Mehrwertsteuererhöhung? Grenzenlose Inkompetenz!
Jeden Tag werden wir Zeuge der Inkompetenz unserer Eliten. Das Letzte: die Erwägung, die Mehrwertsteuer zu erhöhen und damit das weiter steigende Staatsdefizit zu refinanzieren. Die Mehrwertsteuererhöhung ist aus mehreren, im folgenden zu erläuternden Gründen, das falsche Rezept. Was überhaupt nicht beachtet wird: Es wäre eine weitere Privilegierung der Exportwirtschaft zu Lasten der Binnenwirtschaft. Das Gegenteil wäre notwendig.
In den nächsten Tagen werden wir das seit Jahren übliche Ritual erleben, dass die Steuerschätzungen wieder einmal zu hoch lagen. So geht das von Halbjahr zu Halbjahr. Auch im vergangenen Herbst und davor im Frühjahr 2004 legte man den Schätzungen höhere Wachstumsraten und damit höhere Steuereinnahmen zu Grunde, als dann realisiert werden konnten. Die Verantwortlichen haben nicht gesehen und sie wollen es nicht sehen, dass sie mit ihrer „Sparpolitik“ die Krise verschärfen und so am Ende nicht nur weniger einnehmen sondern sogar noch mehr für die wachsende Arbeitslosigkeit ausgeben müssen. Statt Konsolidierung des Haushalts wird also das Defizit verschärft. Unsere Eliten begreifen nicht, dass anders als in einer betriebswirtschaftlichen Betrachtung volkswirtschaftlich betrachtet Sparabsicht und Sparerfolg nicht zusammenfallen müssen. In einer Krise führt eine noch so „ehrenwerte“ Sparabsicht eines Hans Eichel zum Misserfolg beim Sparen, weil er damit die Krise verschärft. Das ist übrigens Denkfehler Nr. 31 in meinem Buch “Die Reformlüge”. Der ganz überwiegende Teil der Bevölkerung aber auch unserer Eliten unterliegen diesem Denkfehler. Sie glauben, der Staat könne wie ein privater Haushalt oder ein Einzelunternehmen sparen, wenn die Verantwortlichen die feste Absicht dazu haben und die Ausgaben senken. Die einzige Chance in einer Volkswirtschaft wirklich zu sparen wäre, die Konjunktur anzukurbeln – in anderer Sprache: aus Arbeitslosengeld-Empfängern Beitrags- und Steuerzahler zu machen und auch jene Unternehmen, die auf dem Binnenmarkt tätig sind, besteuerbare Gewinne machen zu lassen, statt viel zu viele in die Insolvenz zu treiben, weil sie ihre Leistungen oder Produkte nicht mehr verkaufen können. Diese Zusammenhang haben die allermeisten unsere Meinungsführer nicht begriffen. Und wenn es dann wieder und wieder, im Halbjahres-Zyklus der Steuerschätzungen, nicht klappt mit ihren einzelwirtschaftlich geprägten Sparversuchen, dann sinnen sie wie jetzt auf andere Lösungen zur Finanzierung des Staatsdefizits. So wird im Hintergrund, zum Beispiel von der Opposition und dem Bundeswirtschafts- und Arbeitsminister schon seit längerem erwogen, die Mehrwertsteuer zu erhöhen. Das wäre aber in mehrerer Hinsicht ein weiterer Schritt in die falsche Richtung:
- Die Mehrwertsteuererhöhung trifft in besonderer Weise jene Familien und Einzelpersonen, die geringe Einkommen und damit wenig Kaufkraft zur Verfügung, ihre gesamten Einnahmen für den laufenden Konsum verbrauchen und unter den heutigen Bedingungen kein Geld zum Sparen übrig haben. Mit der Erhöhung der Mehrwertsteuer würde der reale Wert ihres Budgets vermindert, sie könnten entsprechend weniger Waren kaufen. Das ist Gift für die ohnehin total schwächelnde Binnenkonjunktur. Der in den NachDenkSeiten schon öfter zitierte Chefökonom von Goldman Sachs, Jim O’Neill, hat die Schieflage seiner deutschen Kollegen in einem ZEIT-Interview vom vergangenen August anschaulich beschrieben: zu seinem großen Erstaunen musste er bei einem Treffen mit seinen deutschen Fachkollegen feststellen, dass sie trotz erkennbarer Binnennachfrageschwäche ernsthaft diskutierten, man solle die Unternehmenssteuern senken und dies mit höheren Steuern für die Masse der Verbraucher finanzieren. Tatsächlich würde dies die Massenkaufkraft weiter einschränken, ohne bei den Unternehmen und hohen Einkommen den notwendigen Impuls zu Investitionen und anderen höheren Ausgaben auszulösen. Fazit: Die Erhöhung der Mehrwertsteuer wäre konjunkturpolitisch ein weiteres Abwürgen der Binnennachfrage.
- Die Erhöhung der Mehrwertsteuer verschiebt tendenziell die fiskalische Belastung zu Gunsten der Exportwirtschaft und zu Lasten der vor allem den Binnenmarkt beliefernden Produzenten und Dienstleister. Die Exportwirtschaft ist aber bisher schon extrem gut gestellt. Sie profitiert von der vergleichsweise niedrigen Entwicklung der Kosten und Preise in Deutschland; die realen Lohnstückkosten sind im Vergleich zu anderen Ländern um 7% (DIW Wochenbericht 14/2004) gefallen. Vor allem aber: die Mehrwertsteuererhöhung tangiert die Exportwirtschaft überhaupt nicht, denn sie wird mit dieser Steuer nicht belastet. Beim Export wird die Mehrweitsteuer abgerechnet. Eine Mehrwertsteuererhöhung hat also tendenziell zur Folge, dass die boomende Exportwirtschaft weiter gefördert und die ohnehin zu schwache Binnenwirtschaft zusätzlich belastet wird. Das ist genau das Gegenteil dessen, was wir brauchen. Generell gilt auch: jede Verschiebung der Steuerbelastung in Richtung Mehrwertsteuer führt dazu, dass die Exportwirtschaft für die Leistungen der Allgemeinheit, vor allem also der Gemeinden, der Länder und des Bundes, keine dem „Mehrwert“ entsprechende Steuern mehr zahlt. Gerade auch die Exportwirtschaft nutzt ja die Infrastruktur und die Ausbildungsleistungen unseres Landes in besonderem Maße. Wenn sie tendenziell für diese Leistungen weniger herangezogen wird, dann bedeutet das eine Fehlsteuerung zu Lasten der Binnenwirtschaft. Die marktwirtschaftlich gesteuerte Produktion ist dann keinesfalls optimal.
- Je höher die Mehrwertsteuer, umso größer ist der Anreiz für Schwarzarbeit. Seltsamerweise wird dieses Argument, das sonst immer bemüht wird, wenn z. B. die Höhe der Lohnnebenkosten beklagt wird, von den Verantwortlichen im Falle der Diskussion um eine Mehrwertsteuererhöhung nicht in die Debatte eingeführt.