In der vergangenen Woche fanden in London wieder einige Veranstaltungen zur Unterstützung von Julian Assange statt. Ich reiste an, um daran teilzunehmen und mir auch sonst ein Bild von der Lage im Allgemeinen zu machen. Die Stimmung auf der Straße bzw. an öffentlichen Orten ist zumindest in London eigentlich recht gut und entspannt und korrespondiert nicht unbedingt mit dem chaotischen Brexit-Bild, welches die Medien durchzieht. Vielleicht sind die Briten bzw. Londoner einfach sorgloser oder sie sind Rheinländer nach dem Motto „Et hätt noch emmer jot jejange“ und wahrscheinlich funktionieren auch hier „Brot und Spiele“. Ein kurzer Reisebericht von Moritz Müller.
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Letzte Woche in London
Den Auftakt machte die Londoner Rapperin M.I.A. mit einem Konzert vor dem Innenministerium in Westminster. Ihr nachdenkliches Interview direkt nach einem Besuch bei Assange im Londoner Belmarsh-Gefängnis hatte mich neugierig gemacht. Ihr Auftritt war dann auch bemerkenswert und ihre Popularität hilft dem Anliegen von Julian Assange sicher enorm weiter. Mir gefallen aber wie gesagt nicht nur M.I.A.s leise Töne auch gut.
Mit leiser Stimme brachte auch Assanges Vater John Shipton seine Überzeugung zum Ausdruck, dass „wir gewinnen werden“. Nach der Veranstaltung unterhielt ich mich mit ihm im Pub und auf meine Frage, welchen Eindruck sein Sohn bei seinem Besuch gemacht habe, antwortete er zu meiner Freude, dass es ihm wohl ein bisschen besser gehe. John Shipton schien mir auch weniger müde zu sein als bei unserem letzten Treffen in Dublin. Er war schon wieder auf dem Sprung nach Italien, um sich dort mit Politikern und Journalisten zu treffen. Am 27. November wird er mit einigen anderen vielversprechenden Personen auf einer öffentlichen Veranstaltung in Berlin zugegen sein.
Weitere Redner waren die Modedesignerin Vivian Westwood, die Chelsea Manning und Julian Assange seit Jahren unterstützt. Der Rapper Lowkey blieb leider im Stau stecken und er beantwortete erst nach dem Konzert einige Fragen.
Auch der kroatische Philosoph Srećko Horvat hatte Julian Assange an diesem Tag im Gefängnis besucht. In seiner kurzen Rede vor M.I.A.s Auftritt schilderte er, wie wohltuend das Wissen um seine Unterstützer für Julian Assange sei. Er verlas auch eine Botschaft von Julian Assange für die zuschauenden Unterstützer: „This is not about me, this is about you! (Es geht nicht um mich, es geht um Euch)“. Srećko Horvat erklärte seine Interpretation, nämlich dass es hier um Pressefreiheit, Meinungsfreiheit und Demokratie geht, eine Sichtweise, die auch die NachDenkSeiten-Artikel zum Thema Assange durchzieht. Auch Srećko Horvat zeigt sich zuversichtlich, dass es gelingen wird, Julian Assange zu befreien. Wie so oft frage ich mich, ob hier Zweckoptimismus spricht, und das ist sicher auch teilweise so, aber andererseits scheinen seine Unterstützer mittlerweile breiter aufgestellt als noch vor sechs Monaten. Es fehlt auch immer noch der entscheidende Durchbruch.
Am nächsten Tag bin ich Srećko Horvat wiederbegegnet, auf einem Workshop, der mir am Rande des Konzerts empfohlen wurde. Der Aufhänger der Diskussion ist „Extinction Rebellion/XR“, und alle sind gefragt, ihr Wissen und ihre Meinung dazu, und zu politischem Aktivismus generell, kund zu tun. Am Ende ergibt sich kein klares Bild für uns. Es wird begrüßt, dass wieder vermehrt Menschen für Umweltschutz auf die Straße gehen, aber es werden auch die unklaren Ziele von XR erwähnt. Die proklamierte Gewaltfreiheit wird positiv gewertet, andererseits wird die Frage gestellt, warum XR in London den ÖNPV blockiert hat und nicht etwa Tankstellen. Auch dass die XR-Aktivisten keinen repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung darstellen, wird angemerkt, und dass der Bewegung etwas Kultartiges anhaftet. Insgesamt ist es eine lebendige Diskussion, die Srećko Horvat hier auf unprätentiöse Weise moderiert hat. Ich hoffe, dass man noch mehr von ihm hören wird.
