Die aktuelle TV-Serie „Jack Ryan“ ist aufwendige und dreiste Meinungsmache: gegen Russland und gegen Venezuela. Die geopolitischen Tatsachen werden in dieser teuren Amazon-Produktion auf den Kopf gestellt – der Konzern offenbart ein bizarres politisches Sendungsbewusstsein. Von Tobias Riegel.
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Seit einigen Tagen ist beim Video-Streaming-Dienst „Amazon-Prime“ die Fortsetzung der aufwendigen und kostspieligen TV-Action-Serie „Jack Ryan“ zu sehen. Der CIA-Agent Jack Ryan stößt hier auf mutmaßliche heimliche Waffenlieferungen Russlands an die „autokratische“ Regierung Venezuelas. Der Trailer der TV-Serie und die ersten Folgen enthalten zahlreiche propagandistische Verzerrungen, die selbst die übliche „patriotische“ Stoßrichtung vieler US-Filmproduktionen noch weit übertreffen. Die Serie stellt die geopolitischen Realitäten auf den Kopf – die Produktion ist darum skandalös.
Atomwaffen für „gescheiterte Staaten“ – So macht das Russland eben
Zu den besonders auffälligen Behauptungen der Serie gehört zunächst die konstruierte Grundsituation: Die CIA findet Anhaltspunkte, nach denen es möglich erscheint, dass Russland dem „autokratischen” Präsidenten Venezuelas Bio- oder Atomwaffen liefert. Denn so macht das Russland eben: Es kapert „gescheiterte Staaten“, rüstet diese aus und lässt sie dann die Drecksarbeit gegen die USA machen. Der US-Geheimdienst ist also alarmiert – denn, wie Jack Ryan in der Serie behauptet:
„Von einem nuklear ausgerüsteten Venezuela werden wir nichts in den Nachrichten hören – denn dann sind bereits alle tot.“
Zu dieser Aussage, Venezuela erbitte und erhalte von Russland Atomwaffen, um die USA zu vernichten, äußerte sich etwa Jack Mirkinson auf dem US-Nachrichtenportal „Splinter-News” mit angemessenem Zynismus: “Ich denke, Venezuela will viel mehr eine stabile Währung und die verbindliche Zusage, dass die USA nicht intervenieren, als eine Atomwaffe“, schrieb Mirkinson. “Aber wer bin ich, an dieser Art von Propaganda herumzukritteln?“ Die Regierung Venezuelas bezeichnete Amazon wegen der Produktion als eine „Gringo-Propaganda-Maschine“, wie Medien berichten.
CIA-Agenten ringen „verzweifelt“ die Hände – wegen selbst gemachter Krisen
Weitere (ausgewählte) Verzerrungen allein in den ersten Folgen der neuen Staffel beziehen sich etwa auf US-Behauptungen zu „gescheiterten Staaten“. Der Protagonist nennt dazu die Staaten Jemen, Irak und Syrien – also allesamt Staaten, die direkt oder indirekt (über Verbündete) von den USA zum „Scheitern“ gebracht wurden, was in der Serie weitgehend unterschlagen wird: So kann der gewünschte Eindruck entstehen, die US-Amerikaner würden die Hände ringen über diese humanitären Katastrophen, die nach dieser falschen Sichtweise irgendwie „aus sich selbst heraus“ entstanden sind. Dazu ist zu sagen, dass die genannten Staaten nicht „gescheitert“ sind, sondern aktiv zerstört wurden.
Ähnlich wird mit der Situation in Venezuela verfahren – Ursache und Wirkung werden verschwiegen oder gleich ganz auf den Kopf gestellt. Immer wieder wird die „verzweifelte“ Frage gestellt: „Wie kann es sein, dass in diesem reichen Land eine solche Armut und eine solche Korruption herrschen?“ Dabei fällt kein Wort etwa zu dem seit langem gegen Venezuela geführten internationalen Wirtschaftskrieg, der auch zahlreiche mutmaßlich illegale Sanktionen beinhaltet. Auch hier werden die Hände gerungen – bis die US-Amerikaner sich schweren Herzens und „wider Willen“ zu radikalen, verdeckten und in jeder Hinsicht illegalen militärischen Interventionen in Venezuela entschließen: wegen einer „humanitären Katastrophe“, die man selber, wenn nicht allein geschaffen, so doch zumindest erheblich verschärft hat. Der Verdacht, dass das Publikum dadurch auf geplante und reale Interventionen vorbereitet werden soll, wiegt schwer.
