Nobelpreis für Peter Handke: Die zweite Rache der Meinungsmacher

Nobelpreis für Peter Handke: Die zweite Rache der Meinungsmacher

Nobelpreis für Peter Handke: Die zweite Rache der Meinungsmacher

Tobias Riegel
Ein Artikel von: Tobias Riegel

Für seine Standpunkte zum Jugoslawienkrieg wurde der Dichter Peter Handke schon einmal von zahlreichen mutmaßlichen Kriegspropagandisten diffamiert. Nun wurde Handke mit dem Nobelpreis ausgezeichnet – und sieht sich erneut einem Tribunal der medialen Heuchler ausgesetzt. Von Tobias Riegel.

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Dem österreichischen Dichter Peter Handke wurde der Nobelpreis für Literatur verliehen. Der Akt hat infame Reaktionen in zahlreichen großen Medien hervorgerufen – diese Reaktionen haben wenig mit Literatur und viel mit Politik und Propaganda zu tun. Denn Handke ist nicht nur einer der bekanntesten zeitgenössischen deutschsprachigen Autoren, der den Preis nach künstlerisch-intellektuellen Kriterien eindeutig verdient hat – vor allem hat er es gewagt, vor den völkerrechtswidrigen Jugoslawienkriegen in den 1990er Jahren Einspruch gegen die damals fast monolithische Pro-Kriegs-Meinungsmache westlicher Medien und Politiker einzulegen.

Kriegspropaganda und Handkes „Hinrichtung auf Raten“

Wie gleichförmig und verzerrend die Medienberichterstattung vor diesen Kriegen tatsächlich war, haben die NachDenkSeiten kürzlich in diesem Artikel in Erinnerung gerufen. Die damalige Reaktion vieler Medien auf die Intervention Handkes lässt sich heute nur als Diffamierungs-Kampagne und Ächtung bezeichnen – das Medium „Hintergrund“ beschreibt die Kampagne in diesem Artikel und spricht gar von „Hinrichtung auf Raten“.

Diese Wellen der Verachtung schlagen nun anlässlich der Preisverleihung ein zweites Mal über dem Dichter zusammen. Mutmaßlich aus zwei Gründen: Die betreffenden Redakteure wollen einerseits die Rehabilitation der Person des Kritikers verhindern, um ihn als pazifistischen Kronzeugen weiterhin kaltzustellen. Andererseits soll der Inhalt von Handkes Kritik am NATO-Krieg diffamiert werden, um die emsige Mitarbeit vieler Medien an der damaligen Kriegstreiberei weiterhin als „gerechtfertigt“ erscheinen zu lassen. Das weitgehende Verstummen der deutschsprachigen Intellektuellen zum Komplex Krieg und Frieden, zur Sozialen Frage und zum forcierten West-Ost-Konflikt machte und macht die (anscheinende) Isolation Handkes und seiner Thesen noch einfacher.

Das fatale Verstummen zahlreicher deutschsprachiger Künstler und Intellektueller zu wichtigen gesellschaftlichen Themen haben die NachDenkSeiten kürzlich etwa in diesem Artikel beschrieben. Handke ist eines der ganz wenigen Gegenbeispiele. Ihm gegenüber stand in den 1990er Jahren eine Vielzahl an Künstlern und Intellektuellen, die sich – motiviert durch durchschaubare moralische Kampagnen für die „Freiheit“ und gegen „Diktatoren“ – mehr oder weniger intensiv vor den propagandistischen NATO-Karren haben spannen lassen, wie etwa dieser Artikel beschreibt. Betrachtet man die bis heute andauernden fatalen Folgen des illegalen NATO-Kriegs, so ist schon verwunderlich, dass sich bis in die Jetztzeit noch immer der Kritiker verteidigen muss – und nicht die Unterstützer der Bombardierungen.

Medien diffamieren den Kritiker, um sich selber zu schützen

Handkes Widersprüche gegen eine breitflächige NATO-Propaganda mögen von ihm nicht immer in angemessener Klarheit vollzogen worden sein. Wäre er Medienprofi und nicht Schriftsteller, er hätte sich strategisch klüger verhalten können. Auch kann man Handkes Interventionen – neben zahlreichen guten politischen Gründen – auch eine Motivation aus biografischen und anderen Motiven unterstellen. Und man kann und soll an seinen Einlassungen natürlich (konkrete!) inhaltliche Kritik üben. Andererseits muss man Handkes damaligen Akt des Widerspruchs als ein mutiges und bis heute wichtiges Symbol bezeichnen. Und auch inhaltlich müssen viele von Handkes damaligen Feststellungen als weitgehend zutreffend bezeichnet werden – und je mehr Distanz zur damals entfachten Propaganda entsteht, umso klarer werden diese Handke „entlastenden“ Befunde. Dass diese Befunde nun (weiterhin) geleugnet werden, ist nur möglich durch eine Gemeinschaftsleistung vieler großer Medien – damals und heute. In dieser Gemeinschaftsleistung wird die Person des Kritikers (weiterhin/erneut) diffamiert, wahrscheinlich, um gemeinsam begangene mutmaßliche Medien-Verfehlungen (NATO-Propaganda) vor der restlosen Enttarnung zu schützen.