Am Abend hatte ich dann noch ein interessantes Gespräch, in dem es unter anderem auch um die Strategie der Verteidigung im Fall Assange ging. Meine Gesprächspartner, die einen relativ guten Einblick zu haben scheinen, meinten, dass es gegen diese entschlossene Anklage auch einer entschlossenen, robusten und einfallsreichen Verteidigung bedürfe. Die beiden hatten keine Zweifel an der Redlichkeit des Anwaltsteams von Julian Assange, gaben aber zu bedenken, dass viele der Beteiligten schon seit Jahren mit dem Fall beschäftigt sind und ähnlich ermüdet sind wie Assange selbst. Wir sprachen dann auch noch über die Hoffnung, dass in dieser Geschichte noch ein Emile Zola auftaucht, mit einem „Ich klage an!“, aber es fiel uns an dem Abend keine prominente britische Persönlichkeit ein, die für eine solche Intervention in Frage käme, und auch jetzt warte ich noch auf einen Geistesblitz.
Am Donnerstag gab es dann das erste Treffen einer neuen Unterstützerinitiative im benachbarten Oxford, ein weiteres Indiz, dass die Unterstützung an Fahrt gewinnt, auch an anderen, kleineren Orten.
Am Samstag machten wir uns mit einem Londoner Flussbus von Westminster Pier, im Schatten von Big Bens Glockenturm, auf nach Osten in Richtung Greenwich und Belmarsh. Auf der Fahrt in dem komfortablen Boot inklusive Cafeteria und Bar zieht die britische Hauptstadt an einem vorbei, geschichtsträchtig seit der Zeit der Römer, aber leider nicht immer ruhmreich, wie auch im Fall Assange. Von Greenwich mit seinem Null-Meridian kann man entweder ein weiteres Boot nehmen nach Woolwich Arsenal, den Zug nach Plumstead nehmen oder man nimmt den Doppeldecker-Bus wie wir.
Am Gefängnis sind schon einige Aktivisten versammelt, darunter auch die engagierten Damen vom Free Assange Committee Germany, die mir am Abend vorher von ihren Anstrengungen in Düsseldorf und Frankfurt erzählt haben. Insgesamt trotzen am Ende ca. 50 Demonstranten dem Londoner Schmuddelwetter und hören den Redebeiträgen zu, von denen einige brillant sind und andere weniger. Während ich die andauernden „Free Assange“-Rufe höre, frage ich mich, welchen Eindruck dies wohl auf die anderen Gefängnisinsassen macht, die hier zu ähnlich harschen Bedingungen festgehalten werden, und wohl teilweise genauso unschuldig sind, wie Julian Assange zu sein scheint. Selbst zurecht verurteilte Verbrecher sollten nicht 22 Stunden am Tag alleine vor sich hinvegetieren, weil angeblich kein Geld da ist für einen humaneren Strafvollzug.
Ich habe dann noch einige Sätze gesagt und meine Solidarität auch mit diesen Menschen nicht nur in Belmarsh bekundet. Da denke ich an den heute in Neuseeland angekommenen Behrouz Boochani und an seine Mitgefangenen, die auf Papua-Neuguinea in von Australien finanzierten Lagern ihre Freiheit hinter sich lassen mussten. Und auch die sind wieder „nur“ ein Teil der Spitze des Eisbergs, und auch Assange ist „nur“ das sichtbare Zeichen für die Unzulänglichkeit der Justiz auch in Ländern mit politischen Systemen unserer Prägung. Wahrscheinlich tut sich die australische Regierung auch deshalb so schwer mit einem Einsatz für Assange.
Bei der Demo in Belmarsh frage ich mich auch nach dem Sinn, wenn man nicht so gewaltfrei auftritt, dass auch die Gegenüber die Möglichkeit haben, mit einem zu reden. In Belmarsh geht das natürlich nicht, denn wahrscheinlich würde kein Wärter gerne im Gespräch mit Demonstranten gesehen werden. Die Polizisten beim M.I.A.-Konzert, die ja auch Diener des Staates sind, der Assange zurzeit malträtiert, waren da schon aufgeschlossener und haben uns zugehört, auch wenn sie selber im Dienst nicht ihre Meinung kundtun dürfen.
Insgesamt kann man sagen, dass London „brummt“ wie eh und je und dass an allen Ecken und Enden gebaut wird und die Stadt auch im November voller Touristen ist. Allerdings fielen mir auch schockierende Legionen von Obdachlosen und Benachteiligten auf, die inmitten des an manchen Stellen in London unglaublichen Reichtums und Luxus wie ein Menetekel wirken. Diese Menschen scheinen ähnlich abgehängt zu sein wie die Gefangenen in Belmarsh.
Der Brexit und die in Kürze anstehenden Unterhauswahlen waren natürlich Themen, denen ich immer wieder begegnete. Die Brexit-Differenzen ziehen sich tatsächlich quer durch das politische Spektrum. Die B&B-Besitzer, sozusagen Kleinunternehmer und waschechte Londoner, bezeichnen den Brexit als den größten Humbug, den sie je beobachtet haben, wohingegen die Assange-Unterstützer, die sich auch aktiv für die Wahl von Jeremy Corbyn einsetzen, meinen, dass die EU ein verabscheuungswürdiges Monstrum sei und das Vereinigte Königreich nur eigenständig zu sozialer Gerechtigkeit finden könne.