Verzerrungen und Klischees für 100 Millionen Zuschauer
Ein weiteres Problem der Serie ist die unredliche Vermischung von „Realität“ und propagandistischer Fiktion. So heißt der venezolanische Präsident – wie sein reales aktuelles Vorbild Maduro – einerseits mit Vornamen Nicolás, er wird aber andererseits als ein rückständiger Autokrat mit monarchischem Gehabe gezeichnet. Auf der anderen Seite werden in Bezug auf die politischen Lager in Venezuela extra ästhetische Verwirrungen gefördert: So wird der Präsident als volksferner und selbstsüchtiger Diktator gezeichnet. Seine Herausforderin – natürlich eine „Aktivistin“ aus der „Zivilgesellschaft“ – wird dagegen mit „El Pueblo Unido“-Rufen gefeiert und sie zitiert Simón Bolívar. Die Serie stellt durch diese Darstellung die venezolanischen Realitäten – etwa bezüglich der dortigen radikal wirtschaftsliberalen Opposition – auf den Kopf.
Nach einigen Folgen zeichnen sich in der Story Wendungen ab – es ist also durchaus möglich, dass gegen Ende der Serie doch noch mit einigen antirussischen und antisozialistischen Klischees gebrochen wird und ein alternativer Finsterling präsentiert wird. Doch dann ist der Schaden bereits angerichtet: Denn dann war bereits ein Millionenpublikum den propagandistischen Verzerrungen ausgesetzt, die der Trailer und die ersten Folgen der Serie verbreiten. Nach eigenen Angaben erreichte der Video-Streaming-Dienst „Amazon-Prime“ bereits 2018 an die 100 Millionen Abonnenten.
Über das in der Serie offenbarte politische Sendungsbewusstsein eines Internetkonzerns muss man beunruhigt sein – auch weil Amazon über exzessive finanzielle Mittel verfügt. Wie so oft ist auch diese US-Propaganda in ein durchaus unterhaltsames und rasantes Action-Spektakel verpackt.
„Schamlosere US-Propaganda ist kaum vorstellbar“
Die Serie hat international auch für Empörung gesorgt, das Internetportal “Amerika 21“ hat etwa in diesem Artikel einige Reaktionen gesammelt. Auch verwies etwa Adam Johnson darauf, dass der propagandistische Charakter der Serie genau der Art von Meinungsmache entspreche, die autoritäre Regierungen laut US-Nachrichtensendern ihren Bevölkerungen aufzwingen würden. “Ein nukleares Venezuela!”, so Johnson in einem ironischen Tweet. “Oh Mann, ich bin ja so froh, dass wir in diesem Land keine staatlichen Medien haben, die uns Propaganda vorsetzen!“ Das US-Medium „Truthdig“ erklärte, dass man sich kaum eine „schamlosere US-Propaganda als ‚Jack Ryan’“ vorstellen könne.
In großen deutschen Medien wird die Produktion nicht angemessen kritisiert. So sieht der „Tagesspiegel” zwar eine „patriotische Grundhaltung“ der TV-Show – aber „die Brüche in den Figuren, aber auch die Action“ mache „die Serie sehenswert“. Und das „GQ-Magazin” sieht mit dem CIA-Gangster Jack Ryan gar einen „Agent wider Willen in Bestform“. Die Zuschreibung „wider Willen“ soll mutmaßlich an den falschen Mythos der angeblichen Rolle des US-Militärs als „Weltpolizist wider Willen“ andocken.
Die lange Tradition der Hollywood-Propaganda
Die Zusammenarbeit großer Hollywood-Studios mit US-Militär und Geheimdiensten zu Propagandazwecken ist lange belegt – beschrieben werden diese Verbindungen etwa in diesem Artikel oder in diesem Artikel (auf Englisch). Mit den Video-Streaming-Riesen Amazon oder Netflix betreten aktuell neue Player die Szene der aufwendigen Filmproduktion. Das kann einerseits positiv sein, weil sich diese Firmen potenziell von eingespielten Riten der „alten“ Studios befreien könnten. Andererseits kann sich diese „Unabhängigkeit“ der Internetgiganten – wie der Fall der Serie „Jack Ryan“ zeigt – auch in nochmals verschärfter Radikalität äußern.
Titelbild: Ron Adar / Shutterstock