Papst Franziskus besucht im Rahmen seiner Japanreise im November Hiroshima und Nagasaki. Symbolträchtig will er von den 1945 mit Atombomben zerstörten Städten aus auf die weltweite Vernichtung von Nuklearwaffen drängen. Gerade erst hat Kardinal Pietro Parolin vor der UN-Generalversammlung zum Stopp von Kernwaffentests aufgerufen. Die katholische Friedenskommission Justitia et Pax fordert eine „vorbehaltlose und umfassende Ächtung von Atomwaffen“ als Einstieg in die nukleare Abrüstung. Den ersten Schritt soll der Westen gehen. Die deutschen Medien verschweigen diese wichtigen Friedensinitiativen. Von Rüdiger Göbel.
Mit deutlichen Worten ruft der Vatikan alle Staaten der Welt auf, den Atomwaffenteststoppvertrag (Comprehensive Nuclear-Test-Ban Treaty – CTBT) aus dem Jahr 1996 endlich umzusetzen. „Mehr als zwei Jahrzehnte sind eine zu lange Wartezeit“, sagte Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin während der UN-Vollversammlung in New York anlässlich des Internationalen Tages zur Beseitigung von Atomwaffen. Wie das Onlineportal „Vatican News“ berichtet, machte der zweite Mann des Vatikans deutlich, dass es um weit mehr geht als den Teststopp. „Das Verbot von Atomversuchen, nukleare Nichtverbreitung und nukleare Abrüstung sind eng miteinander verbunden und müssen unter wirksamer internationaler Kontrolle so schnell wie möglich erreicht werden“, so Kardinal Parolin.
Angesichts der derzeitigen Bedrohungen des Friedens, die sich aus der „nuklearen Proliferation“ und der „großen Modernisierung der Arsenale von Atomwaffen“ einiger Staaten ergeben, die „im Widerspruch zu den Grundprinzipien des CTBT“ stehen und die internationale Sicherheit untergraben”, sei ein Inkrafttreten des Vertrages umso dringender. Die diplomatisch formulierte Note darf als direkte Adresse an die USA zu verstehen sein, die für die Aufstockung und Modernisierung ihres Atomwaffenarsenals bis zum Jahr 2040 insgesamt eine Billion US-Dollar einplanen.
Gegen ein neues Wettrüsten
Der von der UN-Abrüstungskonferenz ausgearbeitete und von der Vollversammlung der Vereinten Nationen vor 23 Jahren angenommene CTBT-Vertrag verbietet jede Art von Atomtests, ob für zivile oder militärische Zwecke. Damit das Abkommen in Kraft treten kann, muss es noch von Ägypten, China, Indien, Iran, Israel, Nordkorea, Pakistan und den USA ratifiziert werden. Kardinal Parolin forderte die Länder, die das Inkrafttreten des Vertrages blockieren, direkt auf, „die Gelegenheit zu nutzen, Weisheit, mutige Führung und Engagement für den Frieden und das Gemeinwohl aller zu zeigen“.
Ein neues Wettrüsten, nicht nur ein nukleares, bedeute erhebliche Kosten für die Völker der Welt, so dass die „wahren Prioritäten“ wie etwa der Kampf gegen die Armut oder die Durchführung von Bildungs- und Umweltprojekten in den Hintergrund treten, gab der vatikanische Staatssekretär zu bedenken. Noch dazu sei die nukleare Abschreckung illusorisch. Atomwaffen böten ein „falsches Sicherheitsgefühl“ und könnten keine stabile und sichere Welt schaffen. „Dauerhafter Frieden und internationale Sicherheit können nicht auf einer gegenseitig gesicherten Zerstörung oder auf der Gefahr der Vernichtung beruhen”, so Kardinal Parolin.
Die weitere nukleare Eskalation sei „moralisch inakzeptabel“ und müsse durch eine „Ethik der Verantwortung” ersetzt werden, die „ein Klima des Vertrauens schafft, das den multilateralen Dialog durch konsequente Zusammenarbeit zwischen allen Mitgliedern der internationalen Gemeinschaft stärkt“. In einer Zeit zunehmender Spannungen würde das Inkrafttreten des CTBT eine „wesentliche Maßnahme zur Vertrauensbildung“ darstellen.
Die Medien Schweigen zum Vatikan-Vorstoß
Eingang in die Berichterstattung deutscher Medien hat die Generalkritik an Atomwaffen bisher nicht gefunden. Dabei hat sich auch die katholische Kirche in Deutschland zu Wort gemeldet. So fordert der Trierer Bischof Stephan Ackermann eine „vorbehaltlose und umfassende Ächtung“ von Atomwaffen. Er steht der Friedenskommission Justitia et Pax vor, einer Einrichtung der Deutschen Bischofskonferenz, die den UN-Atomwaffenverbotsantrag unterstützt, den die Bundesregierung partout nicht unterzeichnen will.
In einem Gastbeitrag für die in Würzburg erscheinende Wochenzeitung „Die Tagespost“ schrieb nun Bischof Ackermann, die sogenannte nukleare Abschreckungstheorie sei nicht aufgegangen. Sie habe sich durch die Erfahrung der vergangenen Jahrzehnte als Täuschung entpuppt. Zwar sei die Welt bisher von einem Atomkrieg verschont geblieben, doch zu einer umfassenden Abrüstung sei es nicht gekommen. Konventionelle Kriege oder andere bewaffnete Konflikte hätten zudem nicht wirksam verhindert werden können. Sie bärgen vielmehr die Gefahr, nuklear zu eskalieren. Es gebe deshalb keine guten Gründe, die den Besitz oder gar den Einsatz von Atomwaffen rechtfertigten.
