den Vorwurf reagiert.
Die langen Arme des Bolsonaro-Regimes
In einem der Audios enthüllt einer der Regime Changer die Unterstützung „der evangelischen Kirchen und der brasilianischen Regierung“ und erwähnt einen mutmaßlichen „Vertrauensmann Jair Bolsonaros, der einen (bolivianischen) Präsidentschaftskandidaten berät“. Audio Nr. 5 nennt den Vertrauensmann nicht beim Namen, der Hinweis deckt sich jedoch mit Pressemeldungen vom Mai 2019 über häufige Treffen des brasilianischen Außenministers Ernesto Araújo mit dem fundamentalistischen Oppositionsführer Luis Fernando Camacho vom Bürgerkomitee Santa Cruz.
Ab der 8. Minute sagt einer der Putsch-Strategen: „Wir müssen anfangen, uns zu organisieren, um über Politik in den Kirchen zu sprechen. Wie in Brasilien, wo es bereits seit langer Zeit (evangelikale) Abgeordnete und Bürgermeister und sogar Gouverneure gibt“. In den letzten 3 Minuten desselben Mitschnitts wird auch die Unterstützung des Plans durch die israelische Regierung erwähnt.
Soviel ist jedenfalls dokumentiert: Luis Fernando Camacho wurde mehrmals von Bolsonaros Außenminister Ernesto Araújo in Brasilia empfangen. Ebenso fanden Gespräche zwischen Lulas Scharfrichter und dem amtierenden Justizminister Bolsonaros, Sergio Moro, mit Vertretern der bolivianischen Opposition statt.
Das erste Treffen zwischen Araújo und Camacho fand am 3. Mai, die letzten Begegnungen in Brasilia im August 2019 statt. Nach den Gesprächen gab Camacho offen zu, er habe von Araújo Anweisungen erhalten, wie er die bolivianische Verfassung im Kampf gegen die Wiederwahl von Evo Morales nutzen solle, und er versicherte, es bestehe eine „staatliche” Verpflichtung Brasiliens in der Angelegenheit.
Araújo – der gleiche, der die Wahl Alberto Fernández‘ in Argentinien als Sieg der „Mächte des Bösen” nannte – erklärte nach dem forcierten Rücktritt von Evo Morales, es gebe keinen Staatsstreich im Land. „In Bolivien gibt es keinen Putsch. Der versuchte massive Wahlbetrug hat Evo Morales – der angesichts des Aufschreis der Bevölkerung die richtige Entscheidung traf – delegitimiert. Brasilien wird den demokratischen und verfassungsmäßigen Übergang unterstützen. Ein Putsch-Narrativ dient nur dazu, Gewalt anzuregen“, erklärte Araújo.
Sergio Moro führte wiederum Gespräche in Portugal mit dem früheren bolivianischen Präsidenten Jorge Quiroga Ramírez und dessen damaligem Vize und jetzigem Präsidentschaftskandidaten und Morales‘ Hauptherausforderer Carlos Mesa. Quiroga war sichtlich von Eitelkeit gekitzelt und postete ein gemeinsames Foto mit Moro in seinen Netzwerken.
Mesa erklärte, er habe mit Moro über die „Ausbreitung der Korruption in Lateinamerika“ gesprochen, was einige Beobachter vermuten ließ, Mesa habe die Absicht, den von den USA geförderten Justizkrieg, genannt Lawfare, auf Bolivien in den politischen Kampf gegen Evo Morales zu übertragen. Quiroga händigte Moro einen Brief aus, in dem er Brasilien dazu aufforderte, den Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte nach der Rechtmäßigkeit der Kandidatur von Evo Morales anzurufen.
Was darauf folgte, ist typisch für Moros „Kriegsspiele“.
Kaum einen Tag nach dem Treffen von Bolsonaros Justizminister mit Kandidat Mesa veröffentlichte die brasilianische Website Terça Livre eine Fake-Geschichte mit folgender Schlagzeile: „Kokainladungen, die in Paraguay beschlagnahmt wurden, haben möglicherweise Verbindungen zu einem Minister von Evo Morales”. Herausgeber der Website ist ein gewisser Allan dos Santos, bekannt als notorischer Anhänger und „digitaler Berater” von Jair Bolsonaros Wahlkampagne. Am 18. Januar 2019 nahm Santos in Begleitung des Bolsonaro-Sohns Eduardo an einem Abendessen mit dem ehemaligen Donald-Trump-Strategen Steve Bannon in Washington teil.
Die Macht der brasilianischen Sojabarone
Zu Camachos Verbündeten gehören jedoch auch brasilianische Großgrundbesitzer und Sojabarone, die zwischen Mitte der 1980er und Anfang der 1990er Jahre über die Grenze nach Ost-Bolivien einsickerten und mit dem Anbau von Sojabohnen begannen. Sie sind gegenwärtig mit 35 Prozent an der 2,4 Millionen Tonnen schweren jährlichen Ölsaatenproduktion Boliviens beteiligt.
Die Sojapflanzer spielen seit Jahren eine aktive Rolle in der rechtsextremen Bewegung gegen Evo Morales und seine Partei. Der in Bolivien eingebürgerte, brasilianische Sojapflanzer José Guilherme Gomes dos Reis aus dem amazonischen Pará bewirtschaftet seit fast drei Jahrzehnten 6.500 Hektar Soja-Anbau in der Region Santa Cruz und bezeichnet Morales als „Diktator”. Wie der brasilianische Watchdog für Agrarpolitik De Olho nos Ruralistas berichtete, gehört Gomes dos Reis zur Gruppe der Soja-Millionäre, die Camachos rechtsradikales, evangelikal gesteuertes „Bürgerkomitee“ unterstützen.
Die Brasilianer sind mehrheitlich Bolsonaro-Anhänger und beteiligten sich beispielsweise acht Tage vor Evo Morales‘ Rücktritt mit der regionalen Landwirtschaftskammer an militanten Protesten gegen eine angebliche „Bedrohung des Privateigentums” durch die Regierung des MAS.
Die finanzielle Förderung des Pro-Santa-Cruz-Bürgerkomitees hält seit 20 Jahren an. Die Spenden erreichten bereits 2005 großzügige 50.000 US-Dollar. Die Militanz der Sojabarone verschärfte sich jedoch ab 2007, als die Regierung mit der neuen Verfassung die Rechte der örtlichen indigenen Bevölkerung gewährleistete.
Was Steve Bannon, via Brasilien, mit den Ereignissen in Bolivien am Hut hat, ist Gegenstand des kommenden Fortsetzungsberichts.
Titelbild: Tudoran Andrei / Shutterstock