Die Anzahl der zivilen Opfer durch Luftangriffe der USA in Somalia hat in den letzten Monaten massiv zugenommen. Dass man davon hierzulande kaum etwas hört, hat nicht nur mit dem generellen westlichen Desinteresse an Afrika zu tun, sondern wohl auch mit der Tatsache, dass Deutschland weiterhin eine aktive Rolle in diesem Konflikt spielt – nämlich als Mittäter. Von Emran Feroz.
Yusuf Hassans Körper ist entstellt. Die Verletzungen an seiner rechten Schulter fallen auf, sobald er seinen Oberkörper entblößt. Die Überreste des Schrapnells, das ihn getroffen hat, hat der Somalier immer noch bei sich. Doch während Hassan den Angriff überlebte, wurde sein Freund in Stücke gerissen. Beide wurden zum Ziel eines US-amerikanischen Luftangriffs in der Unteren Schebelle, einer Region in Somalia, die mittlerweile zu einem der Schauplätze des „Krieges gegen den Terror“ geworden ist. Die extremistische Gruppierung Al-Shabab ist hier präsent. Viele der US-Bombardements treffen allerdings, ähnlich wie an anderen Flecken der Welt, oftmals keine bewaffneten Kämpfer, die das US-Imperium hassen, sondern Zivilisten wie Hassan und seinen Freund. Amnesty International hat mehrere solcher Fälle dokumentiert und spricht offen von Kriegsverbrechen.
Auch Halimo Mohamed Abdi wurde zum Ziel eines Luftangriffs. Sie brach sich dabei ihre Hüften, während ein Schrapnell in ihren Oberschenkel eindrang. Aufgrund der schweren Schmerzen fiel sie ihn Ohnmacht. Kurz bevor das geschah, sah sie, wie drei Jungen im Alter zwischen neun und sechzehn Jahren von einer Explosion getötet wurden. Schauplatz des Geschehens war das Dorf Bariire, das rund fünfzig Kilometer von der Hauptstadt Mogadischu entfernt liegt. Abdi wurde in ein Krankenhaus gebracht und erst nach drei Monaten entlassen. Als sie in ihr Dorf zurückkehrte, fand sie ihr Haus zerstört vor. Ihre 25 Ziegen, von denen sie lebte, waren allesamt tot.
Mittlerweile lebt Abdi in einem Geflüchtetenlager nahe Mogadischu. Dort leben Zehntausende von Somalier, die vor den Luftangriffen der US-Amerikaner und den Kämpfen zwischen der Al-Shabab und den Milizen der Regierung geflüchtet sind. Die drei Jungen, die durch den Luftangriff getötet wurden, bezeichnete United States Africa Command, kurz AFRICOM, im vergangenen Mai als „Terroristen“, so wie die meisten anderen Menschen in Somalia, die durch klassische Luftangriffe oder Drohnen-Operationen getötet werden.
Der US-Krieg in Somalia tobt schon seit langem. Der erste Drohnen-Angriff im Land wurde von Barack Obama abgesegnet. Doch seit der Machtübernahme Donald Trumps hat sich die Zahl der Luftangriffe im Land verdreifacht, wie aus den eigenen Zahlen des Pentagons hervorgeht. Laut dem Bureau of Investigative Journalism in London fanden im laufenden Jahr mindestens 52 Luftangriffe in Somalia statt. Dabei wurden zwischen 315 und 325 Menschen getötet. Auch AFRICOM veröffentlicht regelmäßig Statements zu den jüngsten Operationen in Somalia. Die letzte Mitteilung ist im üblichen Neusprech verfasst. In Koordination mit der verbündeten Regierung in Mogadischu wurden demnach wieder einmal lediglich böse Al-Shabab-Terroristen angegriffen:
„In diesem Fall wird angenommen, dass der Luftangriff einen Terroristen getötet hat. Angriffe in der Region Jilib stören die Bewegungsfreiheit von al-Shabab. Das angegriffene Individuum hatte direkte Verbindungen zur Terror-Organisation al-Qaida.“
Dies soll die Wahrheit sein, und zwar die einzige. Wer die Version von AFRICOM in Frage stellt, wird nicht akzeptiert. Dies widerfuhr etwa dem Journalisten Nick Turse Ende 2017. Turse gehört seit Jahren zu den wichtigsten westlichen Beobachtern der US-Kriege auf dem afrikanischen Kontinent. Irgendwann wurde er dem Pentagon einfach zu ungemütlich und landete auf einer schwarzen Liste. „Wir betrachten dich nicht als legitimen Journalisten, Nick“, hieß es dann einfach.
