Offenbar ist sich die Große Koalition zwar einig, eine Grundrente einzuführen, die Rentnern, die 35 Beitragsjahre aufweisen können, eine Minirente zusichert. Die liegt dann 10% oberhalb der Grundsicherung und damit immer noch unter der Armutsschwelle. Uneinigkeit gibt es bei den Großkoalitionären jedoch noch bei der Frage der Bedürftigkeitsprüfung. Die SPD lehnt sie ab, CDU und CSU sind besorgt, dass ohne sie die Kosten explodieren würden. Damit verfolgt die Union einmal mehr 1:1 die Vorgaben der Arbeitgeberverbände. Doch ein Kompromiss bahnt sich an – um die zwei Milliarden für die Grundrente zu „kompensieren“, fordert die Union nun eine Senkung der Unternehmenssteuer um rund 10 Milliarden Euro. Da fragt man sich, was daran eine „Kompensation“ sein soll. Nur die großen Medien stellen sich diese Frage nicht und tragen damit ihren Teil dazu dabei, dass SPD und Union mit einem faulen Kompromiss durchkommen, der einmal mehr nur den Wohlhabenden im Lande nutzt. Von Jens Berger.
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Was die SPD als „Respektrente“ verkauft, ist streng genommen ein Witz. Sollte die Grundrente in der geplanten Form durchkommen, bekämen die Empfänger dieser steuerfinanzierten Leistung gerade einmal 880 Euro Rente pro Monat. Die Armutsgefährungsschwelle liegt bei 1.050 Euro. Berechtigt sind aber wohlgemerkt nur Personen, die mindestens 35 Jahre zu einem Minilohn gearbeitet und in die Rentenkasse einbezahlt haben. Das dürfte bei den wenigsten der nun von der CDU ins Feld geführten „Zahnarztfrauen“ der Fall sein. Reiner Heyse hatte dies bereits vor mehr als einem Jahr auf den NachDenkSeiten kritisiert. Albrecht Müller hatte im Februar dieses Jahres die Debatte auf den NachDenkSeiten ausgeweitet und um die Fragen ergänzt, warum es eigentlich so viele Menschen gibt, deren Rente so niedrig ist, dass sie sogar unter der absoluten Armutsgrenze liegt und bemängelt, dass diese Fragen weder von den Medien noch von der SPD thematisiert werden.
Nun könnte man zynisch sagen, dass die Grundrente zumindest von dieser Regierung, von der man ohnehin nicht viel erwarten kann, ja doch ein kleiner Schritt in die richtige Richtung ist. Dieser kleine Schritt würde mit einer Bedürftigkeitsprüfung jedoch klitzeklein werden. Wer 5.000 Euro Sparrücklagen hat, würde dann noch nicht einmal zum Kreis der Berechtigten zählen. Ulrich Schneider vom Paritätischen Gesamtverband spricht daher auch berechtigterweise von einer „Sozialhilfe Plus“. Betroffen wären von einer Bedürftigkeitsprüfung vor allem die Bürger, die brav die Empfehlungen von SPD und CDU umgesetzt haben, ihre paar Groschen auch noch in eine private Zusatzaltersvorsorge gesteckt haben und jetzt einen Kapitalstock haben, der gerade einmal dafür ausreicht, sich einen neuen Gebrauchtwagen zu leisten, wenn ihr altes Auto einmal den Geist aufgibt. Das hat nichts mit Respekt zu tun, sondern ist einfach nur schäbig.
Doch sogar diese Schäbigkeit geht den Unternehmenslobbyisten zu weit. BDA-Chef Kampeter forderte den CDU-Fraktionschef Brinkhaus in einem „Brandbrief“ auf, den Plänen für eine Grundrente nicht zuzustimmen, da das Geld „dringend“ für andere Dinge, wie „Infrastruktur- und Zukunftsmaßnahmen“ gebraucht würde – also vor allem für Subventionen zugunsten seiner Verbandsmitglieder. Brinkhaus hörte die Botschaft: „Wir wollen keine Steuergelder an Menschen verteilen, die die Unterstützung gar nicht brauchen“. Und wer Unterstützung braucht, wissen seine Parteifreunde auch schon ganz genau. Thüringens CDU-Chef Mike Mohring, Gesundheitsminister Jens Spahn und CSU-Chef Markus Söder fordern nahezu zeitgleich, die Kosten der Grundrente durch eine Senkung der Unternehmenssteuern zu „kompensieren“. Spätestens an dieser Stelle wären doch eigentlich Fragen angebracht.
Wie soll man eine Ausgabe des Staates durch eine Steuersenkung „kompensieren“? Aber an den Staat haben die Unions-Granden dabei sicher gar nicht gedacht. Es geht einmal mehr um die Lieblingsklientel der Union – die Unternehmer, die dem Weltbild der Union zufolge ja die eigentlichen Steuerzahler sind. Dabei sind es vor allem die Lohn- und die Umsatzsteuer, die maßgeblich zu den gesamten Steuereinnahmen beitragen.
CDU und CSU wollen also die Kosten für die Grundrente, die mit rund zwei Milliarden Euro beziffern werden, durch Senkung der Unternehmenssteuern „kompensieren“, die mit rund zehn Milliarden Euro fünfmal so groß ist, obgleich die zwei Milliarden Euro Mehrkosten nur zu einem sehr geringen Teil überhaupt durch die Steuereinnahmen auf Unternehmsgewinne getragen werden. Freundlich könnte man dies eine Milchmädchenrechnung nennen, doch das würde jedes Milchmädchen beleidigen. CDU und CSU nutzen die Debatte vielmehr, um gnadenlose Lobbypolitik zugunsten der Unternehmerverbände umzusetzen. BDA-Chef Kampeter, der selbst CDU-Mitglied ist, kann stolz auf den politischen Arm der Unternehmerlobby sein. Wahrscheinlich wird die SPD diesem faulen Kompromiss zustimmen und die Grundrente als ihren großen Erfolg vermarkten. Großartig.
In einem funktionierenden Mediensystem würden sich nun Journalisten genau diese Frage stellen und die Argumentation der Unionsparteien zerpflücken. Doch genau dies findet nicht statt. Bei SPIEGEL Online ist beispielsweise folgender Absatz zu finden …
Als zweite Bedingung nannte Spahn eine Begrenzung der Gesamtausgaben, nannte aber keine konkrete Summe. Drittens forderte er Maßnahmen zur Konjunkturförderung, etwa eine Senkung der Unternehmensteuer, um die Kosten der Grundrente zu kompensieren.
… der dann einfach so im Raum stehengelassen wird; ohne Widerspruch, ohne Einordnung, ohne Kritik. Da muss man schon fast wieder schmunzeln, wenn man sich anschaut, wer zeitgleich bei SPIEGEL Online seine Werbung schaltet. Wie heißt es so schön? „Wer die Kapelle bezahlt, bestimmt die Musik“.
Titelbild: Timofey Zadvornov/shutterstock.com