Mit diesem Text schildert Werner Rügemer eine spannende Geschichte. Sie war uns beiden am vergangenen Wochenende aufgefallen. Mich berührt sie auch persönlich. Siehe am Ende des Textes. Albrecht Müller.
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Werner Rügemer:
„Roland Bergers Selbstbetrug – Der Beraterstar, sein Nazi-Vater und die Schuld der deutschen Wirtschaft“ – so überschrieb das „Handelsblatt“ am 18.10.2019 ihre bisher wohl längste Titelgeschichte zu einer Einzelperson, sieben Seiten lang. Untertitel: „Viele Jahre lang stilisierte Roland Berger seinen Vater zum Nazi-Opfer. In Wahrheit jedoch hat er von Arisierung profitiert – und die NSDAP gefördert.“
Roland Berger war jahrzehntelang für die Bundesrepublik so etwas wie „Mister Deutschland“. Er beriet nicht nur die wichtigsten Unternehmen, sondern auch Landes- und Bundesregierungen. Er war Mitglied in vielen Regierungskommissionen und Aufsichtsräten. Er bekam Gastprofessuren im In- und Ausland, ebenso zahlreiche Ehrungen. Ungezählt sind die Interviews in den privaten wie öffentlich-rechtlichen Leitmedien, seine Auftritte in Talkshows. In der Tat: Berger inszenierte nicht nur den eigenen jahrzehntelangen Selbstbetrug. Er repräsentiert auch den inszenierten Selbstbetrug des bundesdeutschen Unternehmer-Milieus und dessen MittäterInnen.
Die Inszenierung: Der Vater als NS-Opfer
Seit 2008 überhöhte der 1937 Geborene seine Mission durch die Gründung der Roland Berger Stiftung. Er stattete sie zunächst mit 50 Millionen Euro Stiftungskapital aus. Jährlich vergibt er seitdem den „Preis für Menschenwürde“. Die Stiftung erinnert, so Berger, an seine eigene schwere Kindheit während der Nazizeit und vor allem an sein Vorbild, seinen Vater: Der sei als guter Christ von den Nazis verfolgt worden. Doch, so jetzt das Handelsblatt mit guten Belegen – nichts davon stimmt. Alles Lüge.
Berger inszenierte die öffentliche Heiligung seines Vaters: Als Kind habe er „miterlebt, wie entwürdigend der Vater im Dritten Reich behandelt wurde.“ Die Stiftung, so der Sohn, „geht auf meinen Vater zurück, einen überzeugten Christen.“ Aufmüpfig sei sein Vater gewesen. Standhaft habe sich der Tiefgläubige gegen das Drängen der Nazis gewehrt, aus der Kirche auszutreten. Er sei zwar NSDAP-Mitglied gewesen, aber noch vor Kriegsende „aus religiöser Überzeugung aus der Partei ausgetreten.“ Und: „Unter Gefahr für sein Leben hat er gezeigt: Mit mir nicht.“ Deshalb, so Sohn Roland: „Bis heute ist mein Vater für mich ein moralisches Vorbild. Er steht für Anstand und Mut.“
Diese Legende verbreiteten Leitmedien wie die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, Süddeutsche Zeitung, Der Tagesspiegel, Focus, Die Zeit, Die Welt, BILD, das Manager Magazin und natürlich das Rotary Magazin. Und auch, so gesteht das Handelsblatt: „Alle deutschen Medien, das Handelsblatt eingeschlossen, glaubten ihm die Heldengeschichten seiner väterlichen Lichtgestalt in dunkler Zeit aufs Wort.“
Von der Hitlerjugend zum Arisierer
Alles Lüge: Vater Georg Berger war 1922 Direktor der Tiroler Industriewerke, ab 1927 bis 1934 selbständiger Steuerberater und Treuhänder. Schon 1931 trat er in die NSDAP ein – nicht, wie der Sohn behauptete, erst 1933 – und widmete sich dann beruflich und hauptamtlich dem Führer. 1934 wurde er Revisor in der Reichsleitung der NSDAP. 1935 leistete er im Münchner Bürgerbräukeller den Eid auf Hitler: „Ich schwöre: Ich werde dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes Adolf Hitler treu und gehorsam sein… So wahr mir Gott helfe.“
Der treue Gefolgsmann kümmerte sich weiter um die Finanzen der Bewegung. 1936 wurde er Reichskassenverwalter der Hitlerjugend, auch deren Verbindungsmann zu den Behörden des NS-Staates. Er verfasste das Vorwort im Buch „Verwaltungs-Dienstvorschriften für NSDAP-Hitlerjugend.“ 1937 ernannte Hitler ihn zum Ministerialrat mit entsprechenden Bezügen. Als zentraler Funktionär trug er seine Dienstpistole bei sich, eine Walter PPK, Kaliber 7,65.