Hinzu kommt natürlich, dass die Täter wissen, wie schwierig es ist, in Somalia vor Ort zu recherchieren. Der Staat gilt als „failed state“, unter anderem auch dank der US-Außenpolitik vor Ort, und wird von verschiedenen Gruppierungen, Milizen und Extremisten beherrscht. Trumps Vorgänger, Barack Obama, trug zur Eskalation im Land wesentlich bei. Im letzten Amtsjahr Obamas warf das US-Militär mindestens 26.141 Bomben in sieben verschiedenen, mehrheitlich von Muslimen bewohnten Staaten ab, unter anderem auch in Somalia. Noch in den letzten Tagen seiner Amtszeit erhöhte Obama die CIA-Autorität im Land. Dem Geheimdienst wurde praktisch jegliche Freiheit gewährt. Hinzu kam, dass Dank Obama die Al-Shabab-Miliz mit Al-Qaida in einen Topf geworfen wurde, um den „Krieg gegen den Terror“ in Somalia auf rechtlicher Basis in den USA zu erleichtern. Als Folge dessen wurde Al-Shabab mehr oder weniger für die Anschläge des 11. September mitverantwortlich gemacht, obwohl die Miliz erst Jahre später entstand.
Doch auch im Fall von Somalia gibt es nicht nur Täter, sondern auch Mittäter. Die Zentrale von AFRICOM befindet sich nämlich nicht in den USA, sondern in Deutschland. Alle Operationen, die das US-Militär in Afrika ausführt, werden von den Kelley Barracks in Stuttgart koordiniert. Dies bedeutet, dass auch die gezielte Tötung von besagten Zivilisten in Somalia in Stuttgart geplant und ausgeführt wurde. Umso erstaunlicher erscheint natürlich die Tatsache, dass im Kontext der Kriegseskalation in Somalia kaum über AFRICOM hierzulande berichtet wird. 2013 fokussierten sich die Süddeutsche Zeitung und der NDR auf die Machenschaften von AFRICOM und berichteten über zivile Opfer durch Drohnen-Angriffe. Diese Recherche war umfangreich und begrüßenswert, doch seitdem hat sich kaum etwas getan.
In der deutschen Öffentlichkeit sollte AFRICOM in diesen Tagen eine große Rolle spielen. Warum werden Menschen in Somalia und anderswo von deutschem Boden aus getötet? Warum lässt die Bundesregierung zu, dass das US-Militär von Stuttgart aus seinen Krieg in Afrika plant? All diese Fragen sollten gestellt werden. Alle Operationen sollten kritisiert und hinterfragt werden, denn die Beweislast ist erdrückend. Doch nichts geschieht. Es gibt zwar immer wieder Kundgebungen, die auf diese Umstände aufmerksam machen. Die breite Öffentlichkeit erreichen diese allerdings noch lange nicht. Ähnlich verhält es sich mit einigen Medienberichten.
Und was sagt eigentlich die Bundesregierung dazu? Richtig. Nichts. Gar nichts. Man könnte fast schon meinen, dass AFRICOM gar nicht existiert, genauso wenig wie Somalia oder Libyen. Und auch lokale Medien könnten kritischer berichten. In einem Bericht der „Stuttgarter Nachrichten“ aus dem vergangenen Juli wird von einem „vorsichtigen Optimismus für Somalia“ schwadroniert, während der Großteil des Textes sich auf den neuen AFRICOM-Befehlshaber, Stephen J. Townsend, konzentriert, der sich „fast wie ein kleiner Junge auf Deutschland freut“. Zivile Opfer? Ausweitung des Schattenkrieges und Eskalationen in mehreren Staaten? Fehlanzeige. So kann man sich die Realität auch schönreden.
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