So bezeichnet die „FAZ“ Handke aktuell als „Barde des Balkankriegs“. Unter dem Titel „Wider den Literaturnobelpreis für Peter Handke“ schreibt die Zeitung:

„Niemand hat die Massaker, den Krieg und das Leid auf dem Balkan so ausdrucksstark zur Petitesse erklärt wie Peter Handke. Für die Opfer birgt die Stockholmer Entscheidung eine erschütternde Botschaft.“

Der „Tagesspiegel” zitiert diverse Handke-Kritiker, so zum Beispiel auch Wolfgang Ischinger, der behauptet:

„Deutschland hat (unter SPD-Kanzler Schröder) gegen den von Handke geehrten Milosevic 1999 Krieg geführt, mit sehr guter humanitärer Begründung. Und jetzt ehren wir den Apologeten des Diktators mir nichts, dir nichts?“

Die „Frankfurter Rundschau“ praktiziert die aktuell verbreitete Marotte, bereits das Stellen von Fragen zu diffamieren. Denn Handke würde – wie „Verschwörungstheoretiker“ das eben so machen – „Fragen stellen, um Fakten zu beugen“. Diese absurde Feststellung aus dem Munde von Journalisten muss man erst einmal verdauen. Die Zeitung fährt fort:

„Mit dem, was Peter Handke zu den Kriegen und Massakern in Kroatien, Bosnien-Herzegowina und im Kosovo schrieb, hat der soeben mit dem Literaturnobelpreis geehrte Schriftsteller bis heute die Propaganda des Miloševic-Regimes übernommen. Im Diskurs von Verschwörungstheoretikern werden oft rhetorische Fragen aneinander gereiht, aber nicht beantwortet. Diese Fragen dienen dazu, angebliche Manipulationen aufzudecken. Genauso machte es Handke in seinem im Jahr 1996 erschienenen Text ‘Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien’.“

Handke – ein „Apologet von Völkermord und Genozid“?

Laut „taz“ ist die Wahl Handkes als Preisträger „Eine unzivilisierte Wahl“. Der Preis für Handke sei „ein Schlag ins Gesicht Betroffener der Massaker in Bosnien – und aller, die an Menschenrechte und Fakten glauben“. Ein Leser der „taz“ sieht das anders – weil sein Kommentar im Forum einiges auf den Punkt bringt, sei er hier zitiert:

„Wer sich mit dem Werk Peter Handkes beschäftigt hat, kann nicht ernsthaft glauben, Handke sei ein Apologet von Völkermord und Genozid. Diese Anschuldigungen machen mich fassungslos.

Ja, Serben, waren die Täter beim Massaker von Srebrenica. Aber eine einfache Täter-Opfer-Zuschreibung ist in den Bürgerkriegen im Zuge der Auflösung Jugoslawiens nicht möglich. Handkes Parteinahme für Serbien fand vor dem Hintergrund einseitiger Beschuldigungen, Medienkampagnen und Kriegsvorbereitungen des Westens statt, sie hat biografische Gründe, und sie steht im Zusammenhang mit der Geschichte Nazideutschlands und Österreichs und ihrer “Serbien-Politik” Und selbstverständlich wurden auch vom Westen “Fake-News” gegen Serbien verbreitet (Hufeisenplan, Zweites Auschwitz Verhindern etc.) daran könnte an dieser Stelle durchaus einmal erinnert werden.

Die Verleihung des Literaturnobelpreises an Peter Handke ist richtig. Sie ist richtig, weil sein Werk und seine Sprache für die Weltliteratur von großer Bedeutung ist.

Der Literaturnobelpreis ist im Übrigen kein Friedensnobelpreis, der ja sogar an einen amerikanischen Präsidenten verliehen wurde, trotz Drohnenmorde, völkerrechtswidriger Kriege, Foltercamps und Todesstrafe.“

Während manche interessierte Zeitgenossen den für eine moralische Einordnung von Preisverleihungen angemessenen Vergleich mit Barack Obama als „Whataboutism“, also als unredliche Relativierung abtun, stellt die „FAZ“ eben jenen Vergleich an. Die Zeitung verkündet erleichtert:

„Wenigstens kein Friedensnobelpreis“.

Titelbild: aga7ta / Shutterstock