Mit Sorge sehe er die „Krise der internationalen Diplomatie“, so Bischof Ackermann, die einen vorläufigen Höhepunkt in der Aufkündigung des INF-Abrüstungsvertrags durch US-Präsident Donald Trump und des russischen Staatschefs Wladimir Putin gefunden habe. Man müsse befürchten, dass die Zahl der Atomwaffen weiter zunehmen werde und das Risiko für deren Einsatz steige. Die Rüstungsindustrie arbeite an einer Miniaturisierung von Atomwaffen und wolle deren Zielgenauigkeit erhöhen und ihre Wirkkraft begrenzen, doch dies sei „reine Augenwischerei“, so Bischof Ackermann. Tatsächlich sei die Sprengkraft solcher Atomwaffen nur wenig geringer als die der Atombomben von Hiroshima und Nagasaki.
Atomwaffen: Weder Besitz noch Einsatz ist zu rechtfertigen
Die katholische deutsche Friedenskommission Justitia et Pax hatte im Juni das Grundlagenpapier „Die Ächtung von Atomwaffen als Beginn nuklearer Abrüstung“ vorgelegt. Vor dem Hintergrund der katholischen Friedenslehre und der Haltung der katholischen Kirche zu Atomwaffen sei weder deren Besitz noch ihr Einsatz ethisch oder politisch zu rechtfertigen, heißt es darin. Mit der Erklärung schließt sie sich der Meinung von Papst Franziskus an, wonach das Konzept atomarer Abschreckung zur Friedenssicherung nicht länger verantwortet werden könne. Dieses sei nach der kirchlichen Lehre nur insoweit moralisch vertretbar, als es strikt der Kriegsverhütung diene und wenn Regierungen „erkennbar darauf hinarbeiten, es zu überwinden“, heißt es darin. Die mächtigsten Atomwaffenstaaten USA und Russland ließen jedoch derzeit keinen ernsthaften Willen erkennen, von der Abschreckungsstrategie abzurücken. Sie setzten vielmehr darauf, einen Atomkrieg führen, begrenzen und gewinnen zu können.
Angesichts der „Krise der internationalen Politik“ seien anstelle von weiterer Aufrüstung intensive Anstrengungen notwendig, um das herrschende Misstrauen durch Dialog und Zusammenarbeit abzubauen. „Vertrauen ist die Grundlage von Friedenspolitik und der Schlüssel zur nuklearen Abrüstung und Rüstungskontrolle“, so Justitia et Pax. „Das erste, grundlegende und dringendste Erfordernis der internationalen Politik besteht gegenwärtig darin, alles zu unternehmen, um Klima und Atmosphäre in den internationalen Beziehungen zu verbessern.“ Das Ziel einer atomwaffenfreien Welt sei nur mit den Atomwaffenstaaten erreichbar, nicht gegen sie. Ein umfassendes Verbot der Atomwaffen, das von den Atommächten akzeptiert werde, sei nur erreichbar auf einer Vertrauensbasis zwischen ihnen, „die schrittweise durch regelmäßige Kontakte und Gespräche hergestellt werden muss“.
Der Westen soll den ersten Schritt machen
Zunächst müsse es darum gehen, allgemein die Atomwaffen zu ächten, um dann über Rüstungskontrolle und Abrüstung zu verhandeln. Justitia et Pax erklärt auch ausdrücklich, wer den Anfang machen soll:
„Der erste Schritt auf diesem Weg sollte von der westlichen Seite ausgehen und mit einer vorbehaltlosen Einladung an Russland und China verbunden sein, sich an einer Wiederbelebung entspannungsorientierter Diplomatie zu beteiligen. Dabei sollten die westlichen Staaten und besonders die USA erklärtermaßen auf ihre militärische Überlegenheit verzichten, um so die in den letzten Jahren erneut sich verschärfende globale Rüstungsdynamik zu dämpfen und um bessere Rahmenbedingungen für die Vertrauensbildung sowie multilaterale Rüstungskontroll- und Abrüstungsgespräche zu schaffen.“
Papst Franziskus hatte bereits im November 2017 in einer Rede auf einer vom Vatikan organisierten Konferenz die Vernichtung der Atomwaffen gefordert und dies in Verbindung gesetzt mit den Fragen von Entwicklung und sozialer Gerechtigkeit. Aufrüstung gehe auf Kosten der Ärmsten und Benachteiligten in der Welt und setze im Blick auf den Menschen einen völlig falschen Fokus, so das Oberhaupt der katholischen Kirche damals.
Friedensaktivisten verurteilt
Wie weit der Weg für die Kirche und die Bewegung für die Abschaffung von Atomwaffen noch ist, geht aus einer aktuellen Meldung des evangelischen Pressedienstes epd hervor: Das Landgericht Koblenz hat in einem Berufungsverfahren die Urteile gegen vier Friedensaktivisten bestätigt, die im Jahr 2016 an einer Protestaktion auf dem Luftwaffenstützpunkt Büchel teilgenommen hatten. Ihnen war es damals gelungen, auf das streng bewachte Militärgelände zu kommen und die Start- und Landebahn zu blockieren. In Büchel lagern 20 Atomwaffen der USA, die im Kriegsfall von deutschen Kampfpiloten zu ihren Zielen geflogen werden sollen. Wegen Hausfriedensbruchs sollen die zwei Männer und zwei Frauen jeweils 30 Tagessätze zahlen (AZ: 13 Ns 2010 Js 15824/17). Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, angestrebt wird ein Revisionsverfahren und gegebenenfalls eine Verfassungsbeschwerde.
Wie epd berichtet, hatten die Friedensaktivisten vor Gericht Freisprüche gefordert und sich auf das Recht zum Widerstand berufen, da Deutschland gegen den Atomwaffensperrvertrag verstoße und die Bundesregierung nichts für den Abzug der Nuklearwaffen unternehme.
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