Den dann weiteren Aufstieg des Vaters log der Sohn sich und der Öffentlichkeit so hin: „1939 ging er wieder in die freie Wirtschaft.“ Er übernahm die größte Brotbäckerei Österreichs: „Ein klassischer Sanierungsjob.“ Alles Lüge: „Freie Wirtschaft“, „Sanierungsjob“ – es war Arisierung.
Die Ankerbrot-Werke, die größte Brotbäckerei Österreichs, gehörten der jüdischen Familie Mendl. Mit dem „Anschluss“ Österreichs arisierten die Nazis das Unternehmen, stellten es unter Zwangsverwaltung. Die jüdischen Eigentümer flüchteten in die Schweiz, schließlich nach Neuseeland. Bewährte Führungskader der Hitler-Jugend wurden bevorzugt belohnt. Georg Berger wurde Ankerbrot-Generaldirektor. Er wohnte während des ersten Jahres im Hotel Erzherzog Rainer in Wien.
1941 zog die Berger-Familie mit dem vierjährigen Sohn Roland in die, so das Handelsblatt, „opulente Villa“ des jüdischen Vorbesitzers Kerr, dem die Gestapo alles abgenommen hatte. Die Villa hatte zwei Wohnzimmer, einen Speisesaal, ein Damen- und ein Herrenzimmer, zwei Kinderzimmer und ein Kinderspielzimmer, ein Gäste-, ein Bügel- und ein Bedenkzimmer, sowie im Dachboden die zwei Zimmer für die Dienstboten, dazu einen Park mit einem großen Teich, auf dem im Winter der kleine Roland das Schlittschuhlaufen lernte: Hier also musste Sohn Roland seine behauptete „schwere Kindheit“ verbringen, so sah die Verfolgung des christlichen Vaters durch die Nazis aus. Später dichtete Sohn Roland noch eine Verhaftung des Vaters im KZ Dachau hinzu – alles Lüge.
„Die personifizierte Deutschland AG“
Sohn Roland Berger lernte die Unternehmensberatung in den USA, bei der Boston Consulting Group in Boston. 1967 gründete er in München die Roland Berger Holding GmbH. Die Deutsche Bank förderte den Aufsteiger, bis 1997 gehörten ihr 95 Prozent der Beratungsfirma. Berger brachte Management-Methoden aus den USA in die Bundesrepublik. Er löste damit bald die von BDI und Bundeswehr zunächst favorisierten Methoden aus der NS-Zeit ab, die nach dem Krieg mit der Akademie für Führungskräfte der Wirtschaft („Harzburger Modell“) des SS-Managers Prof. Reinhard Höhn fortgeführt wurden. Berger – das klang „modern“, hatte nichts mehr mit der bösen Vergangenheit zu tun.