Die Zukunft wird es vielleicht zeigen. Es ist auch in London schwer, die Chancen der Labour-Partei und Corbyns einzuschätzen. Auf jeden Fall fährt das Establishment mit Hilfe der Boulevardpresse und von Labour-Abtrünnigen eine ausgesprochene Kampagne gegen Corbyn. Inwieweit die verfängt und wieviel der clowneske Boris Johnson sich selbst schadet, ist schwer abzuschätzen. Eine Labour-Regierung würde hoffentlich ein freundlicheres Klima für Assange schaffen.
Am 14. November im EU-Parlament
Ein weiteres Indiz für die Konsolidierung des Widerstandes gegen die Auslieferung von Julian Assange an die USA ist das Auftreten von David Greene, Electronic Frontier Foundation, des ehemaligen australischen Außenministers Bob Carr via Videolink und des UN-Sonderbeauftragten für Folter, Nils Melzer, am heutigen Donnerstag im Europaparlament bei der Veranstaltung „Journalism Is Not A Crime – The Assange Extradition Case“. Die drei waren auf Einladung der unabhängigen irischen Abgeordneten Clare Daly, Luke „Ming“ Flanagan und Mick Wallace dort zu Gast und gaben gegenüber den Parlamentariern Stellungnahmen (auf Deutsch umschaltbar) ab und beantworteten Fragen aus dem Publikum.
Hier gibt es einige schriftliche Auszüge und nachfolgend habe ich interessante Passagen übersetzt.
Clare Daly:
„Die ist der wichtigste Pressefreiheitsfall der Gegenwart. Hier gibt es keinen Platz für Spaltung. Diese Anklage stellt eine ernste Gefahr dar für Menschen- und Bürgerrechte …Wir wollen, dass sie diese Informationen nutzen, um den Diskurs zu verändern. Wäre diese Anklage 2011 erhoben worden, wäre die ganze Welt in heller Aufregung gewesen. Wir müssen dahin zurück und diesen Ärger nutzen“
Nils Melzer:
„Zum Rechtsstaatsprinzip, Assange hat erst im Oktober seine juristischen Dokumente erhalten. Wie ist das möglich, im Vereinigten Königreich? Dass ein Angeklagter sich verantworten soll zu einer Anklage, die er (noch) nicht studieren konnte? … Ich habe Schweden 50 Fragen gestellt, zu 50 Verletzungen der Rechtsstaatlichkeit. Ich bin der schwedischen Sprache mächtig und kann Schwedisch lesen und ich konnte die Originaldokumente lesen. Schwedens Antwort, empfangen am 11. November, kein Kommentar.“
Nils Melzer:
“Ecuador hat mir einen sehr langen Brief geschickt, in dem Assange aller möglichen Dinge bezichtigt wurde, hauptsächlich ging es um Unordnung und seine Katze … das ist nicht diskussionswürdig. Es gilt ernste Regierungsverfehlungen zu untersuchen. … Der Gesundheitszustand von Herrn Assange verschlechtert sich, so wie man es erwarten kann unter diesen Umständen … er wird auf unbestimmte Zeit festgehalten, unter Bedingungen, die definitiv inhuman sind. Ich fürchte um sein Leben und ich glaube, dass dies nicht ernst genug genommen worden ist.“
Mick Wallace MdEP:
„Assange hat den Vorhang gelüftet von Regierungs- und Konzernkriminalität. Durch seine journalistische Arbeit war er näher an der Schmerzgrenze, als er vielleicht selbst erwartet hätte, und nun zahlt er den Preis dafür.“
Bob Carr:
„Die Haftbedingungen von Julian Assange müssen angesprochen werden. Falls er im Gefängnis sterben würde, dann würden die Finger mit einiger Berechtigung auf die Politiker zeigen, die es erlaubt haben, dass er unter Hochsicherheitsbedingungen inhaftiert ist. … Ich appelliere an meine britischen Freunde: Ihr habt mehr auf dem Kasten als dies, falls britisches Recht etwas bedeutet, dann bedeutet es, dass man diesen Burschen aus dem Hochsicherheitsgefängnis herausholt und zusieht, dass er vollen Zugang zu seinen Rechtsanwälten und zu seinen Akten bekommt … Australien sollte dafür sorgen, dass dieser Fall leise zu den Akten gelegt wird und dass er in der Zwischenzeit humane Haftbedingungen bekommt.“
Das sind starke Worte vom ehemaligen australischen Außenminister und vom UN-Sonderberichterstatter. Hoffentlich finden sie und alle anderen in diesem Bericht Gehör.
An dieser Stelle möchte ich nochmals darauf hinweisen, dass man an Julian Assange schreiben kann, an die folgende Adresse:
Mr. Julian Assange
DOB: 3/07/1971 HMP
Belmarsh Western Way
London SE 28 0EB
United Kingdom
Die Behörden lassen angeblich nur weiße Umschläge und weißes Papier passieren und der Absender muss genannt sein. Für eine Rückantwort braucht man einen mit GBP 1,35 frankierten und adressierten Rückumschlag. Auf dass eine rege Briefkorrespondenz ihm über dunkle Stunden hinweghilft.