Nach den letzten Wahlen am 28. April dieses Jahres hörte Pedro Sánchez – im Siegesrausch, aber ohne Mehrheit – nicht auf, die sozusagen naturgesetzlich zwingende Bildung einer sozialistischen Regierung zu verkünden, obwohl dem PSOE mit seinen 123 Sitzen im Parlament 43 Stimmen für die absolute Mehrheit fehlten. Er klagte regelrecht die 42 Stimmen des Linksbündnisses Unidas Podemos ein, ohne jede Gegenleistung, ohne dass ihm auch nur die Notwendigkeit einer Koalition in den Sinn gekommen wäre. Von Eckart Leiser.
Die Hartnäckigkeit des Verhandlungsführers von Unidas Podemos, Pablo Iglesias, der, auf die überwältigende Mehrheit von Koalitionsregierungen in Europa verweisend, auf einer angemessenen – d.h. proportionalen – Beteiligung an einer „fortschrittlichen“ Regierung bestand, führte dann zwar zu einem kurzzeitigen Nachgeben von Pedro Sánchez. Dieses bestand in dem Angebot einer Vizepräsidentschaft und von 3 der 18 Ministerien, nämlich den mit den geringsten Kompetenzen – die Hälfte einer proportionalen Beteiligung, die Unidas Podemos mit 42 Abgeordneten gegenüber dem PSOE mit 123 Abgeordneten zugestanden hätte. Nach der Bitte auf eine „Nachbesserung“ brach Sánchez die Verhandlungen ab. Die Hoffnung, dass die Verhandlungen nach Ende der Parlamentspause im September wieder aufgenommen würden, war vergeblich.
Anscheinend waren die Berater von Sánchez aufgrund der seinerzeitigen Umfragen zum Ergebnis gekommen, die beste Option wären Neuwahlen, aus denen der PSOE stärker – vielleicht sogar mit absoluter Mehrheit – hervorgehen würde. Ohne viel Zögern gab dann Sánchez den Auftrag zur Regierungsbildung zurück und es wurden Neuwahlen für den 10. November angesetzt. Dann kam aber alles ganz anders: Nach der Verurteilung von neun Führern des katalanischen Unabhängigkeitsprojektes zu langjährigen Haftstrafen geriet Katalonien fast aus den Fugen, das Versprechen von Wohlstand und Wachstum machte den Nachrichten von wachsender Arbeitslosigkeit und einer heraufziehenden neuen Wirtschaftskrise Platz und die rechtsextreme Partei Vox rief in allen Medien zur Rettung des spanischen Vaterlandes auf: „Viva España“.
Der PSOE setzte alldem im Wahlkampf dann keinen einzigen überzeugenden Vorschlag entgegen, weder zur Lösung des Katalonienproblems noch zu einer sozialen Bewältigung der Krise. In einer Fernsehdebatte der fünf wichtigsten Kandidaten für die Präsidentschaft kam von Pedro Sánchez keine einzige neue Idee. Schlimmer noch: Er hörte sich fast gelangweilt die faschistischen Ausbrüche von Santiago Abascal, Kandidat der rechtsextremen Partei Vox, an. Auch von deren rechten Rivalen, den Parteien PP und Ciudadanos, wurde dessen faschistischer Botschaft in dieser Debatte fast nichts entgegengesetzt. Wie sollten diese auch? In drei autonomen Regionen werden Koalitionsregierungen zwischen PP und Ciudadanos von Vox gestützt. Die Frivolität im Umgang mit dieser im Francogeist agierenden Partei geht so weit, dass die Regierung in Madrid aus PP und Ciudadanos wenige Tage vor der Wahl die klar verfassungswidrige Forderung von Vox nach einem Verbot der katalanischen Parteien unterstützte.
Das Ergebnis dieser politischen Zockerei der sozialistischen Partei liegt jetzt vor: Statt zu gewinnen hat der PSOE drei Sitze im Parlament verloren (von 123 auf 120), Unidas Podemos 7 Sitze (von 42 auf 35), davon drei an die Abspaltung Más País. Die Rechtspartei PP hat 22 Sitze dazugewonnen (von 66 auf 88). Die rechtsextreme Partei Vox hat sich von 24 auf 52 Sitze mehr als verdoppelt und die Partei Ciudadanos, die vor wenigen Jahren als „liberales Zentrum“ angetreten war, hat sich praktisch in Luft aufgelöst (von 66 auf 10 Sitze): von den Faschisten und der Rechtspartei PP absorbiert.
Außerdem hat sich die Fragmentierung des Parlaments nochmals verstärkt: Statt 13 sind dort jetzt 16 Parteien vertreten und eine „fortschrittliche“ Mehrheitsregierung ist weniger denn je in Sicht. Für eine nicht von der Duldung des PP abhängige, wohl aber auf die Unterstützung der von Ciudadanos übriggebliebenen 10 Abgeordneten angewiesene Regierung wären zehn (10!) Parteien notwendig. Die einzige stabile „Alternative“ wäre eine „Große Koalition“ aus PSOE und PP. Beide Parteien weisen diese Option zurzeit noch scharf zurück, aber wer weiß…
Das politische Erdbeben ist damit jedoch noch nicht am Ende: Wie soll eine Demokratie funktionieren in einem Land, in dem 3.640.063 Franco-Erben, die Wähler von Vox, plötzlich aus ihren Löchern hervorgekommen sind, von einer Partei vertreten, die im Unterschied zur AfD ungeniert im faschistischen Geist agiert und gegen die bisher keinerlei rote Linie gezogen worden ist? Das politische Erdbeben wird zudem in den autonomen Regionen zu spüren sein: Die praktisch verschwundene Partei Ciudadanos regiert in Andalusien, Madrid, Murcia und Castilla y León in Koalition mit dem PP. Wie soll das weiter funktionieren, wenn ihre Wählerbasis sich auch dort praktisch in Luft aufgelöst hat?
In Spanien stehen ungewisse Zeiten bevor. Keiner kann zurzeit die Kosten der missglückten Zockerei von Pedro Sánchez abschätzen.
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