„Dieser Mann ist die personifizierte Deutschland AG“, lobte 2004 das Springer-Blatt Die Welt auf dem Höhepunkt der Karriere „des prominentesten und wohl am besten vernetzten Unternehmensberaters des Landes“. Er agierte mit seiner Beratungsfirma, die auf 2.500 akademische MitarbeiterInnen angewachsen war, als Spürhund für die Deutsche Bank. Die war Großaktionär und Kreditgeber bei vielen der wichtigen Unternehmen der Deutschland AG, bei den großen DAX-Konzernen wie im gutgehenden Mittelstand. Da hatten die Berater für steigende Gewinne zu sorgen, nach dem Motto: Mehr Gewinn bei weniger Personal. Von 2001 bis 2015 hieß die Firma „Roland Berger Strategy Consultants“ und war in 30 Staaten vertreten, vor allem in der EU, wo auch die Deutsche Bank ihre Interessen verfolgte.
Politische Einflüsterei über Parteigrenzen hinweg
Aber die Deutschland AG war nur zu managen, wenn auch die Regierungen auf Linie gebracht wurden. Der „Hausarzt der deutschen Wirtschaft“, so Die Welt, „flüstert über alle Parteigrenzen hinweg den politischen Entscheidern dieses Landes ins Ohr.“ Berger stand freilich der CSU am nächsten, dann der FDP – das waren die korruptesten Parteien, mit dem höchsten Anteil an Ex-Nazikollaborateuren und deren Erben, und mit dem höchsten Pro-Kopf-Anteil an Unternehmensspenden.
Die Deutsche Bank mit Chef Hermann-Josef Abs, Hauptbank des Hitler-Reiches, auch bei der Besetzung Europas im Weltkrieg, war auch zunächst mit demselben Chef die Hauptbank des Adenauer-Staates, dann auch des Kohl- und des Merkel-Staates. Und die Deutsche Bank war nebenbei ohnehin seit 1947 der Dauer- und Hauptsponsor der christlich lackierten Regierungspartei CDU. Aber Berger wirkte über diese Parteigrenzen hinweg.
Zum parteiübergreifenden Beflüstern politischer Entscheider wurde Berger Mitglied in insgesamt 20 Regierungskommissionen, auf Bundes- wie auf Landesebene – besonders gern mit Edmund Stoibers CSU in Bayern und im Innovationsbeirat des Bundespräsidenten Roman Herzog. Berger war und ist gleichzeitig Mitglied in etwa 20 Aufsichtsräten großer und mittlerer Unternehmen, so bei Fiat und der Fresenius S.E., er ist Chairman Germany der größten US-“Heuschrecke“ Blackstone. Hochschulen wie die Münchner Ludwig-Maximilian-Universität, die Zeppelin University in Friedrichshafen und die internationale Business School INSEAD in Fontainebleau beriefen Berger in ihre Gremien. In der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft INSM darf er seiner ideologischen Lichtgestalt Friedrich von Hayek, dem neoliberalen Vordenker, frönen. Und nicht zu vergessen: Berger hält im Kuratorium des Münchner ifo-Instituts seine schützende Hand über den deutschen Hayek-Fortsetzer, Professor Sinn. Und ein parteiübergreifender Populist wie Berger verschmäht auch nicht einen Posten im Verwaltungsrat des teuersten Fußballclubs, des FC Bayern.
Treuhand: Ausplünderung der Ex-DDR
Berger wurde von Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) und dessen Finanzminister Theodor Waigel (CSU) 1990 zum Berater der Treuhand-Anstalt berufen. Zusammen mit McKinsey, Price Waterhouse Coopers und KPMG plünderte der Starberater die Betriebe der Ex-DDR aus, nicht zuletzt zum Vorteil auch der Deutschen Bank.
Als 1994 die Treuhand ihre „Arbeit“ beendete, hatte sie einige tausend Betriebe geschlossen und etwa 7.000 Betriebe verkauft, meist zum symbolischen Preis von einer DM – und mit einem Zuschuss von ein paar Millionen. So hinterließ die Treuhand nach dem „Verkauf“ der 7.000 Betriebe einen Schuldenberg von 270 Milliarden DM. Die wurden in den Bundeshaushalt übernommen. Das war ein Erfolg – für Berger & Co und für die privaten Unternehmen, die zudem von Kohl, Waigel und den Beratern ausdrücklich von allen Gesetzesverstößen freigestellt wurden: „Privatisierung geht vor Sanierung“.
Entflechtung der Deutschland AG: Ausplünderung des Westens
Parteiübergreifend: Zugang zur SPD fand Berger über Gerhard Schröder, den niedersächsischen Ministerpräsidenten. Er engagierte Berger für das Renommierprojekt „Expo 2000“. Nach Bergers Planung organisierte ein extra gegründetes Privatunternehmen die Großausstellung. So viele Millionen an Besuchern, die die hohen Eintritts- und Gastronomiepreise zahlen würden, so die Prognose des Starberaters, kamen allerdings nicht. Das Land Niedersachsen übernahm einen dreistelligen Millionenbetrag an Schulden. Das war natürlich trotzdem ein Erfolg – für Berger und die beteiligten Privatunternehmen.
Ähnlich war es mit der Bundeswehrreform: Berger konzipierte für Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) die Privatisierung der Beschaffung und der Reparaturen. Honorar für das Berger-Team: 3.500 Euro – pro Tag und Berater. In drei Monaten brachte das für die Beraterfirma 4,17 Millionen. Die Beratung für die private Bundeswehrtochter „Gesellschaft für Entwicklung, Beschaffung und Betrieb“ (GEBB) brachte Berger nochmal 9,9 Millionen Euro – zurück blieb ein Chaos,[1] das bis heute andauert.
Berger beriet dann wieder Schröder ab 1998 beim steuerbefreiten Verkauf der Unternehmen am Standort Deutschland an ausländische Investoren – „Agenda 2010“ mit der „Entflechtung der Deutschland AG“. Nach der Ausplünderung des Ostens stand die Ausplünderung des Westens auf der Tagesordnung. US-“Heuschrecken“ kauften und verwerteten bis heute tausende gut gehende Mittelstandsfirmen wie den Badarmaturen-Hersteller Grohe, Siemens Nixdorf, Demag-Kräne und einige hunderttausend öffentliche Wohnungen, in Berlin, Dresden, Kiel, Hannover, Köln, Düsseldorf. Ex-Deutsche Bank-Chef Hilmar Kopper war Schröders Regierungsbeauftragter für die Suche nach US-Investoren, Berger beriet. Gewinnträchtiger Verkauf und Verwertung zugunsten der Investoren ging auch hier vor Sanierung. Steuerverluste für den Staat eingeschlossen auch hier. Berger beriet die Unternehmen wie VW gleichzeitig bei der Globalisierung auf der Suche nach billigen Produktionsstandorten in armen Ländern Asiens.[2]
Zur Agenda 2010 gehörte Weiteres: Die Kosten der menschlichen Arbeitskraft und die rechtlichen Ansprüche der abhängig Beschäftigten mussten gesenkt werden, auch in Deutschland selbst. Deshalb holten Schröder und der damalige Chef der neu gegründeten Arbeitsagentur, Florian Gerster (SPD), die Unternehmensberater von Berger. Die Arbeitslosen wurden zu „Kunden“ umprogrammiert, denen noch weniger Geld und noch weniger Rechte zustehen als vorher. „Fördern und fordern“: Vor allem den zweiten Teil dieses Schröder-Programms für die Arbeitslosen, das Fordern, sollten die Berger-Boys und -Girls umsetzen, auch mithilfe von Strafen in Gestalt von Abzügen vom ohnehin niedrigen Arbeitslosengeld.
Die neue Welle der sozialen Ungleichverteilung und Spaltung: Auch dafür steht Berger, dessen Vermögen auf mehrere hundert Millionen Euro geschätzt wird, Genaues weiß niemand, vielleicht auch nicht das zuständige deutsche Finanzamt. Seine standesgemäße Kunstsammlung soll etwa 1.000 Stücke enthalten, auch von den Modemalern Lüpertz und Baselitz.
Der Abstieg
Die Entflechtung der Deutschland AG, also der zunächst von Schröder eingeladenen Private-Equity-Investoren („Heuschrecken“) wie Blackstone, KKR, Carlyle, Whitehall, Cerberus, Permira, EQT, Lone Star & Co ab 1998 eingeleitete Aufkauf von Mittelstandsfirmen und dann der ab etwa 2005 einsetzende Aufkauf der großen Aktiengesellschaften einschließlich der 30 DAX-Konzerne durch BlackRock, Vanguard, State Street & Co[3], läutete auch den Abstieg von Berger ein. Auch der Abstieg der Deutschen Bank begann; BlackRock & Co als neue Eigentümer sind dabei, die Resteverwertung in die Fusion mit der Commerzbank einzubringen.
Als Berger auch im neuen Investitions-Eldorado deutscher Konzerne, den USA, größer tätig werden wollte, verlangte die US-Börsenaufsicht: Die Deutsche Bank muss sich von ihren 95-Prozent-Anteilen der Berger GmbH trennen. Deutsche Bank und Berger folgten dem sofort. Seitdem hängt Berger ziemlich einflusslos in der Luft. Mit dem Blender Thomas Middelhoff gründete Berger in London nach der neuen Mode den Hedgefonds Investcorp, mithilfe des Kapitals von Scheichs aus den Golfstaaten. Sie versprachen Traumrenditen von 25 Prozent, scheiterten und zerstritten sich, auch vor Gericht. Middelhoff landete schließlich, wegen anderer Straftaten, im Gefängnis und stilisiert sich jetzt als bekehrter Christenmensch.
Mit den 2.700 Mitarbeitern ist die Beratungsfirma Berger ein Zwerg. Führend ist heute Accenture mit weltweit 400.000 Mitarbeitern; als Berater der Arbeitsagentur und der Jobcenter hat Accenture Berger längst überholt. In der Bundesregierung sitzt McKinsey fest im Sattel, im Verteidigungsministerium genauso wie im Innenministerium: Wie wird das BAMF Flüchtlinge möglichst schnell und kostengünstig los? Berger liegt in Deutschland jetzt weit abgeschlagen noch hinter Boston Consulting, Mercer, Aon Hewitt, Towers Watson, Capgemini, Bain, Oliver Wyman und A.T. Kearny.[4]
Ein (vor)letztes Aufbäumen gönnte sich Berger 2011 mit dem Vorschlag, die EU solle endlich eine eigene Rating-Agentur gründen. Dafür gab es nach der Finanzkrise von 2007 durchaus gute Gründe. Die Big Three der dominierenden US-Agenturen Standard & Poor’s, Moody’s und Fitch hatten mit ihren hochdotierten Gefälligkeits-Gutachten für Ramschpapiere die Finanzkrise mitverursacht, wurden aber von den US-Regierungen unter Bush und Obama trotz nachgewiesenen Betrugs in ihrer Funktion gelassen. Im Europäischen Parlament wurde vorgeschlagen: Wir brauchen eine europäische Agentur! Berger entwarf ein Konzept. Doch die US-Lobby machte in Komplizenschaft mit der Europäischen Kommission unter Präsident Jean-Claude Juncker den Plan zunichte. Berger gab auf.[5]
Die Stiftung für Menschenwürde und das Jüdische Museum Berlin
Mit der Stiftung für Menschenwürde, abgesegnet von der bayerischen Landesregierung, wollte der Absteiger neuen Einfluss gewinnen. Er fand wichtige Unterstützer. Unter dem Dach des Bundesministeriums für Bildung und Forschung war Bergers Stiftung Mitbegründer der Allianz für Bildung. Neben dem jährlichen Preis für Menschenwürde vergibt die Stiftung hunderte von Stipendien für begabte SchülerInnen. Im World Economic Forum macht die Stiftung beim Young Leaders Programm mit. Menschenrechte nach Kriterien der „westlichen Wertegemeinschaft“ und nach dem Geschmack des Starberaters Berger: Sozial- und Arbeitsrechte, wie sie in den Universellen Menschenrechten der UNO enthalten sind – sie fehlen ganz.
Vor allem aber wird die Stiftung vom Jüdischen Museum Berlin gefördert. Es ist das größte jüdische Museum Europas und durfte deshalb nicht deutschen Gründern überlassen werden. Es ist kein Museum einer jüdischen Organisation, sondern eine staatliche Einrichtung. Gründungsdirektor 1997 war der US-Unternehmer Michael Blumenthal vom American Jewish Committee, ehemaliger Finanzminister unter Präsident Jimmy Carter, 1973 mit David Rockefeller Mitbegründer der Trilateral Commission, Mitglied im US-außenpolitischen Beratergremium Council on Foreign Relations, im Beirat des Private-Equity-Investors Evercore, der Wealth Management für High Net Worth Individuals (Hoch-Netto-Wert-Kunden) organisiert.
Das passte zu Berger, wenn das auch einige Etagen höher angesiedelt ist. Aber so sind die transatlantischen Beziehungen: Blumenthal verlieh im Jahre 2008, als Berger gerade die Stiftung im Andenken an seinen Vater gegründet hatte, den Preis des Jüdischen Museums für Verständigung und Toleranz – an Roland Berger. Und umgekehrt: Die Berger-Stiftung verlieh im Jahre 2013 ihren Ehrenpreis an den Direktor des Jüdischen Museums Berlin, Blumenthal. Seitdem darf Berger seine Preise für Menschenwürde – sie gehen meist an Frauen und Männer aus Entwicklungsländern – im Jüdischen Museum vergeben, mit Prominenz aus Politik und Medien, mit dem jeweiligen Bundespräsidenten und immer Frau Friede Springer vom Springer-Verlag.
Alle haben nichts gemerkt vom „Selbstbetrug“ ihres hoch Geehrten, auch nicht das Jüdische Museum Berlin.
Die Rettung naht: Hole dir die passenden Historiker!
Als das Handelsblatt kurz vor der Veröffentlichung dem Selbstbetrüger die Unterlagen zum Vater vorlegte, ließ sich Berger nicht nur von der Kommunikationschefin seiner Stiftung und einer PR-Agentin begleiten, sondern auch von einem Historiker: Professor Michael Wolffsohn. Auch er, der Profi und wache Beobachter der deutschen Wirtschaft, hatte bisher nichts gemerkt vom Selbstbetrug Bergers.
Der jüdische Historiker, heute pensioniert, war Professor für Neuere Geschichte – Spezialgebiet deutsch-jüdische Beziehungen – an der Hochschule der Bundeswehr in München. Er war und ist der in den Leitmedien beliebte Top-Ankläger gegen angebliche Antisemiten in Deutschland. Vorzugsweise in BILD, Rheinische Post u.ä. werden seine Beschimpfungen lanciert, mit dann weiterer Verbreitung. Zuletzt traf dies die Linke-Politikerin Sahra Wagenknecht. Wichtige andere traf es dagegen nie.
Wirkmächtig wurde Wolffsohns Antisemitismus-Beschimpfung 2004 gegen den damaligen SPD-Vorsitzenden und Arbeitsminister Franz Müntefering: Der hatte Private-Equity-Investoren als „Heuschrecken“ bezeichnet. Wolffsohn: US-Investoren als Tiere zu bezeichnen – das sei Nazi-Jargon und fordere „unausgesprochen“ dazu auf, diese „Plage auszurotten“. Seitdem ist die Kritik an der rabiaten Praxis dieser Investoren aus den Leitmedien – auch aus dem Handelsblatt – und auch aus der SPD verbannt. Dagegen: Als der bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß und sein Nachfolger Edmund Stoiber Schriftsteller wie Walter Jens und Bernd Engelmann als „Ratten und Schmeißfliegen“ beschimpften – da hatte der Professor an der Bundeswehrhochschule München nichts zu kritisieren.
Wolffsohn soll im Auftrag Bergers bis Jahresende die Biografie von Vater Georg Berger und der Einstellung von Sohn Roland zu ihm schreiben. Wolffsohn deutet die Verteidigung an: Der Vater sei zwar „Profiteur“ des NS-Systems gewesen, aber kein „Täter“. Berger habe wohl nicht die Geschichte seines Vaters absichtlich und bewusst verfälscht: „Es ist doch weit plausibler, dass hier ein noch sehr junger und dann erwachsener Mann im Nachhinein seinen Vater verklärt hat.“
Als Assistenten holten Berger und Wolffsohn noch Professor Sönke Neitzel dazu. Der Militärhistoriker der Universität Potsdam hat den ZDF-History-Legendenbildner Guido Knopp beraten und ist spezialisiert auf Betroffenheits-Darstellungen: Wie haben Soldaten den Krieg erlebt? Das ist natürlich wichtig, aber bei diesem Historiker werden die „Täter“, die großen, wie Deutsche Bank-Chef Abs und die Arisierer, nie zum Leben und Sterben der Soldaten in Beziehung gebracht.
In der Biografie seiner Familie, die 1954 mit Sohn Michael nach Deutschland kam, schildert Wolffsohn, wie man sich in der Adenauer-Republik immer wohl gefühlt habe. Dass damals und bis heute keine Arisierungen von Unternehmen in Westdeutschland rückgängig gemacht wurden, das hat den Historiker nie gestört.[6]
Und dann muss noch „braune und rote Geschichte“ in einen Brei verrührt werden. Wolffsohn: „Glauben Sie mir: Ich habe vieles an Vergangenheitsbewältigung erlebt und erforscht – braune wie rote Geschichte.“
Und auch das Handelsblatt will nicht zu weit gehen: Die Verdienste Bergers bestünden ja für den Wirtschaftsstandort Deutschland weiter ungeschmälert.
P.S.: Nach der Veröffentlichung im Handelsblatt hat die Roland Berger Stiftung die für Montag, 21. Oktober 2019, vorgesehene Verleihung ihres Preises Menschenwürde im Rahmen einer Festveranstaltung im Jüdischen Museum verschoben. Zwei der Preisträger hatten abgesagt: Der polnische Menschenrechtsbeauftragte Adam Bodnar und das Netzwerk Schule ohne Rassismus. Die Absage geschehe “aufgrund des medialen Umfelds” und um “den Geist der Auszeichnung für künftige Preisträger zu wahren”. Die Verleihung finde im nächsten Jahr statt, so die Stiftung in einer Pressemitteilung.
Nachbemerkung Albrecht Müller: Mich berühren die Taten des Roland Berger auch aus persönlichen Gründen. Im Text von Werner Rügemer finden Sie eine Passage zur Privatisierung öffentlicher Einrichtungen: „Da hatten die Berater für steigende Gewinne zu sorgen, nach dem Motto: Mehr Gewinn bei weniger Personal.“ Roland Berger hatte zusammen mit einem Partner neben anderen Kliniken auch eine öffentliche Klinik im Vogtland aufgekauft und weiterverkauft. Dort wurde ganz im Sinne der Empfehlung rationalisiert. Die Mitbegründerin der NachDenkSeiten, meine verstorbene Frau Anke Bering-Müller wurde Opfer des Mottos „Mehr Gewinn bei weniger Personal“. Wir mussten nach einem Herzinfarkt in der Rettungsstelle 20 Minuten warten. Das reichte.
Ich erwähne diese Privatisierungsfolge deshalb, weil es vermutlich vielen anderen Menschen auch so ging und geht.
Titelbild: Handelsblatt
[«1] Im Reich der Träume, Der Spiegel 2.2.2004
[«2] Werner Rügemer: Die Kapitalisten des 21. Jahrhunderts. Köln 2018, S. 62ff.
[«3] Werner Rügemer: Die Kapitalisten des 21. Jahrhunderts, S. 12ff.
[«4] Werner Rügemer: Die Kapitalisten des 21. Jahrhunderts, S. 12ff.
[«5] Werner Rügemer: Rating-Agenturen. Einblicke in die Kapitalmacht der Gegenwart. Bielefeld 2012, S. 170ff.
[«6] Michael Wolffsohn: Deutschjüdische Glückskinder. Eine Weltgeschichte meiner Familie. Dtv München 2017